Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
24
1. Instanz
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Aktenzeichen
S 4 KR 19/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 24 KR 12/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 21. Januar 2005 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch für das Berufungsverfahren zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Gewährung einer Gastric-Banding-OP als Sachleistung zur Behandlung der bei ihr vorliegenden Adipositas per magna.
Die im Jahr 1967 geborene Klägerin ist Mitglied der Beklagten und leidet an Adipositas per magna. Da andere Behandlungsmethoden ihrer Auffassung nach nicht mehr ausreichten, beantragte sie am 20. August 2001 bei der Beklagten eine Gastric-Banding-Operation, woraufhin die Beklagte eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen – MDK – einholte. Für diesen vertrat Dr. S die Auffassung, es handele sich hierbei um eine Verstümmelungs-OP an einem gesunden Organ, die nicht von der Gesetzlichen Krankenversicherung zu übernehmen sei.
Gestützt hierauf lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 12. April 2002 den Antrag ab.
Hiergegen legte die Klägerin am 15. April 2002 Widerspruch ein und begründete dies damit, durch die operative Versorgung mit einem Magenband sei die einzige Möglichkeit gegeben, die bei ihr vorliegende Adipositas zu beherrschen. Dies begründete sie mit beigefügten Stellungnahmen der behandelnden Psychologin B C und der Orthopädin Dr. P.
Die Beklagte lehnte den Antrag erneut ab (Bescheid vom 27. Mai 2005). Die Klägerin erhielt ihren Widerspruch aufrecht und die Beklagte veranlasste eine Begutachtung durch den MDK nach Aktenlage. Dr. Peters vertrat die Auffassung, die Klägerin habe nicht dazu beigetragen, durch ihr Verhalten ihr Gewicht entscheidend zu reduzieren und die beantragte OP setze den Willen zur Selbstdisziplinierung voraus und solle erst nach Ausschöpfung aller konservativen Behandlungsmöglichkeiten das letzte Mittel sein. Es werde daher zunächst eine intensive ärztlich kontrollierte Gewichtsreduktion unter psychotherapeutischer Begleitung empfohlen.
Gestützt hierauf wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21. Januar 2003 den Widerspruch der Klägerin zurück.
Hiergegen hat sich die am 7. Februar 2003 beim Sozialgericht Frankfurt (Oder) erhobene Klage gerichtet, mit der die Klägerin ihr Begehren weiter verfolgt hat und zu dessen Begründung sie ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt und vertieft hat.
Die Beklagte ist dem unter Bezugnahme auf den Inhalt ihrer angefochtenen Bescheide und die Stellungnahmen des MDK entgegen getreten.
Das Sozialgericht hat zunächst einen Befundbericht und die Unterlagen der behandelnden Internistin Dr. M beigezogen. Diese berichtete über eine Psychotherapie und Teilnahme an Gewichtsreduktionsmaßnahmen am Virchow-Klinikum deren Erfolglosigkeit zu depressiven Episoden geführt habe. In Zusammenhang mit der Adipositas sei es bereits zu einer essentiellen Hypertonie und einem Diabetes mellitus gekommen.
Die Beklagte hat demgegenüber eine neue Stellungnahme des MDK vom 16. Februar 2004 beigebracht. Darin vertrat Dr. H die Auffassung, bei der Klägerin seien zunächst eine diätetische Therapie, Bewegungstherapie, medikamentöse Therapie und Psychotherapie auszuschöpfen, so dass ein interdisziplinäres Konzept zur Gewichtsreduktion gutachterlich zu empfehlen sei.
