L 18 B 772/06 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 94 AS 6528/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 B 772/06 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 14. August 2006 geändert. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, den Antrag des Antragstellers auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuchs – Grundsicherung für Arbeitsuchende – unverzüglich zu bescheiden. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers im gesamten Verfahren.

Gründe:

Die Beschwerde des Antragstellers hat insoweit Erfolg, als die Antragsgegnerin zu verpflichten war, den vom Sozialgericht (SG) Berlin ihr zugeleiteten Originalantrag auf Gewährung von Leistungen nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuchs – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) nunmehr unverzüglich zu bescheiden.

Nach § 37 Abs. 1 SGB II werden die Leistungen der Grundsicherung auf Antrag erbracht. Der Antrag ist zwar nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (SGB I) bei dem zuständigen Leistungsträger zu stellen. Alle anderen Sozialleistungsträger sind allerdings nach § 16 Abs. 1 Satz 2 SGB I ebenfalls verpflichtet, den Antrag entgegenzunehmen und diesen Antrag, falls sie sich nicht für zuständig halten, unverzüglich an den ihrer Auffassung nach zuständigen Leistungsträger weiterzuleiten.

Dieser gesetzlichen Verpflichtung ist die Antragsgegnerin bislang nicht nachgekommen. Die Behauptung des Antragstellers, die Antragsgegnerin habe sich geweigert, den von ihm ausgefüllten Formularantrag entgegenzunehmen, ist unter Berücksichtigung der Ausführungen im Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 31. Juli 2006, wonach dann, wenn von vornherein die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 8 Abs. 2 SGB II nicht erfüllt würden, ein Leistungsantrag keinen Sinn machte, zumindest glaubhaft. Infolge dieses offensichtlich rechtswidrigen Verhaltens der Antragsgegnerin, die kraft Gesetzes gehalten ist, alle Anträge, und zwar auch offensichtlich unbegründete Anträge, entgegenzunehmen und zu bescheiden, wird diese als dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verpflichtete staatliche Behörde (Artikel 20 Abs. 3 Grundgesetz) nunmehr unverzüglich die zu treffende Entscheidung nachzuholen haben. Dabei wird vor allem zu prüfen sein, ob § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II, auf den das SG bei der von ihm getroffenen Entscheidung abgehoben hat, im Hinblick darauf, dass sich der Antragsteller bereits seit 1995 durchgehend in der Bundesrepublik Deutschland aufhält, die von ihm erhobenen Ansprüche ausschließt. Die Erwerbsfähigkeit des Antragstellers dürfte jedenfalls im Hinblick auf die Regelung des § 8 Abs. 2 2. Alt. SGB II und die bislang nicht bestandskräftig abgelehnte Genehmigung nach § 284 Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – zu bejahen sein.

Soweit der Antragsteller mit der Beschwerde sein vorläufiges Rechtsschutzbegehren auf Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Gewährung von Leistungen weiterverfolgt, war die Beschwerde indes zurückzuweisen. Einer Entscheidung des Senats in der Sache steht entgegen, dass es bislang an einer Entscheidung der Antragsgegnerin über den gestellten Antrag fehlt. Ohne eine derartige behördliche Vorbefassung fehlt im Regelfall jedenfalls das für eine Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren erforderliche Rechtschutzbedürfnis (vgl. Berlit, Vorläufiger gerichtlicher Rechtsschutz im Leistungsrecht der Grundsicherung für Arbeitsuchende – ein Überblick, veröffentlich in: info also 1/2005 S. 3 ff., 4).

Dafür, dass eine Ausnahme von dem Grundsatz der behördlichen Vorbefassung wegen einer aktuellen existenziellen Gefährdung des Lebensunterhalts des Antragstellers geboten wäre, ergibt das Vorbringen des Antragstellers keinen ausreichenden Anhalt. Der Umstand, dass er sich seit 1995 durchgehend in Berlin aufhält, ohne einer geregelten Erwerbstätigkeit nachzugehen, zeigt vielmehr, dass er bislang in der Lage gewesen sein muss, seinen Lebensunterhalt auf irgendeine Art und Weise zu bestreiten. Es ist ihm daher zumindest zuzumuten, die Bescheidung seines Antrags, die nunmehr unverzüglich zu erfolgen hat und auch im Wege der Vollstreckung durchgesetzt werden kann (§ 201 SGG), abzuwarten.

Dem mit der Beschwerde gestellten Antrag auf Verbindung dieses Verfahrens mit dem weiteren unter dem Aktenzeichen L anhängigen Verfahren war schon deshalb nicht zu entsprechen, weil die beteiligten Fachsenate unterschiedliche funktionelle Zuständigkeiten besitzen (vgl. § 31 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG. Sie berücksichtigt, dass die Antragsgegnerin durch die rechtswidrige Weigerung, den Antrag des Antragstellers entgegenzunehmen, Veranlassung für die Durchführung dieses Rechtsschutzverfahrens gegeben hat.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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