L 5 AS 5/06

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 50 AS 735/05
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 5 AS 5/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 19. Dezember 2005 und die Bescheide der Beklagten vom 3. November 2004 und 21. Januar 2005 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 30. Juni und 6. Oktober 2005 abgeändert. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger Arbeitslosengeld II ohne Anrechnung des Betrages seiner Versichertenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren, der bei gleichem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit als Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz geleistet würde. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die dem Kläger gewährte Versichertenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung in voller Höhe auf seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld II anzurechnen ist.

Der am XXXXX 1946 geborene Kläger bezieht von der Großhandels- und Lagerei-Berufsgenossenschaft eine Versichertenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 30 v.H. in Höhe von EUR 396,20.

Die Beklagte bewilligte ihm auf seinen Antrag hin mit Bescheid vom 3. November 2004 Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 1. Januar bis 30. April 2005 in Höhe von EUR 344,34 monatlich und berücksichtigte dabei seine Unfallrente in voller Höhe als Einkommen. Der Kläger erhob dagegen Widerspruch und vertrat die Auffassung, die Rente dürfe nicht in voller Höhe angerechnet werden, da es sich bei ihr um eine zweckbestimmte Einnahme im Sinne von § 11 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) handele, die einem anderen Zweck als die Leistungen des SGB II diene und seine Lage nicht so günstig beeinflusse, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht mehr gerechtfertigt wären. Die Verletztenrente diene nämlich auch einem Ausgleich für den Verlust von Erwerbsmöglichkeiten und orientiere sich am Charakter eines teilweisen Schmerzensgeldes. Sie beinhalte darüber hinaus einen Anteil, der den pauschalen Ausgleich eines durch die Körperschäden bedingten Mehrbedarfs bezwecke. Da sie somit jedenfalls teilweise die gleiche Funktion wie die Kriegsopfergrundrente habe, stelle es eine willkürliche und verfassungsrechtlich nicht haltbare Ungleichbehandlung dar, sie im Gegensatz zur Kriegsopferrente voll als Einnahme zu berücksichtigen. Ferner sehe § 11 Abs. 3 Nr. 2 SGB II die Privilegierung von Entschädigungen für Nichtvermögensschäden vor. Im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung sei dem Geschädigten aber die Geltendmachung von Schmerzensgeldansprüchen abgeschnitten. Auch unter diesem Gesichtspunkt verbiete sich eine Ungleichbehandlung von Schmerzensgeldansprüchen und Entschädigungsleistungen aus der Unfallversicherung. Bereits bei der Bedürftigkeitsprüfung für die Arbeitslosenhilfe sei der Zweckbestimmung der Verletztenrente Rechnung getragen worden. Eine andere Wertung sei auch im Rahmen des SGB II nicht zulässig. Die Beklagte erhöhte mit Änderungsbescheid vom 21. Januar 2005 aufgrund einer Mieterhöhung den monatlichen Leistungsbetrag für die Zeit vom 1. Februar bis 30. April 2005 auf EUR 409,35. Mit Widerspruchsbescheid vom 30. Juni 2005 änderte sie die bisherigen Bewilligungsbescheide erneut ab und bewilligte dem Kläger Arbeitslosengeld II für Januar 2005 in Höhe von EUR 374,34 und für die Zeit vom 1. Februar bis 30. April 2005 in Höhe von jeweils EUR 439,35. Im Übrigen wies sie den Widerspruch des Klägers zurück und entschied, dass die dem Kläger im Widerspruchsverfahren entstandenen Kosten nicht erstattet werden könnten. Zur Begründung führte sie aus, von seiner Unfallrente sei ein Pauschbetrag in Höhe von EUR 30,- monatlich für private Versicherungen abzusetzen. Die darüber hinaus gehende Rente sei voll als Einkommen zu berücksichtigen. Sie stelle keine zweckbestimmte Einnahme dar, sodass eine Privilegierung nach § 11 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a SGB II nicht in Betracht komme. Sie könne auch nicht mit einem Schmerzensgeld gleichgestellt werden, da dieses als zivilrechtliche Leistung andere Voraussetzungen und Zielrichtungen habe und § 11 Abs. 3 Nr. 2 SGB II eine nicht analogiefähige Sondervorschrift sei.

