L 1 KR 1/06

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 34 KR 4/04
Datum
-
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 1/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung wird zurückgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Versicherungspflicht der Klägerin in der gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung im Zeitraum vom 1. Februar bis 30. November 2003 bezüglich ihrer Tätigkeit als "Supervisorin" für das Unternehmen, das ihr Ehemann, der Beigeladene zu 4, laut Handelsregister unter der Firma "P. N. H." als Einzelkaufmann betreibt (im Folgenden: Firma P.).

Die 1937 im Iran geborene Klägerin erlernte dort den Beruf der Diätassistentin und übte ihn viele Jahre aus. Nach ihrem Zuzug nach Deutschland eröffnete sie zusammen mit dem Beigeladenen zu 4 ein Lebensmittelgeschäft mit Imbiss, in dem sowohl iranische Spezialitäten zubereitet als auch die entsprechenden Lebensmittel verkauft werden: die Firma P ... Das Ladengeschäft wurde zunächst als Familienbetrieb geführt, in dem die Klägerin kochte.

Unter dem 15. November 1999 schloss die Klägerin mit dem Beigeladenen zu 4 als Inhaber der Firma P. einen Arbeitsvertrag, in dem geregelt wurde, dass sie als Köchin und Ladenhilfe an sechs Arbeitstagen pro Woche jeweils drei Stunden täglich für einen Stundenlohn von 15 DM brutto arbeiten würde. Zu diesem Zeitpunkt litt die Klägerin bereits unter multiplen Erkrankungen insbesondere des Bewegungsapparats. Für diese Tätigkeit stellte die Beklagte Sozialversicherungspflicht fest und gewährte während einer ab 1. April 2001 fortlaufenden Arbeitsunfähigkeit Krankengeld bis zur Erschöpfung des Anspruches am 10. Februar 2003. Während dieser Zeit lehnte die Landesversicherungsanstalt Freie und Hansestadt Hamburg mit Bescheid vom 8. August 2002 den Antrag der Klägerin auf Gewährung einer Regelaltersrente mit der Begründung ab, dass die erforderliche allgemeine Wartezeit nicht erfüllt sei. Das Versicherungskonto der Klägerin weise nur ein Jahr und zehn Monate anrechenbare Zeiten auf.

Am 1. Februar 2003 schloss der Beigeladene zu 4 als Inhaber der Firma P. mit der Klägerin einen neuen Arbeitsvertrag mit sofortiger Wirkung, nunmehr über eine Tätigkeit als "Supervisorin" bei einer regelmäßigen Arbeitszeit von 35 Wochenstunden an sechs Tagen in der Woche bei einem in bar gegen Quittung zu zahlenden Entgelt von 1.500 EUR monatlich.

Nachdem der Medizinische Dienst der Krankenkassen auf Anfrage der Beklagten die Auffassung vertreten hatte, dass die Klägerin erwerbsunfähig und eine Tätigkeit von vier Stunden täglich nicht leidensgerecht sei, stellte die Beklagte mit Bescheid vom 3. September 2003 fest, dass es sich bei der Tätigkeit als "Supervisorin" nicht um ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis handele. Den dagegen gerichteten Widerspruch der Klägerin, mit dem diese unter Vorlage eines Attestes des Orthopäden Dr. H. vorgetragen hatte, dass sie nur ihr körperlich mögliche leichte Tätigkeiten ausübe, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 2. Dezember 2003 mit der Begründung zurück, dass aufgrund des Alters der Klägerin, der langen Arbeitsunfähigkeit und der festgestellten Erwerbsunfähigkeit begründete Zweifel am tatsächlichen Zustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses und der Verdacht auf das Vorliegen eines Scheingeschäfts bestünden.

