L 15 SB 11/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 12 SB 1511/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 SB 11/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9/9a SB 76/06 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 18.11.2004 sowie der Bescheid des Beklagten vom 07.05.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2001 abgeändert und der Bescheid des Beklagten vom 18.07.2003 aufgehoben und der Beklagte wird verpflichtet, ab 24. Juli 2003 einen GdB von 50 beim Kläger festzustellen.
II. Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Der Gerichtsbescheid vom 18.11.2004 wird in Ziffer III aufgehoben.
III. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der 1971 geborene Kläger begehrt die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) als 70 gemäß §§ 2 und 69 des Sozialgesetzbuches - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX).

Das Versorgungsamt Düsselsdorf hat mit Bescheid vom 29.05.1990 den GdB von zuvor 30 auf nunmehr 60 angehoben. Berücksichtigt worden sind eine Dysbakterie des Darmes mit Untergewicht (Einzel-GdB 30), eine Fehlhaltung und Verschleißleiden der Wirbelsäule, Brustkorbdeformität, Beinverkürzung rechts um 1 cm (Einzel-GdB 30), eine hypotone Kreislaufregulationsstörung (Einzel-GdB 10), eine chronische Nebenhöhlenentzündung (Einzel-GdB 10) sowie eine chronische Bronchitis (Einzel-GdB 20).

Der Kläger hat mit Neufeststellungsantrag vom 09.02.1993 u.a. das Vorliegen einer Amalgamvergiftung vorgetragen, ebenso eine Cd.-Intoxikation und eine systemische Formaldehyd- bzw. Methanolvergiftung. Außerdem ist auf eine Belastung mit PCP hingewiesen worden. Dr.med.habil. M. D. hat ein entsprechendes Kurzgutachten vom 18.04.1992 gefertigt. - Der Beklagte hat in Berücksichtigung der ärztlichen Unterlagen von Dr.med.R. D. den Neufeststellungsantrag vom 09.02.2003 mit Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung München II vom 26.04.1993 abgelehnt.

Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens ist ein Befundbericht von Dr.med.H. L. (Nervenarzt) eingeholt worden. Dieser hat eine schwere neurotische Störung bei depressiv-narzistischer Symptomatik beschrieben. Dementsprechend ist dem Widerspruch vom 24.05.1993 mit Teilabhilfe-Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung München II vom 03.09.1993 wie folgt teilweise abgeholfen worden: Als Behinderungen sind festgestellt worden 1. Dysbakterie des Darmes mit Untergewicht (Einzel-GdB 30), 2. hypotone Kreislaufregulationsstörungen (Einzel-GdB 10), 3. chronische Nasennebenhöhlenentzündung (Einzel-GdB 10), 4. Fehlhaltung und Verschleiß der Wirbelsäule, Brustkorbdeformität, Beinverkürzung rechts um 1 cm (Einzel-GdB 30), 5. chronische Bronchitis (Einzel-GdB 20), 6. neurotische Störung, depressive Verstimmung (Einzel-GdB 30).

Für die Zeit ab 12.02.1993 ist der GdB mit 70 festgestellt worden. Im Übrigen ist der Widerspruch vom 24.05.1993 gegen den Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung München II vom 26.04.1993 mit Widerspruchsbescheid des Bayerischen Landesamtes für Versorgung und Familienförderung vom 27.09.1993 zurückgewiesen worden. Die Feststellung eines GdB von 100 sei nicht möglich.

Mit weiterem Neufeststellungsantrag vom 25.10.1993 hat der Kläger auf häufigere Atemnotsanfälle hingewiesen, ebenso auf Kopfschmerzen und eine Lebensmittelunverträglichkeit. - Dieser Antrag ist mit Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung München II vom 19.01.1994 ablehnend verbeschieden worden. - Der Widerspruch vom 16.02.1994 gegen den Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung München II vom 19.01.1994 ist mit Widerspruchsbescheid des Bayerischen Landesamtes für Versorgung und Familienförderung vom 14.04.1994 zurückgewiesen worden. Der GdB sei wie bisher mit 70 richtig bewertet. Vor allem: Die geltend gemachten Schmerzen seien bereits angemessen berücksichtigt worden.

In dem sich anschließenden Rechtsstreit vor dem Sozialgericht München (Az.: S 20 Vs 662/94) hat Prof.Dr.med. R. S. mit nervenärztlichem Gutachten vom 24.11.1994 ausgeführt, dass es sich im Prinzip um eine neurotische Fehlentwicklung handele, die eine langfristige psychotherapeutische Behandlung wünschenswert mache, unter Umständen zunächst in einer psychosomatischen Klinik. Jedoch sei in den für den Bescheid vom 03.09.1993 maßgebenden Verhältnissen keine wesentliche Änderung im Sinne einer Verschlimmerung eingetreten, auch wenn die sehr ausgeprägte neurotische Fehlentwicklung mit einem Einzel-GdB von 40 einzuschätzen sei. - Entsprechend den Hinweisen des Sozialgerichts München in der mündlichen Verhandlung vom 18.04.1995 ist die Klage gegen den Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung München II vom 19.01.1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Bayerischen Landesamtes für Versorgung und Familienförderung vom 14.04.1994 zurückgenommen worden.