Gegen die im Widerspruchsbescheid enthaltene Kostenentscheidung legte der Kläger erneut Widerspruch ein, woraufhin die Beklagte mit weiterem Widerspruchsbescheid vom 6. Oktober 2005 entschied, dass dem Kläger die Kosten des Widerspruchsverfahrens in Höhe von einem Zehntel zu erstatten seien, die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts aber nicht notwendig gewesen sei.

Mit seiner Klage hat sich der Kläger weiterhin gegen die vollständige Berücksichtigung seiner Unfallrente als Einkommen gewandt. Er hat insoweit sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt und ergänzend vorgetragen, die zum Bundessozialhilfegesetz (BSHG) ergangene Rechtsprechung könne nicht auf das SGB II übertragen werden, weil – anders als nach dem BSHG – eine ausdrückliche anderweitige Zweckbestimmung im SGB II nicht mehr verlangt werde. Im Übrigen seien die Leistungen der Sozialhilfe in wesentlichen Punkten nicht mit denen des SGB II vergleichbar. So sehe das SGB II insbesondere höhere Freibeträge beim Vermögen sowie zusätzliche Einkommensfreibeträge für Erwerbstätige vor. Soweit die Unfallrente einen Ausgleich für den Verlust von Erwerbsmöglichkeiten schaffen solle, sei eine volle Anrechnung im Vergleich zu den nicht erwerbsgeminderten Arbeitslosengeld II-Beziehern nicht sachgerecht. Hinsichtlich der Höhe des anrechnungsfreien Betrages sei eine Orientierung am bisherigen Recht der Arbeitslosenhilfe angemessen. Die Beklagte hat sich demgegenüber auf ihre Ausführungen im Widerspruchsverfahren berufen.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 19. Dezember 2005 – dem Kläger zugestellt am 15. Februar 2006 – abgewiesen und ausgeführt, die Unfallrente falle unter keine der gesetzlich bestimmten Privilegierungen. Sie gehöre nicht zu den in § 11 Abs. 1 S. 1 HS 2 SGB II genannten Ausnahmen und werde auch nicht als zweckbestimmte Einnahme von § 11 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a SGB II erfasst. Dabei könne dahin stehen, ob die Unfallrente wenigstens teilweise einem anderen Zweck als die Leistungen des SGB II diene. Die Vorschrift sei jedenfalls restriktiv auszulegen und erfasse nicht solche Einnahmen, die nach dem Willen des Gesetzgebers erkennbar nicht privilegiert werden sollten. Aus den Gesetzesmaterialien (BT-Drucksache 15/1516 S. 53) ergebe sich, dass die Einkommensberücksichtigung im Wesentlichen wie im Sozialhilferecht habe geregelt werden sollen. Die Grundrenten des Versorgungsrechts seien dem sozialen Entschädigungsrecht zuzuordnen und hätten einen ideellen Charakter, welcher der Unfallrente nicht zukomme. Der Gesetzgeber habe somit Leistungen, die aufgrund eines für die Allgemeinheit erbrachten Sonderopfers erbracht würden, bewusst anders behandeln wollen als Leistungen, die einen Ersatz für durch Unfälle im Rahmen privater Dienst- und Arbeitsverhältnisse entstandene Schäden darstellten. Die Tatsache, dass der Gesetzgeber eine dem Arbeitslosenhilferecht entsprechende Regelung nicht in das SGB II übernommen habe, spreche ebenfalls dafür, dass er sich nicht am Arbeitsförderungs-, sondern am Sozialhilferecht habe orientieren wollen. Die Unfallrente sei auch kein Schmerzensgeld und diesem auch nicht gleichzustellen. Für eine analoge Anwendung der Privilegierungsvorschriften fehle es an der hierfür erforderlichen Voraussetzung einer planwidrigen Lücke im Gesetz, da nicht davon auszugehen sei, dass der Gesetzgeber die Unfallrente unbeabsichtigt nicht berücksichtigt habe. Schließlich liege insoweit kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz - GG) vor, da die Anknüpfung an ein Sonderopfer einen sachlichen Grund dafür abgebe, die Bezieher von Grundrenten des Versorgungsrechts anders zu behandeln als Empfänger von Unfallrenten.

