Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 29 KR 286/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 324/06 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger nach ärzt licher Verordnung intravenöse Immunglobulin-Therapie mit sofortiger Wirkung bis zur Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis 28. Februar 2007, als Sach leistung zu gewähren.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragsverfahrens zu erstatten.
Gründe:
I.
Der 1950 geborene und bei der Beklagten versicherte Kläger leidet an einer fortgeschrittenen HIV-Erkrankung im Stadium AIDS (CDC-Klassifikation C3). Hauptbehandler ist deswegen ab Mai 2001 der praktische Arzt G ...
Sein Antrag vom 16.12.2003 auf Kostenübernahme für eine Immunglobulin-Therapie mit dem Medikament "Flebogamma" wurde von der Beklagten nach Anhörung des MDK abgelehnt. Die Klage dagegen hat das Sozialgericht München am 26.10.2005 mit der Begründung abgewiesen, das Medikament verfüge über keine Zulassung für die Therapie bei erwachsenen HIV-Patienten. Auch wenn der Kläger als austherapiert zu gelten habe, sei ein off-label-use nicht gerechtfertigt, da weder die Zulassung beantragt noch ausreichend kontrollierte klinische Prüfungen vorlägen, die zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zuließen. Hierzu hat die Kammer auch auf die Entscheidung des 12. Senats des Bayer. Landessozialgerichts (vom 02.03.2005 - L 12 KA 107/03 K) hingewiesen, die eine Regressmaßnahme wegen fehlender Verordnungsfähigkeit von Immunglobulinen bei HIV-Patienten zum Gegenstand hatte. Die dagegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist am 31.05.2006 zurückgewiesen worden (Beschluss des BSG vom 31.05.2006, Az.: B 6 KA 53/05 B), dagegen ist Verfassungsbeschwerde anhängig (1 BvR 2020/06).
Im Zuge des seit 20.12.2005 anhängigen Berufungsverfahrens gegen das Urteil vom 26.10.2005 ist am 18.10.2006 ein Befundbericht des behandelnden Arztes eingegangen, wonach sich der Zustand des Klägers in den letzten Monaten dramatisch verschlechtert hat, insbesondere die antiretrovirale Kombinationstherapie ein zunehmendes Therapieversagen zeige. Zudem sei der immunologische Zustand katastrophal. Wegen der massiven lebensbedrohlichen Leukopenie sollten baldmöglichst Immunglobuline verabreicht werden.
Der Senat hat beim Gemeinsamen Bundesausschuss angefragt, welche Gesichtspunkte dafür maßgebend waren, der Expertengruppe off-label den Auftrag zu erteilen, die intravenöse Gabe von Immunglobulinen zur Behandlung von HIV/AIDS im Erwachsenenalter (auch als Adiuvans) zu bewerten (s. Beschluss vom 21.02.2006). Diese Anfrage ist bislang nicht beantwortet.
Am 27.10.2006 ist ein Antrag der Klägerbevollmächtigten auf Erlass einer einstweiligen Anordnung eingegangen. Die Kostenübernahme der intravenösen Immunglobulin-Therapie sei mit sofortiger Wirkung zu gewähren, da dem Kläger nicht mehr die Lebenszeit verbleibe, die anstehenden Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses oder des Bundesverfassungsgerichts abzuwarten. Die vom Bundesverfassungsgericht in Eilverfahren für notwendig befundene Folgenabwägung könne nur zu Gunsten des Klägers ausfallen. Zur Glaubhaftmachung des lebensbedrohlichen Zustands hat sie zwei ärztliche Atteste vorgelegt, die unter anderem den dramatischen Abfall der T4-Helferzellen und eine Cytomegalie-Virus-Retinitis beschreiben.
