L 8 AS 5698/06 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
8
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 5 AS 1484/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 AS 5698/06 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Konstanz vom 18. Oktober 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragsteller begehren den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit denen ihnen vorläufig die Wohnkosten in tatsächlicher Höhe erstattet werden.

Der 1947 geborene Antragsteller zu 1 bewohnt mit seiner Ehefrau, der Antragstellerin zu 2, eine 4-Zimmer-Wohnung in S. mit einer Wohnfläche von 86,15 m². Die Kaltmiete beträgt 519,78 EUR.

Mit Bescheid vom 26.10.2005 gewährte die Antragsgegnerin den Antragstellern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 03.10.2005 (Antragstellung) bis 30.04.2006, wobei sie die Kaltmiete in voller Höhe übernahm. Gleichzeitig teilte sie dem Antragsteller zu 1 in einem gesonderten Schreiben vom 26.10.2005 mit, die anrechenbare Kaltmiete in Höhe von 519,78 EUR übersteige die angemessenen Kosten der Unterkunft um 154,78 EUR. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft die angemessenen Kosten überstiegen, seien diese nur so lange anzuerkennen, als es ihm nicht möglich oder zumutbar sei, diese durch einen Wohnungswechsel, durch Vermietung, Untervermietung oder auf andere Weise zu senken. Der Antragsteller zu 1 werde deshalb gebeten, sich um eine günstigere Wohnung zu bemühen. Dazu gebe ihm die Antragsgegnerin eine Frist bis zum 01.02.2006. Nach Ablauf dieser Frist werde sie nur die für den Antragsteller zu 1 angemessenen Kosten der Unterkunft berücksichtigen und eine Kürzung der Miete vornehmen.

Auf Anfrage des Antragstellers zu 1 teilte die Antragsgegnerin ihm mit Schreiben vom 10.11.2005 mit, die Mietobergrenzen richteten sich nach § 8 Wohnungsgeldgesetz (WoGG). Für S. sei die Mietstufe 3 angesetzt. Bei einem Baujahr von 1998 und einem Haushalt mit zwei Personen liege die Mietobergrenze bei 365 EUR. Die Kaltmiete des Antragstellers zu 1 in Höhe von 519,78 EUR liege damit um 154,78 EUR über der Mietobergrenze.

Mit Bescheid vom 06.02.2006 bewilligte die Antragsgegnerin den Antragstellern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 01.03.2006 bis 30.04.2006. Hinsichtlich der Kosten für die Unterkunft anerkannte sie nur noch eine Kaltmiete in Höhe von 365 EUR.

Gegen den Bescheid vom 06.02.2006 legte der Antragsteller zu 1 Widerspruch ein und machte zur Begründung geltend, aufgrund der Wohnungsmarktlage sei es in S. nicht möglich, eine freie angemessene Wohnung in einem menschenwürdigen Umfeld mit geringer Kriminalität zu finden. Diese Möglichkeit müsse vom Leistungsberechtigen erreichbar sein. Er wohne mit seiner Ehefrau bereits in einer Sozialwohnung. Ohne Arbeitsplatz gebe es äußerst selten angemessene Wohnungen. So lange es nicht möglich sei, eine angemessene Wohnung zu finden, sei der Leistungsträger zur weiteren Übernahme der unangemessenen Kosten verpflichtet. Diese Verpflichtung sei nicht durch die 6-Monatsfrist eingeschränkt.

Auch für die Folgezeit vom 01.04.2006 bis 31.10.2006 übernahm die Antragsgegnerin hinsichtlich der Kosten für Wohnung und Heizung eine monatliche Kaltmiete nur in Höhe von 365 EUR. An Heizkosten wurden monatlich 113,78 EUR und an Nebenkosten 126,50 EUR übernommen, was zu dem Gesamtbedarf für Unterkunft und Heizung in Höhe von 605,28 EUR monatlich führte.

Mit Schreiben vom 29.05.2006 legte der Antragsteller zu 1 ein Wohnungssuchprotokoll vor, aus dem sich ergebe, bei welchen Vermietern er in der Zeit vom 02.11.2005 bis 24.05.2006 wegen einer Wohnung nachgefragt habe.

