L 1 SF 51/06

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
1
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 1 SF 51/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Für die Anfechtung einer Präsidiumswahl, soweit es sich um die Anfechtung der Wahl eines bei einem Sozialgericht gebildeten Präsidiums handelt, ist ein Senat des Landessozialgerichtes zuständig.

2. Antragsberechtigt zur Wahlanfechtung ist jeder dem betreffenden Gericht angehörende wahlberechtigte Richter. Dabei ist nicht erforderlich, dass er in eigenen Rechten verletzt ist.

3. Richter kraft Auftrags und abgeordnete Richter sind bei einer Präsidiumswahl nicht wählbar.

4. In Wahlanfechtungsverfahren gibt es, von Ausnahmefällen abgesehen, keine Kostenerstattung.

5. Die Entscheidung ist endgültig, da § 19 Abs. 1 FGG keine entsprechende Anwendung findet.
Es wird festgestellt, dass die am 27. Dezember 2005 bei dem Sozialgericht Gotha durchgeführte Präsidiumswahl infolge Anfechtung nichtig ist.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe:

I.

Der Antragsteller ist Richter auf Lebenszeit bei dem Sozialgericht Gotha. Anlässlich des Ausscheidens der Richterin am Sozialgericht K. und des Richters am Sozialgericht O. aus dem Präsidium mit Ablauf des Geschäftsjahres 2005 waren bei dem Sozialgericht Gotha Präsidiumswahlen durchzuführen. Wahltag war der 27. Dezember 2005.

Laut der vom Wahlvorstand zur Verfügung gestellten Wahlunterlagen waren nachfolgende Personen - in alphabetischer Reihenfolge genannt - wahlberechtigt: Direktor des Sozialgerichts (SG) B., Richter am SG Ba., Vorsitzender Richter am Landesarbeitsgericht (LAG) Br., Richter am SG H., Richterin am SG Ho., Richterin am SG K., Richterin am Arbeitsgericht (ArbG) M., Richter am SG O., Richter am SG R., Richterin am SG Ro., Richterin am SG Dr. S., Richter am SG U. und Richter am ArbG W.

Als wählbar für das Präsidium waren genannt: Richter am SG Ba., Richter am SG H., Richterin am SG K., Richter am SG O., Richter am SG R., Richterin am SG Dr. S. und Richter am SG U.

Unter dem 27. Dezember 2005 führte der Wahlvorstand weiter aus, dass im Hinblick auf die Verlängerung der Abordnung von Richter am ArbG W. auch dieser zum Präsidium wählbar sei. Die Stimmzettel würden entsprechend ergänzt.

In öffentlicher Sitzung des Wahlvorstandes für die Wahl des Präsidiums des Sozialgerichts Gotha am 27. Dezember 2005 wurde eine Auszählung der Stimmen vorgenommen. Nach Auszählung der Stimmen ergab sich folgende Stimmverteilung in alphabetischer Reihenfolge: Richter am SG Ba. erhielt zwei Stimmen, Richter am SG H. zwei Stimmen, Richterin am SG K. fünf Stimmen, Richter am SG O. vier Stimmen, Richter am SG R. zwei Stimmen, Richterin am SG Dr. S. keine Stimme, Richter am SG U. drei Stimmen und Richter am ArbG W. keine Stimme.

Der Wahlvorstand stellte fest, dass damit in das Präsidium des Sozialgerichts Gotha Richterin am SG K. und Richter am SG O. gewählt worden seien.

Mit seiner dagegen vorgetragenen Wahlanfechtung führt Richter am SG H. aus, dass Richter am SG R. in seiner Eigenschaft als Richter kraft Auftrags nicht wählbar sei. Er habe im Ergebnis zwei Stimmen erhalten, weshalb sich dieser Gesetzesverstoß auf das Ergebnis der Wahl ausgewirkt habe. Bei Bekanntgabe des Wahlergebnisses habe er zudem feststellen müssen, dass eine Wählbarkeit des Richters am Arbeitsgericht W. bestanden habe, die auf seinem Stimmzettel im Rahmen der Briefwahl nicht verzeichnet gewesen sei.

Das Präsidium hat sich zu den Vorgängen nicht geäußert.

Die Unterlagen des Wahlvorstandes sind beigezogen worden. Sie waren Gegenstand der geheimen Beratung.

II.

Die Wahlanfechtung nach § 21 Abs. 6 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) ist zulässig und begründet. Sie bewirkt, dass die Präsidiumswahl vom 27. Dezember 2005 von Anbeginn an (ex tunc) nichtig ist und wiederholt werden muss.

Nach § 21 b Abs. 6 Satz 2 GVG i.V.m. § 6 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ist für die Anfechtung einer Präsidiumswahl, soweit es sich wie hier um die Anfechtung der Wahl eines bei einem Sozialgericht gebildeten Präsidiums handelt, ein Senat des Landessozialgerichtes zuständig. Laut Geschäftsverteilungsplan ist dies der erste Senat des Thüringer Landessozialgerichts.

Der Antragsteller ist antragsberechtigt. Antragsberechtigt ist jeder dem betreffenden Gericht angehörende wahlberechtigte Richter. Dabei ist nicht erforderlich, dass er in eigenen Rechten verletzt ist. Die Anfechtung ist dabei an keine Frist gebunden.

