L 10 B 1091/06 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 109 AS 9590/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 10 B 1091/06 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Lebt eine aus zwei Erwachsenen und einem schulpflichtigen Kind bestehende Bedarfsgemeinschaft in einer 2-Zimmer-Wohnung und steht nach den Wohnverhältnissen in ihrer Gesamtheit dem Kind keine ständig eröffnete Rückzugsmöglichkeit offen, ist der Umzug in eine 2,5 bis 3-Zimmer-Wohnung erforderlich und notwendig.
Die angemessene Höhe der Kosten der Unterkunft ist als Produkt aus der für den Leistungsempfänger abstrakt angemessenen Wohnfläche und dem nach den örtlichen Verhältnissen angemessenen Mietzins pro Quadratmeter zu ermitteln (sog. Produkttheorie; ständige Rechtsprechung des BVerwG z. B. Urteil vom 28. April 2005 - 5 C 15/04 - mwN). Während sich die angemessene Wohnfläche und Raumzahl nach den jeweils landesrechtlich festgelegten Wohnungsgrößen im sozialen Wohnungsbau richten, die typischerweise den Lebensgewohnheiten unterer Einkommensgruppen entsprechen, kann der angemessene Mietzins - soweit jeweils vorhanden - nach dem örtlichen Miet- und Betriebskostenspiegel bestimmt werden.
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 01. November 2006 aufgehoben. Die Antragsgegnerin wird zur Zusicherung der Übernahme der Mietkosten (ab dem 01. Januar 2007) und zur darlehensweisen Übernahme der Mietkaution (1.115,25 Euro) für die Wohnung Wstr., B verpflichtet. Die Antragsgegnerin hat die der Antragstellerin entstandenen außergerichtlichen Kosten des gesamten Verfahrens zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragsteller (Ast) zu 1) und 2) (beide 26 Jahre alt) bewohnen mit dem achtjährigen Ast zu 3), dem Sohn der Ast zu 1), der am 26. April 2006 zuzog, eine 2 Zimmer Wohnung in B (B ). Die Wohnung ist 56,15 m² groß und besteht aus zwei Wohnräumen von je ca. 18 m², einer Küche von ca. 12 m², einem Korridor von mehr als 4 m² und einem Bad von mehr als 5 m² (telefonische Auskunft des Vermieters gegenüber dem Antragsgegner (Ag)). Die Wohnungsmiete ohne kalte Betriebskosten, Heizung und Warmwasser beträgt 299,00 EUR, für die Betriebskosten wird eine Vorauszahlung von 57,00 EUR fällig, für Heizung und Warmwasser (Zentralheizung) eine Vorauszahlung von 42,00 EUR monatlich (Warmmiete = 398,00 EUR - Mietvertrag vom 08. Juli 2004).

Die Ast stehen als Bedarfsgemeinschaft im Leistungsbezug der Ag, wobei bezüglich der Kosten der Unterkunft (KdU) ein Bedarf von 398,00 EUR eingestellt ist und zu gleichen Teilen auf die Ast verteilt befriedigt wird.

Am 28. September 2006 stellte die Ast zu 1) einen Antrag auf Mietkostenübernahme für die Wohnung B, Wstraße. Es handelt sich um eine 2,5 Zimmer Wohnung mit einer Wohnfläche von 67,59 m², die zu einer Warmmiete von 525,01 EUR angeboten wird (Nettomiete 371,75 EUR, Betriebskosten 102,57 EUR, Heizung 50,69 EUR). Warmwasser wird über einen elektrischen Durchlauferhitzer erzeugt; das Haus (Baujahr 1972) ist frisch saniert, wobei die Wohnung mit einer neuen Einbauküche und Laminatböden ausgestattet ist und über ein neu gefliestes Wannenbad verfügt (telefonische Maklerauskunft gegenüber dem Berichterstatter). Es wird eine Kaution von drei Nettokaltmieten verlangt. Dazu machte die Ast zu 1) geltend, man lebe in sehr beengten Wohnverhältnissen, der Ast zu 3) gehe jetzt in die 3. Klasse der Grundschule und brauche ein eigenes Zimmer.

