Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
11
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 48 SB 610/02
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 11 SB 10/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. Februar 2004 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) sowie die Zuerkennung der Merkzeichen "G" und "B".
Die 1947 geborene Klägerin stellte am 27. April 2001 bei dem Beklagten einen Antrag nach dem Schwerbehindertengesetz. Sie gab an, aufgrund ihrer vielfältigen Behinderungen stark beeinträchtigt zu sein und nur in Begleitung einkaufen zu können. Nach Beiziehung von Befundberichten der die Klägerin behandelnden Ärzte, der Allgemeinmedizinerin Dr. S vom 15. Mai 2001 und des Neurologen und Psychiaters Dr. H vom 16. Juli 2001, die von der den Beklagten beratenden Ärztin für Sozialmedizin Dr. S in einer gutachterlichen Stellungnahme vom 01. August 2001 ausgewertet wurden, erkannte der Beklagte mit Bescheid vom 07. August 2001 einen GdB von 40 wegen folgender Behinderungen an: a) insulingeführter Diabetes mellitus mit Polyneuropathie (Einzel-GdB 40) b) Bluthochdruck (Einzel-GdB 10) c) Funktionsminderung der Wirbelsäule (Einzel-GdB 10) d) operierter Bauchwandbruch (Einzel-GdB 10) e) Magenleiden (Einzel-GdB 10).
Der Beklagte stellte die dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit fest, lehnte jedoch die Zuerkennung der Merkzeichen "G" sowie "B" ab. Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, der Gesamt-GdB sei zu gering bemessen worden, es sei mindestens von einem Gesamt-GdB von 60 auszugehen. Nach Einholung eines weiteren Befundberichtes der Internisten F und S vom 26. November 2001 und einer Stellungnahme des Versorgungsarztes B vom 13. Dezember 2001 wies der Beklagte den Widerspruch zurück, da die begehrte Feststellung eines GdB von mindestens 60 nicht in Betracht komme.
Dagegen hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht Berlin erhoben, mit der sie zunächst nur die Zuerkennung eines GdB von 60 begehrt hat. Mit Schriftsatz vom 04. April 2003 hat die Klägerin unter Vorlage ärztlicher Atteste der Allgemeinmedizinerin Dr. S vom 7. April 2003, des Orthopäden Dr. L vom 26. März 2003 und der Augenärzte Dres. D vom 01. April 2003 erstmals außerdem geltend gemacht, ihr sei auch das Merkzeichen "G" zuzuerkennen, da sie keine Strecken bis zu einem Kilometer mehr durchgängig in normaler Schrittgeschwindigkeit zurücklegen könne. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 08. April 2003 hat die Klägerin außerdem die Zuerkennung des Merkzeichens "B" beantragt.
Zur Ermittlung des Sachverhalts hat das Sozialgericht Befundberichte von Dr. S vom 29. April 2003, von Dr. H, eingegangen bei Gericht am 03. Mai 2003 und ein weiterer Bericht vom 17. Juli 2003, Dr. L vom 05. Mai 2003 und von den Internisten F und Dr. F, eingegangen bei Gericht am 07. Mai 2003, eingeholt. Der Beklagte hat unter Bezugnahme auf Stellungnahmen der ihn beratenden Ärzte, der Internistin OMR R vom 20. Mai 2003 und 19. August 2003, des Chirurgen Dr. O vom 26. Mai 2003 und 14. August 2003 sowie der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. W vom 12. Juni 2003 und 08. September 2003, durch Bescheid vom 18. September 2003 den GdB ab April 2001 mit 60 wegen folgender Behinderungen festgestellt: a) insulingeführter Diabetes mellitus mit Polyneuropathie b) psychische Störung mit depressiver und somatoformer Symptomatik c) arterieller Bluthochdruck d) Funktionsminderung der Wirbelsäule e) Magenleiden f) operierter Bauchwandbruch und ausgeführt, weitere Funktionsbeeinträchtigungen bzw. gesundheitliche Merkmale lägen nicht vor und könnten deshalb nicht festgestellt werden.
Durch Urteil vom 17. Februar 2004, das aufgrund des von den Beteiligten im Termin am 08. April 2003 abgegebenen Einverständnisses ohne mündliche Verhandlung ergangen ist, hat das Sozialgericht die Klage als unzulässig abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, die Klägerin habe, wie sich aus der Klageschrift vom 06. März 2002 ergebe, lediglich die Feststellung eines GdB von 60 begehrt. Dieses Klagebegehren habe der Beklagte mit Bescheid vom 18. September 2003 anerkannt. Das klägerische Begehren sei damit erfüllt und es bestehe nunmehr kein Rechtsschutzbedürfnis hinsichtlich der Feststellung des begehrten GdB mehr. Bezüglich der Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Merkzeichen "G" und "B" sei die Klage ebenfalls unzulässig, denn es mangele schon an der Voraussetzung der Durchführung eines Vorverfahrens, da die Klägerin ihren Widerspruch vom 10. November 2001 erkennbar auf die Feststellung eines GdB von 60 beschränkt habe. Der Beklagte habe daher die Entscheidung der im Ausgangsbescheid ablehnenden Zuerkennung der Merkzeichen nicht mehr überprüft. Die Ablehnung der Gewährung der begehrten Merkzeichen "G" und "B" in dem Bescheid vom 07. August 2001 sei somit bestandskräftig geworden. Im Übrigen könne der unter dem 08. April 2003 gestellte Antrag nur als Klageänderung ausgelegt werden, wobei auch dafür die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen vorliegen müssten, die hier jedoch fehlten. Außerdem habe der Beklagte in keinem seiner Schriftsätze in eine geänderte Klage eingewilligt.