Die Beklagte hat erwidert, nach wie vor läge keine Rechtsgrundlage für eine Kostenübernahme vor. Sie hat auf drei ergebnislose vorangegangene ER-Beschlüsse des 4. Senats des Bayer. Landessozialgerichts verwiesen und die Forderung des Bundessozialgerichts nach einer Zulassung in einem anderen Rechtssystem sowie aussagekräftige Erkenntnisse im Sinn der Evidenzstufe IV nach § 9 Abs.3 der BUB-Richtlinien hingewiesen. So lange kein positives Votum des Gemeinsamen Bundesausschusses vorliege, dürfe die Behandlungsmethode nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung finanziert werden. Die Verordnung von Arzneimitteln liege zudem in der Verantwortung des Vertragsarztes und könne nicht durch eine Krankenkasse genehmigt werden.
Demgegenüber hat der Kläger auf die anderslautenden Empfehlungen des Bundessozialgerichts und seine finanzielle Situation als Empfänger des Pflegegelds der Stufe III neben Leistungen zur Grundsicherung hingewiesen. Zudem hat er Literatur zur streitgegenständlichen Therapie vorgelegt.
Der Internist Dr.J. , der den Kläger seit Juli 2006 mitbehandelt, hat auf Anfrage am 07.11.2006 mitgeteilt, der Kläger nehme an einer Studie mit einer neuen antiretroviralen Substanz teil, die auch bei multiresistentem Virus noch wirksam sein soll. Die Frage nach der medizinischen Indikation für Immunglobuline hat er nicht beantwortet.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist begründet. Der Kläger hat vorläufig Anspruch auf eine intravenöse Versorgung mit Immunglobulinen als Sachleistung, wenn eine entsprechende ärztliche Verordnung erfolgt.
Gemäß § 86b Abs.2 Satz 1 SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert wird. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs.2 Satz 2 SGG). Weil das Begehren des Antragstellers auf die Übernahme der Behandlung mit Immunglobulinen als Sachleistung ausgerichtet ist, kommt ausschließlich eine Regelungsanordnung in Betracht. Hierfür ist grundsätzlich das Bestehen eines Anordnungsanspruchs und das Vorliegen eines Anordnungsgrundes erforderlich. Anordnungsanspruch ist der materielle Anspruch, für den der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz sucht und der mit dem im Hauptsacheverfahren geltend gemachten materiellen Anspruch übereinstimmt. Anordnungsgrund ist die Eilbedürftigkeit der begehrten Regelung. Beide Voraussetzungen, Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft gemacht.
Laut Attest des behandelnden Arztes G. vom 16.10.2006 hat sich der Gesundheitszustand des Klägers in den letzten Monaten dramatisch verschlechtert, insbesondere zeigt die antiretrovirale Kombinationstherapie ein zunehmendes Therapieversagen und der immunologische Zustand ist katastrophal. Auch wenn derselbe Arzt bereits in einem früheren Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes am 18.03.2004 eine massive lebensbedrohliche Leukopenie beschrieben hat, lässt der Vergleich der Laborbefunde von damals und heute eine Verschlechterung erkennen. Zudem bestätigte der Internist Dr.J. am 7. November 2006, dass der Kläger aufgrund des ausgeprägten Immundefekts bereits mehrfach an opportunistischen Infektionen erkrankt ist und das Virus eine massive Resistenz entwickelt hat. An der Eilbedürftigkeit einer Regelung des Einsatzes von Immunglobulinen bestehen daher keine Zweifel.
Ob ein Anordnungsanspruch gegeben ist, hängt im Allgemeinen von einer summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache ab. Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die auch später nicht mehr rückgängig gemacht werden können, ist bei einer Orientierung der Entscheidung an den Erfolgsaussichten die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern besonders intensiv zu prüfen (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des 1. Senats vom 19. März 2004, NZS 2004, 527 f, Beschluss der 1. Kammer des 1. Senats vom 22. November 2002, NZS 2003, 253). Ist dem Gericht aber eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des 1. Senats vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05). Bei der hier anstehenden Prüfung über die Verpflichtung der Krankenkasse zur vorläufigen Übernahme der Kosten für die Versorgung mit einem Arzneimittel stehen das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit im Blickpunkt, die in der Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland hohen Rang haben. Nach Einschätzung des behandelnden Arztes G. befindet sich der Kläger ohne den Einsatz von Immunglobulinen in einem lebensbedrohlichen Zustand. Es sind daher die Erfolgsaussichten der Hauptsache abschließend zu prüfen.