Mit Bescheid vom 13. Oktober 2006 und Widerspruchsbescheid vom 16. Oktober 2006 (mit dem Widerspruch war geltend gemacht worden, der tatsächliche Wohnraum der derzeitigen Wohnung betrage nur ca. 37 m²) lehnte der Ag die Mietkostenübernahme ab. Diese könne nur erteilt werden, wenn die neue Wohnung angemessen und der Umzug erforderlich sei. An der Erforderlichkeit fehle es; sie sei nur gegeben, wenn die Ast in eindeutig beengten Verhältnissen lebten. Dies könne nach den anzuwendenden Richtlinien (Ausführungsvorschriften zur Ermittlung angemessener Kosten der Wohnung gemäß § 22 Zweites Buch Sozialgesetzbuch SGB II der Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz des Landes Berlin vom 07. Juni 2005 (ABl 3743), zuletzt geändert mit Verwaltungsvorschriften vom 30. Mai 2006 (ABl 2062), im Folgenden: AV Wohnen) nur angenommen werden, wenn drei Personen weniger als zwei Räume und weniger als 50 m² Wohnfläche zur Verfügung stünden. Die aktuelle Wohnung sei für drei Personen angemessen. Zu beachten sei, ob der gewünschte Wohnungswechsel während der Zeit der Hilfebedürftigkeit realisiert werden müsse oder ob es den Ast zuzumuten sei, zunächst die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zur Bestreitung des Lebensunterhalts abzuwarten, um die beantragte Leistung aus eigenen Kräften realisieren zu können. Angesichts dessen reiche der für den Umzug angegebene Grund nicht aus.

Den Antrag der Ast zu 1) bis 3), die Ag im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zur Erteilung einer Mietkostenübernahmeerklärung für die Wohnung Wstraße zu und zur Gewährung der Kaution als Darlehen zu verpflichten, hat das Sozialgericht (SG) Berlin mit Beschluss vom 01. November 2006 zurückgewiesen und dabei die auf die AV Wohnen Bezug nehmende Argumentation der Ag geteilt.

Dagegen richtet sich die Beschwerde der Ast, der das SG nicht abgeholfen hat. Sie legen einen am 14. November 2006 vom Bezirksamt S von B erteilten Bescheid über die Erteilung eines Wohnberechtigungsscheins für eine 3 Zimmer Wohnung (zzgl. Küche und Bad) vor, in dem es u.a. heißt, dringender Wohnbedarf im Sinne der von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung erlassenen Verwaltungsvorschriften könne nicht anerkannt werden. Die Ag hält an ihrem Standpunkt fest; sie hat auf Rückfrage des Senats mitgeteilt, dass die Wohnung Wstraße unbeschadet der Frage der Erforderlichkeit des Umzuges als angemessen erachtet würde. Telefonisch geführte Ermittlungen haben ergeben, dass ein Mietvertrag für die Wohnung Wstraße mittlerweile unterzeichnet ist, die Schlüsselübergabe ist von der Mietübernahmeerklärung und der Stellung der Kaution abhängig.

II.

Die statthafte (§ 172 Sozialgerichtsgesetz – SGG -) und auch im Übrigen zulässige (§ 173 SGG) Beschwerde erweist sich als begründet. Die Ag hat den Ast die begehrte Zusicherung zur Übernahme der Mietkosten (ab dem 01. Januar 2007) für die Wohnung Wstraße B, wie auch die Zusicherung zur darlehensweisen Übernahme der Mietkaution iHv 1.115,25 EUR zu erteilen. Denn der Umzug in die Wohnung Wstraße ist erforderlich und die Kosten für diese Wohnung sind auch nach Auffassung der Ag angemessen (§ 22 Abs. 2 und 3 SGB II). Zudem entstünden schwere und unzumutbare, durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigende Nachteile, würden die Ast auf dieses verwiesen.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Ein Anordnungsanspruch - die Rechtsposition, deren Durchsetzung im Hauptsacheverfahren beabsichtigt ist - sowie der Anordnungsgrund - die Eilbedürftigkeit der begehrten sofortigen Regelung - sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 4 SGG iVm § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO)).