Am 07. April 2004 hat die Klägerin Berufung eingelegt, mit der sie einen GdB von mindestens 70 und die Zuerkennung der Merkzeichen "G" und "B" begehrt. Der Bevollmächtigte hat –trotz Nachfrage des Gerichts- weder das Empfangsbekenntnis über die Zustellung der sozialgerichtlichen Entscheidung vorgelegt noch die Berufung begründet. Er hat jedoch angegeben, das Urteil sei ihm am 9. März 2004 zugestellt worden.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. Februar 2004 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 07. August 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. Februar 2002 und des Bescheides vom 18. September 2003 zu verurteilen, ihr einen GdB von mindestens 70 und die Merkzeichen "B" und "G" zu-zuerkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte trotz des Fernbleibens der Klägerin und ihres Bevollmächtigten von der mündlichen Verhandlung den Rechtsstreit entscheiden, denn diese waren ordnungsgemäß unter Hinweis auf die Folgen ihres Ausbleibens zu dem Termin geladen.
Die Berufung ist zulässig, insbesondere ist sie fristgerecht eingelegt worden.
Gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist die Berufung bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Die Zustellung des Urteils vom 17. Februar 2004 ist am 23. Februar 2004 gemäß § 63 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 SGG in der ab 1. Juli 2002 geltenden Fassung i.V.m. § 174 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) gegen Empfangsbekenntnis (EB) verfügt worden. Während dem Beklagten, wie sich aus dessen EB ergibt, das Urteil am 24. Februar 2004 zugegangen ist, hat der Bevollmächtigte der Klägerin das EB nicht zurückgesandt. Die Zustellung ist in dem Zeitpunkt bewirkt, an dem der Adressat das Schriftstück persönlich als zugestellt entgegen nimmt. Nicht maßgeblich ist, wann das EB ausgestellt wird. Das EB muss aber handschriftlich vom Adressaten oder dessen Vertreter unterzeichnet sein, wobei ein Stempel oder eine Paraphe nicht genügt. Die Besonderheit bei der Zustellung gegen EB ist, dass diese den Willen des Adressaten voraussetzt, das Schriftstück als zugestellt anzunehmen (vgl. BSG SozR 3-1960 § 5 Nr. 1 m.w.N.). Erst das EB liefert den vollen Beweis der Zustellung an dem auf ihm angegebenen Datum.
Der Bevollmächtigte der Klägerin hat auf Anfragen und Bitten des Gerichts, das EB unterschrieben zurückzusenden, nicht reagiert. Es kann also nicht festgestellt werden, ob und wann sein Wille vorgelegen hat, das Urteil als zugestellt anzunehmen. Es konnte auch nicht festgestellt werden, ob dem Bevollmächtigten das Urteil überhaupt unter der qualifizierenden Vor-aussetzung übersandt worden ist, dass es ihm zum Zweck der Zustellung übermittelt wird. Dieser Vermerk ist nach § 174 Abs. 2 Satz 2 ZPO erforderlich. Ob das EB jedoch unverzichtbare Wirksamkeitsvoraussetzung für die förmliche Zustellung ist (zum Meinungsstand vgl. BSG a.a.O.), kann dahinstehen, denn der Zustellungsmangel kann nach §§ 63 Abs. 2 SGG i.V.m. 189 ZPO geheilt werden. Danach gilt das zuzustellende Schrift-stück in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem es der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist. Der Bevollmächtigte behauptet in seinem Berufungsschriftsatz, das Urteil sei ihm am 09. März 2004 zugestellt worden. Da aufgrund des fehlenden EB ein früherer Zugang des Urteils nicht nachgewiesen ist, muss davon ausgegangen werden, dass die Zustellung erst zu dem angegebenen Zeitpunkt bewirkt worden ist. Damit ist die Berufung, die am 7. April 2004 bei Gericht eingegangen ist, fristgerecht erhoben worden.
Die insoweit zulässige Berufung ist aber unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zuerkennung eines GdB von mindestens 70 sowie der Merkzeichen "B" und "G".
Der Senat kann in der Sache entscheiden, denn er sieht von einer Aufhebung der Entscheidung und Zurückverweisung ab, obwohl das Urteil des Sozialgerichts an einem wesentlichen Verfahrensmangel gemäß § 159 Abs. 1 Nr.2 SGG leidet. Es ist insofern verfahrensfehlerhaft, als es ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG getroffen worden ist. Zwar hatten sich die Beteiligten im Termin zur mündlichen Verhandlung am 08. April 2003 mit einer schriftlichen Entscheidung einverstanden erklärt, die Kammer hat jedoch erst danach noch Ermittelungen angestellt, die zu einem Anerkenntnis des Beklagten durch den Bescheid vom 18. September 2003 geführt haben. Da der Bevollmächtigte die Anfrage des Gerichts vom 07. Oktober 2003, ob das anhängige Verfahren nun als erledigt erklärt werde, nicht beantwortet hatte, hat das Gericht am 15. Januar 2004 Termin zur mündlichen Verhandlung zum 17. Februar 2004 anberaumt. Nachdem das Gericht den Antrag des Bevollmächtigten vom 09. Februar 2004 auf Terminsaufhebung zunächst mit Schreiben vom 10. Februar 2004 abgelehnt und ihn unter Darlegung der Rechtslage gebeten hatte, das Anerkenntnis des Beklagten anzunehmen, hat es am 16. Februar 2004 die Aufhebung des Termins dann doch verfügt und die Klage am 17. Februar 2004 abgewiesen, ohne erneut das Einverständnis der Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einzuholen. Dies wäre aber erforderlich gewesen, da sich die maßgebende Sach- und Rechtslage wesentlich geändert hat und damit die Grundlage für das Einverständnis zur schriftlichen Entscheidung "verbraucht" war (vgl. dazu Meyer-Ladewig, a.a.O. § 124 RN 3e m.w.N.). Denn die Erklärung steht grundsätzlich unter dem Vorbehalt, dass eine Änderung der maßgebenden Sach- oder Rechtslage nicht eintritt. Sie bedeutet, dass die Beteiligten unter den gegebenen Umständen eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halten (so BSG Breithaupt 2000, 612). Bei Eintritt einer wesentlichen Änderung tritt der Verbrauch der Einverständniserklärung automatisch ein, ein Widerruf ist nicht erforderlich. Eine wesentliche Änderung der Sach- und Rechtslage ist etwa dann gegeben, wenn Maßnahmen nach § 106 SGG angeordnet werden, z.B. Akten beigezogen oder sonst neue Erkenntnismittel erstmalig in das Verfahren eingeführt werden (BSG SozR 1500 § 124 Nr. 2).