Entgegen der Beurteilung früherer einstweiliger Rechtsschutzverfahren können die Erfolgsaussichten in der Hauptsache nicht von vornherein verneint werden. Zwar verfügen die begehrten Arzneimittel nach wie vor nicht über die nach dem Arzneimittelgesetz erforderliche Zulassung und nach wie vor hat der Gemeinsame Bundesausschuss keine Empfehlung zu Gunsten einer Therapie mit Immunglobulinen bei erwachsenen HIV-Patienten abgegeben. Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch mit seinem Beschluss vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98) eine neue Rechtslage geschaffen. Danach kann der Versicherte, wenn er an einer lebensbedrohlichen oder sogar regelmäßig tödlichen Erkrankung leidet, für die schulmedizinische Behandlungsmethoden nicht vorliegen, nicht von der Leistung einer bestimmten Behandlungmethode ausgeschlossen werden, weil deren therapeutischer Nutzen noch nicht ausreichend gesichert sei. Allerdings müsse die vom Versicherten gewählte andere Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf versprechen. Ob ein solcher Fall hier gegeben ist, kann nicht abschließend entschieden werden.
Vom Kläger wird zwar seit langen Jahren eine antiretrovirale Kombinationstherapie angewandt, die jedoch aufgrund der massiven Resistenzentwicklung des Virus die immunologische Situation nicht dauerhaft verbessern konnte. Wegen des Therapieversagens ist daher zu prüfen, ob die vom behandelnden Arzt beabsichtigte Behandlung mit Immunglobulinen ernsthafte Hinweise auf einen nicht ganz entfernt liegenden Erfolg der Heilung oder auch nur auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf im konkreten Einzelfall gibt. Dazu hat das Bundessozialgericht ausgeführt, je schwerwiegender die Erkrankung und hoffnungsloser die Situation sei, desto geringere Anforderungen seien an die ernsthaften Hinweise auf einen nicht ganz entfernt liegenden Behandlungserfolg zu stellen (BSG, Urteil vom 4. April 2006, Az.: B 1 KR 7/05 R). Ob derartige ernsthafte Hinweise vorhanden sind, kann trotz der Stellungnahme des MDK und des Urteils des Bayer. Landessozialgerichts vom 2. März 2005 (L 12 KA 107/03) nicht verneint werden, weil darin lediglich die wissenschaftliche Diskussion bis 2004 zugrunde gelegt worden ist und der Gemeinsame Bundesausschuss in seiner Sitzung am 21. Februar 2006 an die Expertengruppe Off-label den Auftrag erteilt hat, Bewertungen zur Anwendung von intravenösen Immunglobulinen zur Behandlung von HIV/AIDS im Erwachsenenalter (auch als Adiuvans) zu erstellen. Zuvor hatte sich der Ausschuss einen Überblick über die Bedeutung des off-label-use bei der Arzneimittelversorgung von Patienten mit HIV und AIDS durch die Rückkopplung mit Fachgesellschaften und Schwerpunktpraxen verschafft (Pressemitteilung des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 21. Februar 2006). Ob hierbei Assoziationsbeobachtungen, pathophysiologische Überlegungen, deskriptive Darstellungen, Einzelfallberichte und ähnliches übermittelt worden sind, ist bislang nicht abgeklärt. Ein Evidenzgrad der Stufe IV wie eben beschrieben könnte aber in der Situation des Antragstellers ausreichen, einen Versorgungsanspruch zu bejahen (BSG, Urteil vom 4. April 2006, a.a.O.).