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in der jeweiligen Instanz; im Beschwerdeverfahren kommt es hiernach auf den Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung an.

Vorliegend sind die tatbestandlichen Voraussetzungen für den geltend gemachten Anordnungsanspruch zu bejahen. So gilt nach § 22 Abs. 2 SGB II für einen Wohnungswechsel, dass der erwerbsfähige Hilfebedürftige (bzw. der erwerbsfähige Hilfebedürftige und die mit ihm eine Bedarfsgemeinschaft bildenden Personen, § 7 Abs. 2, 3 SGB II) vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft die Zusicherung des kommunalen Trägers zu den Aufwendungen für die neue Unterkunft einholen soll. Dieser ist zur Zusicherung verpflichtet, wenn der Umzug erforderlich ist und die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind. Dabei ist die Erteilung der Zusicherung keine Anspruchsvoraussetzung, die erfüllt sein muss, um überhaupt einen Anspruch auf Kosten für Unterkunft und Heizung (KdU) für eine neu bezogene Wohnung zu begründen. Insoweit - anderes mag für die in § 22 Abs. 3 SGB II geregelten sonstigen Kosten eines Wohnungswechsels gelten - hat sie nur die Bedeutung einer Obliegenheit (Lang in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 22 RdNr. 62 ff); sie nicht zu beachten bleibt bzgl. der Übernahme der Wohnungskosten ggfs. folgenlos. Wird die Zusicherung (= die hier begehrte Mietkostenübernahmeerklärung) erteilt, d.h. die Erforderlichkeit des Umzugs (und die Angemessenheit der Kosten) von der Behörde akzeptiert und festgestellt, begründet sie den Anspruch auf die Übernahme der vollen Kosten der neuen Wohnung. Wird sie nicht erteilt, besteht (ab Einzug) ein Anspruch auf die gesamten KdU, sofern diese angemessen sind nur, wenn der Umzug erforderlich war. Ansonsten verbleibt es bei den KdU der aufgegebenen Wohnung (§ 22 Abs. 1 S 2 in der seit dem 01. August 2006 geltenden Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitslose vom 20. Juli 2006 (BGBl I 1706)). Des Weiteren können nach § 22 Abs. 3 Satz 1 SGB II u.a. die Mietkaution bei vorheriger Zusicherung durch den kommunalen Träger übernommen werden. Die Zusicherung soll erteilt werden, wenn der Umzug durch den kommunalen Träger veranlasst oder aus anderen Gründen notwendig ist und wenn ohne die Zusicherung eine Unterkunft in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden kann (§ 22 Abs. 3 Satz 2 SGB II); die Mietkaution soll als Darlehen erbracht werden (§ 22 Abs. 3 Satz 3 SGB II). Mit der Erforderlichkeit, die nach allgemeiner Auffassung bedeutungsgleich mit der Notwendigkeit des Umzuges iSv § 22 Abs. 3 S 2 SGB II ist (Kahlhorn in Hauck/Noftz, SGB II, § 22 RdNr 29; Rothkegel in Gagel, SGB III, zu § 22 SGB II RdNr 66), ist die erste Voraussetzung an eine Kostenübernahmezusicherung als unbestimmter Rechtsbegriff gefasst, der der Auslegung bedarf. Er besagt nach dem Normzusammenhang zunächst, dass erwerbsfähige Hilfebedürftige schon auf der Ebene der Aufwendungen für ihre Unterkunft (die mit einem Umzug verbundenen Kosten werden in § 22 Abs. 3 SGB II selbständig geregelt) Beschränkungen auch dann hinnehmen müssen, wenn sie einen Wechsel zwischen Wohnungen beabsichtigen, deren Kosten angemessen sind. Dem Hilfebedürftigen wird auferlegt, auf Gestaltungen, die er als Verbesserung seiner Lebensumstände ansieht, zu verzichten und Wünsche (die auch im Bereich der Bedarfsdeckung durch staatliche Gewährungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) beachtlich sind - § 9 Abs. 2 SGB XII) zurückzustellen, auch wenn er nicht mehr anstrebt als bei einem bereits bestehenden oder aus zwingenden Gründen neu abzuschließenden Mietvertrag als Leistung nach §§ 19, 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu erbringen ist. Dies gebietet – wie bereits der Wortlaut, wonach nicht etwa zwingende Gründe zu verlangen sind – eine Auslegung, die nur maßvolle Beschränkungen mit sich bringt. Sachgerecht ist es, die Erforderlichkeit als eine (sonst nur im Zusammenhang mit §§ 22 Abs. 3 SGB II gegebene) Schranke dafür anzusehen, dass konsolidierte Verhältnisse (auf dem Niveau des § 22 Abs. 1 SGB II) weiter verbessert oder ohne zureichen¬den Grund umgeschichtet werden. Überdies dürfte auch im aktuellen Normkontext der vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) überzeugend entwickelte Gedanke zu berücksichtigen sein, dass der finanzielle Mehraufwand in ein Verhältnis zum Gewicht des Grundes für den Umzug und zum Aus¬maß der Verbesserungen zu setzen ist (BVerwGE 97, 110). Die Voraussetzung der Erforderlichkeit kann aber nicht dazu dienen, einen Umzug auszuschließen, der gewollt ist, und für den objektive Gründe von Gewicht sprechen. Ob ein solcher Grund vorliegt, ist nach den Verhältnissen des Einzelfalls zu beurteilen (vgl. Sauer in Jahn, SGB II, § 22 RdNr 41). Hier ist er gegeben.

