L 3 RA 59/99

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 8 RA 107/98
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 3 RA 59/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 02.07.1999 abgeändert. Die Klage wird abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Mit der Berufung wendet die Beklagte sich gegen die Verurteilung zur Berücksichtigung einer Kindererziehungszeit und einer Berücksichtigungszeit für Kindererziehung bei der Rentenberechnung des Klägers.

Der am ...1935 geborene Kläger beantragte im August 1998 die Gewährung einer Versichertenrente unter gleichzeitiger Anerkennung einer Kindererziehungszeit bzw. Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung für seinen am 05.06.1961 geborenen Sohn T ... Die Ehefrau des Klägers erklärte im Juni 1998 übereinstimmend mit dem Kläger, daß die Kindererziehungszeit und die Berücksichtigungszeit für die Erziehung des gemeinsamen Sohnes T ... dem Kläger zugeordnet werden sollten.

Mit Bescheid vom 23.07.1998 bewilligte die Beklagte ab 01.09.1998 eine Altersrente für langjährig Versicherte und führte u.a. aus, die Anerkennung der Kindererziehungszeit/Berücksichtigungszeit für das Kind T ... könne nicht ausgesprochen werden, weil die Erklärungsfrist für die Zuordnung am 31.12.1996 abgelaufen sei.

Den hiergegen gerichteten Widerspruch vom 05.08.1998 begründete der Kläger damit, Kindererziehungszeiten hätten bis zum 30.06.1998 nicht zusätzlich zu vorhandenen Beitragszeiten berücksichtigt werden können. Dies sei erst aufgrund des Rentenreformgesetzes 1999 eingeführt worden. Im Zeitpunkt des Fristablaufs, der ihm gar nicht bekannt gewesen sei, hätte er daher den entsprechenden Antrag nicht mit Aussicht auf Erfolg stellen können. Aus diesem Grunde sei es ihm unverständlich, daß die Erklärungsfrist nicht über den 31.12.1996 hinaus verlängert würde.

Mit Widerspruchsbescheid vom 05.10.1998 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die am 31.12.1996 abgelaufene und in § 249 des Sozialgesetzbuches (SGB) VI normierte Frist sei eine Ausschlußfrist. Die gemeinsame Erklärung sei erst im Juni 1998 abgegeben worden. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei bei Ausschlußfristen nicht möglich.

Hiergegen richtete sich die am 06.11.1998 beim Sozialgericht Aachen eingegangene Klage. Die Entscheidung der Beklagten folge zwar dem Wortlaut des Gesetzes, die Gesetzesgrundlage sei aber verfassungswidrig und müsse zumindest verfassungskonform ausgelegt werden. Bei der Verabschiedung des Rentenreformgesetzes 1999 sei es dem Gesetzgeber entsprechend dem Vorgang des Bundesverfassungsgerichts in seinen Entscheidungen vom Juli 1992 und März 1996 vor allem darum gegangen, die vorhandenen Benachteiligungen von Familien, in denen sich ein Elternteil der Kindererziehung gewidmet habe, auszugleichen. Das Bundesverfassungsgericht habe festgestellt, der Gesetzgeber müsse berücksichtigen, daß der in der Kindererziehung liegende Wert für die Allgemeinheit und für die Rentenversicherung nicht davon abhänge, ob der erziehende Elternteil auf eine entsprechende Bewertung seiner Kindererziehungszeit angewiesen sei. Vor diesem Hintergrund müsse der Gesetzgeber bei der entsprechenden Gesetzesänderung eine Übergangsregelung erlassen, um Ungleichbehandlungen zu vermeiden. Im Falle des Klägers sei ein Antrag vor dem 31.12.1996 allein deshalb unterblieben, weil er ausgehend von der damaligen Gesetzeslage sinnlos gewesen sei. Wenn der Gesetzgeber eine entsprechende Übergangsregelung nicht schaffe, trete der Effekt ein, daß gerade die ältere Generation von der Beseitigung der Ungleichbehandlung nicht profitieren könne. Dies stünde mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht in Einklang. Eine Ausschlußfrist sei nur dann zur Schaffung von Rechtssicherheit sinnvoll und angemessen, wenn der von ihr betroffene Personenkreis vor und nach ihrem Ablauf derselbe sei. Nur dann könne man den später ausgeschlossenen Personen vorhalten, daß sie nicht rechtzeitig Gebrauch von ihren Rechten gemacht hätten. Entsprechende Aufrufe der Beklagten vor Ablauf dieser Frist, die Rechte geltend zu machen, seien daher ins Leere gegangen, da sich nach Ablauf der Frist die Gesetzeslage geändert habe.