Der Kläger hat hiergegen am 3. März 2006 Berufung eingelegt. Zur Begründung bezieht er sich auf sein bisheriges Vorbringen und trägt ergänzend vor, dass sich bereits das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich der Zweckbestimmtheit der Unfallrente geäußert habe. Entscheidender sei die Frage, ob die Lage des Empfängers durch die Verletztenrente so günstig beeinflusst werde, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertig wären. Dies sei jedoch im Vergleich mit anderen privilegierten Leistungen nicht der Fall. Unzutreffend sei die Auffassung des Sozialgerichts, wonach die Unfallrente und die Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) insoweit wesentlich unterschiedlich seien, weil die Grundrente dem sozialen Entschädigungsrecht zuzuordnen sei und damit auch einen ideellen Charakter habe. Diesbezüglich sei auf die sogenannte unechte Unfallversicherung zu verweisen, wenn z.B. eine Unfallrente an denjenigen gezahlt werde, der als Nothelfer in Unglücksfällen seine körperliche Unversehrtheit eingebüßt habe.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 19. Dezember 2005 aufzuheben und die Bescheide vom 3. November 2004 und 21. Januar 2005 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 30. Juni und 6. Oktober 2005 abzuändern und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger Arbeitslosengeld II ohne Anrechnung des Betrages seiner Versichertenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren, der bei gleichem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit als Grundrente nach dem BVG geleistet würde.

Die Beklagte beantragt, die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 19. Dezember 2005 zurückzuweisen.

Die Beklagte hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch sonst zulässige Berufung (§§ 143, 151 SGG) ist begründet, da das Sozialgericht die Klage zu Unrecht abgewiesen hat. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig, soweit mit ihnen die von dem Kläger bezogene Versichertenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung in voller Höhe als Einkommen berücksichtigt wurde. Vielmehr hat insoweit der Betrag, der bei gleichem Grad der MdE als Grundrente nach dem BVG geleistet würde, anrechnungsfrei zu bleiben.

Voraussetzung für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II ist gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 3 SGB II unter anderem die Hilfebedürftigkeit des Antragstellers. Hilfebedürftig ist nur derjenige, der seinen Lebensunterhalt und seine Eingliederung in Arbeit nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften oder Mitteln, vor allem nicht aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB II). Als Einkommen zu berücksichtigen sind Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach dem SGB II, der Grundrente nach dem BVG und Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des BVG vorsehen und der Renten oder Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schaden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit erbracht werden, bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem BVG (§ 11 Abs. 1 S. 1 SGB II). Die nach den §§ 56 ff. Sozialgesetzbuch Siebtes Buch – Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) gewährte Unfallrente stellt eine Einnahme in Geld dar und gehört nicht zu den in § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II genannten Ausnahmen.

