L 6 R 346/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 3 RJ 81/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 6 R 346/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 15. Dezember 2003 aufgehoben. Die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 8. Oktober 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Januar 2003 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um Rente bei verminderter Erwerbsfähigkeit.

Der 1951 geborene Kläger hat zunächst eine Berufsausbildung zum Postjungboten absolviert und als solcher bis Januar 1970 gearbeitet. Danach war er mit einer Unterbrechung durch den Wehrdienst als Hilfsarbeiter in einer Gießerei, von 1973 bis 1987 als LKW-Fahrer und zuletzt bis zu einem Herzinfarkt im Jahr 1999 als Baggerfahrer tätig. Seither ist er arbeitslos und zeitweise arbeitsunfähig.

Zur letzten Tätigkeit gab der Arbeitgeber zunächst an, es habe sich um die eines Facharbeiters mit einer Ausbildungsdauer von drei Jahren gehandelt, einen Ausbildungsabschluss habe der Kläger nicht nachgewiesen. Die erforderliche Qualifikation habe er durch langjährige Berufserfahrung erlangt. Er habe über alle theoretischen und praktischen Kenntnisse eines voll ausgebildeten Facharbeiters verfügt. Bezahlt wurde der Kläger während der gesamten Beschäftigung nach der (Einstiegs-)Lohngruppe IV des Bundesrahmentarifvertrages des Bauhauptgewerbes.

Der Kläger hatte bereits am 28.03.2000 einen Rentenantrag gestellt, den die Beklagte mit Bescheid vom 18.05.2000 und Widerspruchsbescheid vom 17.08.2000 abgelehnt hatte. Die dagegen erhobene Klage hatte der Kläger am 15.10.2001 zurückgenommen. Die im Verwaltungs- und Klageverfahren eingeholten Gutachten hatten Leistungseinschränkungen des Klägers im Wesentlichen wegen der Folgen der Herzerkrankung gesehen, nicht wegen eines im Jahre 1992 operierten Bandscheibenleidens. Sie waren übereinstimmend zu dem Ergebnis gekommen, dass das Leistungsvermögen des Klägers zeitlich nicht eingeschränkt sei. Er könne keine Arbeiten im zuletzt ausgeübten Beruf mehr verrichten. Möglich seien aber noch vollschichtig leichte Tätigkeiten ohne häufiges Bücken, ohne Gefährdung durch Kälte oder Hitze, ohne besonderen Zeitdruck und ohne Schicht- und Nachtdienst. Die Beklagte hatte den Kläger auf Tätigkeiten als Montierer, Sortierer, einfacher Pförtner und Verpacker leichter Gegenstände verwiesen. Die vom Sozialgericht Regensburg gehörten Gutachter hatten zudem noch eine vollschichtige Einsatzfähigkeit als Telefonist, Lagerhelfer oder Bürobote bejaht.

Am 26.08.2002 stellte der Kläger einen erneuten Rentenantrag. Die Begutachtung durch die Beklagte ergab ein im Wesentlichen unverändertes Leistungsvermögen. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 08.10.2002 ab und verwies den Kläger auf Tätigkeiten als Sortierer, Montierer oder Verpacker leichter Gegenstände, die noch mindestens sechs Stunden täglich verrichtet werden könnten. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 09.01.2003 als unbegründet zurück und verwies den Kläger zusätzlich auf Tätigkeiten als Tagespförtner.

Im Klageverfahren hat der Kläger die Gewährung von Rente ab dem 08.10.2002 beantragt.

Der vom Sozialgericht als Sachverständiger gehörte Dr.K. hat den Kläger als vollschichtig bzw. mindestens sechs Stunden täglich einsatzfähig angesehen und Tätigkeiten als einfacher Pförtner, Verpacker leichter Gegenstände, Sortierer, Montierer oder Lagerhelfer für möglich erachtet.

Das Sozialgericht hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ab 01.08.2002 zu zahlen. Es ist in seiner Begründung davon ausgegangen, dass der Kläger seit Juni 1999 berufsunfähig sei. Nach der Auskunft des Arbeitgebers sei der Kläger nicht als Angelernter, sondern sowohl tariflich als auch nach seinen im letzten Beruf erworbenen und angewandten Kenntnissen und Fähigkeiten als Facharbeiter anzusehen. Er könne deshalb nur auf Anlerntätigkeiten und nicht auf ungelernte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden. Solche zumutbaren Anlerntätigkeiten habe die Beklagte nicht benannt.

