L 1 Kg 558/70

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
1
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 Kg 558/70
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Erfüllen für ein Kind Vater und Mutter die Anspruchsvoraussetzungen und ist der Mutter allein das Sorgerecht für die Person der Kinder durch das Vormundschaftsgericht übertragen worden, so ist für eine Anordnung den Arbeitsamts nach § 12 Abs. 3 BKGG kein Raum.
Die Berufung des Beigeladenen gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg/L. vom 10. Juni 1970 wird zurückgewiesen und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 1. September 1970 abgewiesen.

Auf die Anschlussberufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Marburg/L. vom 10. Juni 1970 aufgehoben.

Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen Kosten der Rechtsverfolgung in beiden Rechtszügen zu erstatten.

Im übrigen haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin das Kindergeld für die gemeinsamen drei ehelichen Kinder steht (§§ 3 Abs. 3 und 12 Abs. 3 des Bundeskindergeldgesetzes – BKGG –).

Aus der im Jahre 1955 geschlossenen Ehe der Klägerin mit dem Beigeladenen sind der 1956 geborene Sohn R., die 1966 geborene Tochter N. und der 1967 geborene Sohn M. hervorgegangen. Seit September 1967 leben die Klägerin und der Beigeladene getrennt. Durch Beschluss des Amtsgerichts G. vom 3. Dezember 1968 wurde der Klägerin das Personensorgerecht für die Kinder übertragen; diese leben auch bei ihr.

Die Klägerin erhielt von der Beklagten durch Verfügung vom 9. Januar 1969 für ihre drei Kinder ab Januar 1969 Kindergeld in Höhe von 75,– DM monatlich.

Mit Bescheid vom 27. August 1969 ordnete die Beklagte gem. § 12 Abs. 3 BKGG an, dass das der Klägerin für die Kinder N. und M. gewährte Kindergeld in Höhe von monatlich insgesamt 50,– DM ab September 1969 an den Beigeladenen ausgezahlt werde, da er diese Kinder überwiegend unterhalte.

Den von der Klägerin eingelegten Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 14. Oktober 1969 zurück. Zur Begründung führte die Beklagte aus, für den Sohn R. erbringe die Klägerin den überwiegenden Unterhalt; denn einer Unterhaltsleistung des Beigeladenen von monatlich 100,– DM stehe die Betreuungsleistung der Klägerin, die mit monatlich 102,– DM anzusetzen sei, gegenüber. Für den Unterhalt der Kinder N. und M. könne dagegen der Beigeladene überwiegend auf; denn im Vergleich zu einer monatlichen Unterhaltszahlung von 100,– DM für jedes Kind betrage der Wert der Betreuungsleistung der Klägerin für diese Kinder monatlich jeweils 69,– DM.

Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin, die Bescheide der Beklagten aufzuheben und ihr das volle Kindergeld zu gewähren. Der Beigeladene verlangte dagegen, das gesamte Kindergeld an ihm auszuzahlen.

Durch Urteil vom 10. Juni 1970 änderte das Sozialgericht Marburg/L. die genannten Bescheide dahin, dass ab Februar 1970 ein anteiliges Kindergeld, das auf das Kind R. entfalle, in Höhe von monatlich 25,– DM an den Beigeladenen zu zahlen sei und wies im übrigen die Klage sowie den Antrag des Beigeladenen ab.

In den Entscheidungsgründen führte es aus, entgegen der Ansicht der Beklagten unterhalte die Klägerin ihre Kinder N. und M. überwiegend. Da Kinder unter sechs Jahren einer dauernden umfangreichen Betreuung ihrer Mutter bedurften als ältere Kinder, seien die Leistungen der Klägerin für die Kinder mit 122,– DM und ab 1. Juni 1970 mit 133,– DM monatlich anzusetzen, während die Unterhaltszahlung des Beigeladenen monatlich nur 100,– DM betrage.

Ihren Sohn R. habe die Klägerin jedenfalls bis Ende Januar 1970 überwiegend unterhalten, da er zu jener Zeit noch der Gruppe der 7- bis 13-jährigen zuzurechnen gewesen sei, und der Beigeladene seine Unterhaltszahlungen in der zweiten Hälfte des Jahres 1969 nicht immer pünktlich erfüllt habe. Ab Februar 1970 habe der Beigeladene seinen Unterhaltsbeitrag für R. aber auf monatlich 125,– DM erhöht, so dass mit der Abzweigung eines Kindergeldanteils an den Beigeladenen die Beklagte das ihr in § 12 Abs. 3 BKGG eingeräumte Ermessen nicht überschritten habe.

Die Widerklage des Beigeladenen sei unbegründet, da es nach § 12 Abs. 3 BKGG nur darauf ankomme, welche tatsächlichen Unterhaltsleistungen der Beigeladene im Verhältnis zur Klägerin erbracht habe.

Gegen das am 19. Juli 1970 bei der Post aufgegebene Urteil hat der Beigeladene am 29. Juni 1970 schriftlich beim Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt. Er bestreitet, seiner Unterhaltsverpflichtung nicht immer pünktlich nachgekommen zu sein. Der Geldwert der Betreuungsleistungen der Klägerin mit 122,– DM bzw. mit 133,– DM sei ihm nicht verständlich berechnet.

