Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 9 R 1595/01
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 5154/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19. September 2002 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die Kürzung seiner Rente wegen vorzeitiger Inanspruchnahme.
Der 1941 geborene Kläger war vom 1. Januar 1980 bis zum 31. Dezember 1997 bei der Firma E.G.O. GmbH (Fa. E.G.O.) mit Standorten in O. und S. beschäftigt. Er war zuletzt für die Entgeltabrechnung im Bereich der Gießerei in O. zuständig, die - im Rahmen von Umstrukturierungsmaßnahmen mit teilweiser oder ganzer Stilllegung einzelner Betriebsteile (und einem Abbau von etwa 600 Arbeitsplätzen) - vollständig in die Türkei verlagert wurde. Am 6. Februar 1996 vereinbarten die Fa. E.G.O. und der Gesamtbetriebsrat des Unternehmens einen Sozialplan und einen "Interessenausgleich über Restrukturierungsmaßnahmen an den Standorten O. und S.". In dem "Interessenausgleich" wurde u. a. die Einrichtung einer organisatorisch selbstständigen Beschäftigungs- und Qualifizierungsabteilung (BQA) durch die Fa. E.G.O. für die Zeit ab dem 12. Februar 1996 bis zum 31. Dezember 1997 (Höchstaufenthaltsdauer der Mitarbeiter in der BQA 12 Monate) und die Verpflichtung der Fa. E.G.O. vereinbart, "den Mitarbeitern deren Stelle ab dem 1.1.1996 wegfallen kann", schriftlich die Versetzung in die BQA bei gleichzeitigem Abschluss eines Aufhebungsvertrages anzubieten. Bei Ablehnung des Angebots sollte dem Arbeitnehmer schnellstmöglich gekündigt werden und sollte dieser eine Abfindung gemäß dem Sozialplan erhalten. Der Sozialplan enthielt u. a. die Regelung, dass sich die Fa. E.G.O. verpflichtete, allen Mitarbeitern in ihren anderen Betrieben freie oder künftig freiwerdende Arbeitsplätze anzubieten (ggf. auch mit Qualifizierungsmaßnahmen) und ein Aufhebungsvertrag erst nach Prüfung des Einzelfalls und Zustimmung durch die Fa. E.G.O. geschlossen werden konnte. Während der Verhandlungen, die zu den Vereinbarungen führten, wurden im Wesentlichen bis 23. Januar 1996 angefertigte Namenslisten erstellt, die dann Bestandteil des Interessenausgleichs wurden, wobei aber Einigkeit bestand, dass sie sich noch verändern konnten. Ab diesem Zeitpunkt wurden auch Gespräche mit betroffenen Mitarbeitern geführt, ab dem 7. Februar 1996 mit sämtlichen betroffenen Mitarbeitern, die aber nicht dokumentiert wurden. Wegen der Einzelheiten wird auf den Interessenausgleich und den Sozialplan vom 06. Februar 1996 sowie die Erläuterungen und Auskünfte der Fa. E.G.O. gegenüber der Beklagten und dem Senat verwiesen.
Am 26. September 1996 nahm der Kläger ein entsprechendes schriftliches Angebot vom 10. Juli 1996 (Versetzung in die BQA ab 01. Januar 1997 und Aufhebung des Arbeitsvertrags mit Ablauf des 31. Dezember 1997) an; ab 01. Januar 1998 war er arbeitslos.
Im Rahmen eines Kontenklärungsverfahrens entschied die Beklagte mit Bescheid vom 03. April 2000 bzw. Widerspruchsbescheid vom 29. März 2001, der Kläger genieße keinen Vertrauensschutz nach § 237 Abs. 4 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI), da die Auflösung seines Beschäftigungsverhältnisses erst nach dem 14. Februar 1996 verbindlich geregelt worden sei.
Während des Widerspruchsverfahrens bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 29. Januar 2001 ab 01. Februar 2001 Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit unter Verminderung des Zugangsfaktors um 0,003 für jeden der 49 Kalendermonate wegen vorzeitiger Inanspruchnahme der Rente (Zugangsfaktor damit 0,853). Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Rentenbescheid Bezug genommen.
Auf den Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 03. Mai 2001 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben und im Wesentlichen geltend gemacht, durch den Interessenausgleich vom 06. Februar 1996 habe der Verlust seines Arbeitsplatzes festgestanden. Damit habe eine Vereinbarung vorgelegen, auf Grund der das Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 1997 beendet worden sei. Ihm sei schließlich gar keine andere Wahl verblieben, als die Vereinbarung vom 26. September 1996, mit der die Versetzung in die BQA und die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses vereinbart worden sei, zu unterzeichnen, da man ihm sonst zum 01. Januar 1998 gekündigt hätte.