Die Beklagte vertrat demgegenüber die Auffassung, das Bundesverfassungsgericht habe wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG die gesetzliche Regelung über die rentenrechtliche Bewertung von Kindererziehungszeiten beim Zusammentreffen mit Beitragszeiten für verfassungswidrig erklärt und dem Gesetzgeber aufgegeben, bis zum 30.06.1998 die Bewertung von Kindererziehungszeiten neu zu regeln. Diesem Auftrag sei der Gesetzgeber mit Neufassung der §§ 70 Abs. 2, 71 Abs. 3 SGB VI durch Art. 1 des Rentenreformgesetzes 1999 nachgekommen, ohne gleichzeitig die bereits abgelaufenen Ausschlußfristen des § 249 Abs. 6 und 7 SGB VI zu verlängern. Das Bundesverfassungsgericht habe den Gesetzgeber lediglich aufgefordert, die verfassungswidrige Regelung zur Bewertung von Kindererziehungszeiten neben Beitragszeiten durch eine verfassungsgemäße Vorschrift zu ersetzen. Aus diesem Grunde seien die übrigen Vorschriften des SGB VI zur Anerkennung und Zuordnung von Kindererziehungszeiten - insbesondere die §§ 56 Abs. 2, 249 Abs. 6 und 7 SGB VI - als geltendes Recht weiter anzuwenden. Der Gesetzgeber sei bei Schaffung der Regelungen davon ausgegangen, daß grundsätzlich die Mutter im Rahmen der traditionellen Rollenverteilung in der Ehe die Kinder überwiegend erzogen habe, während der Vater im wesentlichen durch Erwerbstätigkeit für den Unterhalt der Familie gesorgt habe. Um Beweisschwierigkeiten zu vermeiden, sollte diese gesetzliche Vermutung nur durch die Abgabe einer übereinstimmenden Erklärung innerhalb der Ausschlußfrist widerlegt werden können. Hätten die Eltern innerhalb der mehrfach vom Gesetzgeber verlängerten Ausschlußfristen von der Möglichkeit der Abgabe einer solchen Erklärung zu Gunsten des Vaters keinen Gebrauch gemacht, müsse es bei der gesetzlichen Zuordnung der Erziehungszeiten bei der Mutter verbleiben. Eine andere Regelung würde Sinn und Zweck der Ausschlußfristen zu widerlaufen.