Der Kläger hat mit erneutem Neufeststellungsantrag vom 31.01.2000 auf ständige Schmerzen am Bewegungsapparat wegen einer Wirbelsäulen-Spinalkanalverengung hingewiesen. Nach Auswertung der Unterlagen der Radiologischen Gemeinschaftspraxis A. und des Befundberichtes von H. S. vom 21.02.2000 hat es der Beklagte mit Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung München II vom 27.03.2000 abgelehnt, eine neue Feststellung zu treffen bzw. den GdB von 70 anzuheben.

Mit weiterem Neufeststellungsantrag vom 21.11.2000 hat der Kläger das Vorliegen einer chronischen Lyme-Borreliose geltend gemacht. Priv.-Doz. Dr.med.habil. D. H. hat mit Arztbrief vom 06.11.2000 bestätigt, dass die vom Kläger mitgebrachten serologischen Befunde im Februar 2000 ein hoch positives Borrelien-IgG gezeigt haben. Der Westernblot ist damals pauschal positiv beurteilt worden. Im August 2000 ist wiederum der Nachweis eines deutlich positiven IgG-Suchtests erfolgt, jedoch ohne Westernblot. Eine endgültige Beurteilung über den Therapieerfolg (Rocephin-Therapie) sei jedoch noch nicht möglich. Der Versorgungsärztliche Dienst hat mit Stellungnahme vom 29.04.2001 ausgeführt, dass die Lyme-Borreliose noch nicht beurteilt werden könne, da der Zeitraum von sechs Monaten noch nicht abgelaufen sei. Dementsprechend ist der Neufeststellungsantrag vom 21.11.2000 mit dem streitgegenständlichen Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung München II vom 07.05.2001 abgelehnt worden, ohne dass die vorstehend bezeichneten Gründe zum Ausdruck gebracht worden sind.

Folgerichtig hat der Kläger mit Widerspruch vom 14.05.2001 gerügt, dass die bei ihm festgestellte Lyme-Borreliose nicht erfasst worden sei. Außerdem habe sich der Zustand der Wirbelsäule wesentlich verschlechtert. Wegen beider Erkrankungen sei er seit dem 17.03.2000 arbeitsunfähig erkrankt.

Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens sind vor allem die Unterlagen der Landesversicherungsanstalt Oberbayern beigezogen und ausgewertet worden. Dies gilt insbesondere für das nervenärztliche Gutachten von Dr.med.T. R. vom 08.03.2001. Dieser hat in Berücksichtigung des zuletzt ausgeübten Berufes (Baumaschinenführer von 1995 bis 1999) eine stationäre neurologische Rehabilitation empfohlen. Hinweise für eine manifeste Neuroborreliose haben sich jedoch bei der Untersuchung am 23.02.2001 nicht gefunden. - Dementsprechend ist der Widerspruch vom 14.05.2001 gegen den streitgegenständlichen Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung München II vom 07.05.2001 mit Widerspruchsbescheid des Bayerischen Landesamtes für Versorgung und Familienförderung vom 20.11.2001 zurückgewiesen worden. Der GdB betrage wie bisher 70. Die Feststellung eines GdB von 80 sei nicht möglich. Die geltend gemachte Borreliose könne bei der Bildung des GdB nicht berücksichtigt werden, da die Auswirkung dieser Gesundheitsstörung keinen GdB von wenigstens 10 bedinge.

Die hiergegen gerichtete Klageschrift vom 05.12.2001 ist am 10.12.2001 im Sozialgericht München eingegangen. Dieses hat u.a. das sozialmedizinische Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in Bayern (MDK) vom 07.06.2000 beigezogen: Ein durch Borreliose bedingtes neurologisches Defizit liege nicht vor. In Verbindung mit dem Vorbefund könne der Antikörpertiter auch nach einer Therapie noch längere Zeit erhöht sein. Der vom Hausarzt bescheinigte Reha-Bedarf begründe sich auf das chronische Lumbalsyndrom bei nachgewiesenen pathologischen Veränderungen. Die bisherige konservative Therapie sei leider nicht ausreichend erfolgreich gewesen, so dass eine Intensivierung in Form eines Heilverfahrens in einer orthopädischen Kuranstalt empfohlen werde. Es sei zu hoffen, dass danach wieder Arbeitsfähigkeit gegeben sei. - Das Rehabilitationszentrum im Klinikum Bad G. hat mit Bericht vom 17.08.2001 darauf aufmerksam gemacht, dass der Kläger noch am Tag der Aufnahme (07.08.2001) die Klinik ohne Angabe von Gründen wieder verlassen hat. - Priv.-Doz. Dr.med.habil. D. H. hat die ihm zur Verfügung stehenden Informationen dem Sozialgericht München übermittelt.