Sodann hat das Sozialgericht mit Beweisanordnung vom 1. April 2004 den Chefarzt der internistischen Abteilung des Klinikums Frankfurt (Oder) Prof. Dr. med. habil. U B zum Sachverständigen ernannt. Der Sachverständige hat in seinem am 16. August 2004 erstatteten Gutachten, das auf Grundlage der Untersuchungen und Befragung der Klägerin und der Durchsicht der Gerichtsakten und der Akten der Beklagten durchgeführt wurde, bei der Klägerin folgende Diagnosen gestellt hat:
1. Hyperphage Essstörung bei depressiver Anststörung mit konsekutivem metabolischen Syndrom mit Adipositas permagna (Body-Mass-Index 44,8 kg/m²), gestörter Glukosetoleranz, arterieller Hypertonie und Hyperlipidämie
2. Beginnende Coxarthrose und Gonarthrose beidseits
3. Geringgradige Hypothyreose
4. Migräne
5. Zustand nach Cholezystektomie
Bei der Klägerin sei von Januar 1996 bis November 1996 eine Psychotherapie in Einzelsitzungen durchgeführt worden, während eines Kuraufenthaltes von Februar bis April 1998 seien gruppen- und einzeltherapeutische Behandlungen hinsichtlich des Essverhaltens durchgeführt worden und vom März 2000 bis September 2001 habe sie an einer Gruppentherapie zur Gewichtsreduktion im Virchow-Klinikum teilgenommen. Seit Oktober 2001 sei sie in psychotherapeutischer Einzeltherapie bei Frau C in B. Damit seien die psychotherapeutischen Möglichkeiten ausgeschöpft ohne dass ein wesentlicher Erfolg zu verzeichnen gewesen sei. Medikamentöse Therapie sei nicht erfolgversprechend, die beantragte Operation hingegen doch. Der Auffassung der Frau Dr. H, dass vor einer derartigen Operation eine disziplinierte Nahrungsaufnahme vorliegen müsse, könne nicht zugestimmt werden. Wenn dies der Fall sei, wäre eine Operation unnötig. Zusammenfassend sei festzustellen, dass bei der Patientin als Grundproblem ein suchtartiges Essverhalten vorliege, das in erster Linie durch eine Verhaltenstherapie behandelt werden müsse, wobei die Gastric-Banding-OP als unterstützende Maßnahme in Betracht komme. Der hierfür erforderliche strenge Indikationskatalog sei bei der Klägerin erfüllt.
In der mündlichen Verhandlung am 21. Januar 2005 hat das Sozialgericht den Sachverständigen vernommen und dieser hat seine Auffassung erneuert, dass die Sucht zwar durch psychotherapeutische Behandlung zu behandeln sei, dass aber, wenn diese wie im Fall der Klägerin erfolglos durchgeführt worden seien, als letztes Mittel der chirurgische Eingriff angezeigt sei.
Sodann hat das Sozialgericht mit Urteil vom gleichen Tage die Beklagte antragsgemäß verurteilt und zur Begründung ausgeführt:
Die Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig. Sie verletzen die Klägerin in ihren Rechten, denn sie hat einen Anspruch auf Gewährung einer Gastric-Banding-OP. Rechtsgrundlage hierfür ist der § 27 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Nach dieser Norm haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst die ärztliche Behandlung einschließlich Krankenhausbehandlung. Diese Voraussetzungen sind zur Überzeugung der Kammer bei der Klägerin erfüllt, denn das massive Übergewicht der Klägerin ist eine Krankheit im Sinne dieser Vorschrift. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht strittig und steht in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung der Rechtsprechung. Letztere versteht darunter einen regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand, der die Notwendigkeit ärztlicher Heilbehandlungen oder – zugleich oder allein - Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. Als regelwidrig wird ein Zustand angesehen, der von der Norm, also vom Leitbild des gesunden Menschen abweicht (siehe BSG Urteil vom 10. 02. 1993 – BSGE 72, 96, 98 = SozR 3-2200 § 182 Nr. 14 S. 64).