Hiergegen hat die Klägerin am 29. Dezember 2003 Klage erhoben und darauf verwiesen, dass sie wegen ihrer gesundheitlichen Einschränkungen keine andere Möglichkeit gehabt habe, als bei dem Beigeladenen zu 4 eine Tätigkeit aufzunehmen. Die am 30. November 2003 wieder beendete Beschäftigung als "Supervisorin" habe darin bestanden, dass sie den beschäftigten Koch kontrolliert, ihm Anweisungen gegeben und auch das Essen abgeschmeckt habe. Sie habe manchmal kassiert, bedient, Bankgeschäfte oder "Papierkram" erledigt. Darüber hinaus habe sie Gespräche mit den Kunden geführt, insbesondere nach dem Essen Fragen zur Zubereitung der Gerichte beantwortet, damit die entsprechenden Zutaten gleich mitverkauft werden können. Der Beigeladene zu 4 hat auf Befragen erklärt, dass nach Beendigung der Tätigkeit der Klägerin als "Supervisorin" noch niemand für diese Tätigkeit eingestellt worden sei. Er führe den Betrieb jetzt mit dem Koch zusammen, und die Klägerin komme immer mal vorbei. Er selbst könne nicht kochen, und auch der Koch kenne sich mit iranischen Spezialitäten eigentlich nicht aus, sondern sei von der Klägerin angelernt worden.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 28. Oktober 2005 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Beklagte habe zu Recht festgestellt, dass die Tätigkeit der Klägerin im fraglichen Zeitraum nicht der Sozialversicherungspflicht unterlegen habe. Ausgehend von der für die Beurteilung allein maßgeblichen tatsächlichen Ausgestaltung der fraglichen Tätigkeit habe keine abhängige Beschäftigung im Sinne des § 7 Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) i. V. m. § 5 Abs. 1 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch, § 20 Abs. 1 Nr. 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch und § 1 Satz 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch vorgelegen. Die Klägerin habe ihre Tätigkeit völlig frei gestalten können und nicht dem Weisungsrecht des Beigeladenen zu 4 in Bezug auf Zeit, Ort und Art der Arbeitsausführung unterlegen - auch nicht bei großzügiger Auslegung unter Berücksichtigung der Besonderheiten eines Beschäftigungsverhältnisses unter Ehegatten. Das Ladengeschäft sei vielmehr auch in der fraglichen Zeit gemeinsam als Familienbetrieb geführt worden, wie es seit der Gründung der Fall gewesen sei. Die Klägerin besitze allein die erforderliche Fachkompetenz für den Kernbereich des Geschäfts, nämlich die Zubereitung der iranischen Gerichte bzw. deren Überwachung sowie die Weitergabe von Rezepten. Selbst wenn von einer betrieblichen Eingliederung auszugehen wäre, müsste nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts eine familienhafte Mithilfe angenommen werden. Dass weder während der Arbeitsunfähigkeit noch im Anschluss an die Beendigung der Tätigkeit der Klägerin ein "Supervisor" im Unternehmen tätig gewesen sei, zeige, dass hier aufgrund einer im Arbeitsleben unüblichen Rücksichtnahme, die auf familiären Bindungen beruhe, ein bestimmtes Tätigkeitsfeld geschaffen worden sei, welches nicht zur Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses führen könne. Das Urteil ist der Klägerin am 7. Dezember 2005 zugestellt worden.

Mit der am 4. Januar 2006 eingelegten Berufung wiederholt die Klägerin im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen und meint, mangels Gesellschaftsvereinbarung sei sie nicht Mitgesellschafterin gewesen, also abhängig Beschäftigte. Mit ihr als Ehefrau seien die Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses und die Art der Ausübung des Weisungsrechts naturgemäß anders gewesen als mit einem fremden Beschäftigten. Im Übrigen seien die abgeführten Sozialversicherungsbeiträge nicht erstattet worden.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 28. Oktober 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 3. September 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. Dezember 2003 aufzuheben und festzustellen, dass sie bezüglich der Tätigkeit für die Firma P. in der Zeit ab 1. Februar 2003 bis 30. November 2003 der Sozialversicherungspflicht in der Krankenversicherung, Pflegeversicherung und Rentenversicherung unterlag.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung und weist auf einen bestehenden Beitragserstattungsanspruch nach § 26 Abs. 3 SGB IV hin, der mit Hilfe von der Klägerin nunmehr übermittelten Formularen geltend gemacht werden könne.