Im Folgenden ist Dr.med.A. H. gemäß § 106 Abs.3 Nr.5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zum ärztlichen Sachverständigen bestellt worden. Dieser hat mit internistisch-sozialmedizinischem und psychotherapeutischem Gutachten vom 15.01.2003 zusammenfassend ausgeführt, dass sich der bisherige Gesamt-GdB von 70 nach dem Ergebnis der jetzigen Untersuchung in keiner Weise bestätigen lasse und auch der anamnestisch angegebenen Tätigkeit eines Skilehrers bzw. eines Wald- und Forstarbeiters widerspräche. Gegenüber den für den Bescheid vom 03.09.1993 maßgebenden Verhältnissen sei eine wesentliche Änderung im Sinne einer Besserung eingetreten. Ab November 2000 sei der Gesamt-GdB mit 40 einzuschätzen.

Die ehemaligen Bevollmächtigten des Klägers haben mit Schriftsatz vom 12.02.2003 das fachinternistische Gutachten von W. M. vom 10.12.2002 zur Verfügung gestellt, das in dem Verfahren S 24 U 592/01 eingeholt worden ist. - In Würdigung der vorstehend bezeichneten Gutachten ist der Versorgungsärztliche Dienst mit Stellungnahme vom 17.03.2003 zu dem Ergebnis gekommen, dass von W. M. der Nachweis von Borrelien-IgG-Antikörpern bestätigt worden ist. Jedoch sind keine typischen Krankheitssymptome herausgearbeitet und beschrieben worden, sondern lediglich eine allgemeine Müdigkeit, häufig auftretende Kopfschmerzen, dumpfe Muskelschmerzen und Schmerzzustände im Bereich der Achseln, Beschwerden, die bereits dem nervenärztlichen Behinderungspunkt zugeordnet worden seien. Im Übrigen habe er eine Besserung seitens des Bronchialasthmas bestätigt, unauffällige Funktionsparameter der Wirbelsäule und einen unauffälligen neurologischen Befund. Zusammenfassend ergäbe sich aufgrund einer nachgewiesenen Besserung folgender Bescheidtextvorschlag: 1. Neurotische Störung, depressive Verstimmung (Einzel-GdB 40), 2. funktionelle Darmbeschwerden bei Reizdarm (Einzel-GdB 20), 3. Bronchialasthma (Einzel-GdB 10), 4. hypotone Kreislaufregulationsstörungen (Einzel-GdB 10), 5. chronische Nasennebenhöhlenentzündung (Einzel-GdB 10), 6. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen, Wirbelsäulenverformung (Einzel-GdB 10). Der Gesamt-GdB betrage 40. Merkzeichen seien nicht zustehend, eine Nachprüfung nicht erforderlich.

In der mündlichen Verhandlung vom 12.11.2003 hat die ehemalige Bevollmächtigte des Klägers ein Gutachten von Dr.med.W. S. vom 26.05.2003 (gefertigt im Auftrag der Landesversicherungsanstalt Oberbayern) übergeben, ebenso eine Stellungnahme von H. S. vom 17.05.2003. Zwischenzeitlich hat sich der Kläger mit Eingabe vom 13.11.2003 an das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung gewandt.

Nach Anhörung vom 09.04.2003 hat der Beklagte mit dem gemäß § 96 SGG ebenfalls streitgegenständlichen Änderungs-Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung München II vom 18.07.2003 den GdB auf 40 herabgesetzt und die mit der vorstehend bezeichneten versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 17.03.2003 genannten Gesundheitsstörungen berücksichtigt. Die gesundheitlichen Voraussetzungen, die dem Bescheid vom 03.09.1993 zugrunde gelegen hätten, hätten sich durch die Besserung der Gesundheitsstörungen Dysbakterie des Darmes mit Untergewicht, Fehlhaltung und Verschleiß der Wirbelsäule, Brustkorbdeformität, Beinverkürzung rechts um 1 cm und chronische Bronchitis wesentlich geändert.

Dies ist von Seiten des Sozialgerichts München mit Gerichtsbescheid vom 18.11.2004 - S 12 SB 1511/01 - vollinhaltlich bestätigt worden. Gleichzeitig sind dem Kläger die durch die Vertagung der mündlichen Verhandlung vom 12.11.2003 verursachten Kosten gemäß § 192 Abs.1 Nr.1 SGG auferlegt worden.

Die hiergegen gerichtete Berufung vom 05.01.2005 ging am selben Tag im Sozialgericht München ein und wurde von dort aus an das Bayer. Landessozialgericht weitergeleitet. Die bisherigen Bevollmächtigten des Klägers zeigten mit Nachricht vom 03.02.2005 an, dass sie diesen nicht mehr vertreten würden.