Eine solche wesentliche Änderung der Sach- und Rechtslage war vorliegend eingetreten. Der Termin am 08. April 2003, in dem sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt hatten, hat zunächst dazu gedient, die Schweige-pflichtentbindungserklärung und eine Mitteilung über die die Klägerin behandelnden Ärzte zu erlangen, die der Bevollmächtigte im vorbereitenden schriftlichen Verfahren nicht überreicht hatte. Erst dann sind sämtliche Ermittlungen durchgeführt worden, die – aus Sicht der Klägerin – zu einem Teilanerkenntnis des Beklagten geführt haben. Weiter ist zu berücksichtigen, dass das Sozialgericht die Klage als unzulässig abgewiesen hat, ohne die Beteiligten zu dem für sie völlig neuen Aspekt anzuhören. Dabei handelt es sich um eine grobe Verletzung des rechtlichen Gehörs, § 62 SGG und Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz (GG), der es verbietet, Überraschungsentscheidungen zu treffen. Dadurch soll verhindert wer-den, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf einer Rechtsauffassung beruht, zu der sie nach dem bisherigen Sach- und Streitstand keine Veranlassung hatten, Stellung zu nehmen. Insbesondere muss das Gericht auf Rechtsfragen hinweisen, soweit es sich um Zulässigkeitsfragen handelt (Meyer-Ladewig, a.a.O. § 62 RN 8b m.w.N.; Tho-mas/Putzo Kommentar zur ZPO, 26. A. 2004, § 139 RN 11). Zwar hat das Gericht mit Schreiben vom 10. Februar 2004 mitgeteilt, dass dem Klagebegehren, wie es sich aus dem Klageschriftsatz ergebe, mit dem Bescheid vom 18. September 2003 vollumfänglich entsprochen worden sei, und dass hinsichtlich der später begehrten Zuerkennung der Merkzeichen "G" und "B" eine Klageänderung (keine Klageerweiterung) vorliege, wobei es für deren Zulässigkeit auf die Einwilligung des Beklagten bzw. auf die Sachdienlichkeit ankomme. Im Hinblick auf die weiteren Ausführungen des Sozialgerichts, wonach den begehrten Feststellungen im Rahmen der Begründetheit wenig Erfolgsaussichten eingeräumt würden, ist aber eine sachliche Prüfung des Klagebegehrens in Aussicht gestellt worden. Die Klägerin bzw. ihr Bevollmächtigter konnten deshalb nicht annehmen, dass das Gericht die Klage in vollem Unfang als unzulässig abweisen würde. Der Senat sieht jedoch von einer Zurückverweisung an das Sozialgericht ab, da der Rechtsstreit entscheidungsreif ist und keine weiteren Ermittlungen erforderlich sind.
Streitgegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 07. August 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. Februar 2002 und der Bescheid vom 18. September 2003, der gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden ist. Eine Abänderung oder Erset-zung i.S. des § 96 Abs. 1 SGG liegt grundsätzlich nur vor, wenn die Beschwer des Betroffenen gemindert oder vermehrt wird (Meyer-Ladewig a.a.O., § 96 RN 4b m.w.N.). Dementsprechend liegt also keine Änderung oder Ersetzung vor, wenn die Beschwer des Klägers durch einen Abhilfebescheid in vollem Umfang beseitigt wird (BSG SozR 1500 § 96 Nr. 12). Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Durch den Bescheid vom 18. September 2003 ist zwar dem Begehren der Klägerin auf Feststellung eines GdB von 60 stattgegeben worden. Es ist aber gleichzeitig ausdrücklich entschieden worden, dass weitere Funktionsbeeinträchtigungen bzw. gesundheitliche Merkmale nicht vorliegen und deshalb nicht festgestellt werden können. Damit ist dem Begehren der Klägerin, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren die Zuerkennung der Merkzeichen "G" und "B" beantragt hat, nicht in vollem Umfang abgeholfen worden.