Die Beigeladene zu 2 beantragt ebenfalls,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beigeladenen zu 1 und 3 schließen sich der Rechtsauffassung der Beklagten an, stellen aber keine Anträge.

Der Beigeladene zu 4 hat sich nicht geäußert.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten sowie den weiteren Inhalt der Gerichts- und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte trotz Ausbleibens der Beigeladenen zu 1, 3 und 4 im Termin zur mündlichen Verhandlung verhandeln und entscheiden, weil in den Ladungen auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist.

Die statthafte (§§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin daher nicht in ihren Rechten. Die Beklagte hat als zuständige Einzugsstelle nach § 28 h Abs. 2 SGB IV zu Recht festgestellt, dass die Tätigkeit der Klägerin als "Supervisorin" für die Firma P. in der Zeit vom 1. Februar bis 30. November 2003 nicht der Sozialversicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung (eine Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung nach § 25 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) kam angesichts des Alters der Klägerin wegen § 28 Abs. 1 Nr. 1 SGB III von vornherein nicht in Betracht) unterlag.

Der Senat nimmt auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug und sieht von einer weiteren Darstellung ab (§ 153 Abs. 2 SGG).

Lediglich ergänzend und verdeutlichend weist der Senat darauf hin, dass die Umstände (gemeinsame Gründung vor 18 Jahren, gemeinsamer "Familienbetrieb", in dem jeder seinen Bereich hat) für eine selbständige Tätigkeit der Klägerin im gemeinsamen Unternehmen (stillschweigend geschlossene Ehegattengesellschaft, vgl. Küttner/Röller, Personalbuch 2006, Familiäre Mitarbeit Rz. 18 mN) unter der Firma des Beigeladenen zu 4 als Einzelkaufmann sprechen. Einer schriftlichen Gesellschaftsvereinbarung bedarf es nicht.

In jedem Fall vermag das Gericht keine Anhaltspunkte für eine persönliche Abhängigkeit zu sehen, so dass zumindest von familiärer Mitarbeit (vgl. BSG 23.06.1994 – 12 RK 50/93, BSGE 74, 275) auszugehen ist, wofür auch die Tatsache spricht, dass nach (angegebener) Beendigung der Tätigkeit der Klägerin niemand Neues eingestellt worden ist.

In der mündlichen Verhandlung beim Sozialgericht hat der Beigeladene zu 4 ausweislich der Niederschrift wörtlich gesagt: "Es ist so, sie macht ihren Job und ich mache meinen. Sie weiß alles, was ich mache. Ich arbeite ja schon seit 18 Jahren in diesem Bereich. Sie weiß, was gemacht werden muss. Wir machen das gemeinsam. Es ist eben ein Familienbetrieb und später haben wir gedacht, dass irgendetwas für die Rente getan werden muss und aus diesem Grund wurde das dann später angemeldet." Dieses Zitat verdeutlicht, dass der Klägerin und dem Beigeladenen zu 4 irgendwann aufging, dass Erstere noch keine Rentenanwartschaften erworben hat, so dass man einen Weg suchte, dies nachzuholen, indem man einen "Arbeitsvertrag" schloss, nach dem so gerade die Sozialversicherungspflichtgrenze überschritten wurde (18 Std. pro Woche, 500 EUR mtl.). Der zweite – vorliegend relevante – Vertrag begann eben in dem Monat, in dem der Krankengeldanspruch der Klägerin nach Ablauf von 78 Wochen endete, so dass ein "Scheingeschäft" im Sinne des § 117 Bürgerliches Gesetzbuch vorliegen könnte. Hierauf kommt es jedoch nicht an, weil die allein entscheidenden objektiven Verhältnisse gegen eine abhängige Beschäftigung sprechen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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