Die neuen Bevollmächtigten des Klägers hoben mit Berufungsbegründung vom 30.05.2005 hervor, dass der GdB insgesamt 80 betrage. Die Funktionsbehinderungen und -störungen chronische Nasennebenhöhlenentzündung, hypotone Kreislaufregulationsstörungen, Bronchialasthma, Dysbakterie des Darmes, Lyme-Borreliose-Erkrankung und das Wirbelsäulenleiden seien erheblich unterbewertet worden. Hinsichtlich der floriden Borreliose wurden mit Nachricht vom 03.06.2005 die Blutwerte der Jahre 2000 bis 2005 samt ergänzender Unterlagen vorgelegt. Im Folgenden teilten die neuen Bevollmächtigten des Klägers mit Schriftsatz vom 16.06.2005 mit, dass das Mandat niedergelegt werde.

Das Bayer. Landessozialgericht übermittelte dem Beklagten mit Schreiben vom 29.06.2005 Kopien der Gutachten Dres.med.B. und Meißner aus der Akte der LVA Oberbayern mit der Bitte um Auswertung. - Zwischenzeitlich bestellte sich der VdK mit Schriftsatz vom 21.09.2005 als neuer Bevollmächtigter und wies u.a. ergänzend auf das Gutachten von Prof.Dr.med.G. F. vom 01.07.2004 hin, das in der Unfallstreitsache des Klägers eingeholt worden war. - Die Eltern des Klägers rügten mit Schriftsatz vom 28.12.2004 (gerichtet an den Präsidenten des Sozialgerichts München), dass der Gerichtsgutachter Dr.med. A. H. den erstinstanzlichen Richter getäuscht habe.

Entsprechend dem Schreiben des Beklagten vom 17.08.2005 an das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen konnte das Eingabeverfahren einer Erledigung zugeführt werden. Der Kläger betonte mit Nachricht vom 19.09.2005 ergänzend, dass ohne das Verschweigen von Laborwerten (im Hinblick auf die bestehende Borreliose-Erkrankung) er in seinem Leben weniger Ärger gehabt hätte. Die Kriminalpolizei M. teilte mit Schreiben vom 24.10.2005 mit, dass der Kläger gegen Dr.med.A. H. Anzeige wegen Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse gemäß § 278 des Strafgesetzbuches (StGB) erstattet habe.

Der VdK leitete mit Kurznachricht vom 02.12.2005 das umfassende Schreiben des Klägers vom 29.11.2005 an das Bayer. Landessozialgericht weiter. Nach wechselseitigen Schriftsätzen und Niederlegung des Mandats mit Nachricht des VdK vom 06.04.2004 bzw. einer Dienstaufsichtsbeschwerde von Seiten des Klägers unterbreitete der Beklagte mit Schreiben vom 08.06.2006 folgendes Vergleichsangebot:

Der Beklagte erklärt sich bereit, ab 24.07.2003 (= Bekanntgabe des Herabsetzungsbescheides vom 18.07.2003) einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 festzustellen. Der GdB berücksichtigt die Auswirkung folgender Gesundheitsstörungen: 1. Neurotische Störung, depressive Verstimmung (Einzel-GdB 40), 2. funktionelle Darmbeschwerden bei Reizdarm, durchgemachte Infektion mit Borrelienerregern (Einzel-GdB 20), 3. Bronchialasthma (Einzel-GdB 10), 4. hypotone Kreislaufregulationsstörungen (Einzel-GdB 10), 5. chronische Nasennebenhöhlenentzündung (Einzel-GdB 10), 6. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen, Wirbelsäulenverformung (Einzel-GdB 10).

Dieses Vergleichsangebot des Beklagten ist von Seiten des Klägers nicht angenommen worden (vgl. Schriftsatz vom 26.07.2006).

Die nunmehr Bevollmächtige des Klägers hat nach Akteneinsicht mit umfassendem Schriftsatz vom 22.09.2006 nochmals die Problematik der Borrelien-Infektion vertieft und gerügt, dass von Dr.med.A. H. dieser Gesichtspunkt außer Acht gelassen worden sei.

In der mündlichen Verhandlung vom 10.10.2006 beantragt die Bevollmächtigte des Klägers, den Bescheid des Beklagten vom 07.05.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2001 samt dem Änderungsbescheid vom 18.07.2003 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 18.11.2004 aufzuheben sowie den GdB des Klägers mit Wirkung ab 22.11.2000 mit 80 zu bewerten.

Der Bevollmächtigte des Beklagten beantragt, die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 18.11.2004 zurückzuweisen, soweit diese über das Vergleichsangebot vom 08.06.2006 hinausgeht.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der beigezogenen Unterlagen sowie der erst- und zweitinstanzlichen Akten Bezug genommen (§ 202 SGG i.V.m. § 540 der Zivilprozessordnung - ZPO - sowie § 136 Abs.2 SGG).