Auch für die Zeit vom 01.11.2006 bis 30.04.2007 wurde von der Antragsgegnerin als monatsrelevante Kaltmiete lediglich der Betrag von 365 EUR anerkannt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 28.12.2006 wurde der vom Antragsteller zu 1 eingelegte Widerspruch gegen die den Zeitraum vom 01.03.2006 bis 30.04.2007 umfassenden Bescheide vom 07.03.2006, 21.04.2006 und 31.10.2006 als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, die Antragsteller lebten in S. im Landkreis K., die Wohnung sei insgesamt 86,15 m² groß und sei bezugsfertig gewesen im Jahre 1999. Die Angemessenheit ergebe sich aus der Gegenüberstellung der tatsächlichen Kaltmiete zum örtlich durchschnittlich gezahlten Mietpreis einer entsprechenden Wohnung für einen 2-Personen-Haushalt (örtliches Mietniveau). Unter Zugrundelegung der aktuellen Höchstbeträge für die zuschussfähige Miete entsprechend § 8 WoGG ergebe sich ein Mietpreis für eine abstrakt angemessene Wohnung eines 2-Personen-Haushalts im Landkreis K., die ab dem Jahr 1991 bezugsfertig gewesen sei, in Höhe von 365 EUR. Die tatsächliche Kaltmiete in Höhe von 519,78 EUR übersteige damit den angemessenen Mietpreis um 154,78 EUR und könne somit nicht mehr als angemessen angesehen werden. Die Unangemessenheit ergebe sich nicht aus dem Mietpreis, sondern allein aus der Größe der Wohnung. Für einen 2-Personen-Haushalt sei eine Wohnung mit 60 m² angemessen. Bei einer anerkannten Kaltmiete von monatlich 365 EUR ergebe sich ein durchschnittlicher m²-Preis von 6,08 EUR. Die tatsächliche Kaltmiete betrage pro qm 6,03 EUR. Das Job-Center habe daher keinen niedrigeren Quadratmeter-Preis zugrunde gelegt. Es sei jedoch unbillig, weiterhin die tatsächlichen Kosten für eine unangemessen große Wohnung aus Steuermitteln zu finanzieren. Es wäre den Antragstellern zuzumuten gewesen, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken. Die Antragsteller hätten nicht in ausreichendem Maße nachgewiesen, dass es ihnen innerhalb der eingeräumten Frist nicht gelungen sei, eine andere Wohnung zu finden.

Auf der in der Verwaltungsakte befindlichen Kopie des Widerspruchsbescheides ist folgender Vermerk angebracht: Zur Post gegeben am 28.12.2006. Klage gegen diesen Widerspruchsbescheid wurde bislang nicht erhoben.

Am 31.05.2006 hat der Antragsteller zu 1 den Erlass einer einstweiligen Anordnung auf vorläufige Übernahme der tatsächlichen Kosten für Unterkunft beantragt und geltend gemacht, die Antragsgegnerin kürze seit 01.04.2006 die Kaltmiete um monatlich 154,78 EUR (S 5 AS 1484/06 ER). Bezüglich seiner ab Juli 2006 beginnenden Erwerbstätigkeit im Außendienst und den dafür notwendigen Kommunikationsanlagen (PC, Monitor, Drucker, Telefonanlage, Fax, Kopierer) und Kundenkontakten sei ein Arbeitszimmer notwendig bzw. ein Umzug ungerechtfertigt.

Auf Anfrage des SG zu den Eigenbemühungen für eine kostengünstigere Wohnung teilte der Antragsteller zu 1 dem SG mit, die entnommenen Vermietungsmöglichkeiten seien aus den ihm zugänglichen Zeitungsanzeigen und aus privaten Infos entstanden. Es handele sich um Wohnungen mit der Mietpreisstufe 3 bis netto 365 EUR gemäß der Vorgabe der Antragsgegnerin.

Weitere Anträge des Antragstellers zu 1 auf Erlass einstweiliger Anordnungen wurden vom SG mit diesem Verfahren verbunden.

Mit Beschluss vom 18.10.2006 wies das SG den vorliegenden Antrag auf vorläufige Übernahme der tatsächlich gezahlten Kosten der Unterkunft zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, die tatsächliche Kaltmiete von 519,78 EUR übersteige die Grenze der Angemessenheit. Sie könne daher nur unter den Voraussetzungen des § 22 Abs. 1 Satz 2 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) Berücksichtigung finden. Danach seien Aufwendungen für die Unterkunft, die den angemessenen Umfang überstiegen, solange zu berücksichtigen als es dem Hilfebedürftigen nicht möglich oder nicht zumutbar sei, die Aufwendungen zu senken; in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Entsprechende Gründe seien vom Antragsteller zu 1 nicht glaubhaft gemacht worden. Die Bemühungen, die der Antragsteller zu 1 zur Senkung seiner Mietkosten nachgewiesen habe, seien nicht umfassend genug, um den Beleg dafür zu erbringen, dass Wohnraum zu der als angemessen erachteten Kaltmiete in Höhe von 365 EUR nicht zu finden sei. Der Antragsteller zu 1 habe lediglich eine eher allgemein gehaltene Liste vorgelegt, aus welcher sich vereinzelte Bemühungen ableiten ließen. Trotz ausdrücklicher Aufforderung durch das Gericht sei eine eingehende und umfassende Präzisierung und Konkretisierung durch den Antragsteller zu 1 ausgeblieben. Die Notwendigkeit eines Arbeitszimmers für berufliche Tätigkeit sei nicht eingetreten, da die vom Antragsteller zu 1 beabsichtigte selbstständige Tätigkeit nicht zustande gekommen sei.

