L 3 RJ 112/04

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 32 RJ 2295/02
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 RJ 112/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. August 2004 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Streitig ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1955 geborene Kläger, der nach seinen Angaben vom 1. September 1972 bis zum 31. August 1975 eine Lehre als Schlosser durchlief, ohne die Gesellenprüfung bestanden zu haben, war als Schlosser, Anlagenfahrer, Heizer und Brunnenbauer beschäftigt. Zuletzt arbeitete er ab 1990 als Bauhelfer. Seit Dezember 1997 bezieht er Leistungen der Bundesagentur für Arbeit. Am 25. Mai 2001 stellte er bei der Beklagten formlos einen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Er gab an, sich wegen Bluthochdrucks, eines Lumbal- und Cervikalsyndroms für erwerbsunfähig zu halten.

Der Beklagten lag ein arbeitsamtsärztliches Gutachten vom 26. Mai 1999 vor, aus dem sich nach Einstellung des Blutdruckleidens ein vollschichtiges Leistungsvermögen für überwiegend leichte bis mittelschwere Arbeiten ergab. Als Bauhelfer mit überwiegend körperlicher Schwerarbeit sei der Kläger jedoch nicht mehr einsetzbar. Zur Ermittlung des Sachverhalts ließ die Beklagte den Kläger durch den Allgemeinmediziner Dr. S untersuchen und begutachten. In seinem Gutachten vom 10. September 2001 stellte der Gutachter ein LWS- und HWS-Syndrom sowie einen labilen Hypertonus fest. Der Kläger sei noch in der Lage, vollschichtig leichte Arbeiten zu verrichten. Daraufhin lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 8. Oktober 2001 ab. Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, sein Antrag auf eine Kur sei mit der Begründung abgelehnt worden, seine Erwerbsfähigkeit sei durch medizinische Maßnahmen nicht zu bessern oder wieder herzustellen. Er könne deshalb nicht verstehen, dass auch sein Rentenantrag abgelehnt werde. Beigefügt waren Atteste des Allgemeinmediziners Dr. V vom 28. Juni 2001 und 16. Oktober 2001, die sich auf den Widerspruch gegen den Bescheid der Beklagten vom 20. September 2001 bezogen, mit dem der Antrag des Klägers vom 17. Juli 2001 auf Gewährung medizinischer Leistungen zur Rehabilitation abgelehnt wurde.

Zur Ermittlung des Sachverhalts veranlasste die Beklagte ein weiteres Gutachten, das am 17. August 2002 durch den Chirurgen Dipl.-Med. P erstellt wurde und in dem er ein Lumbago, belastungsabhängig rezidivierend bei Osteochondrose, Spondylose, Bandscheibendegeneration LS/S1, Spondyl- und ISG-Arthrose sowie einen ungenügend eingestellten arteriellen Hypertonus diagnostizierte. Der Kläger könne noch leichte bis mittelschwere Arbeiten vollschichtig verrichten. Als Bauhelfer sei er jedoch nicht mehr einsetzbar. Mit Widerspruchsbescheid vom 24. September 2002 wies die Beklagte den Widerspruch unter Bezugnahme auf das Ergebnis der medizinischen Ermittlungen zurück. Es sei nicht entscheidungserheblich, dass der Kläger seine bisherige Tätigkeit als Bauhelfer nicht mehr ausüben könne, da er noch in der Lage sei, Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes, auf den er verweisbar sei, zu verrichten.

Mit der dagegen bei dem Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, sein Gesundheitszustand verschlechtere sich stetig. Das Sozialgericht hat zunächst Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte, des Allgemeinmediziners Dr. V vom 10. April 2003, des Orthopäden G vom 1. April 2003, bei dem der Kläger nur am 11. Juni 2002 behandelt worden ist, der Internistin Dr. F vom 4. Juni 2003, des Orthopäden Dr. H vom 30. Oktober 2003, in dessen Behandlung sich der Kläger am 25. August 2003 begeben hat, sowie des Urologen Dipl.-Med. A vom 31. Oktober 2003, beigezogen.

Vom 21. bis 30. Dezember 2003 hat sich der Kläger wegen eines Nierenparenchymtumors links in stationärer Behandlung der St. H Kliniken in B befunden, wo eine retroperitoneale Tumornephrektomie links durchgeführt worden ist (vorläufiger Entlassungsbrief vom 30. Dezember 2003 und Entlassungsbericht vom 13. Januar 2004). Wegen der Nierenerkrankung (in Heilungsbewährung) sowie Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule und Nervenwurzelreizerscheinungen, Wirbelsäulenverbiegung, Bandscheibenverbiegung, Bandscheibendegeneration L5/S1 ist dem Kläger vom Landesamt für Gesundheit und Soziales Berlin mit Bescheid vom 9. Februar 2004 ein Grad der Behinderung (GdB) von 60 seit dem 24. November 2003 zuerkannt worden.