Die mangels endgültiger Beurteilung der Erfolgsaussicht vorzunehmende Güterabwägung hat zur Folge, dass der Antragsteller vorläufig mit Immunglobulinen zu versorgen ist. Der Antragsteller hat unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung dargetan, dass er sich ohne die Gabe von Immunglobulinen in einem lebensbedrohlichen Zustand befindet. Die Folge der Vorenthaltung der begehrten Arzneimittel hätte daher im Fall eines positiven Ausgangs des Hauptsacheverfahrens zur Folge, dass die Chance auf eine Lebensverlängerung zu spät käme. Dem gegenüber stehen die Interessen der Versichertengemeinschaft, unwirtschaftliche Arzneimittel nicht erbringen zu müssen. Im Fall der Versorgung mit den Immunglobulinen und dem negativen Ausgang des Hauptsacheverfahrens wären daher die wirtschaftlichen Interessen der Krankenkasse in erheblichem Umfang - die Therapie ist relativ teuer - verletzt. Weil aber das Grundrecht des Antragstellers aus Art.2 Abs.2 Satz 1 Grundgesetz (GG) deutlich schwerer wiegt als die Belange der Versichertengemeinschaft, ist dem Antrag vorläufig zu entsprechen.
Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass der behandelnde Arzt eine entsprechende Verordnung erteilt. Dass dies bislang nicht geschehen ist, hängt wohl damit zusammen, dass sich ein Kassenarzt im Verordnungsfall Regressansprüchen ausgesetzt sieht, wie das vom 12. Senat entschiedene Verfahren beweist, und eine privatärztliche Verordnung angesichts der finanziellen Verhältnisse des Antragstellers von vornherein ausscheidet. Dem behandelnden Arzt obliegt es auch, die notwendige Abwägung zwischen den Erfolgsaussichten der Immunglobuline und den damit verbundenen Nebenwirkungen zu treffen. Diese Abwägung ist allein der Verantwortung des Mediziners übertragen.
Die einstweilige Anordnung ist zeitlich begrenzt.
Die vorläufige Regelung hat nur so lange Bestand, so lange keine endgültige Beurteilung der Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens möglich ist. Hierzu gehört auch eine fundierte Bewertung der aktuellen individuellen Situation, die von der Mitwirkung des Antragstellers abhängig ist. Weil zu erwarten ist, dass der Gesundheitszustand des Klägers innerhalb der nächsten Monate abgeklärt werden kann und der Gemeinsame Bundesausschuss bis Ende Februar 2007 die Fragen des Senats beantwortet hat, ist die Verpflichtung der Beklagten bis dahin begrenzt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Verfahrensausgang.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
II. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragsverfahrens zu erstatten.
Gründe:
I.
Der 1950 geborene und bei der Beklagten versicherte Kläger leidet an einer fortgeschrittenen HIV-Erkrankung im Stadium AIDS (CDC-Klassifikation C3). Hauptbehandler ist deswegen ab Mai 2001 der praktische Arzt G ...
Sein Antrag vom 16.12.2003 auf Kostenübernahme für eine Immunglobulin-Therapie mit dem Medikament "Flebogamma" wurde von der Beklagten nach Anhörung des MDK abgelehnt. Die Klage dagegen hat das Sozialgericht München am 26.10.2005 mit der Begründung abgewiesen, das Medikament verfüge über keine Zulassung für die Therapie bei erwachsenen HIV-Patienten. Auch wenn der Kläger als austherapiert zu gelten habe, sei ein off-label-use nicht gerechtfertigt, da weder die Zulassung beantragt noch ausreichend kontrollierte klinische Prüfungen vorlägen, die zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zuließen. Hierzu hat die Kammer auch auf die Entscheidung des 12. Senats des Bayer. Landessozialgerichts (vom 02.03.2005 - L 12 KA 107/03 K) hingewiesen, die eine Regressmaßnahme wegen fehlender Verordnungsfähigkeit von Immunglobulinen bei HIV-Patienten zum Gegenstand hatte. Die dagegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist am 31.05.2006 zurückgewiesen worden (Beschluss des BSG vom 31.05.2006, Az.: B 6 KA 53/05 B), dagegen ist Verfassungsbeschwerde anhängig (1 BvR 2020/06).
Im Zuge des seit 20.12.2005 anhängigen Berufungsverfahrens gegen das Urteil vom 26.10.2005 ist am 18.10.2006 ein Befundbericht des behandelnden Arztes eingegangen, wonach sich der Zustand des Klägers in den letzten Monaten dramatisch verschlechtert hat, insbesondere die antiretrovirale Kombinationstherapie ein zunehmendes Therapieversagen zeige. Zudem sei der immunologische Zustand katastrophal. Wegen der massiven lebensbedrohlichen Leukopenie sollten baldmöglichst Immunglobuline verabreicht werden.