Entgegen der (auf Nr. 9.4 der AV Wohnen – zur rechtlichen Bedeutung solcher Ausführungsbestimmungen sogleich) gestützten Auffassung der Ag ist die 2 Zimmer Wohnung mit 56,15 m² Wohnfläche für zwei Erwachsene und ein achtjähriges Kind zu klein. Das Defizit ist ein ausreichender Grund, in eine 2,5 Zimmer Wohnung (von 67,59 m² Wohnfläche) umzuziehen. Darin liegt eine entscheidende Verbesserung, die höhere Kosten rechtfertigt. Dabei kann hier offen bleiben, ob immer dann, wenn die Zahl der Zimmer hinter der Zahl der Bewohner zurückbleibt, ein Umzugswunsch gerechtfertigt ist (der Umzug erforderlich/notwendig) und ob allgemeingültige Mindestwerte für die Wohnfläche angegeben werden können (was schwer fallen dürfte, weil Aufteilung und verschiedenste den "Wohnwert" bestimmende Umstände höchst unterschiedlich sein können), deren Unterschreitung zum Umzug "berechtigen", denn die einzelfallbezogene Würdigung der gegebenen Verhältnisse begründet die Erforderlichkeit. Entscheidend ist, dass der Ast zu 3) kein eigenes Zimmer hat und ihm nach den Wohnverhältnissen in ihrer Gesamtheit keine ständig eröffnete Rückzugsmöglichkeit zur Verfügung steht. Jedenfalls im fortgeschrittenen Grundschulalter, in dem ein Kind erstmals spürbar außerfamiliären Anforderungen ausgesetzt ist, kann der Verzicht auf einen "eigenen Bereich" nicht dauerhaft zugemutet werden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn insgesamt nur zwei Zimmer zur Verfügung stehen, es also nicht darum geht, ein Kinderzimmer zu teilen, und die Wohnung wie hier - flächenmäßig nicht so großzügig bemessen ist, dass insgesamt nicht von beengten Wohnverhältnissen auszugehen wäre. Es kommt hinzu, dass eine intensive Nutzung der Wohnung (durch zwei nicht erwerbstätige Erwachsene) vorausgesetzt werden kann. Demnach ist der Umzug in eine 2,5 bis 3 Zimmer große Wohnung erforderlich iSv § 22 Abs. 2 Satz 2 SGB II als auch notwendig iSv § 22 Abs. 3 Satz 2 SGB II.