Mit Urteil vom 19. September 2002 hat das SG nach Beiziehung des Interessenausgleichs die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen des § 237 Abs. 4 SGB VI lägen nicht vor. Ein Interessenausgleich, der bei geplanten Betriebsänderungen zwischen dem Unternehmen und dem Betriebsrat vereinbart werde, stelle eine Kollektivvereinbarung besonderer Art dar, dem die Rechtsqualität einer Betriebsvereinbarung nicht zukomme, da er keine normative Wirkung für die einzelnen Arbeitsverhältnisse entfalte. Der Interessenausgleich vom 06. Februar 1996 habe kein Angebot auf eine individuelle Vertragsaufhebung enthalten, an das die Firma E.G.O. GmbH gebunden gewesen sei. Vielmehr sei die zukünftige Unterbreitung eines solchen Angebots an die betroffenen Mitarbeiter als weiteres Procedere mit dem Gesamtbetriebsrat vereinbart worden. Zur individuellen und verbindlichen Vertragsaufhebung sei es erst mit dem konkreten Angebot auf die Versetzung in die BQA gekommen, auf das der Kläger erst im September 1996 eingegangen sei.
Gegen das am 28. September 2002 zugestellte Urteil hat der Kläger am 20. Oktober 2002 Berufung eingelegt. Das vorübergehend ruhende Verfahren hat der Kläger wieder aufgenommen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19. September 2002 aufzuheben und unter Aufhebung des Bescheids vom 03. April 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. März 2001 sowie Abänderung des Bescheids vom 29. Januar 2001 die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 01. Februar 2001 höhere Altersrente wegen Arbeitslosigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß den §§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung ist unbegründet.
Nachdem die Beklagte den Rentenbescheid vom 29. Januar 2001 erlassen hat, ist dieser - was die streitige Frage betrifft - an die Stelle des Bescheids vom 03. April 2000 getreten. Die Beklagte hat im Widerspruchsbescheid allerdings den Bescheid vom 29. Januar 2001, der nach § 86 SGG Gegenstand des Vorverfahrens wurde, so auch die Rechtsmittelbelehrung der Beklagten, nicht ausdrücklich erwähnt. Dies ist jedoch für den Streitgegenstand des Klageverfahrens unschädlich. Denn die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers insgesamt zurück, was sachlich-inhaltlich auch den zum Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gewordenen Rentenbescheid erfasst.
Streitgegenstand ist somit ausschließlich, ob die zuerkannte Altersrente wegen Arbeitslosigkeit unter Berücksichtigung eines verminderten Zugangsfaktors zu ermitteln ist. Der Senat hat damit nicht zu prüfen, ob die Beklagte überhaupt zum Erlass des Bescheids vom 03. April 2000 befugt war. Der Kläger begehrt, wie dies auch in seinem Klageantrag zum Ausdruck kommt, die Gewährung einer höheren Rente unter Zugrundelegung eines höheren Zugangsfaktors als 0,853. Ein solcher Anspruch besteht nicht. Der Rentenanspruch des im Januar 1941geborenen Klägers richtet sich nach den Vorschriften des SGB VI in der zum Zeitpunkt des Rentenbeginns am 1. Februar 2001 geltenden Fassung (§ 300 Abs. 1 SGB VI; vgl u. a. Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 24. Februar 1999 - B 5 RJ 28/98 R - SozR 3-2600 § 300 Nr. 14). Die monatliche Rente ergibt sich gemäß § 64 Nr. 1 SGB VI, indem die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte (EP), der Rentenartfaktor und der aktuelle Rentenwert mit dem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden. Der Zugangsfaktor ist ein Berechnungselement der persönlichen EP, durch den nach § 63 Abs. 5 SGB VI Vor- und Nachteile einer unterschiedlichen Rentenbezugsdauer vermieden werden. Gemäß § 77 Abs. 1 SGB VI richtet sich der Zugangsfaktor nach dem Alter der Versicherten bei Rentenbeginn und bestimmt, in welchem Umfang EP bei der Ermittlung des Monatsbetrags der Rente zu berücksichtigen sind. EP, die noch nicht Grundlage einer Rente wegen Alters waren, werden bei Renten wegen Alters, die mit Ablauf des Kalendermonats nach Vollendung des 65. Lebensjahres oder eines für den Versicherten maßgebenden niedrigeren Rentenalters beginnen, in vollem Umfang berücksichtigt (Zugangsfaktor 1,0 - § 77 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI). Bei Renten wegen Alters, die vorzeitig in Anspruch genommen werden, ist der Zugangsfaktor für jeden Kalendermonat um 0,003 niedriger als 1,0 (§ 77 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a SGB VI). So liegt der Fall beim Kläger; dieser hat eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch genommen. Dies ergibt sich aus der Sonderregelung des § 237 SGB VI.