Zwar ist in der Medizin selber umstritten, ob bereits der Adipositas als solcher Krankheitswert zukommt. Einigkeit besteht aber darüber, dass bei starkem Übergewicht (im Allgemeinen ab einem BMI ) 30) eine Behandlung mit dem Ziel der Gewichtsreduktion erforderlich ist, weil andernfalls ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von Begleit- und Folgeerkrankungen, wie Stoffwechselkrankheiten, Herz- und Kreislauferkrankungen, Atemwegserkrankungen, gastrointestinalen Erkrankungen, Krankheiten des Bewegungsapparates und bösartigen Neubildungen, besteht. Ob dabei das krankhaft erhöhte Körpergewicht ein Risikofaktor für das Erleiden anderer schwerwiegender Erkrankungen oder "lediglich" ein Promotor oder Risikofaktor für die Entstehung weiterer Risikofaktoren ist (so Martin, DÄ 1997, A-601), ist für die rechtliche Bewertung ohne Belang. Ein Therapieindikation besteht erst recht, wenn im konkreten Fall bereits Folgeerkrankungen aufgetreten sind (BSG Urteil vom 19.02.2003, Az: B 1 KR 1/02 R). So ist es hier. Der Sachverständige hat nämlich ausgeführt, dass die bestehende Essstörung als psychische Abweichung zu werten ist und in der Regel einer psychoanalytischen und psychotherapeutischen Intervention bedarf. Auch die bestehenden Abnutzungserscheinungen in den Hüft- und Kniegelenken sind durch das Übergewicht mit bedingt. Im Übrigen geht es auch darum, durch eine Gewichtsreduktion weitere und schwerere Folgen zu verhindern. Erfordert die Adipositas eine ärztliche Behandlung, so belegt das zugleich die Regelwidrigkeit des bestehenden Zustands und damit das Vorliegen einer Krankheit im krankenversicherungsrechtlichen Sinne.
Zuzugeben ist der Beklagten, dass das Behandlungsziel einer Gewichtsreduktion auf verschiedenen Wegen erreicht werden kann. Insoweit ist also auch zu prüfen, ob eine vollstationäre chirurgische Behandlung unter Berücksichtigung der Behandlungsalternativen (diätetische Therapie, Bewegungstherapie, medikamentöse Therapie, Psychotherapie) notwendig und wirtschaftlich war (§ 12 Abs. 1, § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Nach der Rechtsprechung des BSG kommt die Implantation eines Magenbandes nur als ultima ratio und nur bei Patienten in Betracht, die eine Reihe von Bedingungen für eine erfolgreiche Behandlung erfüllen (BMI ) 40 oder ) 35 mit erheblichen Begleiterkrankungen; Erschöpfung konservativer Behandlungsmöglichkeiten; tolerables Operationsrisiko; ausreichend Motivation, keine manifeste psychiatrische Erkrankung; Möglichkeit einer lebenslangen medizinischen Nachbetreuung u. a.).
So ist es hier. Nach Prof. B liegt bei der Klägerin ein Body-Mass-Index über 40 sowie eine suchtartige Komponente in Form eines suchtartigen Essverhaltens vor, aber keine ausgeprägte psychische Erkrankung und die begehrte medizinische Behandlungsmaßnahme ist auch als ultima ratio im Behandlungskonzept zu verstehen. Dem steht nicht entgegen, dass der Sachverständige von einer begleitenden chirurgischen Komponente in einem umfassenderen Behandlungskonzept gesprochen hat. Wie er nämlich im Termin der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, umfasst das Behandlungskonzept der Adipositas mehrere Komponenten, welche auch nicht bei der Durchführung einer Gastric-Banding-OP weggelassen werden könnten. Die Klägerin hat bisher ohne Erfolg eine psychotherapeutische Behandlung, eine medikamentöse Behandlung, Sport und eigene glaubhafte Anstrengungen unternommen, um mit der Situation fertig zu werden. Allein das Verfolgen des Klageanspruches und die glaubhaften Anstrengungen aus eigener Kraft abzunehmen, sprechen für die Motivation der Klägerin, etwas gegen ihre extreme Adipositas zu unternehmen. Würden allein psychotherapeutische Maßnahmen zu einem stärkeren Willen und einer entsprechenden Verringerung des Gewichts führen, bedürfte es in der Tat keiner chirurgischen Maßnahme. Die bisherigen umfassenden Versuche blieben bisher ohne Erfolg. Nach Auffassung des Sachverständigen ist nunmehr der Zeitpunkt für die Gastric-Banding-OP gekommen. Jedoch auch nach Durchführung der stationären Behandlung muss das umfassende Therapiekonzept fortgeführt werden. Die Operation selbst wird vom Sachverständigen als eine letzte, jedoch gute Möglichkeit gesehen, mit dem weiteren Behandlungskonzept zu Erfolg zu gelangen.