Ihre teilweise Nichtberücksichtigung als Einkommen ergibt sich jedoch aus § 11 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a SGB II. Hiernach sind Einnahmen nicht als Einkommen zu berücksichtigen, soweit sie als zweckbestimmte Einnahmen einem anderen Zweck als die Leistungen nach dem SGB II dienen und die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt wären. Die Vorschrift soll einerseits verhindern, dass die besondere Zweckbestimmung bestimmter Einnahmen durch eine Anrechnung als Einkommen nach dem SGB II vereitelt wird, und andererseits ausschließen, dass für einen mit den Zielen des SGB II identischen Zweck zusätzliche Leistungen aus öffentlichen Mitteln erbracht werden (LSG Thüringen, Beschluss vom 16.2.2006 – L 7 AS 915/05 ER – Juris). Zweckbestimmt ist eine Leistung dann, wenn ihr eine bestimmte, vom Gesetzgeber erkennbar gebilligte Zweckrichtung zu Eigen ist, die nicht in der Bestreitung des Lebensunterhalts liegt, sodass sie verfehlt würde, wenn der Empfänger sie über den Weg der Einkommensanrechnung hierzu verwenden müsste (Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, K § 11 Rn. 213). Eine ausdrückliche gesetzliche Zweckbestimmung fehlt der Unfallrente. Entgegen dem Recht der Sozialhilfe (§ 77 Abs. 1 Satz 1 BSHG bzw. § 83 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe - SGB XII) verlangt der Wortlaut des § 11 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a SGB II eine solche ausdrückliche Zweckbestimmung aber auch nicht, sondern es genügt eine erkennbare Zweckbestimmung, die sich aus den gesetzlichen Leistungsvoraussetzungen, den Gesetzesmaterialien oder anderen eindeutigen Anhaltspunkten ergeben kann. Das Fehlen einer ausdrücklichen Zweckbestimmung macht die Unfallrente daher nicht zu einer zweckneutralen Leistung, sodass ihre Nichtberücksichtigung als Einkommen nicht von vornherein ausgeschlossen ist (Koch NZS 2006, S. 408 ff.; Brühl in LPK-SGB II, 2. Auflage, § 11 Rn. 51, 52; Mecke in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 11 Rn. 80; Hänlein in Gagel, SGB III/SGB II, § 11 SGB II, Rn. 60, 62; SG Hamburg, Beschluss vom 24.1.2006 – S 55 AS 1404/05; a.A.: LSG Thüringen a.a.O.; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 30.3.2006 – L 6 AS 116/06 ER; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16.5.2006 – L 12 AS 376/06; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29.9.2006 – L 3 AS 20/06; LSG Sachsen, Beschluss vom 23.10.2006 – L 3 B 69/06 AS-ER – alle Juris).

Es ist in Rechtsprechung und Literatur anerkannt, dass die Unfallrente verschiedene Funktionen erfüllt und zum einen dem Einkommensersatz, zum anderen aber auch der Kompensation immaterieller Schäden und dem Ausgleich eines durch die Körperschäden bedingten Mehrbedarfs dient (BSG, Urteil vom 3.12.2002 – B 2 U 12/02 RBSGE 90, S. 172 ff., 176; BSG, Urteil vom 31.3.1998 – B 4 RA 49/96 RBSGE 82, S. 83 ff., 93 f., 99 f.; BSG, Urteil vom 8.12.1992 – 1 RK 11/92BSGE 71, S. 299 ff., 301 ff.; BSG, Urteil vom 20.2.1991 – 11 RAr 109/89BSGE 68, S. 148 ff., 151; BVerfG, Beschluss vom 8.2.1995 – 1 BvR 753/94SozR 3-2200 § 636 Nr. 1; Benz in Wannagat, SGB VII, § 56 Rn. 16; Brähler in GK-SGB VI, § 93 Rn. 100; Koch a.a.O., S. 409; a.A. – allein Einkommensersatzfunktion: Schmidt in Oestreicher, SGB XII/SGB II, § 11 SGB II Rn. 125; Sauer in Jahn, SGB II/SGB XII, § 11 SGB II Rn. 24d; Hengelhaupt a.a.O., Rn. 252). Sie wird zwar nach dem Prinzip der abstrakten Schadensberechnung allein nach dem Maß der eingetretenen Gesundheitsbeeinträchtigung bemessen, um den daraus typischerweise resultierenden Verdienstausfall zu kompensieren. Daneben soll sie jedoch auch die durch die Gesundheitsbeeinträchtigung eingetretenen immateriellen Schäden, wie z.B. die Einbußen an der körperlichen und geistigen Integrität, immaterielle Fortkommensnachteile sowie seelische Begleiterscheinungen und Schmerzen ausgleichen (BSG, Urteil vom 31.3.1998 a.a.O., S. 100).