Die Aufwendungen für die "neue" Wohnung sind nach derzeitiger Sach- und Rechtslage als angemessen iSv § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu beurteilen, wie von der Ag auch unter Bezugnahme auf Nr. 4 Abs. 2 der AV-Wohnen zugestanden (vgl. Schreiben vom 27. November 2006).

Die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit obliegt im Streitfalle den Gerichten (allgemeine Auffassung, etwa Berlit in LPK-SGB II, § 22 RdNr 23; Lang in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 22 RdNr 39; abweichend ohne eine für den Senat nachvollziehbare Begründung Rothkegel in Gagel, SGB III, § 22 SGB II RdNr 19); eine Rechtsverordnung zur näheren Bestimmung der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung (Verordnungsermächtigung in § 27 Nr. 1 SGB II) ist bisher nicht ergangen. Handlungsanweisungen oder Richtlinien der Träger (hier: die AV-Wohnen) können demgemäß nicht als Rechtsgrundlage die Rechtmäßigkeit bestimmter Verwaltungsentscheidungen begründen. Diese Qualität könnten ggfs. Verwaltungsrichtlinien entfalten, die Regeln für eine bestimmungsgemäße Ausübung gesetzlich eingeräumten Ermessens zum Gegenstand haben oder die der Verwaltung eingeräumte Beurteilungsspielraume ausfüllen. Da die Bestimmung der angemessen KdU aber weder eine Ermessensentscheidung ist, noch der Verwaltung ein Beurteilungsspielraum eingeräumt ist, kommt den Handlungsanweisungen oder Richtlinien der Träger nur die Bedeutung zu, zu illustrieren, wie die Verwaltung allgemein zu verfahren gedenkt. Daher kann der Senat nicht ohne weitere Prüfung auf die in Nr. 4 Abs. 2 AV-Wohnen für angemessene Brutto-Warmmieten für einen 3-Personen-Haushalt bestimmten Richtwerte zurückgreifen. Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass Nr. 4 Abs. 2 AV-Wohnen nicht erkennen lässt, welche Bestimmungselemente in welcher Gewichtung dem allein von der Personenzahl abhängigen Gesamtbetrag zu Grunde liegen. Damit kann nicht nachvollzogen werden, dass Nr. 4 Abs. 2 AV-Wohnen dem aus dem Sozialhilferecht überkommenen Modell, einen Wohnflächenbedarf zu bestimmen und mit einer an einem bestimmten Wohnstandard orientierten Durchschnittswarmmiete pro Quadratmeter zu vervielfältigen, hinreichend Rechnung trägt. Diese Grundsätze gelten indes auch bei der Bestimmung der Angemessenheit iSv § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Das Bundessozialgericht (BSG) hat dies am 07. November 2006 entschieden (B 7b AS 10/06 R). Im Pressevorbericht (das Urteil selbst liegt noch nicht vor) heißt es dazu:

" Die Angemessenheit einer Unterkunft für Hilfebedürftige lässt sich nur beurteilen, wenn die konkrete Größe der Wohnung festgestellt wird. Hierbei ist für die Angemessenheit der Größe einer Wohnung auf die landesrechtlichen Ausführungsbestimmungen über die Förderung des sozialen Wohnungsbaus zurückzugreifen. Sodann ist der Wohnstandard festzustellen, wobei dem Hilfebedürftigen lediglich ein einfacher und im unteren Segment liegender Ausstattungsgrad der Wohnung zusteht. Als Vergleichsstandard ist dabei in erster Linie der Wohnungsstandard am konkreten Wohnort heranzuziehen. Im Rahmen der Berücksichtigung dieser Faktoren kommt es letztlich darauf an, dass das Produkt aus Wohnstandard/Wohnlage und Preis der Wohnung im Bereich der Angemessenheit liegt. "