Dagegen wendet sich die Berufung der Beklagten. Sie hält die Einstufung des Klägers mit Verweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und des Bayer. Landessozialgerichts für nicht zutreffend. Der Kläger sei in die Gruppe mit dem Leitberuf des angelernten Arbeiters (oberer Bereich) einzugruppieren und damit auf die bereits benannten Berufe verweisbar.

Die vom Senat eingeholten Gutachten des Orthopäden Dr.F. und des Internisten Dr.E. kommen zu dem in den bisherigen Begutachtungen schon festgestellten Leistungsvermögen seit August 2000 und halten eine vollschichtige Tätigkeit insbesondere als Pförtner und im Wachdienst, z.B. als Museumsaufsicht am Tage, noch für möglich.

Auf Anfrage des Senats hat der letzte Arbeitgeber des Klägers mitgeteilt, der Kläger habe alle Tätigkeiten eines Baggerfahrers im Bereich Verkehrswegebau sowie im Kanal- und Rohrleitungsbau ausgeführt. Er sei zuletzt in einer internen Stufe der Lohngruppe IV eingestuft gewesen. Diese habe im Juni 1999 einen Stundenlohn von DM 25,39 vorgesehen. Der Kläger hat eine Bescheinigung dieses Arbeitgebers vom 20.06.2006 vorgelegt, wonach er überwiegend als Baugeräteführer auf Mobil- und Kettenhydraulikbaggern eingesetzt und von seinen Kenntnissen einem Facharbeiter in vollem Umfang gleichgestellt gewesen sei.

Die Beklagte wendet hiergegen ein, der Kläger sei bereits in Lohngruppe IV eingestellt worden und dort bis zu seinem Ausscheiden verblieben. Vorher sei er Hilfsarbeiter und LKW-Fahrer gewesen und folglich ohne Vorkenntnisse eingestellt worden. Wie er bei einer ausschließlichen Tätigkeit als Baggerfahrer alle praktischen und theoretischen Kenntnisse eines Facharbeiters mit Gesellenbrief habe erwerben können, sei nicht nachvollziehbar. Der Kläger sei nur in einem Teilbereich des Facharbeiterberufs Baumaschinenführer tätig gewesen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 15.12.2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zum Verfahren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Akte der Beklagten und die Akten des Sozialgerichts Regensburg in dem vorangegangenen Klageverfahren. Auf ihren Inhalt wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die von der Beklagten form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig; eine Beschränkung der Berufung nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) besteht nicht.

Die Berufung ist auch begründet.

Es kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, ob sich die Berufsunfähigkeit des Klägers bei einem angenommenen Versicherungsfall im Jahre 1999 und einer ab 01.08.2002 begehrten Rente nach den vor 2001 geltenden Vorschriften richtet (§ 43 Sozialgesetzbuch - SGB - VI in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung) oder nach dem seit 01.01.2001 geltenden § 240 SGB VI. Das zeitliche Einsatzvermögen, das einem Rentenanspruch entgegenstand bzw. entgegensteht, war bis 31.12.2000 auf eine vollschichtige Tätigkeit (d.h. acht Stunden täglich) festgelegt und liegt seither bei sechs Stunden täglich. Sowohl auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt als auch in mehreren als Verweisungsberufe benannten Tätigkeiten ist der Kläger nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme weiterhin vollschichtig einsatzfähig.

Seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit kann der Kläger nicht mehr verrichten. Er ist damit jedoch noch nicht berufsunfähig. Sowohl nach § 43 Abs.2 SGB VI in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung als auch nach § 240 Abs.2 SGB VI umfasst der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig (bis 31.12.2000) bzw. mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Ein Versicherter, der zuletzt als Facharbeiter tätig war, kann nur auf Tätigkeiten in einem Anlernberuf verwiesen werden. Es muss sich entweder um einen staatlich anerkannten Ausbildungsberuf mit einer nicht mehr als zweijährigen Ausbildung oder eine Tätigkeit mit einer echten betrieblichen Ausbildung von wenigstens drei Monaten handeln (BSG SozR 2200 § 1246 Nr.16). Ein angelernter Arbeiter muss sich auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisen lassen. Hat ein Versicherter zur sogenannten oberen Gruppe der Angelernten gehört, hat er also eine Tätigkeit mit einer regelmäßigen Ausbildungs- oder Anlernzeit von über 12 bis zu 24 Monaten ausgeübt (BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr.45), ist eine pauschale Verweisung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr möglich, es bedarf vielmehr der konkreten Benennung einer bestimmten zumutbaren Tätigkeit (BSG SozR 2200 § 1246 Nr.109).