Soweit die Unfallrente dem Einkommensersatz dient, erfüllt sie daher ebenso wie die Leistungen nach dem SGB II den Zweck der Sicherung des Lebensunterhalts. Hinsichtlich ihres dem Ausgleich immaterieller Schäden dienenden Teils besteht jedoch keine Zweckidentität. Dadurch, dass nach der gesetzlichen Bestimmung Einnahmen anrechnungsfrei bleiben, "soweit" sie einem anderweitigen Zweck dienen, hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass eine Leistung, die verschiedene Zwecke erfüllt, auch zum Teil anrechnungsfrei bleiben kann (Hengelhaupt a.a.O., Rn. 269).

Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, dass die Unfallrente im bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Recht der Sozialhilfe eindeutig nicht privilegiert war, sondern in voller Höhe als Einkommen angerechnet wurde (BSG, Urteil vom 3.12.1990 a.a.O.). Wie ausgeführt, unterschied sich die Regelung des § 77 Abs. 1 Satz 1 BSHG von der maßgeblichen Bestimmung des SGB II dadurch, dass eine ausdrückliche anderweitige Zweckbestimmung der Leistung gefordert wurde, sodass die diesbezügliche Rechtsprechung auf den Bereich des SGB II nicht übertragbar ist. Auch wenn nach den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 15/1516, S. 53 zu § 11) die Einkommensberücksichtigung "im Wesentlichen" wie im Sozialhilferecht geregelt werden sollte, lässt diese Formulierung Abweichungen im Einzelfall durchaus zu.

Ein Wertungswiderspruch liegt auch nicht darin, dass § 83 Abs. 1 SGB XII für den Bereich der Sozialhilfe weiterhin eine ausdrückliche anderweitige Zweckbestimmung verlangt. Zwar hat der Gesetzgeber eine weitgehende Angleichung der Leistungssysteme SGB II und SGB XII angestrebt, im Detail finden sich jedoch durchaus signifikante Unterschiede. So ist beispielsweise die Vermögensanrechnung in § 12 SGB II – insbesondere durch die Gewährung der Freibeträge – erheblich großzügiger ausgestaltet als in § 90 SGB XII. Die in Teilbereichen unterschiedliche Einkommens- und Vermögensberücksichtigung im SGB II und SGB XII stellt auch keine sachwidrige Ungleichbehandlung dar, sondern trägt dem Umstand Rechnung, dass die Leistungen nach dem SGB II erwerbsfähigen Hilfebedürftigen gewährt werden und es sich daher nach der Konzeption des Gesetzes im Grundsatz nur um vorübergehende Leistungen bis zur beruflichen Eingliederung des Hilfebedürftigen handelt.

Die volle Berücksichtigung der Unfallrente würde im Übrigen zu einer verfassungsrechtlich (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung von Beziehern einer Unfallrente gegenüber Empfängern der in § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II genannten Leistungen führen. Es trifft nämlich nicht zu, dass ein sachgerechtes Unterscheidungskriterium darin liege, dass die in § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II genannten Leistungen sämtlich an ein Sonderopfer anknüpften, was bei der Unfallrente nicht der Fall sei (so aber LSG Thüringen a.a.O.). Vielmehr setzen beispielsweise auch die von § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II eindeutig erfassten Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz kein Sonderopfer für die Allgemeinheit voraus. Dagegen enthalten die von § 2 Abs. 1 Nr. 13 Buchst. a und b SGB VII erfassten Versicherungsfälle (Retter oder Nothelfer bei gemeiner Gefahr oder Unglücksfällen, Blut- und Organspender) durchaus den Gedanken eines Sonderopfers, sodass dieser nach der Konzeption des § 11 SGB II nicht das maßgebliche Kriterium für die Frage sein kann, ob Einnahmen anzurechnen sind oder nicht.