Das Sozialgericht hat die Klage, soweit sie auf die Zuerkennung eines GdB von 60 gerichtet gewesen ist, zutreffend als unzulässig abgewiesen. Mit der Feststellung des GdB in der beantragten Höhe mit Bescheid vom 18. September 2003 hat der Beklagte den die Höhe des GdB betreffenden Klagenanspruch vollumfänglich anerkannt, so dass insoweit ein Rechtsschutzbedürfnis für die weitere Aufrechterhaltung der Klage nicht mehr gegeben war. Das Bundessozialgericht hat bereits mit Urteil vom 09. August 1995, Az.: 9 RVs 7/94, entschieden, dass die Zuerkennung eines begehrten Mindest-GdB, der hier noch nicht einmal beantragt worden ist, ein volles Obsiegen des Klägers darstellt. Nach Anhebung des GdB sei dann der Behinderte ebenso wenig beschwert wie ein Kläger, dem die in seinem Antrag geforderte Mindestsumme an Schmerzensgeld zugesprochen werde. Es fehle dann eine – weitergehende – Forderung, über die eine vergleichsweise Regelung getroffen werden könne.
Wenn die Klägerin nunmehr erstmals im Berufungsverfahren einen GdB von mindestens 70 fordert, stellt dies eine Klageänderung im Sinne des § 99 Abs. 1 SGG dar, in die sich der Beklagte, wie sich aus dem Schriftsatz vom 05. Mai 2004 ergibt, zwar rügelos eingelassen hat. Die geänderte Klage ist jedoch unzulässig, denn hier fehlt es nicht nur an einer von der Beru-fungsinstanz zu überprüfenden erstinstanzlichen Entscheidung, sondern auch an einer anfechtbaren Verwaltungsentscheidung, denn bereits im Verwaltungsverfahren hatte die Klägerin ihren Anspruch auf einen GdB von mindestens 60 beschränkt. Im Klageverfahren hat sie ausdrücklich nur die Zuerkennung eines GdB von 60 beantragt, der ihr mit Bescheid vom 18. September 2003 auch zuerkannt worden ist.
Soweit die Berufung weiter auch auf die Zuerkennung der Merkzeichen "G" und "B" gerichtet ist, ist eine Entscheidung in der Sache deshalb möglich, weil der Beklagte in dem Bescheid vom 18. September 2003, der – wie bereits ausgeführt – gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Rechtsstreits geworden ist, eine neue Entscheidung über die von der Klägerin beanspruchten Nachteilsausgleiche getroffen hat, die gerichtlich überprüfbar ist.
Der Beklagte hat die Feststellung von Merkzeichen zu Recht abgelehnt. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" liegen nicht vor. Gemäß § 145 Abs. 1 Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) werden schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, von Unternehmern, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, gegen Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises im Nahverkehr i.S.v. § 147 Abs. 1 SGB IX unentgeltlich befördert. In ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt sind diejenigen schwerbehinderten Menschen, die infolge einer Einschränkung des Gehvermögens, auch durch innere Leiden, oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermögen, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden, § 146 Abs. 1 S. 1 SGB IX. Die Voraussetzungen für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr sind nach Nr. 30 (3) der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz 1996 (AHP 1996) bzw. der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX) 2004 (AHP 2004) in folgenden Fällen als erfüllt anzusehen: • Es bestehen auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen, z.B. Teilverlust eines Fußes mit Fußfehlstellung, GdB 30-50. • Es bestehen Behinderungen an den unteren Gliedmaßen mit einem GdB unter 50; diese Behinderung wirkt sich besonders auf die Gehfähigkeit aus, z.B. bei Versteifung des Hüftgelenks, des Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung, arterieller Verschluss-krankheit mit einem GdB von 40. • Bei inneren Leiden ist eine Einschränkung des Gehvermögens vor allem bei Herzschäden und bei Atembehinderungen mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion wenigstens mittleren Grades sowie bei einer schweren Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit, z.B. bei einer chronischen Niereninsuffizienz, anzunehmen. Nach Nr. 30 (4) der AHP ist bei hirnorganischen Anfällen die Beurteilung von der Art und Häufigkeit der Anfälle sowie von der Tageszeit des Auftretens abhängig. Im Allgemeinen ist auf eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit erst ab einer mittleren Anfallshäufigkeit zu schließen, wenn die Anfälle überwiegend am Tag auftreten. Analoges gilt beim Diabetes mellitus mit häufigen hyperglykämischen Schocks.
Die vorliegenden medizinischen Befunde ergeben keinerlei Anhaltspunkte für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit der Klägerin im oben genannten Sinne. Die Klägerin leidet zwar an einer Funktionsminderung der Wirbelsäule, diese ist jedoch so geringfügig, dass sie nur mit einem GdB von 10 zu bewerten ist. Dies ergibt sich aus den Stellungnahmen des Chirurgen Dr. O vom 26. Mai und 14. August 2003, der die Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte ausgewertet hat. Auch die weiteren internistischen Behinderungen sind nicht geeignet, eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit zu begründen, wie OMR R in den Stellungnahmen vom 20. Mai und 19. August 2003 ausgeführt hat. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass der Diabetes mellitus, an dem die Klägerin leidet, mit einer mittleren Anfallshäufigkeit i.S. der AHP Nr. 26.3 zu vergleichen ist. Aus keinem der vorliegenden Befunde ist zu entnehmen, dass die Klägerin an häufigen hyperglykämischen Schocks leidet, die mit epileptischen Anfällen mittlerer Häufigkeit (generalisierte [große] und komplexe Anfälle mit Pausen von Wochen; kleine und einfach-fokale Anfälle mit Pausen von Tagen) vergleichbar sind.
Da das Merkzeichen "B" (Notwendigkeit ständiger Begleitung) nur zuerkannt werden kann, wenn die Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" gegeben sind, was hier aber gerade nicht der Fall ist, war die Berufung auch insoweit unbegründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Tatbestand:
Streitig ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) sowie die Zuerkennung der Merkzeichen "G" und "B".