Gegen den - dem Antragsteller zu 1 am 20.10.2006 zugestellten - Beschluss hat der Antragsteller zu 1 am 19.11.2006 Beschwerde eingelegt, der das SG nicht abgeholfen hat.

II.

Die gemäß den §§ 172ff Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Beschwerde ist zulässig; sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden. Eine Bevollmächtigung des Antragstellers zu 1, Verfahrenshandlungen auch mit Wirkung für die Antragstellerin zu 2 vorzunehmen, kann nach § 73 Abs. 2 Satz 2 SGG unterstellt werden.

Die Beschwerde ist aber nicht begründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Vorliegend kommt, da die Voraussetzungen des § 86b Abs. 1 SGG ersichtlich nicht gegeben sind und es auch nicht um die Sicherung eines bereits bestehenden Rechtszustands geht, nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung).

Im vorliegenden Fall besteht schon deshalb kein Anordnungsanspruch (mehr), weil die Höhe der den Antragstellern zustehenden Leistungen für die Zeit vom 01.03.2006 bis 30.04.2007 zwischen den Beteiligten verbindlich geregelt ist. Dies folgt aus dem Umstand, dass der von der Antragsgegnerin erteilte Widerspruchsbescheid vom 28.12.2006 inzwischen bestandskräftig geworden und dadurch die in diesem Bescheid und den diesem Widerspruchsbescheid zugrunde liegenden Ausgangsbescheiden getroffene Regelung gemäß § 77 SGG für die Beteiligten in der Sache bindend geworden ist. Das Verfahren der Regelungsanordnung ist insofern unabhängig von einem Vorverfahren bzw. dem Verfahren in der Hauptsache (Spellbrink, Sozialrechtaktuell 2007, 1, 3; HessLSG 24.04.2006 - L 9 AS 39/06 ER).

Nach § 85 Abs. 3 Satz 1 SGG ist der Widerspruchsbescheid den Beteiligten bekannt zu geben. Da das SGB II nach der Rechtsprechung des BSG und der einhelligen Ansicht in der juristischen Literatur keinen Anspruch der Bedarfsgemeinschaft kennt, sondern Anspruchsinhaber jeweils alle einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft sind (BSG 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R -), müsste der Widerspruchsbescheid allen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft bekannt gegeben werden. Dies ist hier nicht geschehen. Es wird jedoch nach § 38 SGB II vermutet, dass der erwerbsfähige Hilfebedürftige bevollmächtigt ist, Leistungen nach dem SGB II auch für die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen zu beantragen und entgegenzunehmen. Diese Bestimmung muss aus Gründen der vom Gesetzgeber gewollten Verwaltungspraktikabilität und Verwaltungsökonomie dahin ausgelegt werden, dass die vermutete Bevollmächtigung alle Verfahrenshandlungen erfasst, die der Verfolgung des Antrags dienen, also auch die Einlegung eines Widerspruchs (BSG 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R -). Nach § 37 Abs. 1 Satz 2 SGB X steht es aber im Ermessen des Leistungsträgers, ob er die in § 85 Abs. 3 Satz 1 SGG vorgeschriebene Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides an die Beteiligten dem Bevollmächtigten gegenüber vornimmt. Deshalb hat hier für das Wirksamwerden des Bescheides die Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides an den Antragsteller zu 1 genügt.

Der Widerspruchsbescheid vom 28.12.2006 ist nach dem in der Verwaltungsakte angebrachten Vermerk noch am selben Tag mit einfachem Brief zur Post gegeben worden. Er gilt daher gemäß § 37 Abs. 2 SGB X am dritten Tag nach der Absendung als bekannt gegeben. Damit ist der Widerspruchsbescheid bestandskräftig geworden. Denn die Klagefrist beträgt hier- da die dem Widerspruchsbescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung nach Auffassung des Senats nicht unrichtig ist - einen Monat ab Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides (§ 87 SGG) und diese Frist ist inzwischen abgelaufen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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