Danach ist die angemessene Höhe der Unterkunftskosten als Produkt aus der für den Leistungsempfänger abstrakt angemessenen Wohnfläche und dem nach den örtlichen Verhältnissen angemessenen Mietzins pro Quadratmeter zu ermitteln (sog Produkttheorie; ständige Rechtsprechung des BVerwG zB Urteil vom 28. April 2005 – 5 C 15/04 - mwN, vgl auch Sächsisches Landessozialgericht (LSG) Beschluss vom 24. Oktober 2006 – L 3 B 158/06 AS-ER-, Hessisches LSG Beschluss vom 24. April 2006 – L 9 AS 39/06 ER-, LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 27. März 2006 – L 8 AS 626/06 ER-B-, jeweils veröffentlicht in Juris). Während sich die angemessene Wohnfläche und Raumzahl nach den jeweils landesrechtlich festgelegten Wohnungsgrößen im sozialen Wohnungsbau richten, die typischerweise den Lebensgewohnheiten unterer Einkommensgruppen entsprechen, kann der angemessene Mietzins - soweit jeweils vorhanden – nach dem örtlichen Miet- und Betriebskostenspiegel bestimmt werden.

Auch wenn derzeit für den Senat wegen der noch ausstehenden Entscheidungsgründe des Urteils des BSG vom 07. November 2006 (B 7b AS 10/06 R) noch nicht abschließend geklärt ist, ob die in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung entwickelte Produkttheorie in vollem Umfang oder mit gewissen Modifikationen zur Bestimmung der angemessenen KdU heran zu ziehen ist, bestehen für den Senat keine durchgreifenden Zweifel an der Angemessenheit der KdU für die Wohnung Wstraße.

Zunächst ist hervorzuheben, dass die Warmmiete iHv 525,01 EUR einen nicht unerheblichen Abstand zu dem für eine dreiköpfige Bedarfsgemeinschaft vorgesehenen Höchstwert nach der Nr. 4 Abs. 2 AV-Wohnen wahrt und an diesen nicht heranreicht. Bei einer – im Hinblick auf die noch nicht vorliegenden Entscheidungsgründe des BSG – nur überschlägig möglichen Bestimmung der angemessenen KdU an Hand der bekannten Kriterien nach der Produkttheorie ergibt sich zudem Folgendes: Zur Bestimmung der angemessenen Wohnfläche kann auf die in Berlin geltenden Bestimmungen für den sozialen Wohnungsbau (1. Förderungsweg) sowie die zur Umsetzung von § 5 Wohnungsbindungsgesetz (WoBindG) iVm § 27 Abs. 1 bis 5 Wohnraumförderungsgesetz (WoFG) erlassenen Arbeitshinweisen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vom 15. Dezember 2004 (Mitteilung Nr. 8 / 2004) zurückgegriffen werden. Nach Zif. 8 Abs. 1 der zuvor genannten Arbeitshinweisen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung wird in Berlin für die Erteilung von Wohnberechtigungsscheinen die maßgebliche Wohnungsgröße nach der Raumzahl bestimmt, wobei halbe Zimmer als ganze Räume rechnen und eine Wohnung idR als angemessen anzusehen ist, wenn auf jeden Haushaltsangehörigen ein Wohnraum entfällt. Zur Frage der noch als angemessen zu erachtenden Wohnfläche für eine 3-Zimmer-Wohnung kann weiterhin auf die Werte der zuletzt im Land B maßgeblichen Richtlinien für den öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbau (Wohnungsbauförderungsbestimmungen 1990 –WFB 1990 -) vom 16. Juli 1990 (Amtsblatt für Berlin 1990, 1379 ff) in der Fassung der Verwaltungsvorschriften zur Änderung der WFB 1990 vom 13. Dezember 1992 (VVÄndWFB 1990;Amtsblatt 1993, 98 f) abgestellt werden, wonach im 1. Förderungsweg für 3-Zimmer-Wohnungen eine maximale Wohnfläche von 75 m² als förderungswürdig anerkannt worden ist (Abschnitt II Zif 1 Buchst a) der Anlage 1 zur WFB 1990 iVm Zif 13 VVÄndWFB 1990). Demzufolge ist für eine 3-köpfige Bedarfsgemeinschaft eine 3-Zimmer-Wohnung mit einer Gesamtwohnfläche vom maximal 75 m² als abstrakt angemessen anzusehen.