Der Senat hat beim Gemeinsamen Bundesausschuss angefragt, welche Gesichtspunkte dafür maßgebend waren, der Expertengruppe off-label den Auftrag zu erteilen, die intravenöse Gabe von Immunglobulinen zur Behandlung von HIV/AIDS im Erwachsenenalter (auch als Adiuvans) zu bewerten (s. Beschluss vom 21.02.2006). Diese Anfrage ist bislang nicht beantwortet.
Am 27.10.2006 ist ein Antrag der Klägerbevollmächtigten auf Erlass einer einstweiligen Anordnung eingegangen. Die Kostenübernahme der intravenösen Immunglobulin-Therapie sei mit sofortiger Wirkung zu gewähren, da dem Kläger nicht mehr die Lebenszeit verbleibe, die anstehenden Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses oder des Bundesverfassungsgerichts abzuwarten. Die vom Bundesverfassungsgericht in Eilverfahren für notwendig befundene Folgenabwägung könne nur zu Gunsten des Klägers ausfallen. Zur Glaubhaftmachung des lebensbedrohlichen Zustands hat sie zwei ärztliche Atteste vorgelegt, die unter anderem den dramatischen Abfall der T4-Helferzellen und eine Cytomegalie-Virus-Retinitis beschreiben.
Die Beklagte hat erwidert, nach wie vor läge keine Rechtsgrundlage für eine Kostenübernahme vor. Sie hat auf drei ergebnislose vorangegangene ER-Beschlüsse des 4. Senats des Bayer. Landessozialgerichts verwiesen und die Forderung des Bundessozialgerichts nach einer Zulassung in einem anderen Rechtssystem sowie aussagekräftige Erkenntnisse im Sinn der Evidenzstufe IV nach § 9 Abs.3 der BUB-Richtlinien hingewiesen. So lange kein positives Votum des Gemeinsamen Bundesausschusses vorliege, dürfe die Behandlungsmethode nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung finanziert werden. Die Verordnung von Arzneimitteln liege zudem in der Verantwortung des Vertragsarztes und könne nicht durch eine Krankenkasse genehmigt werden.
Demgegenüber hat der Kläger auf die anderslautenden Empfehlungen des Bundessozialgerichts und seine finanzielle Situation als Empfänger des Pflegegelds der Stufe III neben Leistungen zur Grundsicherung hingewiesen. Zudem hat er Literatur zur streitgegenständlichen Therapie vorgelegt.
Der Internist Dr.J. , der den Kläger seit Juli 2006 mitbehandelt, hat auf Anfrage am 07.11.2006 mitgeteilt, der Kläger nehme an einer Studie mit einer neuen antiretroviralen Substanz teil, die auch bei multiresistentem Virus noch wirksam sein soll. Die Frage nach der medizinischen Indikation für Immunglobuline hat er nicht beantwortet.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist begründet. Der Kläger hat vorläufig Anspruch auf eine intravenöse Versorgung mit Immunglobulinen als Sachleistung, wenn eine entsprechende ärztliche Verordnung erfolgt.
Gemäß § 86b Abs.2 Satz 1 SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert wird. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs.2 Satz 2 SGG). Weil das Begehren des Antragstellers auf die Übernahme der Behandlung mit Immunglobulinen als Sachleistung ausgerichtet ist, kommt ausschließlich eine Regelungsanordnung in Betracht. Hierfür ist grundsätzlich das Bestehen eines Anordnungsanspruchs und das Vorliegen eines Anordnungsgrundes erforderlich. Anordnungsanspruch ist der materielle Anspruch, für den der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz sucht und der mit dem im Hauptsacheverfahren geltend gemachten materiellen Anspruch übereinstimmt. Anordnungsgrund ist die Eilbedürftigkeit der begehrten Regelung. Beide Voraussetzungen, Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft gemacht.