Die 1947 geborene Klägerin stellte am 27. April 2001 bei dem Beklagten einen Antrag nach dem Schwerbehindertengesetz. Sie gab an, aufgrund ihrer vielfältigen Behinderungen stark beeinträchtigt zu sein und nur in Begleitung einkaufen zu können. Nach Beiziehung von Befundberichten der die Klägerin behandelnden Ärzte, der Allgemeinmedizinerin Dr. S vom 15. Mai 2001 und des Neurologen und Psychiaters Dr. H vom 16. Juli 2001, die von der den Beklagten beratenden Ärztin für Sozialmedizin Dr. S in einer gutachterlichen Stellungnahme vom 01. August 2001 ausgewertet wurden, erkannte der Beklagte mit Bescheid vom 07. August 2001 einen GdB von 40 wegen folgender Behinderungen an: a) insulingeführter Diabetes mellitus mit Polyneuropathie (Einzel-GdB 40) b) Bluthochdruck (Einzel-GdB 10) c) Funktionsminderung der Wirbelsäule (Einzel-GdB 10) d) operierter Bauchwandbruch (Einzel-GdB 10) e) Magenleiden (Einzel-GdB 10).
Der Beklagte stellte die dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit fest, lehnte jedoch die Zuerkennung der Merkzeichen "G" sowie "B" ab. Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, der Gesamt-GdB sei zu gering bemessen worden, es sei mindestens von einem Gesamt-GdB von 60 auszugehen. Nach Einholung eines weiteren Befundberichtes der Internisten F und S vom 26. November 2001 und einer Stellungnahme des Versorgungsarztes B vom 13. Dezember 2001 wies der Beklagte den Widerspruch zurück, da die begehrte Feststellung eines GdB von mindestens 60 nicht in Betracht komme.
Dagegen hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht Berlin erhoben, mit der sie zunächst nur die Zuerkennung eines GdB von 60 begehrt hat. Mit Schriftsatz vom 04. April 2003 hat die Klägerin unter Vorlage ärztlicher Atteste der Allgemeinmedizinerin Dr. S vom 7. April 2003, des Orthopäden Dr. L vom 26. März 2003 und der Augenärzte Dres. D vom 01. April 2003 erstmals außerdem geltend gemacht, ihr sei auch das Merkzeichen "G" zuzuerkennen, da sie keine Strecken bis zu einem Kilometer mehr durchgängig in normaler Schrittgeschwindigkeit zurücklegen könne. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 08. April 2003 hat die Klägerin außerdem die Zuerkennung des Merkzeichens "B" beantragt.
Zur Ermittlung des Sachverhalts hat das Sozialgericht Befundberichte von Dr. S vom 29. April 2003, von Dr. H, eingegangen bei Gericht am 03. Mai 2003 und ein weiterer Bericht vom 17. Juli 2003, Dr. L vom 05. Mai 2003 und von den Internisten F und Dr. F, eingegangen bei Gericht am 07. Mai 2003, eingeholt. Der Beklagte hat unter Bezugnahme auf Stellungnahmen der ihn beratenden Ärzte, der Internistin OMR R vom 20. Mai 2003 und 19. August 2003, des Chirurgen Dr. O vom 26. Mai 2003 und 14. August 2003 sowie der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. W vom 12. Juni 2003 und 08. September 2003, durch Bescheid vom 18. September 2003 den GdB ab April 2001 mit 60 wegen folgender Behinderungen festgestellt: a) insulingeführter Diabetes mellitus mit Polyneuropathie b) psychische Störung mit depressiver und somatoformer Symptomatik c) arterieller Bluthochdruck d) Funktionsminderung der Wirbelsäule e) Magenleiden f) operierter Bauchwandbruch und ausgeführt, weitere Funktionsbeeinträchtigungen bzw. gesundheitliche Merkmale lägen nicht vor und könnten deshalb nicht festgestellt werden.
Durch Urteil vom 17. Februar 2004, das aufgrund des von den Beteiligten im Termin am 08. April 2003 abgegebenen Einverständnisses ohne mündliche Verhandlung ergangen ist, hat das Sozialgericht die Klage als unzulässig abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, die Klägerin habe, wie sich aus der Klageschrift vom 06. März 2002 ergebe, lediglich die Feststellung eines GdB von 60 begehrt. Dieses Klagebegehren habe der Beklagte mit Bescheid vom 18. September 2003 anerkannt. Das klägerische Begehren sei damit erfüllt und es bestehe nunmehr kein Rechtsschutzbedürfnis hinsichtlich der Feststellung des begehrten GdB mehr. Bezüglich der Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Merkzeichen "G" und "B" sei die Klage ebenfalls unzulässig, denn es mangele schon an der Voraussetzung der Durchführung eines Vorverfahrens, da die Klägerin ihren Widerspruch vom 10. November 2001 erkennbar auf die Feststellung eines GdB von 60 beschränkt habe. Der Beklagte habe daher die Entscheidung der im Ausgangsbescheid ablehnenden Zuerkennung der Merkzeichen nicht mehr überprüft. Die Ablehnung der Gewährung der begehrten Merkzeichen "G" und "B" in dem Bescheid vom 07. August 2001 sei somit bestandskräftig geworden. Im Übrigen könne der unter dem 08. April 2003 gestellte Antrag nur als Klageänderung ausgelegt werden, wobei auch dafür die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen vorliegen müssten, die hier jedoch fehlten. Außerdem habe der Beklagte in keinem seiner Schriftsätze in eine geänderte Klage eingewilligt.