Das Sozialgericht hat dann eine Begutachtung durch die Fachärztin für Arbeitsmedizin Dr. F veranlasst. In ihrem Gutachten vom 1. März 2004 hat die Sachverständige folgende Diagnosen gestellt:

- Anhaltende Halswirbelsäulenschmerzen mit Schulterausstrahlung und geringgradiger Funktionseinschränkung bei degenerativen Veränderungen. - Anhaltende Lendenwirbelsäulenschmerzen mit Beinausstrahlung und sensiblen Nervenwurzelreizerscheinungen links sowie mässiggradiger Funktionseinschränkung bei Fehlhaltung und degenerativen Veränderungen. - Bluthochdruck ohne Organbeteiligung. - Übergewicht und Fettstoffwechselstörung. - Narbenschmerzen nach Operation eines malignen Nierentumors links ohne Funktionseinschränkung der rechten Niere.

Der Kläger könne regelmäßig täglich körperlich leichte Arbeiten im gelegentlichen Wechsel der Haltungsarten mit weiteren qualitativen Einschränkungen für die volle übliche Arbeitszeit von mindestens 8 Stunden täglich verrichten.

Dem Ergebnis der Begutachtung hat sich der Kläger nicht anzuschließen vermocht. Er hat sich auf eine Bescheinigung von Dr. H vom 19. April 2004 bezogen, in dem der Arzt die Auffassung vertreten hat, dass aus seiner orthopädischen Sicht die Erwerbsunfähigkeitsrente insbesondere unter dem Aspekt der begleitenden Nierentumorerkrankung indiziert sei.

Durch Urteil vom 16. August 2004 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Kläger sei nicht erwerbsgemindert. Dies ergebe sich aus dem Gutachten von Dr. F. Diese habe unter Berücksichtigung der vom Kläger angegebenen Beschwerden nach umfangreicher Untersuchung und Befundung die vorliegenden Gesundheitsstörungen und die hieraus resultierenden qualitativen Leistungseinschränkungen überzeugend festgestellt. Aus den vorliegenden Erkrankungen und den im Einzelnen im Gutachten dargelegten Befunden folgten lediglich qualitative, nicht hingegen quantitative Leistungseinschränkungen. Der Kläger sei auch nicht berufsunfähig, denn er sei als Bauhelfer und damit ungelernter Arbeiter auf jede andere nicht qualifizierte Tätigkeit zu verweisen.

Gegen das am 28. Oktober 2004 zugestellte Urteil hat der Kläger am 23. November 2004 Berufung eingelegt. Er könne nicht nachvollziehen, dass das Gutachten von Dr. F nicht in Frage gestellt worden sei. Das Gutachten enthalte von vorne bis hinten falsche Behauptungen. Soweit in der Urteilsbegründung auch auf ein von Frau Dr. F erstellte Belastungs-EKG hingewiesen worden sei, sei zu sagen, dass ein solches Belastungs-EKG nie stattgefunden habe.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. August 2004 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 8. Oktober 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. September 2002 zu verurteilen, ihm ab 1. Mai 2001 Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

II.

Der Senat konnte gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nach Anhörung der Beteiligten die form- und fristgerecht eingelegte Berufung durch Beschluss zurückweisen, denn er hält die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich.

Der Kläger hat, wie das Sozialgericht zutreffend entschieden hat, keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Der ab 1. Mai 2001 geltend gemachte Rentenanspruch des Klägers richtet sich nach § 43 Sozialgesetzbuch VI (SGB VI) in der ab 1. Januar 2001 geltenden Fassung. Die bis 31. Dezember 2000 geltende Regelung ist nach Aufhebung durch das Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20. Dezember 2000 nicht mehr anwendbar (§ 300 Abs. 2 SGB VI).

Gemäß § 43 SGB VI sind Versicherte teilweise erwerbsgemindert, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Abs. 1 S. 2). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbarer Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Abs. 2 S. 2). Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (Abs. 3).

Diese Voraussetzungen sind zur Überzeugung des Senats nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen, insbesondere nach dem Gutachten der Arbeitsmedizinerin Dr. F von 1. März 2004, nicht erfüllt, denn der Kläger ist danach noch in der Lage, mindestens sechs Stunden täglich leichte körperliche Arbeiten zu verrichten.

An orthopädischen Krankheiten liegen bei dem Kläger anhaltende Halswirbelsäulenschmerzen mit Schulterausstrahlung und geringgradiger Funktionseinschränkung bei degenerativen Veränderungen sowie anhaltende Lendenwirbelsäulenschmerzen mit Beinausstrahlung und sensib-len Nervenwurzelreizerscheinungen links sowie mässiggradige Funktionseinschränkung bei Fehlhaltung und degenerativen Veränderungen vor.

