L 28 B 1040/07 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
28
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 95 AS 4533/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 28 B 1040/07 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 31. Mai 2006 wird zurückgewiesen. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die gemäß § 172 Abs. 1 und §173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 31. Mai 2006 ist unbegründet.

Der Antragsgegner war nicht im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) gewähren. Es besteht insoweit keine besondere Dringlichkeit, die den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlich machen würde.

In einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beurteilt sich das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Eilantrag entscheidet; im Beschwerdeverfahren ist dies der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung (Schoch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), 12. Ergänzungslieferung 2005, § 123 Randnummern 165, 166 mit weiteren Nachweisen zur Parallelproblematik in § 123 VwGO). Dies folgt daraus, dass in dem Erfordernis eines Anordnungsgrundes ein spezifisches Dringlichkeitselement enthalten ist, welches im Grundsatz nur Wirkungen für die Zukunft entfalten kann. Die rückwirkende Feststellung einer - einen zurückliegenden Zeitraum betreffenden - besonderen Dringlichkeit ist zwar rechtlich möglich, sie kann jedoch in aller Regel nicht mehr zur Bejahung eines Anordnungsgrundes führen. Denn die prozessuale Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes besteht vor dem Hintergrund des Artikels 19 Absatz 4 Grundgesetz (GG) darin, in dringenden Fällen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, in denen eine Entscheidung im - grundsätzlich vorrangigen - Verfahren der Hauptsache zu spät käme, weil ohne sie schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 22. No-vember 2002 - 1 BvR 1586/02 - NJW 2003, S. 1236 und vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - Breithaupt 2005, S. 803). Dies bedeutet aber zugleich, dass die Annahme einer besonderen Dringlichkeit und dementsprechend die Bejahung eines Anordnungsgrundes in aller Regel ausscheidet, soweit diese Dringlichkeit vor dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorgelegen hat, denn insoweit ist die besondere Dringlichkeit durch den Zeitablauf überholt, das Abwarten einer Entscheidung im Verfahren der Hauptsache über den zurückliegenden Zeitraum ist dem Rechtsschutzsuchenden in aller Regel zumutbar.

Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass das Gebot des effektiven Rechtsschutzes nach Artikel 19 Absatz 4 GG in besonderen Fällen ausnahmsweise auch die Annahme eines Anordnungsgrundes für zurückliegende Zeiträume verlangen kann, so insbesondere dann, wenn anderenfalls effektiver Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren nicht erlangt werden kann, weil bis zur Entscheidung im Verfahren der Hauptsache Fakten zum Nachteil des Rechtsschutzsuchenden geschaffen worden sind, die sich durch eine Entscheidung im Verfahren der Hauptsache nicht oder nicht hinreichend rückgängig machen lassen.

Im Hinblick hierauf kann mit dem Gesuch nach einstweiligen Rechtsschutz durch eine Entscheidung des Senats lediglich eine (vorläufige) Nachzahlung von Leistungen für einen im Zeitpunkt der Zustellung dieses Beschlusses gänzlich abgelaufenen, also in der Vergangenheit liegenden Bewilligungszeitraum – November 2005 bis 31. Mai 2006 - erreicht werden. Es ist indes nicht vorgetragen worden, dass zu befürchten ist, dass den Antragstellern durch ein Zuwarten auf eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile entstünden, die durch eine Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren nicht oder nicht hinreichend rückgängig gemacht werden könnten. Entsprechende Anhaltspunkte sind auch nach Aktenlage nicht ersichtlich. Dies bedeutet dass insoweit effektiver Rechtsschutz in einem Hauptsacheverfahren erlangt und den Antragstellern ein Zuwarten auf die Entscheidung in der Hauptsache zugemutet werden kann.

Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes kann schließlich auch insoweit keinen Erfolg haben, als die Antragsteller sinngemäß Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts "weiterhin", für die Zeit vom 1. Juni 2006 an, begehren. Der Antragsgegner hat den Antragstellern mit dem Bescheid vom 29. Mai 2006 Leistungen für einen Bewilligungszeitraum gewährt, der am 31. Mai 2006 endet. Nach Aktenlage haben weder die Antragsteller für den sich an diesen Bewilligungsabschnitt anschließenden Zeitraum einen entsprechenden Leistungsantrag gestellt noch hat gar der Beklagte einen Bescheid über die Leistungsansprüche der Antragsteller für die Zeit vom 1. Juni 2006 an erlassen. Ein solcher Bescheid würde im Übrigen auch nicht in entsprechender Anwendung des § 86 SGG oder des § 96 SGG Gegenstand eines laufenden Widerspruchsverfahrens oder eines anhängigen Hauptsacheverfahrens werden. Denn im Rahmen des SGB II ist eine analoge Anwendung der genannten Normen auf Bewilligungsbescheide für Folgezeiträume wegen der Besonderheiten dieses Rechtsgebietes nicht gerechtfertigt (Urteil des Bundessozialgerichts vom 7. November 2006 - B 7 b AS 14/06 R -, zitiert nach Juris). Bei vernünftiger und sachdienlicher Auslegung des angefochtenen Beschlusses hat das Sozialgericht auch nicht über die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes für diesen Folgezeitraum entschieden. Die Antragsteller müssen insoweit gesondert um einstweiligen Rechtsschutz nachsuchen.

Soweit die Antragsteller schließlich begehren, den Antragsgegner im Wege der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, "die Kosten für Schwangerschaftsbekleidung, Babyerstausstattung, Kinderwagen, Kinderbett, Kommode und Wäscheschrank zu übernehmen", kann dieses Rechtsschutzgesuch ebenfalls mangels Anordnungsgrundes keinen Erfolg haben. Im Übrigen waren die Antragsteller nach der nach summarischer Prüfung nicht zu beanstandenden Berechnung des Beklagten in der Lage, die Mittel für den begehrten Sonderbedarf aus eigenen Mitteln zu bestreiten. Der Antragsteller ist nach Aktenlage bei der Deutschen Post mit einem Entgelt in wechselnder Höhe beschäftigt. Soweit allerdings der Beklagte und auch das Sozialgericht meinen, dass der entsprechende Ablehnungsbescheid vom 28. Februar 2006 bestandskräftig geworden sei, bestehen hieran ernsthafte Zweifel. Denn ausweislich des Vermerks auf dem Widerspruchsschreiben des Antragstellers zu 1) vom 19. März 2006 (Blatt 2 der Gerichtsakte) hat er diesen Widerspruch am 20. März 2006 persönlich bei dem Antragsgegner abgegeben. Die Abgabe wurde mit Stempel und einer nicht lesbaren Unterschrift bestätigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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