Am 07. April 2004 hat die Klägerin Berufung eingelegt, mit der sie einen GdB von mindestens 70 und die Zuerkennung der Merkzeichen "G" und "B" begehrt. Der Bevollmächtigte hat –trotz Nachfrage des Gerichts- weder das Empfangsbekenntnis über die Zustellung der sozialgerichtlichen Entscheidung vorgelegt noch die Berufung begründet. Er hat jedoch angegeben, das Urteil sei ihm am 9. März 2004 zugestellt worden.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. Februar 2004 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 07. August 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. Februar 2002 und des Bescheides vom 18. September 2003 zu verurteilen, ihr einen GdB von mindestens 70 und die Merkzeichen "B" und "G" zu-zuerkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte trotz des Fernbleibens der Klägerin und ihres Bevollmächtigten von der mündlichen Verhandlung den Rechtsstreit entscheiden, denn diese waren ordnungsgemäß unter Hinweis auf die Folgen ihres Ausbleibens zu dem Termin geladen.
Die Berufung ist zulässig, insbesondere ist sie fristgerecht eingelegt worden.
Gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist die Berufung bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Die Zustellung des Urteils vom 17. Februar 2004 ist am 23. Februar 2004 gemäß § 63 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 SGG in der ab 1. Juli 2002 geltenden Fassung i.V.m. § 174 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) gegen Empfangsbekenntnis (EB) verfügt worden. Während dem Beklagten, wie sich aus dessen EB ergibt, das Urteil am 24. Februar 2004 zugegangen ist, hat der Bevollmächtigte der Klägerin das EB nicht zurückgesandt. Die Zustellung ist in dem Zeitpunkt bewirkt, an dem der Adressat das Schriftstück persönlich als zugestellt entgegen nimmt. Nicht maßgeblich ist, wann das EB ausgestellt wird. Das EB muss aber handschriftlich vom Adressaten oder dessen Vertreter unterzeichnet sein, wobei ein Stempel oder eine Paraphe nicht genügt. Die Besonderheit bei der Zustellung gegen EB ist, dass diese den Willen des Adressaten voraussetzt, das Schriftstück als zugestellt anzunehmen (vgl. BSG SozR 3-1960 § 5 Nr. 1 m.w.N.). Erst das EB liefert den vollen Beweis der Zustellung an dem auf ihm angegebenen Datum.
Der Bevollmächtigte der Klägerin hat auf Anfragen und Bitten des Gerichts, das EB unterschrieben zurückzusenden, nicht reagiert. Es kann also nicht festgestellt werden, ob und wann sein Wille vorgelegen hat, das Urteil als zugestellt anzunehmen. Es konnte auch nicht festgestellt werden, ob dem Bevollmächtigten das Urteil überhaupt unter der qualifizierenden Vor-aussetzung übersandt worden ist, dass es ihm zum Zweck der Zustellung übermittelt wird. Dieser Vermerk ist nach § 174 Abs. 2 Satz 2 ZPO erforderlich. Ob das EB jedoch unverzichtbare Wirksamkeitsvoraussetzung für die förmliche Zustellung ist (zum Meinungsstand vgl. BSG a.a.O.), kann dahinstehen, denn der Zustellungsmangel kann nach §§ 63 Abs. 2 SGG i.V.m. 189 ZPO geheilt werden. Danach gilt das zuzustellende Schrift-stück in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem es der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist. Der Bevollmächtigte behauptet in seinem Berufungsschriftsatz, das Urteil sei ihm am 09. März 2004 zugestellt worden. Da aufgrund des fehlenden EB ein früherer Zugang des Urteils nicht nachgewiesen ist, muss davon ausgegangen werden, dass die Zustellung erst zu dem angegebenen Zeitpunkt bewirkt worden ist. Damit ist die Berufung, die am 7. April 2004 bei Gericht eingegangen ist, fristgerecht erhoben worden.
Die insoweit zulässige Berufung ist aber unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zuerkennung eines GdB von mindestens 70 sowie der Merkzeichen "B" und "G".
Der Senat kann in der Sache entscheiden, denn er sieht von einer Aufhebung der Entscheidung und Zurückverweisung ab, obwohl das Urteil des Sozialgerichts an einem wesentlichen Verfahrensmangel gemäß § 159 Abs. 1 Nr.2 SGG leidet. Es ist insofern verfahrensfehlerhaft, als es ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG getroffen worden ist. Zwar hatten sich die Beteiligten im Termin zur mündlichen Verhandlung am 08. April 2003 mit einer schriftlichen Entscheidung einverstanden erklärt, die Kammer hat jedoch erst danach noch Ermittelungen angestellt, die zu einem Anerkenntnis des Beklagten durch den Bescheid vom 18. September 2003 geführt haben. Da der Bevollmächtigte die Anfrage des Gerichts vom 07. Oktober 2003, ob das anhängige Verfahren nun als erledigt erklärt werde, nicht beantwortet hatte, hat das Gericht am 15. Januar 2004 Termin zur mündlichen Verhandlung zum 17. Februar 2004 anberaumt. Nachdem das Gericht den Antrag des Bevollmächtigten vom 09. Februar 2004 auf Terminsaufhebung zunächst mit Schreiben vom 10. Februar 2004 abgelehnt und ihn unter Darlegung der Rechtslage gebeten hatte, das Anerkenntnis des Beklagten anzunehmen, hat es am 16. Februar 2004 die Aufhebung des Termins dann doch verfügt und die Klage am 17. Februar 2004 abgewiesen, ohne erneut das Einverständnis der Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einzuholen. Dies wäre aber erforderlich gewesen, da sich die maßgebende Sach- und Rechtslage wesentlich geändert hat und damit die Grundlage für das Einverständnis zur schriftlichen Entscheidung "verbraucht" war (vgl. dazu Meyer-Ladewig, a.a.O. § 124 RN 3e m.w.N.). Denn die Erklärung steht grundsätzlich unter dem Vorbehalt, dass eine Änderung der maßgebenden Sach- oder Rechtslage nicht eintritt. Sie bedeutet, dass die Beteiligten unter den gegebenen Umständen eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halten (so BSG Breithaupt 2000, 612). Bei Eintritt einer wesentlichen Änderung tritt der Verbrauch der Einverständniserklärung automatisch ein, ein Widerruf ist nicht erforderlich. Eine wesentliche Änderung der Sach- und Rechtslage ist etwa dann gegeben, wenn Maßnahmen nach § 106 SGG angeordnet werden, z.B. Akten beigezogen oder sonst neue Erkenntnismittel erstmalig in das Verfahren eingeführt werden (BSG SozR 1500 § 124 Nr. 2).