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 und 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig, jedoch nur teilweise begründet. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 18.11.2004 sowie der Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung München II vom 07.05.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2001 und der Änderungs-Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung München II vom 18.07.2003 sind insoweit abzuändern und der Beklagte zu verpflichten gewesen, den Grad der Behinderung (GdB) mit Wirkung ab 24.07.2003 mit 50 festzustellen.

Menschen sind gemäß § 2 Abs.1 SGB IX behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist.

Menschen sind gemäß § 2 Abs.2 SGB IX im Sinne des Teils II schwerbehindert, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 73 SGB IX rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.

Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die für die Durchführung des Versorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Das KOV-VfG ist entsprechend anzuwenden, soweit nicht das SGB X Anwendung findet. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10-er Graden abgestuft festgestellt. Die im Rahmen des § 30 Abs.1 BVG festgelegten Maßstäbe gelten entsprechend. Eine Feststellung ist nur zutreffend, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt (§ 69 Abs.1 SGB IX).

Die eingangs zitierten Rechtsnormen werden durch die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz 1996 bzw. 2004 und 2005" ausgefüllt. Wenngleich diese Verwaltungsvorschriften, herausgegeben vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, für das Gericht nicht zwingend bindend sind, werden sie dennoch regelmäßig zur Gesetzesauslegung und als wertvolle Entscheidungshilfe herangezogen. Das Gebot der Gleichbehandlung, wie es in Art.3 Abs.1 des Grundgesetzes (GG) normiert ist, erfordert es auch in diesem Fall, keinen anderen Bewertungsmaßstab als den üblichen anzulegen (vgl. Urteil des 9a Senats des BSG vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 in "Die Sozialgerichtsbarkeit" 1991, S.227 ff. zu "Anhaltspunkte 1983").

Mit Urteilen vom 23.06.1993 - 9a/9 RVs 1/91 und 9a/9 RVs 5/92 (ersteres publiziert in BSGE 72, 285 = MDR 1994 S.78, 79) hat das BSG wiederholt dargelegt, dass den "Anhaltspunkten 1983" keine Normqualität zukommt; es handelt sich nur um antizipierte Sachverständigengutachten, sie wirken sich in der Praxis der Versorgungsverwaltung jedoch normähnlich aus. Ihre Überprüfung durch die Gerichte muss dieser Zwitterstellung Rechnung tragen. Die "Anhaltspunkte 1983" haben sich normähnlich entwickelt nach Art der untergesetzlichen Normen, die von sachverständigen Gremien kraft Sachnähe und Kompetenz gesetzt werden. Allerdings fehlt es insoweit an der erforderlichen Ermächtigungsnorm sowie an klaren gesetzlichen Vorgaben und der parlamentarischen Verantwortung hinsichtlich der Besetzung des Gremiums sowie der für Normen maßgeblichen Veröffentlichung. Hinsichtlich der richterlichen Kontrolle der "Anhaltspunkte 1983" ergeben sich Besonderheiten, ungeachtet der Rechtsqualität der "Anhaltspunkte 1983". Sie sind vornehmlich an den gesetzlichen Vorgaben zu messen. Sie können nicht durch Einzelfallgutachten hinsichtlich ihrer generellen Richtigkeit widerlegt werden; die Gerichte sind insoweit prizipiell auf eine Evidenzkontrolle beschränkt. Eine solche eingeschränkte Kontrolldichte wird in der Verwaltungsgerichtsbarkeit mit den Sachgesetzlichkeiten des jeweiligen Regelungsbereiches und der Ausgestaltung durch den Gesetzgeber begründet (vgl. Papier, DÜV 1986, S.621 ff. und in Festschrift für Ule, 1987, S.235 ff.). Eine solche Beschränkung in der gerichtlichen Kontrolle ist auch für die "Anhaltspunkte 1983" geboten, weil sonst der Zweck der gleichmäßigen Behandlung aller Behinderten in Frage gestellt würde.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit Beschluss vom 06.03.1995 - BvR 60/95 (vgl. NJW 1995, S.3049, 3050) - die Beachtlichkeit der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz 1983" im verwaltungs- und sozialgerichtlichen Verfahren als "antizipierte Sachverständigengutachten" bestätigt. Der in Art.3 des Grundgesetzes (GG) normierte allgemeine Gleichheitssatz gewährleistet innerhalb des § 3 SchwbG nur dann eine entsprechende Rechsanwendung, wenn bei der Beurteilung der verschiedenen Behinderungen regelmäßig gleiche Maßstäbe zur Anwendung kommen. - Entsprechendes gilt auch für die neu gefassten "Anhaltspunkte 1996", die die zwischenzeitlich gewonnenen Erkenntnisse und Fortschritte in der medizinischen Wissenschaft über die Auswirkungen von Gesundheitsstörungen, die Rechtsprechung des BSG, zwischenzeitliche Änderungen der Rechtsgrundlagen sowie Erfahrungen bei der Anwendung der bisherigen "Anhaltspunkte 1983" eingearbeitet haben (BSG mit Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/03 R in SGb 2004, S.378) bzw. nunmehr die "Anhaltspunkte 2004 und 2005".

