L 6 R 640/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 10 RJ 221/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 6 R 640/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5a/5 R 476/06 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 20. November 2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Berechtigung der Beklagten, einen Anspruch der Beigeladenen mit einem Anspruch des Klägers auf Altersrente zu verrechnen.

Das Arbeitsamt A. - Zentraler Forderungseinzug - bzw. das Landesarbeitsamt Südbayern haben bei der Beklagten Verrechnungsersuchen gestellt, betreffend Forderungen gegen den Kläger (Ersuchen vom 11.11.1983 in Höhe von 22.059,08 DM Konkursausfallgeld; Ersuchen vom 06.07.1984 in Höhe von 1.647,30 DM Investitionskosten; Ersuchen vom 21.11.1991 in Höhe von 13.468,88 DM Zuschuss für Erwerb von Geräten).

Auf den Antrag vom 23.12.1999 bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 11.04.2000 die Altersrente für langjährig Versicherte ab 01.11.1999 in Höhe von monatlich 1.103,50 DM. Die Nachzahlung in Höhe von 7.724,50 DM werde vorläufig einbehalten. Die Beigeladene (Beschluss des erkennenden Senats vom 31.01.2006) machte sodann unter Bezugnahme auf die Verrechnungsersuchen erneut eine Verrechnung geltend; die Gesamtforderung betrage inklusive der Säumniszuschläge 40.016,84 DM. Nach Anhörung des Klägers mit Schreiben vom 06.07.2000 verfügte die Beklagte sodann mit Bescheid 27.07.2000 die Auszahlung der Rentennachzahlung in Höhe von 3.862,25 DM an den Kläger. In gleicher Höhe erfüllte sie das Verrechnungsersuchen der Beigeladenen. Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein: Es sei das Anhörungsverfahren mangelhaft durchgeführt worden, auch werde er im Falle der Verrechung sozialhilfebedürftig, da er dringend auch auf die Nachzahlung zur Deckung der laufenden Lebenshaltungskosten in der Zeit vom 01.11.1999 bis 31.05.2000 angewiesen sei.

Mit Bescheid vom 20.11.2000 stellte die Beklagte sodann die Rente neu fest und errechnete eine Nachzahlung für die Zeit vom 01.11.1999 bis 31.12.2000 in Höhe von 184,50 DM. Mit weiterem Anhörungsschreiben vom 08.12.2000 kündigte sie an, die Hälfte der Nachzahlung an einen der Verrechnungsgläubiger des Klägers auszuzahlen. Gegen den Bescheid vom 20.11.2000 legte der Kläger ebenfalls Widerspruch ein: Es bestehe kein Einverständnis mit einer Einbehaltung der Nachzahlung.

Mit Widerspruchsbescheid vom 30.01.2001 hat die Beklagte die Widersprüche gegen die Bescheide vom 27.07.2000 und 20.11.2000 zurückgewiesen. Das Landesarbeitsamt Bayern habe Verrechnungsersuchen über eine Gesamtforderung in Höhe von 34.498,19 DM (Stand 30.01.2001) gestellt. Es sei davon auszugehen, dass neben der Altersrente auch eine Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung bezogen werde; hinzu komme noch das Einkommen aus dem fortdauernden Beschäftigungsverhältnis bei seinem bisherigen Arbeitgeber. Es sei somit nicht erkennbar, dass der Kläger bei Durchführung der Verrechnung sozialhilfebedürftig werde. Auch seien Fehler bei der Ermessensausübung nicht ersichtlich und würden auch nicht geltend gemacht. Mit Bescheid vom 07.02.2001 hat die Beklagte daraufhin die Auszahlung der Hälfte des einbehaltenen Rentennachzahlungsbetrags an das Landesarbeitsamt Bayern verfügt.

Gegen den Widerspruchsbescheid vom 30.01.2001 und die zugrunde liegenden Bescheide hat der Kläger sodann zum Sozialgericht München Klage erhoben mit dem Antrag, ihm einen Betrag in Höhe von 3.954,50 DM auszuzahlen und diesen Betrag zu verzinsen. Einer Weiterleitung der Hälfte der Nachzahlung stehe § 39 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) entgegen, da er sozialhilfebedürftig werden würde. Außer der von der Beklagten gewährten Rente habe er keine wesentlichen Einnahmen. Hinsichtlich des von der Beklagten behaupteten Auskunftsverlangens sei zu bemerken, dass ein derartiges nicht vorliege.

Mit Urteil vom 20.11.2003, dem Kläger zugestellt am 14.10.2004, hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung auf den Inhalt des Widerspruchsbescheides vom 30.01.2001 Bezug genommen. Mit Schreiben vom 29.03.2004 hatte die Beklagte dem Sozialgericht mitgeteilt, dass die Bundesagentur für Arbeit ihre Verrechnungsersuchen zurückgenommen habe.