Eine solche wesentliche Änderung der Sach- und Rechtslage war vorliegend eingetreten. Der Termin am 08. April 2003, in dem sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt hatten, hat zunächst dazu gedient, die Schweige-pflichtentbindungserklärung und eine Mitteilung über die die Klägerin behandelnden Ärzte zu erlangen, die der Bevollmächtigte im vorbereitenden schriftlichen Verfahren nicht überreicht hatte. Erst dann sind sämtliche Ermittlungen durchgeführt worden, die – aus Sicht der Klägerin – zu einem Teilanerkenntnis des Beklagten geführt haben. Weiter ist zu berücksichtigen, dass das Sozialgericht die Klage als unzulässig abgewiesen hat, ohne die Beteiligten zu dem für sie völlig neuen Aspekt anzuhören. Dabei handelt es sich um eine grobe Verletzung des rechtlichen Gehörs, § 62 SGG und Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz (GG), der es verbietet, Überraschungsentscheidungen zu treffen. Dadurch soll verhindert wer-den, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf einer Rechtsauffassung beruht, zu der sie nach dem bisherigen Sach- und Streitstand keine Veranlassung hatten, Stellung zu nehmen. Insbesondere muss das Gericht auf Rechtsfragen hinweisen, soweit es sich um Zulässigkeitsfragen handelt (Meyer-Ladewig, a.a.O. § 62 RN 8b m.w.N.; Tho-mas/Putzo Kommentar zur ZPO, 26. A. 2004, § 139 RN 11). Zwar hat das Gericht mit Schreiben vom 10. Februar 2004 mitgeteilt, dass dem Klagebegehren, wie es sich aus dem Klageschriftsatz ergebe, mit dem Bescheid vom 18. September 2003 vollumfänglich entsprochen worden sei, und dass hinsichtlich der später begehrten Zuerkennung der Merkzeichen "G" und "B" eine Klageänderung (keine Klageerweiterung) vorliege, wobei es für deren Zulässigkeit auf die Einwilligung des Beklagten bzw. auf die Sachdienlichkeit ankomme. Im Hinblick auf die weiteren Ausführungen des Sozialgerichts, wonach den begehrten Feststellungen im Rahmen der Begründetheit wenig Erfolgsaussichten eingeräumt würden, ist aber eine sachliche Prüfung des Klagebegehrens in Aussicht gestellt worden. Die Klägerin bzw. ihr Bevollmächtigter konnten deshalb nicht annehmen, dass das Gericht die Klage in vollem Unfang als unzulässig abweisen würde. Der Senat sieht jedoch von einer Zurückverweisung an das Sozialgericht ab, da der Rechtsstreit entscheidungsreif ist und keine weiteren Ermittlungen erforderlich sind.
Streitgegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 07. August 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. Februar 2002 und der Bescheid vom 18. September 2003, der gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden ist. Eine Abänderung oder Erset-zung i.S. des § 96 Abs. 1 SGG liegt grundsätzlich nur vor, wenn die Beschwer des Betroffenen gemindert oder vermehrt wird (Meyer-Ladewig a.a.O., § 96 RN 4b m.w.N.). Dementsprechend liegt also keine Änderung oder Ersetzung vor, wenn die Beschwer des Klägers durch einen Abhilfebescheid in vollem Umfang beseitigt wird (BSG SozR 1500 § 96 Nr. 12). Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Durch den Bescheid vom 18. September 2003 ist zwar dem Begehren der Klägerin auf Feststellung eines GdB von 60 stattgegeben worden. Es ist aber gleichzeitig ausdrücklich entschieden worden, dass weitere Funktionsbeeinträchtigungen bzw. gesundheitliche Merkmale nicht vorliegen und deshalb nicht festgestellt werden können. Damit ist dem Begehren der Klägerin, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren die Zuerkennung der Merkzeichen "G" und "B" beantragt hat, nicht in vollem Umfang abgeholfen worden.