Der Kläger ist kein gelernter Facharbeiter, da er die geregelte Ausbildung zum Baumaschinenführer oder Baugeräteführer nicht absolviert hat. Wurde der für den Beruf vorgesehene herkömmliche Ausbildungsweg nicht durchlaufen, ist eine Gleichstellung mit Versicherten mit der entsprechenden Ausbildung möglich, wenn der Beruf nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübt wurde (BSG SozR 2200 § 1246 Nr.94). Neben der tariflichen Einstufung und Entlohnung muss der Versicherte über die theoretischen Kenntnisse und praktischen Fähigkeiten verfügen, die in der Berufsgruppe gemeinhin erwartet werden und die ihn befähigen, sich unter gelernten Facharbeitern auf dem Arbeitsmarkt wettbewerbsfähig und damit vollwertig zu behaupten.

An dieser Wettbewerbsfähigkeit mit einem voll ausgebildeten Facharbeiter bestehen bereits deshalb Bedenken, weil der Kläger nur auf Baggern gearbeitet hat und wenigstens ein weiterer Schwerpunkt der Berufsausbildung zum Baugeräteführer die Tätigkeit als Kranführer ist (Bundesanstalt für Arbeit, Blätter zur Berufskunde, Baugeräteführer/Baugeräteführerin). Für den vorliegenden Fall kann dies jedoch dahingestellt bleiben, denn nach seiner tariflichen Eingruppierung gehört der Kläger noch nicht zu den Facharbeitern im Sinne des Mehrstufenschemas bei der Beurteilung des Berufsschutzes und der Verweisbarkeit, sondern zu der Gruppe mit dem Leitberuf des Angelernten im oberen Bereich. In der Bauwirtschaft werden unter der Bezeichnung "Baufacharbeiter" Personen mit einer Regelausbildung von nicht mehr als zwei Jahren beschäftigt. Hierzu gehören auch die nach Tarifgruppe IV des Bundesrahmentarifes für das Bau- und Baunebengewerbe entlohnten und im Tarifvertrag ausdrücklich als solche bezeichnete gehobenen Baufacharbeiter. Hierbei gehört der Kläger nicht zu den Untergruppen 1, 2 und 3, denn sie umfassen nur Arbeitnehmer, die formelle Ausbildungsabschlüsse nachweisen können. In die Untergruppe 4 fallen alle Arbeitnehmer, die eine angelernte Spezialtätigkeit drei Jahrre ausgeübt haben. Der Kläger wurde zwar nach einer betriebsinternen Untergruppe bezahlt, deren Bewertung kann jedoch dahingestellt bleiben, denn die Zuordnung zu Lohngruppe IV ohne nähere Spezifizierung reicht insgesamt nicht aus, um einen Facharbeiterstatus im Sinne des Mehrstufenschemas zu begründen. Zwar umfasst die Gruppe IV nicht nur angelernte Arbeiter, sondern ist auch Eingangslohngruppe für (echte) Facharbeiter nach Abschluss der Vollausbildung (Gruppe IV 1); eine solche Berufsanfängerlohngruppe für Facharbeiter ist aber nicht geeignet, der Lohngruppe IV insgesamt den Charakter einer Facharbeitergruppe zu verleihen (BSG-Urteil vom 19.06.1997 Az.: 13 RJ 101/96).

Der Kläger muss sich danach als Angelernter des oberen Bereichs auf konkret zu benennende Berufe des sogenannten unteren Anlernbereiches verweisen lassen. Solche hat die Beklagte benannt und nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist dem Kläger wenigstens die Tätigkeit eines einfachen Pförtners oder die eines Museumsaufsehers seit 1999 vollschichtig möglich. Damit ist der Kläger sowohl nach dem vor dem 01.01.2001 als auch nach dem ab da geltenden Recht nicht berufsunfähig. Es steht ihm damit keine Rente wegen Berufsunfähigkeit oder wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu. Über weitergehende Rentenansprüche war nicht zu entscheiden.

Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 SGG und folgt der Erwägung, dass der Kläger im Ergebnis auch nicht teilweise obsiegt hat.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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