Unter den hier unstreitigen Voraussetzungen des § 237 Abs. 1 SGB VI haben Versicherte, die - wie der Kläger - vor dem 1. Januar 1952 geboren sind, ab Vollendung des 60. Lebensjahres Anspruch auf Altersrente wegen Arbeitslosigkeit. Nach § 237 Abs. 3 SGB VI wird jedoch die Altersgrenze von 60 Jahren für diese Rente für Versicherte, die nach dem 31. Dezember 1936 geboren sind, angehoben. Die vorzeitige Inanspruchnahme der Altersrente ist möglich (Satz 2); die Anhebung der Altersgrenze und die vorzeitige Inanspruchnahme bestimmen sich nach Anlage 19 (Satz 3). Daraus ergibt sich für den im Januar 1941 geborenen Kläger eine Anhebung der Altersgrenze für die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit um 49 Monate. Er konnte diese Altersrente vorzeitig in Anspruch nehmen, muss aber bei der hier erfolgten Inanspruchnahme ab dem 60. Lebensjahr Abschläge in Gestalt des verminderten Zugangsfaktors in Kauf nehmen.
Die Voraussetzungen der Ausnahmeregelung des § 237 Abs. 4 SGB VI liegen nicht vor. In Betracht kommt hier nur die Bestimmung des § 237 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB VI in der hier maßgeblichen Fassung. Die Nr. 3 der Bestimmung kommt nicht zur Anwendung, weil der Kläger nur von März 1955 bis 31. Dezember 1997 (512 Monate) versicherungspflichtig beschäftigt war, Pflichtbeiträge wegen Bezugs von Arbeitslosengeld nicht hinzuzurechnen sind und damit keine 45 Jahre Pflichtbeitragszeiten für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vorzuweisen hat; die Voraussetzungen der Nr. 2 sind ersichtlich gleichfalls nicht erfüllt.
Nach § 237 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB VI wird die Altersgrenze von 60 Jahren bei der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit für bestimmte Versicherte nur in dem dort festgelegten Umfang (bei einem Versicherten, der wie der Kläger im Januar 1941 geborenen ist, nur um einen Monat) angehoben, wenn der Versicherte bis zum 14. Februar 1941 geboren ist und (a) am 14. Februar 1996 arbeitslos war oder Anpassungsgeld für entlassene Arbeitnehmer des Bergbaus bezogen hat oder (b) sein Arbeitsverhältnis auf Grund einer Kündigung oder Vereinbarung, die vor dem 14. Februar 1996 erfolgt ist, nach dem 13. Februar 1996 beendet worden ist und er daran anschließend arbeitslos geworden ist oder Anpassungsgeld für entlassene Arbeitnehmer des Bergbaus bezogen hat.
Die erforderliche Vereinbarung im Sinne von § 237 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b SGB VI muss nicht zwingend zwischen den Parteien des Arbeitsverhältnisses abgeschlossen sein. Vielmehr sind Vereinbarungen im Sinne dieser Bestimmung alle Verträge, soweit sie die Beendigung des Arbeitsverhältnisses regeln. Erfasst werden nicht nur individuelle Gestaltungsverträge, sondern auch alle individuellen und kollektiven Verpflichtungsverträge, auf deren Grundlage der die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bewirkende Rechtsakt zu ergehen hat und auch tatsächlich ergangen ist. Insbesondere muss aber die Betriebsvereinbarung einen Verpflichtungsvertrag über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch des einzelnen Arbeitnehmers enthalten (vgl. BSG, Urteil vom 5. Juli 2005, B 4 RA 5/03 R in SozR 4-2600 § 237 Nr. 8). Er muss rechtliche und sachliche Grundlage für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses geworden sein. Der Schutzzweck der Norm beschränkt sich demgemäß nicht nur auf diejenigen Versicherten, die am Stichtag bereits eine individuelle gestaltende Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses getroffen hatten, sondern erfasst notwendig auch diejenigen, deren Arbeitsvertrag auf Grund einer vor dem 14. Februar 1996 geschlossenen wirksamen (individuellen oder) kollektiven Frühverrentungsvereinbarung enden sollte und deswegen dann später auch beendet worden ist. Diese Sach- und Rechtslage muss sich vor dem 14. Februar 1996 bereits so verfestigt haben, dass für den Arbeitnehmer die Beendigung des Arbeitsverhältnisses unausweichlich war. Diese Voraussetzungen sind bei dem vor dem 15. Februar 1941 geboren Kläger nicht erfüllt.