Die Beklagte hat unselbständige Anschlussberufung eingelegt.

Sie hat mit Bescheid vom 1. September 1970 den Bescheid vom 27. August 1969 sowie den Widerspruchsbescheid vom 14. Oktober 1969 mit der Begründung aufgehoben, eine erneute Prüfung der Kindergeldangelegenheit habe ergeben, dass der Klägerin das Kindergeld in voller Höhe zustehe.

Der Beigeladene beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Marburg/L. vom 10. Juni 1970 abzuändern sowie den Bescheid der Beklagten vom 1. September 1970 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilten, dem Beigeladenen ab September 1969 das Kindergeld unter Berücksichtigung vom drei ehelichen Kindern auszuzahlen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklage hat beantragt – im Wege der Entscheidung nach Lage der Akten –, das Urteil des Sozialgerichts Marburg/L. vom 10. Juni 1970 aufzuheben und die Klage abzuweisen sowie die Berufung des Beigeladenen als unbegründet zurückzuweisen.

Zur Begründung trägt sie vor, sowohl in den angefochtenen und von ihr aufgehobenen Bescheiden als auch in dem Urteil des Sozialgerichts Marburg/L. sei lediglich von der Vorschrift des § 12 Abs. 3 BKGG ausgegangen, obwohl § 3 Abs. 4 Satz 2 BKGG habe angewendet werden müssen. Danach sei das Vormundschaftsgericht für die Abänderung seiner Entscheidung zuständig, und es verbiete sich eine Anordnung nach § 12 Abs. 3 BKGG.

Ergänzend wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Leistungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte gemäß § 124 SGG nach Lage der Akten entscheiden, da in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist und die in dem Termin erschienene Beklagte es beantragt hat.

Die an sich statthafte und in rechter Form und Frist eingelegte Berufung des Beigeladenen ist zulässig, in der Sache jedoch unbegründet.

Dem Verlangen des Beigeladenen, das auf die drei Kinder aus der Ehe mit der Klägerin entfallende Kindergeld ab September 1969 an ihn auszuzahlen, konnte nicht stattgegeben werden. In dem Bescheid der Beklagten vom 1. September 1970, der die angefochtenen Bescheide ersetzt und nach § 96 Abs. 1 SG Gegenstand des Verfahrens geworden ist, wird zu Recht ausgeführt, dass der Klägerin das Kindergeld in voller Höhe zusteht. Deshalb war zugleich die Klage gegen den Bescheid vom 1. September 1970 abzuweisen.

Nach § 3 Absatz 3 Satz 2, 2. Halbsatz BKGG wird das Kindergeld der Mutter gewährt, wenn ihr die Sorge für die Person des Kindes allein zusteht. Diese Voraussetzung erfüllt die Klägerin denn durch den rechtskräftigen Beschluss des Amtsgerichts G. vom 3. Dezember 1968 ist der Klägerin das Personensorgerecht für die gemeinsamen ehelichen Kinder allein übertragen worden. Für die Entscheidung kam es daher nicht mehr darauf an zu klären, ob die Klägerin oder der Beigeladene die Kinder überwiegend unterhält. Eine Abweichung von der in § 3 Abs. 3 BKGG enthaltenen Regelung der Rangfolge bei der Kindergeldgewährung könnte lediglich das Vormundschaftsgericht nach § 3 Abs. 4 Satz 2 BKGG auf Antrag des Jugendamtes oder von Personen, die ein berechtigtes Interesse nachweisen, treffen. Eine solche die Rechtslage ändernde Entscheidung des Vormundschaftsgerichts liegt jedoch nicht vor. Daneben ist Anordnung der Beklagten über die Auszahlung des Kindergeldes nach § 12 Abs. 3 BKGG grundsätzlich nicht zulässig.

Nach § 12 Abs. 3 BKGG soll die zuständige Stelle der Arbeitsverwaltung nur dann anordnen, dass das Kindergeld, das auf ein Kind entfällt, an eine andere Person oder Stelle als den Berechtigten ausgezahlt wird, wenn diese das Kind ganz oder überwiegend unterhält; sie soll vor ihrer Entscheidung das zuständige Jugendamte hören.

Eine Anordnung nach § 12 Abs. 3 BKGG setzt aber voraus, dass es sich um die Auszahlung des Kindergeldes an eine andere Person oder Stelle als den Berechtigten handelt. Zu diesen Personen gehören schon nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht Vater und Mutter eines Kindes, wenn sie im ihrer Person die Anspruchsvoraussetzungen erfüllen und damit selbst Berechtigte, wenn auch möglicherweise nachrangig Berechtigte, sind. Der Gesetzgeber hat im übrigen dadurch, dass er in den Fällen des § 3 Abs. 3 BKGG die Entscheidung des Vormundschaftsgerichts über das Sorgerecht der Mutter mit dem alleinigen Anspruch der Mutter bezüglich des Kindergeldes verband, unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass er insoweit eine konkurrierende Zuständigkeit der Behörden der Arbeitsverausschlissen wollte (Begründung des Gesetzes in Bundestagsdrucksache IV 1961; vgl. auch Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 6. Februar 1969, Az.: L 16 a Ar 65/68).

Auf die Anschlussberufung der Beklagten musste daher das Urteil des Sozialgerichts Marburg/L. aufgehoben werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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