Gegen das Urteil vom 20.11.2003 hat der Kläger Berufung eingelegt und an seinem Begehren festgehalten. Es komme letztlich nicht darauf an, ob die Forderung der Beigeladenen zu Recht bestehe; einer Weiterleitung der Hälfte der Nachzahlung stehe § 39 SGB I entgegen, da er sozialhilfebedürftig werden würde. Er sei dringend auch auf die Nachzahlung zur Deckung der laufenden Lebenshaltungskosten in der Zeit vom 01.11.1999 bis 31.05.2000 angewiesen. Es stehe auch fest, dass die Beklagte überhaupt kein Ermessen ausgeübt habe. Die bloße Zurücknahme eines Verrechnungsersuchens bewirke gar nichts, entscheidend sei, dass die angefochtenen Bescheide aufzuheben seien. Dies sei bisher nicht erfolgt. Aus seiner Sicht sei auch davon auszugehen, dass die Frist des § 134 Abs.2 SGG für die Absetzung des Urteils vom Sozialgericht nicht eingehalten worden sei.

Nach Auffassung der Beklagten könne die Auszahlung des Betrags von 3.954,50 DM an den Kläger auch nach Rücknahme des Verrechnungsersuchens nicht erfolgen, da sie im Rahmen der damaligen Abrechnung zeitnah ermittelt habe, ob die Forderung des Landesarbeitsamts noch bestehe. Es sei davon auszugehen, dass eine Zurücknahme nur für die Zukunft erfolgt sei. Im Übrigen könne Sozialhilfebedürftigkeit für zurückliegende Zeiträume nachträglich nicht mehr eintreten. Der Kläger habe seinerzeit auch nicht laufend Sozialhilfe bezogen.

Nach Beiladung der Bundesagentur für Arbeit hat diese mit Schriftsatz vom 12.04.2006 erklärt, die schriftliche Erklärung vom 23.03.2004 sei im Kontext mit erfolgten Niederschlagungen zu sehen sei und solle damit lediglich für die Zukunft gelten. Abtrennungen aus laufendem Rentenbezug des Klägers seien nicht mehr zu gewärtigen gewesen. Auch ergebe sich aus dem Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 21.09.2005 (L 13 R 4215/03), dass Sozialhilfebedürftigkeit rückwirkend für bereits abgelaufene Zeiträume nicht mehr entstehen könne.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 20.11.2003 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 27.07.2000 und 29.11.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.01.2001 zu verurteilen, an ihn den Betrag in Höhe von 3.954,50 DM auszuzahlen und den Nachzahlungsbetrag zu verzinsen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Bezüglich weiterer Einzelheiten des Tatbestandes wird im Übrigen verwiesen auf den Inhalt der Akten des Gerichts sowie der beigezogenen Klageakten des Sozialgerichts München, der Akten der Beigeladenen und der Beklagten, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. In der Sache konnte sie jedoch keinen Erfolg haben.

Der für eine Geldleistung zuständige Leistungsträger kann mit Ermächtigung eines anderen Leistungsträgers dessen Ansprüche gegen den Berechtigten mit der ihm obliegenden Geldleistung verrechnen, soweit nach § 51 SGB I die Aufrechnung zulässig ist (§ 52 SGB I). Gemäß § 51 Abs.1 SGB I kann der zuständige Leistungsträger mit Ansprüchen gegen den Berechtigten Gegenansprüche auf Geldleistungen aufrechnen, soweit die Ansprüche auf Geldleistungen nach § 54 Abs.2 und 4 SGB I pfändbar sind. Der zuständige Leistungsträger kann nach § 51 Abs.2 SGB I mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen und mit Beitragsansprüchen nach dem Sozialgesetzbuch Gegenansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen, soweit der Leistungsberechtigter dadurch nicht hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des BSHG bzw. des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch wird. Die in diesen Vorschriften aufgestellten Grundsätze hat die Beklagte beachtet.