Zur Bestimmung des angemessenen Mietzinses stützt sich der Senat auf den örtlichen, gemäß §§ 558c und 558d des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) qualifizierten Mietspiegel des Landes Berlin, der zuletzt im Jahr 2005 von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung herausgegeben worden ist und sich auf die am 01. Oktober 2004 zu zahlenden Mieten bezieht. Dieser unterscheidet zur Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete nach der Wohnungsgröße, dem Baujahr und der Wohnlage, wobei für Wohnungen in einfacher Wohnlage mit Sammelheizung und Bad, Innen-WC und mit einer hier maßgeblichen Wohnfläche zwischen 60 m² bis unter 90 m² sich bei einer durchschnittlichen Ausstattung –Vergleichsmieten (Nettokaltmieten) zwischen 4,06 EUR pro m² (Baujahr 1956 bis 1964) und 6,50 EUR pro m² (Baujahr 1984 bis 1990 West), d.h. eine durchschnittliche Vergleichsmiete von 4,85 EUR pro m², ergeben. Die Spannen reichen von 3,06 EUR pro m² bei Bezugsfertigkeit bis 1918 und einfachster Ausstattung bis zu 7,79 EUR pro m² bei Bezugsfertigkeit in den Jahren 1984 bis 1990 (West) und hochwertiger Ausstattung. Im Hinblick darauf, dass die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende das sog soziokulturelle Existenzminimum gewährleisten sollen und maßgeblich auf die Verhältnisse in den unteren Einkommensgruppen abzustellen ist, erscheint zumindest eine Orientierung an den für Wohnungen in einfacher Wohnlage maßgeblichen Werten geboten, zumal in allen Stadtbezirken auch einfache Wohnlagen - wenn auch in unterschiedlichem Umfang - vorhanden sind. Ob darüber hinaus weitere Einschränkungen bei der Konkretisierung des maßgeblichen Segments des Mietspiegels geboten sind, z.B. auf das jeweils untere Segment der für die einzelnen Baujahrsgruppen maßgeblichen Spannen oder auf den jeweiligen Mittelwert, jedoch unter Außerachtlassung der Baujahre ab 1983, abzustellen wäre, vermag der Senat ohne Auswertung der bereits genannten Entscheidung des BSG derzeit nicht zu beantworten. Jedoch ist für die Belange des vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahrens in die Betrachtung einzustellen, dass nach dem von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung gemeinsam mit der Investitionsbank Berlin herausgegebenen 4. Wohnungsmarktbericht (Berliner Wohnungsmarktbericht 2005) für das Jahr 2004 als gewichteter Mietspiegelwert (alle Wohnungen, nettokalt) ein Betrag von 4,49 EUR pro m² sowie als durchschnittliche Miete im sozialen Wohnungsbau (1. Förderweg, nettokalt) ein Betrag von 4,48 EUR festgestellt worden ist. Danach ergibt sich für eine 75 m² große Wohnung bereits eine Nettokaltmiete von 336,00 EUR. Hinzu kommen noch die "warmen" Betriebskosten, dh die "kalten" Betriebskosten sowie die Heizkosten, die nach Nr. 6 Abs. 1 und 2 AV-Wohnen bei einem Betrag bis zu 2,22 EUR pro m² (1,47 m² pro m² für die "kalten" Betriebskosten und 0,75 EUR für Heizkosten und Warmwasser) als angemessen beurteilt werden. Der Senat hat erhebliche Zweifel, dass diese Werte den tatsächlichen Gegebenheiten in den Jahren 2006/2007 gerecht werden. Schon nach dem Berliner Mietspiegel 2005 ergibt sich bei den "kalten" Betriebskosten für Wohnungen mit Sammelheizung und Bad, Innen-WC für die erfassten Baujahre (vor 1918 bis 2003) im Durchschnitt ein Betrag von 1,52 EUR pro m². Dieser auf der Basis der bis zum 01. Oktober 2004 erhobenen Daten ermittelte Wert muss jedoch im Hinblick auf die in den Jahren 2005 und 2006 erfolgten Erhöhungen bei den allgemeinen Betriebskosten (Gebühren für Müll und Straßenreinigung, Wasser und Abwasser, Grundsteuern) wie auch bzgl. der Kosten für Heizenergie nach oben korrigiert werden. Denn nach dem gerade veröffentlichten Betriebskostenspiegel 2006 des Deutschen Mieterbundes (http://www.mieterbund.de/presse/2006/pm 2006 12 14-2.html) ergibt sich für die "warmen" Betriebskosten mittlerweile ein durchschnittlicher Wert von 2,74 EUR pro m². Demzufolge wäre bei einer 75 m² großen Wohnung für "warme" Betriebskosten mindestens ein Betrag von 168,75 EUR (75 x 2,25 EUR) und maximal ein Betrag von 205,50 EUR (75 x 2,74 EUR) anzusetzen, so dass sich als abstrakt angemessene Bruttowarmmiete für eine 3-köpfige Bedarfsgemeinschaft ein Betrag zwischen 505,00 EUR und 542,00 EUR ergibt. Dem entspricht die für die Wohnung Wstraße zu zahlende Bruttowarmmiete von 525,01 EUR.