Mit Urteil vom 02.07.1999 hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben und die Beklagte verurteilt, die Kindererziehungszeit und die Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung für den Sohn T ... dem Kläger zuzuordnen. Die Vorschrift des § 249 Abs. 6 und 7 alter Fassung (a. F.) SGB VI sei im Wege der verfassungskonformen Interpretation dahingehend auszulegen, daß die genannten Fristen nicht für Personen gelten, für die die Abgabe einer entsprechenden übereinstimmenden Erklärung frühestens durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12.03.1996 zu einer Besserstellung bei der Rentenberechnung führen könnte. Das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Beschluss gerügt, daß die bisherige rentenrechtliche Regelung zur Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten bzw. Berücksichtigungszeiten neben Beitragszeiten gegen Art. 3 GG verstoße. Daher sei der Kläger von dieser Regelung betroffen. Da es für ihn nach der bis zum 31.12.1996 gültigen Rechtslage sinnlos gewesen sei, einen entsprechenden Antrag auf Berücksichtigung der Zeit zu stellen, liege eine Lücke im Gesetz vor, die als planwidrig angesehen werden müsse. Die Annahme einer solchen Regelungslücke sei u.a. dann geboten, wenn sich nach Erlaß des Gesetzes Veränderungen der Lebensverhältnisse ergäben, die der Gesetzgeber noch nicht habe berücksichtigen können. Dies sei der Fall gewesen, als die Fristenregelung des § 249 Abs. 6 a. F. SGB VI geschaffen worden sei. Der Gesetzgeber habe eine derartige Möglichkeit erkennbar nicht im Blick gehabt. Ursprünglich habe für Zeiten der Kindererziehung vor Januar 1986 § 28 a Abs. 5 AVG bzw. § 1251 a RVO gegolten. Danach sei die entsprechende übereinstimmende Erklärung längstens bis zum Ende des Jahres nach dem Jahr zulässig gewesen, in dem die Rentenversicherungsträger die Versicherten letztmalig zur Meldung der Zeiten der Kindererziehung aufgerufen hätten. Nach Einführung des SGB VI sei die Frist zur Abgabe der übereinstimmenden Erklärung mehrfach verlängert worden, zuletzt bis 31.12.1996 bzw. 31.03.1997. Daraus sei ersichtlich, daß der Gesetzgeber bei Schaffung der Frist keine Regelung für diejenigen Personen habe treffen wollen, bei denen sich Kindererziehungszeiten nicht rentensteigernd auswirkten. Die Frist sei für richtig und angemessen erachtet worden für Personen, die Kindererziehungszeiten sinnvollerweise hätten geltend machen können. Falls die Frist des § 249 Abs. 6 a. F. SGB VI mit dem RRG 99 nicht verlängert worden sei, habe der Gesetzgeber die genannte Personengruppe nicht im Blick gehabt. Aus dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP (Bundestagsdrucksache 13/8011 vom 24.06.1997) ergebe sich, daß der Gesetzgeber der Auffassung gewesen sei, die gestrichenen Teile der bisherigen Vorschrift seien durch Zeitablauf überholt. Aus diesem Grunde sei die Regelungslücke auch planwidrig. Sie sei zu Gunsten des Klägers dahingehend zu schließen, daß die Frist für ihn nicht angewandt werde. Der Verweis auf den Ablauf der Frist sei der Anwendung einer Stichtagsregelung vergleichbar. Diese seien zwar grundsätzlich verfassungsgemäß, müßten sich allerdings am gegebenen Sachverhalt orientieren. Das sei vorliegend nicht der Fall, denn das Festhalten am Fristablauf sei im Fall des Klägers nicht von der Intention der Frist gedeckt. Der Kläger sei lediglich zufällig von ihr betroffen. Dies entspreche nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Stichtagsregelung.

Zur Begründung ihrer Berufung wiederholt die Beklagte ihre im erstinstanzlichen Verfahren vertretene Auffassung. Ergänzend weist sie darauf hin, das Sozialgericht gehe fehl in der Annahme, daß durch die Aufhebung der Fristenregelung des § 249 Abs. 6 und 7 SGB VI mit Wirkung vom 01.01.1998 nunmehr in einschlägigen Fällen die bis zum 31.12.1997 geltenden Regelungen und gesetzlichen Ausschlußfristen nicht mehr zu beachten seien. Durch die Neufassung der §§ 249 Abs. 6 und 7, 249 a Abs. 2 und 4 SGB VI habe sich an der Rechtslage der Zuordnung von Kindererziehungszeiten/Berücksichtigungszeiten in den Fällen der gemeinsamen Erklärung vor dem 01.01.1992 nichts geändert. Die Vorschriften seien nur deshalb gestrichen bzw. neu gefaßt worden, weil sie durch Zeitablauf überholt und damit entbehrlich geworden seien. Daraus könne nicht gefolgert werden, daß für die Zuordnung der Zeiten vor dem 0.01.1992 nunmehr ausschließlich § 56 Abs. 2 SGB VI Anwendung finde. Wegen des Charakters der Fristen als Ausschlußfristen sei die Zeit der Mutter zuzuordnen, wenn vor Ablauf der Frist eine übereinstimmende Erklärung nicht abgegeben worden sei.