Soweit die von der Beklagten im Ergebnis der Begutachtung kritisierten Passagen im Gutachten gegebenenfalls missverständlich waren, hat der Sachverständige kompetent und für die Kammer nachvollziehbar dargelegt, dass ohne die stationäre chirurgische Behandlung das Behandlungskonzept scheitern muss. Hierfür sprechen die Ergebnisse der bisherigen Behandlungen. Unter diesen Voraussetzungen sieht das Gericht die begehrte Behandlungsmaßnahme als sachgerecht, wirtschaftlich und indiziert an, welche als Sachleistung von der Beklagten zu gewähren ist.
Gegen dieses, der Beklagten am 11. Februar 2005 zugestellte Urteil richtet sich deren Berufung vom 16. Februar 2005 mit der sie auf ihr Vorbringen vor dem Sozialgericht verweist und vorträgt, die Voraussetzungen der ultima ratio- Indikation lägen im Fall der Klägerin entgegen den Darlegungen des Sachverständigen Prof. Bt nicht vor.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 21. Januar 2005 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und durch die weitere Sachaufklärung im Berufungsverfahren für bestätigt.
Der Senat hat den Sachverständigen Dr. B um eine Stellungnahme dazu gebeten, ob die Einwände der Beklagten geeignet seien, von seiner Auffassung abzuweichen. In dem am 16. Mai 2005 erstatteten Zusatzgutachten legt der Sachverständige dar, dass bei der Klägerin eine ultima-ratio-Situation vorliege, da die bisherigen Therapiearten versagt hätten und bei Fortbestehen der morbiden Adipositas schwerwiegende Folgeerkrankungen drohten. Durch die Operation hingegen könne ein Durchbruch bezüglich der Gewichtsabnahme und des Suchtverhaltens erfolgen. Beigefügt waren die Leitlinien der deutschen Adipositasgesellschaft, der deutschen Diabetesgesellschaft, der deutschen Gesellschaft für Ernährung zur chirurgischen Therapie bei Adipositas. Die Beklagte brachte eine erneute Stellungnahme der Frau Dr. H vom MDK bei, die erneut die Auffassung vertritt, die Suchterkrankung könne auch mit entsprechenden therapeutischen Maßnahmen behandelt werden.
Die Klägerin hat nochmals eine Auflistung der von ihr durchgeführten Therapiemaßnahmen beigebracht, wonach sie an einer weitern Gruppentherapie neben der Einzeltherapie teilnehme und dass sie zwei- bis dreimal wöchentlich in ein Fitnessstudio gehe.
Die Beteiligten haben übereinstimmend ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Berichterstatters ohne mündliche Verhandlung erklärt (§§ 124 Abs. 2, 155 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).
Wegen des Sachverhaltes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und den Verwaltungsvorgang der Beklagten zum streitigen Sachverhalt Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht erhoben, somit insgesamt zulässig.
Über sie konnte der Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten übereinstimmend ihr Einverständnis mit einem derartigen Verfahren erklärt haben.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet.
Die Klägerin hat einen Anspruch gegen die Beklagten auf Gewährung der Gastric-Banding-OP als Sachleistung.
Zur Begründung wird auf die Darlegungen im angefochtenen Urteil des Sozialgerichts Bezug genommen, die der Senat sich zu Eigen macht und insoweit wird von einer weiteren Begründung abgesehen (§ 153 Abs. 2 SGG).
Ergänzend sei dargelegt, dass die Auffassung des Sozialgerichts durch die ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen Prof. Dr. med. Bnochmals bestätigt wurde. Dem gegenüber konnte das Parteivorbringen der Beklagten – dabei handelt es sich auch bei der Stellungnahme des MDK – nicht überzeugen.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen (§ 160 SGG).