Die damit einhergehenden Funktionseinschränkungen des Achsenskeletts sind nicht erheblich. Muskellähmungen oder andere schwerwiegende neurologische Ausfallerscheinungen sind bei der Begutachtung nicht festgestellt worden. Das Taubheitsgefühl an den Fingerkuppen ist rein subjektiver Natur und ohne organisches Korrelat. Die Sachverständige verweist darauf, dass in dem Befundbericht des Orthopäden Dr. H vom 30. Oktober 2003 nur geringe Funktionseinschränkungen der Hals- und Lendenwirbelsäule dokumentiert seien.

An internistischen Leiden bestehen bei dem Kläger ein Bluthochdruck ohne Organbeteiligung, Übergewicht und Fettstoffwechselstörungen sowie Narbenschmerzen nach Operation eines malignen Nierentumors links ohne Funktionseinschränkung der rechten Niere. Die Sachverständige ist nach Auswertung der dem Befundbericht von Dr. F vom 30. Juni 2003 beigefügten Befunden zu dem Ergebnis gekommen, dass das Ruhe-EKG unauffällig gewesen sei und die Belastungsuntersuchung bis 175 Watt keine Hinweise auf eine Koronarinsuffizienz ergeben habe. Auch die Ultraschalluntersuchung des Herzens zeige in Bezug auf das bestehende Bluthochdruckleiden, das durch Therapieoptimierung und Gewichtsreduktion zu normalisieren sei, keine spezifischen Veränderungen. In der Untersuchungssituation habe der gemessene Blutdruck im Grenzbereich gelegen.

Allein die laborchemisch festgestellte Fettstoffwechselstörung begründet kein aufgehobenes Leistungsvermögen. Die nach der Entfernung der tumorösen linken noch vorhandene rechte Niere ist, wie sich aus dem Entlassungsbericht der St. H Kliniken B ergibt, indolent und sonografisch unauffällig. Es ist deshalb nicht nachzuvollziehen, weshalb der Orthopäde Dr. H dem Kläger in seiner Bescheinigung vom 19. April 2004 "insbesondere unter dem Aspekt der begleitenden Nierentumorerkrankung" Erwerbsunfähigkeit attestiert. Es fehlt jegliche Begründung für diese Auffassung, die nach den vorliegenden Befunden nicht zu rechtfertigen ist.

Die Sachverständige Dr. F ist aufgrund der erhobenen Befunde zu dem nachvollziehbaren Ergebnis gekommen, dass ein aufgehobenes Leistungsvermögen bei dem Kläger nicht zu begründen ist. Der Senat hat keine Bedenken, dieser Schlussfolgerung zu folgen, denn nicht nur die erhobenen Befunde, sondern auch die daraus gefolgerten Leistungseinschränkungen stimmen mit dem Ergebnis der im Verwaltungsverfahren durchgeführten Ermittlungen überein. Sowohl der Allgemeinmediziner Dr. S als auch der Chirurg Dipl.-Med. P haben in ihren Gutachten vom 10. September 2001 und 17. August 2002 ebenfalls ein zwar qualitativ, aber nicht quantitativ eingeschränktes Leistungsvermögen festgestellt.

Danach kann der Kläger noch regelmäßig mindestens acht Stunden täglich leichte Arbeiten im gelegentlichen Wechsel der Haltungsarten in geschlossenen Räumen unter normalen klimatischen Bedingungen verrichten. Es bestehen keine Einwände gegen Arbeiten in einem festge-legten Arbeitsrhythmus, an laufenden Maschinen und in Wechselschicht. Arbeiten mit Fingergeschicklichkeit sind möglich, Arme, Hände, Beine und Füße sind ausreichend belastbar. Die festgestellten Leiden beschränken den Kläger auch nicht entsprechend seinem Bildungsstand in der Ausübung einfacher geistiger Arbeiten. Die Wegefähigkeit ist erhalten. Damit ist der Kläger nicht erwerbsgemindert.

Der am 17. August 1955 geborene Kläger ist auch nicht gemäß § 240 Abs. 2 SGB VI teilweise erwerbsgemindert bei Berufsunfähigkeit. Nach allen gutachterlichen Feststellungen kann er wegen seiner Leiden zwar seinen bisherigen Beruf als Bauhelfer nicht mehr verrichten. Er ist damit aber nicht berufsunfähig, denn er kann, da er eine Ausbildung nicht durchlaufen hat und die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Bauhelfers eine ungelernte Tätigkeit ist, nach dem vom Bundessozialgericht entwickelten Mehrstufenschema auf jede andere nicht qualifizierte Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt es eine Vielzahl von Tätigkeiten, die dem qualitativ eingeschränkten Leistungsvermögen des Klägers gerecht werden können. Ob er einen solchen Arbeitsplatz erlangt, ist für den Rechtsstreit jedoch ohne Bedeutung, denn das Risiko, einen freien Arbeitsplatz zu finden, trägt allein die Arbeitslosenversicherung und nicht die Rentenversicherung.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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