Die Beklagte sehe aus sozialpolitischen Gründen auch keine Veranlassung, neue Ausschlußfristen für die Abgabe von übereinstimmenden Erklärungen zu eröffnen. Die bisherigen Fristen, die wiederholt verlängert worden seien, seien ausreichend bemessen gewesen, um allen Betroffenen die Möglichkeit der Zuordnung von Kindererziehungs- und Berücksichtigungszeiten zu ermöglichen. Eine neue Frist würde im wesentlichen den Vätern die Möglichkeit der Zuordnung von Kindererziehungszeiten eröffnen, die von der additiven Bewertung profitieren wollten, obgleich sie wegen ihrer Erwerbstätigkeit die Kinder ganz offensichtlich nicht überwiegend erzogen hätten. Es würden daher verstärkt Erklärungen zu Gunsten der Väter abgegeben, die des sozialen Schutzes grundsätzlich nicht bedürften. Damit wäre die sozialpolitische Zielsetzung des Gesetzgebers, erziehungsbedingte Lücken im Versicherungsverlauf zu schließen, nicht erreicht.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 02.07.1999 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Auffassung der Beklagten stehe mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht im Einklang. In seinem Beschluss vom 12. März 1996 habe das Bundesverfassungsgericht betont, daß die soziale Bedürftigkeit allein gerade kein zulässiges Abgrenzungskriterium sein könne, wenn es um Fragen des Rentensystems gehe. Die Erziehung eines Kindes diene der Sicherung des Systems und habe wegen der Geltung des Generationenvertrages für die Rentenversicherung Garantiefunktion. Der in der Kindererziehung liegende Wert für die Allgemeinheit hänge gerade nicht davon ab, inwieweit die Eltern sozialschutzbedürftig seien. Der Gesetzgeber habe allein auf die übereinstimmende Erklärung der Eltern abgestellt. Auf weitere Merkmale sei bewußt verzichtet worden. Das Bundesverfassungsgericht habe in der vorgenannten Entscheidung dem Gesetzgeber zudem ausdrücklich aufgegeben, Vorsorge dafür zu treffen, daß in den Fällen, in denen die Verwaltung erstmals nach Bekanntgabe der Entscheidung auch über die Frage der Berücksichtigung von mit beitragsbelegten Zeiten zusammentreffenden Kindererziehungszeiten entscheide, die noch vorzunehmende Neuregelung rückwirkend wirksam werden zu lassen.

Wegen der weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, die Kindererziehungszeit und die Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung für den im Jahre 1961 geborenen Sohn T ... dem Kläger zuzuordnen, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Berücksichtigung dieser Zeiten bei Berechnung seiner Altersrente.