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Gewährung einer Gastric-Banding-OP als Sachleistung zur Behandlung der bei ihr vorliegenden Adipositas per magna.
Die im Jahr 1967 geborene Klägerin ist Mitglied der Beklagten und leidet an Adipositas per magna. Da andere Behandlungsmethoden ihrer Auffassung nach nicht mehr ausreichten, beantragte sie am 20. August 2001 bei der Beklagten eine Gastric-Banding-Operation, woraufhin die Beklagte eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen – MDK – einholte. Für diesen vertrat Dr. S die Auffassung, es handele sich hierbei um eine Verstümmelungs-OP an einem gesunden Organ, die nicht von der Gesetzlichen Krankenversicherung zu übernehmen sei.
Gestützt hierauf lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 12. April 2002 den Antrag ab.
Hiergegen legte die Klägerin am 15. April 2002 Widerspruch ein und begründete dies damit, durch die operative Versorgung mit einem Magenband sei die einzige Möglichkeit gegeben, die bei ihr vorliegende Adipositas zu beherrschen. Dies begründete sie mit beigefügten Stellungnahmen der behandelnden Psychologin B C und der Orthopädin Dr. P.
Die Beklagte lehnte den Antrag erneut ab (Bescheid vom 27. Mai 2005). Die Klägerin erhielt ihren Widerspruch aufrecht und die Beklagte veranlasste eine Begutachtung durch den MDK nach Aktenlage. Dr. Peters vertrat die Auffassung, die Klägerin habe nicht dazu beigetragen, durch ihr Verhalten ihr Gewicht entscheidend zu reduzieren und die beantragte OP setze den Willen zur Selbstdisziplinierung voraus und solle erst nach Ausschöpfung aller konservativen Behandlungsmöglichkeiten das letzte Mittel sein. Es werde daher zunächst eine intensive ärztlich kontrollierte Gewichtsreduktion unter psychotherapeutischer Begleitung empfohlen.
Gestützt hierauf wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21. Januar 2003 den Widerspruch der Klägerin zurück.
Hiergegen hat sich die am 7. Februar 2003 beim Sozialgericht Frankfurt (Oder) erhobene Klage gerichtet, mit der die Klägerin ihr Begehren weiter verfolgt hat und zu dessen Begründung sie ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt und vertieft hat.
Die Beklagte ist dem unter Bezugnahme auf den Inhalt ihrer angefochtenen Bescheide und die Stellungnahmen des MDK entgegen getreten.
Das Sozialgericht hat zunächst einen Befundbericht und die Unterlagen der behandelnden Internistin Dr. M beigezogen. Diese berichtete über eine Psychotherapie und Teilnahme an Gewichtsreduktionsmaßnahmen am Virchow-Klinikum deren Erfolglosigkeit zu depressiven Episoden geführt habe. In Zusammenhang mit der Adipositas sei es bereits zu einer essentiellen Hypertonie und einem Diabetes mellitus gekommen.
Die Beklagte hat demgegenüber eine neue Stellungnahme des MDK vom 16. Februar 2004 beigebracht. Darin vertrat Dr. H die Auffassung, bei der Klägerin seien zunächst eine diätetische Therapie, Bewegungstherapie, medikamentöse Therapie und Psychotherapie auszuschöpfen, so dass ein interdisziplinäres Konzept zur Gewichtsreduktion gutachterlich zu empfehlen sei.