Hinzu kommt, dass die §§ 104 ff. SGB VII für Bezieher einer Unfallrente privatrechtliche Schmerzensgeldansprüche weitgehend ausschließen und damit dem Umstand Rechnung tragen, dass die Unfallrente auch der Kompensation immaterieller Schäden dient und damit letztlich die Funktion eines Schmerzensgeldes erfüllt. Insofern würde es zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung führen, wenn die Unfallrente in vollem Umfang angerechnet würde, während das Schmerzensgeld nach § 11 Abs. 3 Nr. 2 SGB II ausdrücklich anrechnungsfrei bleibt.

Schließlich ergibt sich eine andere Beurteilung auch nicht aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber die Bestimmung des § 2 S. 1 Nr. 2 der Arbeitslosenhilfe-Verordnung vom 13. Dezember 2001 – AlhiV 2002 – (BGBl. I 2001, 3734), welche die Unfallrente ausdrücklich teilweise anrechnungsfrei gestellt hat, nicht in das SGB II übernommen hat. Der Auffassung, dass hierin eine gesetzgeberische Entscheidung gegen die Privilegierung der Unfallrente liege, kann nicht gefolgt werden. Vielmehr muss dem Gesetzgeber aufgrund des Verzichts auf das Erfordernis einer ausdrücklichen Zweckbestimmung bewusst gewesen sein, dass nach der Auffangregelung des § 11 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a SGB II Einkommensarten privilegiert sein können, die es nach dem Recht der Sozialhilfe nicht waren.

Zur Bestimmung des Anteils der Verletztenrente, der dem immateriellen Schadensausgleich und damit anderen Zwecken als die Leistungen nach dem SGB II dient, ist es sachgerecht, auf die dem § 93 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) zugrunde liegende Wertung zurückzugreifen, die auch von § 2 Satz 1 Nr. 2 AlhiV 2002 übernommen worden war (Hänlein a.a.O., Rn. 62; Koch a.a.O., S. 409). Hiernach bleibt beim Zusammentreffen einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung und einer Unfallrente der Betrag der Unfallrente anrechnungsfrei, der bei gleichem Grad der MdE als Grundrente nach dem BVG geleistet würde. Die Regelung beruht auf dem Gedanken, dass nur der dem Verlust von Erwerbseinkommen dienende Anteil von Renten aus der Unfallversicherung und Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung nicht kumulativ gezahlt werden sollen und bestimmt daher in pauschalierter Form den Anteil der Unfallrente, der dem Ausgleich immaterieller Schäden dient (BSG 31.3.1998 a.a.O. S. 100; Brähler a.a.O.). Da der Kläger im streitigen Zeitraum eine Verletztenrente in Höhe von EUR 396,20 nach einer MdE von 30 v.H. bezog, beläuft sich der anrechnungsfreie Betrag auf EUR 118,- (§ 31 Abs. 1 BVG).

Schließlich beeinflusst der anrechnungsfreie Teil der Unfallrente die Lage des Klägers nicht so günstig, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt wären. Insoweit ist unter Berücksichtigung von Höhe, Dauer und Zweck der Einnahmen eine Abwägung zu treffen, ob bei Beachtung des fiskalischen öffentlichen Interesses und einem Vergleich mit anderen Hilfebedürftigen ungekürzte Leistungen nach dem SGB II noch gerechtfertigt erscheinen, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, dass Leistungen mit anderweitiger Zweckbestimmung in der Regel gerade erbracht werden, um die Situation des Empfängers zu verbessern (Mecke a.a.O., Rn. 82). Unter Berücksichtigung der Höhe des anrechnungsfreien Betrages von EUR 118,- und der dargelegten Zweckbestimmung der Unfallrente hat der Senat keine Zweifel daran, dass die Leistungen nach dem SGB II daneben noch gerechtfertigt sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.

Die Revision wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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