Da sich die Aufwendungen für die neue Unterkunft – wie dargelegt – in dem angemessenen Kostenrahmen halten, sind die in § 22 Abs. 2 Satz 2 SGB II genannten Voraussetzungen für eine Zusicherung insgesamt erfüllt. Dies trifft auch für die in Abs. 3 Satz 2 der Regelung genannten Voraussetzungen für eine Zusicherung der Übernahme der Mietkaution (als Darlehen) zu. Im Regelfall besteht dann ein Anspruch auf Zusicherung (siehe hierzu Rothkegel in Gagel, SGB III, RdNrn 6 ff zu § 22 SGB II).

Die Ast haben auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Ihnen ist das Abwarten einer (rechtskräftigen) Entscheidung in der Hauptsache (anhängig beim SG Berlin zum Az: S 109 AS 9590/06), die unter Berücksichtigung des enormen Geschäftsanfalls beim SG Berlin nicht innerhalb eines Jahres ergehen würde, im Hinblick auf die vorliegenden – beengten – Wohnverhältnisse nicht zumutbar. Zumal für den Ast zu 3) als die Wohnsituation belastender Umstand hinzukommt, dass es sich bei dem Ast zu 2) nicht um seinen Vater handelt; dem Ast) zu 3) auch schon deswegen alsbald eine Rückzugsmöglichkeit eröffnet werden muss, um ein gedeihliches Zusammenleben in der "Patchworkfamilie" zu ermöglichen. Die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende dienen der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens, hierbei handelt es sich um eine aus dem Gebot zum Schutz der Menschenwürde und dem Sozialstaatsgebot folgende verfassungsrechtliche Verpflichtung des Staates. Eine Verletzung grundgesetzlicher Gewährleistungen, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte jedoch zu verhindern (vgl Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Breithaupt 2006, 803 ff).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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