Ergänzend ist auf § 48 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren (SGB X) hinzuweisen: Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Als eine Änderung der rechtlichen Verhältnisse gilt auch eine Änderung der "Anhaltspunkte".

Hier treffen eine Reihe von Sachverhaltsänderungen mit einer Änderung der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit" zusammen. Mit Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung München II vom 26.04.1993 in Gestalt des Teilabhilfe-Bescheides des Amtes für Versorgung und Familienförderung München II vom 03.09.1993 sowie des Widerspruchsbescheides des Bayerischen Landesamtes für Versorgung und Familienförderung vom 27.09.1993 ist der Grad der Behinderung (GdB) für die Zeit ab 12.02.1993 von zuvor 60 auf nunmehr 70 angehoben worden. Die diesbezüglich maßgebliche versorgungsärztliche Stellungnahme datiert vom 26.07.1993 und weist als Hauptleiden eine "Dysbakterie des Darmes mit Untergewicht" mit einem Einzel-GdB von 30 aus. Der zugrundeliegende Entlassungsbericht der AVG-Allergieklinik Inzell vom 28.09.1992 beschreibt den Kläger damals als 20-jährigen Patienten in reduziertem Ernährungszustand und mäßigem Allgemeinzustand. Das Körpergewicht hat damals 58 kg bei einer Größe von 183 cm betragen. Demgegenüber hat der Kläger wieder an Gewicht zugenommen. Das Klinikum Bad G. hat mit Arztbrief vom 17.08.2001 60 kg angegeben. W. M. hat mit fachinternistischem Gutachten vom 10.12.2002 ein Körpergewicht von 58,5 kg bei ausreichendem Ernährungszustand und normalem Allgemeinzustand dargelegt. Dr.med.A. H. hat mit internistisch-sozialmedizinischem und psychotherapeutischem Gutachten vom 15.01.2003 auf Seite 22 ein seit zwei bis drei Jahren konstantes Gewicht von 60 kg erhoben (davor habe das Gewicht bei 56 bis 58 kg gelegen). In Berücksichtigung der asthenischen Konstitution des Klägers entspricht der Quetelets-Index von 18,1 keinem krankhaften oder behindernden Ausmaß. Es finden sich auch keine Minderung der groben Muskelkraft und keine Allgemeinsymptome als Ausdruck einer Mangelernährung, keine trophischen Störungen und keine pathologischen Hauterscheinungen. Auch die einschlägigen Laborparameter ergeben keinen Hinweis auf eine Mangelernährung. In Berücksichtigung von Rdz.26.10 der "Anhaltspunkte 1996 bzw. 2004 und 2005" ist somit der diesbezügliche Einzel-GdB von 30 auf 20 herabzusetzen gewesen.

Soweit die Funktionsstörung "Fehlhaltung und Verschleiß der Wirbelsäule, Brustkorbdeformität, Beinverkürzung rechts um 1 cm" zum damaligen Zeitpunkt mit einem Einzel-GdB von 30 berücksichtigt worden ist, geht der Beklagte entsprechend seinem Vergleichsangebot vom 08.06.2006 nunmehr von einem diesbezüglichen Einzel-GdB von 10 aus. Insoweit ist jedoch keine Sachverhaltsänderung im Sinne einer Besserung beschrieben. Vielmehr haben sich die "Anhaltspunkte 1983 und 1996" insoweit in Rdz.26.18 geändert, als ursprünglich bei mittelschweren Funktionsstörungen der Wirbelsäule ein Einzel-GdB von 20 bis 30 vorgesehen gewesen ist, nunmehr jedoch klar definierte Werte von 20 oder 30 vorgegeben sind. Bei Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt beträgt der Einzel-GdB nunmehr 20 (vgl. auch Rdz.26.18 der "Anhaltspunkte 2004 und 2005"). Insoweit ist nunmehr von einem diesbezüglich Einzel-GdB von 20 auszugehen.

Unverändert geblieben sind die Funktionsbeeinträchtigungen "hypotone Kreislaufregulationsstörungen" und "chronische Nasennebenhöhlenentzündung" mit Einzel-GdB-Werten von jeweils 10 (vgl. Rdz.26.9 und 26.6 der "Anhaltspunkte 1983 bis 2005").

Die chronische Bronchitis, nunmehr Bronchialasthma, hat sich etwas gebessert (Herabsetzung des diesbezüglichen Einzel-GdB s von 20 auf 10). Insoweit hat Dr.med.R. D. mit Befundbericht vom 22.02.1993 dargelegt, dass sich ingesamt das Bild eines biophenilen Emphysems ohne frischinfiltrative oder neoplastische Veränderungen ergeben hat. Demgegenüber hat der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit sozialmedizinischem Gutachten vom 07.06.2000 sowie auch der erstinstanzlich bestellte ärztliche Sachverständige Dr.med.A. H. mit internistisch-sozialmedizinischem und psychotherapeutischem Gutachten vom 15.01.2003 keine nennenswerte Funktionsstörung mehr feststellen können und insoweit nur noch einen Einzel-GdB von 10 in zutreffender Beachtung von Rdz.26.8 der "Anhaltspunkte 1996" befürwortet. Dies korrespondiert mit den anamnestischen Angaben des Klägers, der bis in den Winter 2000 Alpinski und bis zu 10 km Skilanglauf betrieben hat.