Die Anrechnung von Kindererziehungs- bzw. Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung richtet sich nach den §§ 56, 57, 249 und 249 a SGB VI in der Fassung des Rentenreformgesetzes 1999 vom 16.12.1997, da der 1935 geborene Kläger im Jahre 1998 sein 63. Lebensjahr vollendet und zu diesem Zeitpunkt die Rente beantragt hat. Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VI sind Kindererziehungszeiten Zeiten der Erziehung eines Kindes in dessen ersten drei Lebensjahren. Die Zeit der Erziehung eines Kindes bis zu dessen vollendetem 10. Lebensjahr ist nach § 57 Abs. 1 SGB VI bei einem Elternteil eine Berücksichtigungszeit, soweit die Voraussetzungen für die Anrechnung einer Kindererziehungszeit auch in dieser Zeit vorliegen. Für die Zuordnung der Zeiten sieht § 56 Abs. 2 Satz 5 SGB VI im Falle einer übereinstimmenden Erklärung zwischen den Ehepartnern vor, daß diese nur mit Wirkung für künftige Kalendermonate abgegeben werden kann. Da der Sohn T ... des Klägers bereits im Jahre 1961 geboren worden ist, ist eine Anrechnung der Kindererziehungszeit und der daran anknüpfenden Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung durch eine im Jahre 1998 abgegebene gemeinsame Erklärung beider Ehegatten im Versicherungsverlauf des Klägers nicht möglich. Die Kindererziehungszeit und damit auch die Berücksichtigungszeit ist vielmehr nach § 56 Abs. 2 Satz 8 SGB VI der Ehefrau des Klägers als Mutter des gemeinsamen Kindes T ... zuzuordnen.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 249 SGB VI, der als Sonderregelung zu §§ 56, 57 SGB VI für vor dem 01.01.1992 geborene Kinder anzusehen ist (vgl. hierzu Eicher/Haase/Rauschenbach, Die Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, Stand April 1998, 4249 SGB VI Anm.1). Die Absätze 6 und 7 dieser Norm, die die Zuordnung der Kindererziehungszeiten bzw. Berücksichtigungszeiten durch eine übereinstimmende Erklärung beider Ehegatten bis zum 31.12.1996 vorsahen, wurden durch Art. 1 des Rentenreformgesetzes 1999 gestrichen, ohne daß der Gesetzgeber eine nach diesem Zeitpunkt geltende Ersatzvorschrift geschaffen hat (Bundesgesetzblatt 1997, Teil I, S. 2998).

Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist es nicht zulässig, § 249 Abs. 6 und 7 SGB VI in der bis 31.12.1997 gültigen Fassung nach diesem Zeitpunkt noch für Personen anwendbar zu erklären, die innerhalb der in der Vorschrift genannten Frist die gemeinsame Erklärung für die Zuordnung der Kindererziehungs- bzw. Berücksichtigungszeit nicht abgegeben haben. Eine Regelungslücke, die von der Rechtsprechung in diesem Sinne zu schließen wäre, liegt nicht vor.

Eine Gesetzeslücke ist eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes (vgl. hierzu Larenz, Methodenlehre, 6. Auflage 1991, S. 370 ff.), die immer nur innerhalb des Regelungszusammenhangs des Gesetzes und ausgehend von der Regelungsabsicht des Gesetzgebers - seines Planes - festgestellt und geschlossen werden kann. Gerichte sind bei drei Konstellationen zur Ausfüllung von Regelungslücken berufen:

1. Das Gesetz schweigt, weil es der Gesetzgeber der Rechtsprechung überlassen wollte, das Recht in Detailfragen zu finden.

2. Das Schweigen des Gesetzes beruht auf einem Versehen oder dem Übersehen eines Tatbestandes.

3. Es ergeben sich nach Erlaß des Gesetzes Veränderungen der Lebensverhältnisse, die der Gesetzgeber noch nicht berücksichtigen konnte.

Im übrigen sind durch Art. 20 Abs. 2 und 3 Grundgesetz der richterlichen Auslegungsbefugnis Grenzen gesetzt. Die Auslegung darf nicht dazu führen, daß das Gericht die Rolle des Gesetzgebers übernimmt; denn so würde es sich seiner Bindung an Recht und Gesetz entziehen (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 16.12.1998, Az.: L 8 LW 12/98 m. w. N.).