Sodann hat das Sozialgericht mit Beweisanordnung vom 1. April 2004 den Chefarzt der internistischen Abteilung des Klinikums Frankfurt (Oder) Prof. Dr. med. habil. U B zum Sachverständigen ernannt. Der Sachverständige hat in seinem am 16. August 2004 erstatteten Gutachten, das auf Grundlage der Untersuchungen und Befragung der Klägerin und der Durchsicht der Gerichtsakten und der Akten der Beklagten durchgeführt wurde, bei der Klägerin folgende Diagnosen gestellt hat:
1. Hyperphage Essstörung bei depressiver Anststörung mit konsekutivem metabolischen Syndrom mit Adipositas permagna (Body-Mass-Index 44,8 kg/m²), gestörter Glukosetoleranz, arterieller Hypertonie und Hyperlipidämie
2. Beginnende Coxarthrose und Gonarthrose beidseits
3. Geringgradige Hypothyreose
4. Migräne
5. Zustand nach Cholezystektomie
Bei der Klägerin sei von Januar 1996 bis November 1996 eine Psychotherapie in Einzelsitzungen durchgeführt worden, während eines Kuraufenthaltes von Februar bis April 1998 seien gruppen- und einzeltherapeutische Behandlungen hinsichtlich des Essverhaltens durchgeführt worden und vom März 2000 bis September 2001 habe sie an einer Gruppentherapie zur Gewichtsreduktion im Virchow-Klinikum teilgenommen. Seit Oktober 2001 sei sie in psychotherapeutischer Einzeltherapie bei Frau C in B. Damit seien die psychotherapeutischen Möglichkeiten ausgeschöpft ohne dass ein wesentlicher Erfolg zu verzeichnen gewesen sei. Medikamentöse Therapie sei nicht erfolgversprechend, die beantragte Operation hingegen doch. Der Auffassung der Frau Dr. H, dass vor einer derartigen Operation eine disziplinierte Nahrungsaufnahme vorliegen müsse, könne nicht zugestimmt werden. Wenn dies der Fall sei, wäre eine Operation unnötig. Zusammenfassend sei festzustellen, dass bei der Patientin als Grundproblem ein suchtartiges Essverhalten vorliege, das in erster Linie durch eine Verhaltenstherapie behandelt werden müsse, wobei die Gastric-Banding-OP als unterstützende Maßnahme in Betracht komme. Der hierfür erforderliche strenge Indikationskatalog sei bei der Klägerin erfüllt.
In der mündlichen Verhandlung am 21. Januar 2005 hat das Sozialgericht den Sachverständigen vernommen und dieser hat seine Auffassung erneuert, dass die Sucht zwar durch psychotherapeutische Behandlung zu behandeln sei, dass aber, wenn diese wie im Fall der Klägerin erfolglos durchgeführt worden seien, als letztes Mittel der chirurgische Eingriff angezeigt sei.
Sodann hat das Sozialgericht mit Urteil vom gleichen Tage die Beklagte antragsgemäß verurteilt und zur Begründung ausgeführt:
Die Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig. Sie verletzen die Klägerin in ihren Rechten, denn sie hat einen Anspruch auf Gewährung einer Gastric-Banding-OP. Rechtsgrundlage hierfür ist der § 27 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Nach dieser Norm haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst die ärztliche Behandlung einschließlich Krankenhausbehandlung. Diese Voraussetzungen sind zur Überzeugung der Kammer bei der Klägerin erfüllt, denn das massive Übergewicht der Klägerin ist eine Krankheit im Sinne dieser Vorschrift. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht strittig und steht in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung der Rechtsprechung. Letztere versteht darunter einen regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand, der die Notwendigkeit ärztlicher Heilbehandlungen oder – zugleich oder allein - Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. Als regelwidrig wird ein Zustand angesehen, der von der Norm, also vom Leitbild des gesunden Menschen abweicht (siehe BSG Urteil vom 10. 02. 1993 – BSGE 72, 96, 98 = SozR 3-2200 § 182 Nr. 14 S. 64).