Verschlechtert hat sich dagegen die Funktionsstörung "neurotische Störung, depressive Verstimmung". Der diesbezügliche Einzel-GdB von vormals 30 ist nunmehr mit 40 zu bewerten. Auf das insich schlüssige Gutachten von Dr.med.A. H. vom 12.01.2003 wird Bezug genommen, ebenso auf das Gutachten von Dr.med.J. K. vom 23.04.2002 (gefertigt für die LVA Oberbayern). Weiterhin hat bereits Prof.Dr.med.R. S. mit Gerichtsgutachten vom 24.11.1994 in dem vorangegangenen Schwerbehindertenstreitverfahren eine ausgeprägte neurotische Fehlentwicklung festgestellt. Dies korrespontiert mit den "Anhaltspunkten 1983, 1996, 2004 und 2005" in Rdz.26.3 und dem dort vorgegebenen Bewertungsrahmen von nunmehr 30 bis 40 für stärker behinderte Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen).

Auch Prof.Dr.med.G. F. hat mit internistisch-arbeitsmedizinischem Fachgutachten vom 01.07.2004 auf Seiten 45 und 46 die diesbezüglichen Ausführungen von Dr.med.A. H. bestätigt, wenn die ausgeprägte neurotische Fehlhaltung des Klägers mit einem Einzel-GdB von 40 bewertet worden ist. Die Neurose steht ganz im Vordergrund als Ursache der Befindlichkeitsstörungen.

Weiterhin hat Prof.Dr.med.G. F. zusammenfassend ausgeführt, dass bei dem Kläger mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine Infektion mit Erregern der Lyme-Borreliose vorliegt. Hierbei handelt es sich um einen regelwidrigen Körperzustand (Erkrankung im abstrakten Sinn). Dadurch besteht eine, wenn auch sehr geringe Gefährdung, an einer Spät-Borreliose noch zu erkranken. Eine Lyme-Borreliose-Erkrankung (im klinischen Sinne) mit Krankheitserscheinungen, die sich beim Patienten bemerkbar machen, ist dagegen nicht mit Vollbeweis gesichert. Auch Dr.med. A. H. hat sich in seinem vorangegangenen Gutachten vom 15.01.2003 vor allem auf den Seiten 34 und 59 mit der Problematik der Borreliose-Erkrankung des Klägers auseinandergesetzt.

Insoweit haben der Kläger bzw. seine Bevollmächtigten aktuellere Unterlagen von Dres.med.J.L. und Kollegen, Prof.Dr.med. H.P.S. und Kollegen sowie dem Institut für Mikroökologie vorgelegt, aus denen sich folgendes ergibt: Der Befund spricht für eine Borrelien-Infektion, wobei eine sichere Differenzierung zwischen einer spontan oder nach antibiotischer Therapie ausgeheilten und einer noch aktiven Infektion serologisch nicht möglich ist. Der vergleichsweise hohe Titer kann allerdings als Hinweis auf Aktivität angesehen werden. Bei entsprechendem klinischen Verdacht spezielle Therapie, ansonsten Verlaufskontrolle empfohlen. Das Reaktionsmuster im Borrelien IgG Westernblot mit den hochspezifischen Banden bei 31/34 kD und 94 kD sprechen für eine spätere Infektionsphase (Stadium II: Meningitis, Meningoradiculitis, Carditis; Stadium III: Lyme-Arthritis, Acrodermatitis chronica athrophicans, chronische Encephalomyelitis). Diese Konstellation kann aber auch nach einer erfolgreichen Therapie über mehrere Jahre bestehen.

Anders als im Unfallrecht (einschließlich dem Recht der Berufskrankheiten) ist gemäß § 2 Abs.1 SGB IX auf einen Zeitraum von "länger als sechs Monaten" abzustellen, um das Ausmaß einer bestehenden Funktionsstörung oder -beeinträchtigung GdB-mäßig zu bewerten. Nach §§ 2 und 69 Abs.1 SGB IX ist auch die Ursache einer bestehenden Funktionsstörung oder -beeinträchtigung nicht relevant. Wenn der Beklagte mit Vergleichsangebot vom 08.06.2006 auch eine "durchgemachte Infektion mit Borrelien-Erregern" als Funktionsstörung im Sinne von §§ 2 und 69 Abs.1 SGB IX festzustellen bereit ist, ist hier ausschließlich das Ausmaß der hieraus auf Dauer resultierenden Funktionsstörungen und -beeinträchtigungen entscheidungserheblich.