Der Senat sieht keine Anhaltspunkte dafür, daß der Gesetzgeber es der Rechtsprechung überlassen wollte, die durch Außerkrafttreten einer gesetzlichen Regelung und Ablauf einer darin festgeschriebenen Erklärungsfrist von der rentenrechtlichen Zuordnung einer Kindererziehungs- bzw. Berücksichtigungszeit ausgeschlossenen Sachverhalte in die neugeschaffenen gesetzlichen Vorschriften erneut einzubeziehen. Gegen solche Überlegungen des Gesetzgebers spricht die Begründung zum Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU und FDP (Bundestags-Drucksache 13/8011 vom 24.06.1997), aus der sich entnehmen läßt, daß der Gesetzgeber die Auffassung vertreten hat, die gestrichenen Teile der bisherigen Vorschrift seien durch Zeitablauf überholt, d.h., der Gesetzgeber sah keinen Regelungsbedarf mehr. Angesichts dessen kann er dann aber auch nicht die Absicht gehabt haben, es der Rechtsprechung zu überlassen, das Recht in Detailfragen zu finden.

Das Nichtvorhandensein einer Vorschrift, die § 249 Abs. 6 und 7 SGB VI für die Zeit ab 01.01.1998 entspricht, beruht auch nicht auf einem Versehen oder dem Übersehen eines Tatbestandes. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 12.03.1996 (Az.: 1 BvR 609/90) gerügt, daß die Vorschrift des § 32 a Abs. 5 Satz 2 AVG, die sich mit der Bewertung von Kindererziehungszeiten vor dem 01. Januar 1986, die nicht mit bewerteten Beitrags-, Ersatz-, Ausfall- oder Zurechnungszeiten zusammengetroffen sind, befaßte, insoweit zu einer ungleichen Behandlung verschiedener Personengruppen führte, als sich Kindererziehungszeiten nicht bei allen Versicherten in gleicher Weise günstig auf die Rente auswirkten. Wegen des darin liegenden Verstoßes gegen Art. 3 GG wurde dem Gesetzgeber aufgegeben, die verfassungswidrige Regelung durch eine verfassungsgemäße Regelung zu ersetzen. Nur die Frage der Bewertung von Kindererziehungszeiten beim Zusammentreffen mit beitragsbelegten Zeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung war damit Gegenstand der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Dies verkennt das Sozialgericht, wenn es die Gesetzeslücke damit begründet, daß die zeitlich befristete gemeinsame Erklärungsmöglichkeit des § 249 Abs. 6 und 7 a. F. SGB VI nicht auch auf die Zeit nach Inkrafttreten der neuen gesetzlichen Vorschriften für die Bewertung der Kindererziehungs- bzw. Berücksichtigungszeiten ausgedehnt worden ist. Das Vorliegen von Regelungs- bzw. Gesetzeslücken ist jedoch vielmehr an der Regelungsabsicht des Gesetzgebers und dem gesetzesimmanenten Zweck zu messen (BSG vom 21.10.1998, Az: B 9 V 7/98 R; Martens, Anm. zum Urteil des BSG vom 29.04.1992 Az: 7 RAr 12/91, abgedruckt in Sozialgerichtsbarkeit 1993, S. 234 ff.). Regelungsabsicht des Gesetzgebers und Zweck des RRG 1999, durch das mit Wirkung vom 01.01.1998 die bisherigen Vorschriften des § 249 Abs. 6 und 7 SGB VI außer Kraft gesetzt wurden, waren aber entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts die Beseitigung der oben erläuterten Ungleichbehandlung bei Anwendung des § 32 a Abs. 5 Satz 2 AVG. Die Frage, inwieweit durch Verlängern von ablaufenden Erklärungsfristen bzw. deren Neuschaffung die neue gesetzliche Regelung auf in der Vergangenheit liegende Sachverhalte ausgedehnt wird, ist eine Frage, die sich erst als Folge einer neu geschaffenen gesetzlichen Regelung stellt. Dabei hat der Gesetzgeber zwar auch seine Regelungsabsicht und den Zweck des Gesetzes zu beachten. Er ist aber nicht verpflichtet, den Anwendungsbereich des Gesetzes auf in der Vergangenheit liegende, in sich abgeschlossene Sachverhalte zu erstrecken. Hierauf hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung auch ausdrücklich hingewiesen, als es ausführte, der Gesetzgeber könne die Neuregelung des Zusammentreffens von Kindererziehungszeiten mit beitragsbelegten Zeiten auf rechts- oder bestandskräftig gewordene Entscheidungen und zurückliegende Sachverhalt erstrecken; von Verfassung wegen verpflichtet sei er dazu aber nicht (BVerfG, a.a.O.).