Auch die übrigen Voraussetzungen für die Zulässigkeit eines Wahlanfechtungsantrags sind erfüllt. Nach § 21 b Abs. 6 Satz 1 GVG i.V.m. § 6 SGG kann die Wahl eines bei einem Gericht der Sozialgerichtsbarkeit gebildeten Präsidiums angefochten werden, wenn bei der Wahl ein Gesetz verletzt worden ist. Gesetz im Sinne des § 21 b Abs. 6 Satz 1 GVG sind auch die Vorschriften der auf Grund der Ermächtigung erlassenen Wahlordnung für die Präsidien der Gerichte. Für die Zulässigkeit der Wahlanfechtung reicht es aus, das geltend gemacht wird, bei der Wahl sei ein Gesetz im dargelegten Sinne verletzt worden. Der Anfechtungskläger braucht dabei, wie bereits ausgeführt, nicht in eigenen Rechten verletzt zu sein. Es genügt das Vorbringen, dass ein Richter gewählt worden sei, der nicht wählbar sei, bzw. ein wählbarer Richter nicht auf dem Wahlzettel gestanden habe. Dies ist geschehen.

Die Wahlanfechtung ist auch begründet. Eine Wahlanfechtung hat Erfolg, wenn die Rechtsverletzung erwiesen ist und nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie das Wahlergebnis beeinflussen konnte. Dabei genügt die nur abstrakte Möglichkeit eines Kausalzusammenhanges zwischen der Rechtsverletzung und dem Ergebnis der angefochtenen Wahl nicht. Es ist vielmehr auf die konkrete Rechtsverletzung unter Berücksichtigung des konkreten Ergebnisses der angefochtenen Wahl abzustellen. Allerdings ist bei schweren Rechtsverletzungen, zum Beispiel bei Nichtzulassung einer wählbaren Person oder vergleichbaren Verstößen, stets von der Möglichkeit einer Beeinflussung des Wahlergebnisses auszugehen. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Ein nichtwählbarer Richter ist gewählt bzw. ein anderer nichtwählbarer Richter als wählbar behandelt worden, indem er auf dem Stimmzettel geführt wurde. Dabei sind Richter kraft Auftrages und abgeordnete Richter nicht wählbar (vgl. Kissel/Mayer Gerichtsverfassungsgesetz, Kommentar, 4. Auflage 2005, § 21 b Rdn. 9). Insofern reicht es schon aus, dass der nicht wählbare Richter am SG R. als wählbar behandelt wurde. Richter am SG R. ist Lebenszeitbeamter und als Richter kraft Auftrages bei dem Sozialgericht Gotha tätig. Er gehört damit nicht zum wählbaren Personenkreis. Gleiches gilt auch für den Richter am ArbG W., der als abgeordneter Richter ebenfalls nicht wählbar ist, jedoch vom Wahlvorstand so behandelt wurde und noch nachträglich auf die Stimmzettel gesetzt wurde, wenn auch nicht auf den des Richters am SG H., der seinen Stimmzettel im Weg der Briefwahl erhalten hatte.

Im Übrigen ist auch das Kausalitätserfordernis erfüllt. Bei einem derart knappen Wahlergebnis wie vorliegend, können sich die zwei Stimmen, die Richter am SG R. erhalten hat, durchaus auswirken. Die anderweitige Verteilung dieser beiden Stimmen könnte dazu führen, dass Richter am SG Ba. vier Stimmen erhalten hätte. Er herrschte dann Stimmengleichheit mit Richter am SG O. Gleiches würde für Richter am SG H. gelten. Hätte Richter am SG U. zwei weitere Stimmen bekommen, dann wäre er stimmengleich mit Richterin am SG K. und wäre anstelle von Richter am SG O. gewählt worden. Weitere Fallgestaltungen sind denkbar, die sich jeweils auf das Stimmergebnis und damit auf das Wahlergebnis ausgewirkt hätten.

Da die Präsidiumswahl bereits aus diesen Gründen anfechtbar war und die Anfechtung erfolgreich ist, können weitere mögliche Verstöße dahingestellt bleiben.

Das Sozialgericht wird die Wahl unverzüglich unter Berücksichtigung der gesetzlichen Fristen durchführen müssen.

Eine Kostenentscheidung ergeht nicht. Nach § 21 Abs. 6 Satz 4 GVG i.V.m. § 6 SGG sind auf das Wahlanfechtungsverfahren die Vorschriften des Gesetzes über die freiwillige Gerichtsbarkeit (FGG) sinngemäß anzuwenden. In diesem Verfahren gibt es jedoch, von Ausnahmefällen abgesehen, eine Kostenerstattung nicht. Zwar kann das Gericht nach § 13 a Abs. 1 Satz 1 FGG, falls an einer Angelegenheit mehrere Personen beteiligt sind, anordnen, dass die Kosten, die zur zweckentsprechenden Erledigung der Angelegenheit notwendig waren, von einem Beteiligten ganz oder teilweise zu erstatten sind, wenn dies der Billigkeit entspricht. Für eine derartige Entscheidung besteht jedoch kein Raum.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, weil § 21 b Abs. 6 Satz 4 GVG i.V.m. § 6 SGG nur für das Verfahren des über die Wahlanfechtung entscheidende Gerichts, nicht aber für die Anfechtung dieser Entscheidung auf die sinngemäß anzuwendenden Vorschriften des FGG verweist. § 19 Abs. 1 FGG findet daher keine entsprechende Anwendung (vgl. insofern auch Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 14.07.1983; Az.: III ZB 8/83 in NJW 1983; S. 29, 45).
Rechtskraft
Aus
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