Die Bevollmächtigte des Klägers weist mit Schriftsatz vom 22.09.2006 abschließend zusammenfassend nochmals zutreffend darauf hin, dass der Kläger insbesondere an Konzentrationsschwierigkeiten über einen längeren Zeitraum leidet. Dies beeinflusst vor allem dessen Leistungsfähigkeit. Dieses Beschwerdebild, das nach den Ausführungen der Bevollmächtigten des Klägers mit Schriftsatz vom 22.09.2006 auch mit verschiedenen depressiven und manischen Phasen einhergeht, tangiert sowohl den internistischen als auch den nervenärztlichen Fachbereich. Dr.med.K. H. hat mit versorgungsärztlich-internistischer Stellungnahme nach Aktenlage vom 05.04.2006 zutreffend darauf hingewiesen, dass eine Borreliose selbst keine Behinderung ist, es handelt es sich hier um eine durch Bakterien der Gattung Borrelia verursachte Infektion des Menschen, die fast immer durch einen Zeckenstich übertragen wird. Die Symptomatik der Lyme-Borreliose ist außerordentlich vielgestaltig, man unterscheidet drei Stadien der Erkrankung. Nach dem SGB IX zählt nicht die Diagnose eines Leidens als Behinderung, sondern die dadurch entstandene Funktionseinschränkung. Die Hauptbehinderung besteht hier auf nervenärztlichem Gebiet und ist bereits mit einem Einzel-GdB von 40 bewertet. Hierin eingeschlossen sind die von der Bevollmächtigten des Klägers mit Schriftsatz vom 22.09.2006 hervorgehobenen Konzentrationsstörungen und weiteren Symptome.

Dies stimmt im Ergebnis mit den Gutachten von Dr.med.J. K. vom 23.04.2002, Dr.med.A. H. vom 12.01.2003 und Prof.Dr.med.G. F. vom 01.07.2004 überein. Nicht entscheidungserheblich ist insoweit, dass vor allem Dr.med.A. H. mit Gutachten vom 12.01.2003 sich nur auf Seiten 34 und 59 mit der besonderen Problematik der Lyme-Borreliose bei dem Kläger auseinander gesetzt hat. Denn nach §§ 2 und 69 Abs.1 SGB IX kommt es nicht auf die exakte Diagnose und die Ursache der Erkrankung an, wie bereits dargelegt, sondern nur auf das Ausmaß der auf Dauer vorliegenden Funktionsbeeinträchtigung oder -störung.

Bei insgesamt sechs Beschwerdekomplexen mit Einzel-GdB-Werten von 30, 30, 30, 20, 10 und 10 ist es im Jahre 1993 gemäß Rdz.19 der "Anhaltspunkte 1983" vertretbar gewesen, den Gesamt-GdB von zuvor 60 auf 70 anzuheben (Teilabhilfe-Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung München II vom 03.09.1993).

Die Bildung des Gesamt-GdB ist in Rdz.19 der "Anhaltspunkte 1996 ff." durch die Schaffung von Regelbeispielen modifiziert worden. Ausgehend von sechs Beschwerdekomplexen mit Einzel-GdB-Werten von nunmehr 40, 20, 20, 10, 10 und 10 beträgt der Gesamt-GdB 50. Die diversen Sachverhaltsänderungen verbunden mit einer Änderung rechtlichen Verhältnisse im Laufe des Gesamtverfahrens bedingen, dass der Gesamt-GdB von zuvor 70 auf 50 herabzusetzen gewesen ist. Wenn sich der Beklagte mit Vergleichsangebot vom 08.06.2006 bereit erklärt hat, ab 24.07.2003 (= Bekanntgabe des Herabsetzungsbescheides vom 18.07.2003) einen GdB von 50 festzustellen, entspricht dies der Sach- und Rechtslage. Dies gilt auch in Berücksichtigung des Umstandes, dass sich die durchgemachte Infektion mit Borrelienerregern entsprechend dem Schriftsatz der Bevollmächtigten des Klägers vom 22.09.2006 wesentlich stärker auf nervenfachärztlichem Gebiet manifestiert als auf internistischem Fachgebiet.

Nach alledem ist die Berufung zurückzuweisen gewesen, soweit sie über das Vergleichsangebot des Beklagten vom 08.06.2006 hinausgeht.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 183 und 193 SGG.

Soweit der Gerichtsbescheid vom 18.11.2004 in Ziffer III hinsichtlich der dort dem Grunde nach ausgesprochenen Überbürdung von Verschuldenskosten aufgehoben worden ist, ist zum einen in Hinblick auf das bei dem Kläger bestehende Beschwerdebild zweifelhaft, ob dieser schuldhaft im Sinne von § 192 Abs.1 Nr.1 1. Alternative SGG gehandelt hat. Zum anderen ist die Anberaumung eines neuen Termins zur mündlichen Verhandlung hier nicht erforderlich geworden (§ 192 Abs.1 Nr.1 2. Alternative SGG).

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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