Zwar ist in der Medizin selber umstritten, ob bereits der Adipositas als solcher Krankheitswert zukommt. Einigkeit besteht aber darüber, dass bei starkem Übergewicht (im Allgemeinen ab einem BMI ) 30) eine Behandlung mit dem Ziel der Gewichtsreduktion erforderlich ist, weil andernfalls ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von Begleit- und Folgeerkrankungen, wie Stoffwechselkrankheiten, Herz- und Kreislauferkrankungen, Atemwegserkrankungen, gastrointestinalen Erkrankungen, Krankheiten des Bewegungsapparates und bösartigen Neubildungen, besteht. Ob dabei das krankhaft erhöhte Körpergewicht ein Risikofaktor für das Erleiden anderer schwerwiegender Erkrankungen oder "lediglich" ein Promotor oder Risikofaktor für die Entstehung weiterer Risikofaktoren ist (so Martin, DÄ 1997, A-601), ist für die rechtliche Bewertung ohne Belang. Ein Therapieindikation besteht erst recht, wenn im konkreten Fall bereits Folgeerkrankungen aufgetreten sind (BSG Urteil vom 19.02.2003, Az: B 1 KR 1/02 R). So ist es hier. Der Sachverständige hat nämlich ausgeführt, dass die bestehende Essstörung als psychische Abweichung zu werten ist und in der Regel einer psychoanalytischen und psychotherapeutischen Intervention bedarf. Auch die bestehenden Abnutzungserscheinungen in den Hüft- und Kniegelenken sind durch das Übergewicht mit bedingt. Im Übrigen geht es auch darum, durch eine Gewichtsreduktion weitere und schwerere Folgen zu verhindern. Erfordert die Adipositas eine ärztliche Behandlung, so belegt das zugleich die Regelwidrigkeit des bestehenden Zustands und damit das Vorliegen einer Krankheit im krankenversicherungsrechtlichen Sinne.
Zuzugeben ist der Beklagten, dass das Behandlungsziel einer Gewichtsreduktion auf verschiedenen Wegen erreicht werden kann. Insoweit ist also auch zu prüfen, ob eine vollstationäre chirurgische Behandlung unter Berücksichtigung der Behandlungsalternativen (diätetische Therapie, Bewegungstherapie, medikamentöse Therapie, Psychotherapie) notwendig und wirtschaftlich war (§ 12 Abs. 1, § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Nach der Rechtsprechung des BSG kommt die Implantation eines Magenbandes nur als ultima ratio und nur bei Patienten in Betracht, die eine Reihe von Bedingungen für eine erfolgreiche Behandlung erfüllen (BMI ) 40 oder ) 35 mit erheblichen Begleiterkrankungen; Erschöpfung konservativer Behandlungsmöglichkeiten; tolerables Operationsrisiko; ausreichend Motivation, keine manifeste psychiatrische Erkrankung; Möglichkeit einer lebenslangen medizinischen Nachbetreuung u. a.).
So ist es hier. Nach Prof. B liegt bei der Klägerin ein Body-Mass-Index über 40 sowie eine suchtartige Komponente in Form eines suchtartigen Essverhaltens vor, aber keine ausgeprägte psychische Erkrankung und die begehrte medizinische Behandlungsmaßnahme ist auch als ultima ratio im Behandlungskonzept zu verstehen. Dem steht nicht entgegen, dass der Sachverständige von einer begleitenden chirurgischen Komponente in einem umfassenderen Behandlungskonzept gesprochen hat. Wie er nämlich im Termin der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, umfasst das Behandlungskonzept der Adipositas mehrere Komponenten, welche auch nicht bei der Durchführung einer Gastric-Banding-OP weggelassen werden könnten. Die Klägerin hat bisher ohne Erfolg eine psychotherapeutische Behandlung, eine medikamentöse Behandlung, Sport und eigene glaubhafte Anstrengungen unternommen, um mit der Situation fertig zu werden. Allein das Verfolgen des Klageanspruches und die glaubhaften Anstrengungen aus eigener Kraft abzunehmen, sprechen für die Motivation der Klägerin, etwas gegen ihre extreme Adipositas zu unternehmen. Würden allein psychotherapeutische Maßnahmen zu einem stärkeren Willen und einer entsprechenden Verringerung des Gewichts führen, bedürfte es in der Tat keiner chirurgischen Maßnahme. Die bisherigen umfassenden Versuche blieben bisher ohne Erfolg. Nach Auffassung des Sachverständigen ist nunmehr der Zeitpunkt für die Gastric-Banding-OP gekommen. Jedoch auch nach Durchführung der stationären Behandlung muss das umfassende Therapiekonzept fortgeführt werden. Die Operation selbst wird vom Sachverständigen als eine letzte, jedoch gute Möglichkeit gesehen, mit dem weiteren Behandlungskonzept zu Erfolg zu gelangen.