Würde man dem Kläger bei Annahme einer Gesetzeslücke die Möglichkeit eröffnen, durch eine gemeinsame Erklärung mit seiner Ehefrau die Kindererziehungszeit - bzw. Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung seinem Versicherungskonto zuzuschreiben, würde hierin im übrigen eine eklatante Ungleichbehandlung zu den Versicherten entstehen, die die Kindererziehungszeiten ausschließlich nach § 56 Abs. 2 SGB VI zuordnen können, weil das Kind erst in jüngster Zeit geboren worden ist. Der Kläger hätte die Möglichkeit, die bereits vor mehreren Jahrzehnten beendete Erziehung seines Sohnes T ... rentensteigernd in Ansatz zu bringen, während nach der heutigen gesetzlichen Regelung eine übereinstimmen de Erklärung der Eltern nur mit Wirkung für künftige Kalendermonate abgegeben werden kann. Diese unterschiedliche Behandlung gleichartiger Sachverhalte infolge der Kindererziehung ließe sich durch keinen sachlichen Grund rechtfertigen. Darüber hinaus bliebe ungeklärt, bis zu welchem Zeitpunkt die abgelaufene Frist des § 249 Abs. 6 und 7 SGB VI a. F. zu eröffnen wäre. Um weitere Verstöße gegen Art. 3 GG zu vermeiden, müßte jedem Versicherten, der die Voraussetzungen des § 249 Abs. 6 und 7 SGB VI a. F. erfüllt, eine entsprechende Erklärung aber nicht abgegeben hatte, die Möglichkeit eingeräumt werden, sich auf nicht absehbare Zeit durch Abgabe der entsprechenden Erklärung die Vorteile der neuen gesetzlichen Regelung zu sichern. Dies würde zu einer Rechtsunsicherheit führen und dem Grundsatz widersprechen, daß bei Schaffung einer neuen gesetzlichen Regelung die auftretenden Altfälle nach klar umgrenzten und zeitlich befristeten Übergangsregelungen zu beurteilen sind.

Der Senat hält auch die dritte Konstellation zur Ausfüllung einer Regelungslücke vorliegend für nicht gegeben. Zu Unrecht nimmt das Sozialgericht an, es hätten sich nach Erlaß des § 249 Abs. 6 und 7 a. F. SGB VI die Lebensverhältnisse geändert, die der Gesetzgeber bei Abschaffung der Regelung nicht hätte berücksichtigen können. Indem der Gesetzgeber in Erfüllung des Auftrags des Bundesverfassungsgerichts die Bewertung der Kindererziehung - bzw. Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung neben Beitragszeiten durch das RRG 1999 neu geregelt hat, hat er keine Veränderung der Lebens-, sondern der Rechtsverhältnisse herbeigeführt. Der Veränderung rechtlicher Grundlagen hingegen ist es wesenseigen, daß dadurch insbesondere in der Vergangenheit liegende in sich abgeschlossene Sachverhalte anders geregelt werden. Darin kann keine Gesetzeslücke gesehen werden, denn anderenfalls müßte nach der vom Kläger vertretenen Auffassung insbesondere bei Schaffung günstigerer gesetzlicher Grundlagen jeder bereits abgeschlossene Sachverhalt in die neue gesetzliche Regelung mit einbezogen werden.

Andere Rechtsgrundlagen, die einen dem Begehren des Klägers entsprechenden Anspruch begründen könnten, sind nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, die Revisionszulassung auf § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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