Laut Attest des behandelnden Arztes G. vom 16.10.2006 hat sich der Gesundheitszustand des Klägers in den letzten Monaten dramatisch verschlechtert, insbesondere zeigt die antiretrovirale Kombinationstherapie ein zunehmendes Therapieversagen und der immunologische Zustand ist katastrophal. Auch wenn derselbe Arzt bereits in einem früheren Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes am 18.03.2004 eine massive lebensbedrohliche Leukopenie beschrieben hat, lässt der Vergleich der Laborbefunde von damals und heute eine Verschlechterung erkennen. Zudem bestätigte der Internist Dr.J. am 7. November 2006, dass der Kläger aufgrund des ausgeprägten Immundefekts bereits mehrfach an opportunistischen Infektionen erkrankt ist und das Virus eine massive Resistenz entwickelt hat. An der Eilbedürftigkeit einer Regelung des Einsatzes von Immunglobulinen bestehen daher keine Zweifel.
Ob ein Anordnungsanspruch gegeben ist, hängt im Allgemeinen von einer summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache ab. Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die auch später nicht mehr rückgängig gemacht werden können, ist bei einer Orientierung der Entscheidung an den Erfolgsaussichten die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern besonders intensiv zu prüfen (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des 1. Senats vom 19. März 2004, NZS 2004, 527 f, Beschluss der 1. Kammer des 1. Senats vom 22. November 2002, NZS 2003, 253). Ist dem Gericht aber eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des 1. Senats vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05). Bei der hier anstehenden Prüfung über die Verpflichtung der Krankenkasse zur vorläufigen Übernahme der Kosten für die Versorgung mit einem Arzneimittel stehen das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit im Blickpunkt, die in der Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland hohen Rang haben. Nach Einschätzung des behandelnden Arztes G. befindet sich der Kläger ohne den Einsatz von Immunglobulinen in einem lebensbedrohlichen Zustand. Es sind daher die Erfolgsaussichten der Hauptsache abschließend zu prüfen.
Entgegen der Beurteilung früherer einstweiliger Rechtsschutzverfahren können die Erfolgsaussichten in der Hauptsache nicht von vornherein verneint werden. Zwar verfügen die begehrten Arzneimittel nach wie vor nicht über die nach dem Arzneimittelgesetz erforderliche Zulassung und nach wie vor hat der Gemeinsame Bundesausschuss keine Empfehlung zu Gunsten einer Therapie mit Immunglobulinen bei erwachsenen HIV-Patienten abgegeben. Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch mit seinem Beschluss vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98) eine neue Rechtslage geschaffen. Danach kann der Versicherte, wenn er an einer lebensbedrohlichen oder sogar regelmäßig tödlichen Erkrankung leidet, für die schulmedizinische Behandlungsmethoden nicht vorliegen, nicht von der Leistung einer bestimmten Behandlungmethode ausgeschlossen werden, weil deren therapeutischer Nutzen noch nicht ausreichend gesichert sei. Allerdings müsse die vom Versicherten gewählte andere Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf versprechen. Ob ein solcher Fall hier gegeben ist, kann nicht abschließend entschieden werden.