Soweit die von der Beklagten im Ergebnis der Begutachtung kritisierten Passagen im Gutachten gegebenenfalls missverständlich waren, hat der Sachverständige kompetent und für die Kammer nachvollziehbar dargelegt, dass ohne die stationäre chirurgische Behandlung das Behandlungskonzept scheitern muss. Hierfür sprechen die Ergebnisse der bisherigen Behandlungen. Unter diesen Voraussetzungen sieht das Gericht die begehrte Behandlungsmaßnahme als sachgerecht, wirtschaftlich und indiziert an, welche als Sachleistung von der Beklagten zu gewähren ist.
Gegen dieses, der Beklagten am 11. Februar 2005 zugestellte Urteil richtet sich deren Berufung vom 16. Februar 2005 mit der sie auf ihr Vorbringen vor dem Sozialgericht verweist und vorträgt, die Voraussetzungen der ultima ratio- Indikation lägen im Fall der Klägerin entgegen den Darlegungen des Sachverständigen Prof. Bt nicht vor.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 21. Januar 2005 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und durch die weitere Sachaufklärung im Berufungsverfahren für bestätigt.
Der Senat hat den Sachverständigen Dr. B um eine Stellungnahme dazu gebeten, ob die Einwände der Beklagten geeignet seien, von seiner Auffassung abzuweichen. In dem am 16. Mai 2005 erstatteten Zusatzgutachten legt der Sachverständige dar, dass bei der Klägerin eine ultima-ratio-Situation vorliege, da die bisherigen Therapiearten versagt hätten und bei Fortbestehen der morbiden Adipositas schwerwiegende Folgeerkrankungen drohten. Durch die Operation hingegen könne ein Durchbruch bezüglich der Gewichtsabnahme und des Suchtverhaltens erfolgen. Beigefügt waren die Leitlinien der deutschen Adipositasgesellschaft, der deutschen Diabetesgesellschaft, der deutschen Gesellschaft für Ernährung zur chirurgischen Therapie bei Adipositas. Die Beklagte brachte eine erneute Stellungnahme der Frau Dr. H vom MDK bei, die erneut die Auffassung vertritt, die Suchterkrankung könne auch mit entsprechenden therapeutischen Maßnahmen behandelt werden.
Die Klägerin hat nochmals eine Auflistung der von ihr durchgeführten Therapiemaßnahmen beigebracht, wonach sie an einer weitern Gruppentherapie neben der Einzeltherapie teilnehme und dass sie zwei- bis dreimal wöchentlich in ein Fitnessstudio gehe.
Die Beteiligten haben übereinstimmend ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Berichterstatters ohne mündliche Verhandlung erklärt (§§ 124 Abs. 2, 155 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).
Wegen des Sachverhaltes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und den Verwaltungsvorgang der Beklagten zum streitigen Sachverhalt Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht erhoben, somit insgesamt zulässig.
Über sie konnte der Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten übereinstimmend ihr Einverständnis mit einem derartigen Verfahren erklärt haben.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet.
Die Klägerin hat einen Anspruch gegen die Beklagten auf Gewährung der Gastric-Banding-OP als Sachleistung.
Zur Begründung wird auf die Darlegungen im angefochtenen Urteil des Sozialgerichts Bezug genommen, die der Senat sich zu Eigen macht und insoweit wird von einer weiteren Begründung abgesehen (§ 153 Abs. 2 SGG).
Ergänzend sei dargelegt, dass die Auffassung des Sozialgerichts durch die ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen Prof. Dr. med. Bnochmals bestätigt wurde. Dem gegenüber konnte das Parteivorbringen der Beklagten – dabei handelt es sich auch bei der Stellungnahme des MDK – nicht überzeugen.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen (§ 160 SGG).
Rechtskraft
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