Die Beklagte war von der Beigeladenen schriftlich ermächtigt, deren hinreichend bestimmte, einziehbare und nicht verjährte Ansprüche gegen den Kläger auf Zahlung von (u.a.) Konkursausfallgeld mit der von der Beklagten gezahlten Altersrente zu verrechnen. § 51 Abs.2 SGB I lässt dabei die Verrechnung bis zur Hälfte des monatlichen Zahlbetrags zu. Dies gilt auch für Rentennachzahlungen, denn der Charakter der Altersrente als laufende Geldleistung wird durch die Tatsache, dass die Rente bei rückwirkender Gewährung nicht in monatlichen Abständen, sondern in einem Betrag zur Auszahlung kommt, nicht berührt (vgl. Urteil des BayLSG vom 21.09.2005, L 13 R 4215/03). Die Nachzahlung erfolgt zur Erfüllung der im Nachzahlungszeitraum monatlich entstandenen Zahlungsansprüche. Sowohl die Beklagte als auch die Beigeladene weisen darauf hin, dass mit Recht für bereits abgelaufene Rentenzahlungszeiträume, für die noch keine Rentenzahlung erfolgt ist, eine Sozialhilfebedürftigkeit rückwirkend nicht mehr eintreten kann (BayLSG a.a.O.). Für den geltend gemachten Zeitraum vom 01.11.1999 bis 31.05.2000 hat der Kläger auch seinen Lebensunterhalt bestritten, ohne laufende Hilfe zum Lebensunterhalt in Anspruch zu nehmen. Es ist deshalb davon auszugehen, dass ihm ausreichende Mittel zur Finanzierung seines Lebensunterhalts zur Verfügung gestanden haben. Alleine die Behauptung, er wäre (rückwirkend) sozialhilfebedürftig geworden, reicht für die Annahme des Gegenteils nicht aus. Dass die Beklagte nunmehr darauf verzichtet hat, aus den laufenden Rentenzahlungsbeträgen eine Abzweigung zu Gunsten der Beigeladenen durchzuführen, ist in diesem Zusammenhang ohne Belang.

Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Beigeladene durch ihre Erklärung, sie nehme die Verrechnungsersuchen zurück, rückwirkend auf deren Geltendmachung verzichtet hat. Sowohl die Beigeladene als auch die Beklagte verstehen diese Erklärung dahin, dass lediglich für die Zukunft auf die Geltendmachung der noch offenen Beträge verzichtet werden sollte. Die Beigeladene hat in ihrer Stellungnahme vom 12.04.2006 dementsprechend ausgeführt, dass nach mehrmaligen fruchtlosen Pfändungsversuchen die Restforderung am 23.03.2004 unbefristet niedergeschlagen wurde. Die sodann erfolgte schriftliche Erklärung gegenüber der Beklagten, die Verrechnungsersuchen würden zurückgenommen, kann somit nur zusammen mit den Niederschlagungen gesehen werden und sich somit auch nur für die Zukunft auswirken.

Auch die von der Beklagten durchgeführte Anhörung gemäß § 24 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Das Anhörungsschreiben vom 06.07.2000 wurde zwar erst am 12.07.2000 zur Post gegeben, der Bescheid vom 27.07.2000 ist jedoch erst nach Ablauf der gesetzten Frist von zwei Wochen, als die Beklagte mit einer Äußerung nicht mehr rechnen musste (am 31.07.2000) zur Post gegeben worden. Dem Kläger ist zwar darin zuzustimmen, dass keine konkreten Fragen gestellt worden waren, aus dem Hinweis, dass seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu berücksichtigen seien und er sich innerhalb von zwei Wochen hierzu unter Beifügung von Unterlagen äußern möge, war jedoch zu ersehen, dass zumindest seine Einkommensverhältnisse für die Entscheidung von Bedeutung sein könnten, weshalb auch eine Rückfrage bei der Beklagten zumutbar gewesen wäre. Eine diesbezügliche Ermessensentscheidung zugunsten des Klägers war deshalb nicht möglich.

Nachdem die Beklagte zu Recht die Verrechnung in Form eines Verwaltungsakts erklärt hat (vgl. BayLSG, a.a.O.), konnte die Berufung des Klägers in der Sache keinen Erfolg haben.

Auch die Vorschrift des § 134 Abs.2 SGG kann kein für den Kläger günstiges Ergebnis bringen. Danach soll das Urteil vor Ablauf eines Monats vom Tag der Verkündung an gerechnet, vollständig abgefasst der Geschäftsstelle übergeben werden. Bei einem Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs.2 SGG (wozu die Beteiligten vorliegend die Einverständnisse gegeben haben) wird das Urteil durch die Zustellung verkündet (§ 133 SGG). Wegen des Ablaufs der 5-Monatsfrist zwischen der Entscheidung (ohne mündliche Verhandlung) und der Zustellung des Urteils könnte dessen Aufhebung und die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Sozialgericht in Betracht kommen. Bei verspäteter Absetzung soll die Berufungsinstanz aber nicht zurückverweisen, da diese selbst Tatsachen feststellen kann (vgl. Meyer-Ladewig u.a., SGG, § 159 Rdnr.2c) im Gegensatz zur Revisionsinstanz.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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