Vom Kläger wird zwar seit langen Jahren eine antiretrovirale Kombinationstherapie angewandt, die jedoch aufgrund der massiven Resistenzentwicklung des Virus die immunologische Situation nicht dauerhaft verbessern konnte. Wegen des Therapieversagens ist daher zu prüfen, ob die vom behandelnden Arzt beabsichtigte Behandlung mit Immunglobulinen ernsthafte Hinweise auf einen nicht ganz entfernt liegenden Erfolg der Heilung oder auch nur auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf im konkreten Einzelfall gibt. Dazu hat das Bundessozialgericht ausgeführt, je schwerwiegender die Erkrankung und hoffnungsloser die Situation sei, desto geringere Anforderungen seien an die ernsthaften Hinweise auf einen nicht ganz entfernt liegenden Behandlungserfolg zu stellen (BSG, Urteil vom 4. April 2006, Az.: B 1 KR 7/05 R). Ob derartige ernsthafte Hinweise vorhanden sind, kann trotz der Stellungnahme des MDK und des Urteils des Bayer. Landessozialgerichts vom 2. März 2005 (L 12 KA 107/03) nicht verneint werden, weil darin lediglich die wissenschaftliche Diskussion bis 2004 zugrunde gelegt worden ist und der Gemeinsame Bundesausschuss in seiner Sitzung am 21. Februar 2006 an die Expertengruppe Off-label den Auftrag erteilt hat, Bewertungen zur Anwendung von intravenösen Immunglobulinen zur Behandlung von HIV/AIDS im Erwachsenenalter (auch als Adiuvans) zu erstellen. Zuvor hatte sich der Ausschuss einen Überblick über die Bedeutung des off-label-use bei der Arzneimittelversorgung von Patienten mit HIV und AIDS durch die Rückkopplung mit Fachgesellschaften und Schwerpunktpraxen verschafft (Pressemitteilung des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 21. Februar 2006). Ob hierbei Assoziationsbeobachtungen, pathophysiologische Überlegungen, deskriptive Darstellungen, Einzelfallberichte und ähnliches übermittelt worden sind, ist bislang nicht abgeklärt. Ein Evidenzgrad der Stufe IV wie eben beschrieben könnte aber in der Situation des Antragstellers ausreichen, einen Versorgungsanspruch zu bejahen (BSG, Urteil vom 4. April 2006, a.a.O.).
Die mangels endgültiger Beurteilung der Erfolgsaussicht vorzunehmende Güterabwägung hat zur Folge, dass der Antragsteller vorläufig mit Immunglobulinen zu versorgen ist. Der Antragsteller hat unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung dargetan, dass er sich ohne die Gabe von Immunglobulinen in einem lebensbedrohlichen Zustand befindet. Die Folge der Vorenthaltung der begehrten Arzneimittel hätte daher im Fall eines positiven Ausgangs des Hauptsacheverfahrens zur Folge, dass die Chance auf eine Lebensverlängerung zu spät käme. Dem gegenüber stehen die Interessen der Versichertengemeinschaft, unwirtschaftliche Arzneimittel nicht erbringen zu müssen. Im Fall der Versorgung mit den Immunglobulinen und dem negativen Ausgang des Hauptsacheverfahrens wären daher die wirtschaftlichen Interessen der Krankenkasse in erheblichem Umfang - die Therapie ist relativ teuer - verletzt. Weil aber das Grundrecht des Antragstellers aus Art.2 Abs.2 Satz 1 Grundgesetz (GG) deutlich schwerer wiegt als die Belange der Versichertengemeinschaft, ist dem Antrag vorläufig zu entsprechen.
Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass der behandelnde Arzt eine entsprechende Verordnung erteilt. Dass dies bislang nicht geschehen ist, hängt wohl damit zusammen, dass sich ein Kassenarzt im Verordnungsfall Regressansprüchen ausgesetzt sieht, wie das vom 12. Senat entschiedene Verfahren beweist, und eine privatärztliche Verordnung angesichts der finanziellen Verhältnisse des Antragstellers von vornherein ausscheidet. Dem behandelnden Arzt obliegt es auch, die notwendige Abwägung zwischen den Erfolgsaussichten der Immunglobuline und den damit verbundenen Nebenwirkungen zu treffen. Diese Abwägung ist allein der Verantwortung des Mediziners übertragen.
Die einstweilige Anordnung ist zeitlich begrenzt.
Die vorläufige Regelung hat nur so lange Bestand, so lange keine endgültige Beurteilung der Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens möglich ist. Hierzu gehört auch eine fundierte Bewertung der aktuellen individuellen Situation, die von der Mitwirkung des Antragstellers abhängig ist. Weil zu erwarten ist, dass der Gesundheitszustand des Klägers innerhalb der nächsten Monate abgeklärt werden kann und der Gemeinsame Bundesausschuss bis Ende Februar 2007 die Fragen des Senats beantwortet hat, ist die Verpflichtung der Beklagten bis dahin begrenzt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Verfahrensausgang.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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