Das Sozialgericht hat die Klage, soweit sie auf die Zuerkennung eines GdB von 60 gerichtet gewesen ist, zutreffend als unzulässig abgewiesen. Mit der Feststellung des GdB in der beantragten Höhe mit Bescheid vom 18. September 2003 hat der Beklagte den die Höhe des GdB betreffenden Klagenanspruch vollumfänglich anerkannt, so dass insoweit ein Rechtsschutzbedürfnis für die weitere Aufrechterhaltung der Klage nicht mehr gegeben war. Das Bundessozialgericht hat bereits mit Urteil vom 09. August 1995, Az.: 9 RVs 7/94, entschieden, dass die Zuerkennung eines begehrten Mindest-GdB, der hier noch nicht einmal beantragt worden ist, ein volles Obsiegen des Klägers darstellt. Nach Anhebung des GdB sei dann der Behinderte ebenso wenig beschwert wie ein Kläger, dem die in seinem Antrag geforderte Mindestsumme an Schmerzensgeld zugesprochen werde. Es fehle dann eine – weitergehende – Forderung, über die eine vergleichsweise Regelung getroffen werden könne.
Wenn die Klägerin nunmehr erstmals im Berufungsverfahren einen GdB von mindestens 70 fordert, stellt dies eine Klageänderung im Sinne des § 99 Abs. 1 SGG dar, in die sich der Beklagte, wie sich aus dem Schriftsatz vom 05. Mai 2004 ergibt, zwar rügelos eingelassen hat. Die geänderte Klage ist jedoch unzulässig, denn hier fehlt es nicht nur an einer von der Beru-fungsinstanz zu überprüfenden erstinstanzlichen Entscheidung, sondern auch an einer anfechtbaren Verwaltungsentscheidung, denn bereits im Verwaltungsverfahren hatte die Klägerin ihren Anspruch auf einen GdB von mindestens 60 beschränkt. Im Klageverfahren hat sie ausdrücklich nur die Zuerkennung eines GdB von 60 beantragt, der ihr mit Bescheid vom 18. September 2003 auch zuerkannt worden ist.
Soweit die Berufung weiter auch auf die Zuerkennung der Merkzeichen "G" und "B" gerichtet ist, ist eine Entscheidung in der Sache deshalb möglich, weil der Beklagte in dem Bescheid vom 18. September 2003, der – wie bereits ausgeführt – gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Rechtsstreits geworden ist, eine neue Entscheidung über die von der Klägerin beanspruchten Nachteilsausgleiche getroffen hat, die gerichtlich überprüfbar ist.
Der Beklagte hat die Feststellung von Merkzeichen zu Recht abgelehnt. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" liegen nicht vor. Gemäß § 145 Abs. 1 Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) werden schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, von Unternehmern, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, gegen Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises im Nahverkehr i.S.v. § 147 Abs. 1 SGB IX unentgeltlich befördert. In ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt sind diejenigen schwerbehinderten Menschen, die infolge einer Einschränkung des Gehvermögens, auch durch innere Leiden, oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermögen, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden, § 146 Abs. 1 S. 1 SGB IX. Die Voraussetzungen für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr sind nach Nr. 30 (3) der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz 1996 (AHP 1996) bzw. der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX) 2004 (AHP 2004) in folgenden Fällen als erfüllt anzusehen: • Es bestehen auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen, z.B. Teilverlust eines Fußes mit Fußfehlstellung, GdB 30-50. • Es bestehen Behinderungen an den unteren Gliedmaßen mit einem GdB unter 50; diese Behinderung wirkt sich besonders auf die Gehfähigkeit aus, z.B. bei Versteifung des Hüftgelenks, des Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung, arterieller Verschluss-krankheit mit einem GdB von 40. • Bei inneren Leiden ist eine Einschränkung des Gehvermögens vor allem bei Herzschäden und bei Atembehinderungen mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion wenigstens mittleren Grades sowie bei einer schweren Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit, z.B. bei einer chronischen Niereninsuffizienz, anzunehmen. Nach Nr. 30 (4) der AHP ist bei hirnorganischen Anfällen die Beurteilung von der Art und Häufigkeit der Anfälle sowie von der Tageszeit des Auftretens abhängig. Im Allgemeinen ist auf eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit erst ab einer mittleren Anfallshäufigkeit zu schließen, wenn die Anfälle überwiegend am Tag auftreten. Analoges gilt beim Diabetes mellitus mit häufigen hyperglykämischen Schocks.
Die vorliegenden medizinischen Befunde ergeben keinerlei Anhaltspunkte für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit der Klägerin im oben genannten Sinne. Die Klägerin leidet zwar an einer Funktionsminderung der Wirbelsäule, diese ist jedoch so geringfügig, dass sie nur mit einem GdB von 10 zu bewerten ist. Dies ergibt sich aus den Stellungnahmen des Chirurgen Dr. O vom 26. Mai und 14. August 2003, der die Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte ausgewertet hat. Auch die weiteren internistischen Behinderungen sind nicht geeignet, eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit zu begründen, wie OMR R in den Stellungnahmen vom 20. Mai und 19. August 2003 ausgeführt hat. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass der Diabetes mellitus, an dem die Klägerin leidet, mit einer mittleren Anfallshäufigkeit i.S. der AHP Nr. 26.3 zu vergleichen ist. Aus keinem der vorliegenden Befunde ist zu entnehmen, dass die Klägerin an häufigen hyperglykämischen Schocks leidet, die mit epileptischen Anfällen mittlerer Häufigkeit (generalisierte [große] und komplexe Anfälle mit Pausen von Wochen; kleine und einfach-fokale Anfälle mit Pausen von Tagen) vergleichbar sind.
Da das Merkzeichen "B" (Notwendigkeit ständiger Begleitung) nur zuerkannt werden kann, wenn die Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" gegeben sind, was hier aber gerade nicht der Fall ist, war die Berufung auch insoweit unbegründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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