Ein kollektiver Verpflichtungsvertrag über die Beendigung der Arbeitsverhältnisse der einzelnen Arbeitnehmer und gerade auch dem des Klägers lag mit dem Interessenausgleich und dem Sozialplan vom 6. Februar 1996 nicht vor. Zum einen verpflichtete sich die Fa. E.G.O. in Ziffer 3.1 des Sozialplans, allen Mitarbeitern in ihren anderen Betrieben freie oder künftig frei werdende Arbeitsplätze - erforderlichenfalls auch verbunden mit dem Angebot von Qualifizierungsmaßnahmen - anzubieten, zum anderen wurde festgelegt, dass ein Aufhebungsvertrag erst nach Prüfung des Einzelfalles und Zustimmung durch die Fa. E.G.O. abgeschlossen werden konnte. Damit war weder mit der Vereinbarung des Interessenausgleichs noch mit der Vereinbarung des Sozialplans ein Ausscheiden des Klägers unausweichlich geregelt. Ein entsprechendes Auflösungsangebot der Fa. E.G.O. erfolgte - nach Prüfung des Einzelfalles und deren Entscheidung, im Falle des Klägers so zu verfahren - erst mit dem schriftlichen Angebot vom 10. Juli 1996, das der Kläger am 26. September 1996 annahm. Schon deshalb aber kann die Vereinbarung des Interessenausgleichs und des Sozialplans nicht bereits als solche einer Individualkündigung oder einem Aufhebungsvertrag gleichstehen.
Damit ist die Berufung des Klägers zurückzuweisen. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die Kürzung seiner Rente wegen vorzeitiger Inanspruchnahme.
Der 1941 geborene Kläger war vom 1. Januar 1980 bis zum 31. Dezember 1997 bei der Firma E.G.O. GmbH (Fa. E.G.O.) mit Standorten in O. und S. beschäftigt. Er war zuletzt für die Entgeltabrechnung im Bereich der Gießerei in O. zuständig, die - im Rahmen von Umstrukturierungsmaßnahmen mit teilweiser oder ganzer Stilllegung einzelner Betriebsteile (und einem Abbau von etwa 600 Arbeitsplätzen) - vollständig in die Türkei verlagert wurde. Am 6. Februar 1996 vereinbarten die Fa. E.G.O. und der Gesamtbetriebsrat des Unternehmens einen Sozialplan und einen "Interessenausgleich über Restrukturierungsmaßnahmen an den Standorten O. und S.". In dem "Interessenausgleich" wurde u. a. die Einrichtung einer organisatorisch selbstständigen Beschäftigungs- und Qualifizierungsabteilung (BQA) durch die Fa. E.G.O. für die Zeit ab dem 12. Februar 1996 bis zum 31. Dezember 1997 (Höchstaufenthaltsdauer der Mitarbeiter in der BQA 12 Monate) und die Verpflichtung der Fa. E.G.O. vereinbart, "den Mitarbeitern deren Stelle ab dem 1.1.1996 wegfallen kann", schriftlich die Versetzung in die BQA bei gleichzeitigem Abschluss eines Aufhebungsvertrages anzubieten. Bei Ablehnung des Angebots sollte dem Arbeitnehmer schnellstmöglich gekündigt werden und sollte dieser eine Abfindung gemäß dem Sozialplan erhalten. Der Sozialplan enthielt u. a. die Regelung, dass sich die Fa. E.G.O. verpflichtete, allen Mitarbeitern in ihren anderen Betrieben freie oder künftig freiwerdende Arbeitsplätze anzubieten (ggf. auch mit Qualifizierungsmaßnahmen) und ein Aufhebungsvertrag erst nach Prüfung des Einzelfalls und Zustimmung durch die Fa. E.G.O. geschlossen werden konnte. Während der Verhandlungen, die zu den Vereinbarungen führten, wurden im Wesentlichen bis 23. Januar 1996 angefertigte Namenslisten erstellt, die dann Bestandteil des Interessenausgleichs wurden, wobei aber Einigkeit bestand, dass sie sich noch verändern konnten. Ab diesem Zeitpunkt wurden auch Gespräche mit betroffenen Mitarbeitern geführt, ab dem 7. Februar 1996 mit sämtlichen betroffenen Mitarbeitern, die aber nicht dokumentiert wurden. Wegen der Einzelheiten wird auf den Interessenausgleich und den Sozialplan vom 06. Februar 1996 sowie die Erläuterungen und Auskünfte der Fa. E.G.O. gegenüber der Beklagten und dem Senat verwiesen.
Am 26. September 1996 nahm der Kläger ein entsprechendes schriftliches Angebot vom 10. Juli 1996 (Versetzung in die BQA ab 01. Januar 1997 und Aufhebung des Arbeitsvertrags mit Ablauf des 31. Dezember 1997) an; ab 01. Januar 1998 war er arbeitslos.
Im Rahmen eines Kontenklärungsverfahrens entschied die Beklagte mit Bescheid vom 03. April 2000 bzw. Widerspruchsbescheid vom 29. März 2001, der Kläger genieße keinen Vertrauensschutz nach § 237 Abs. 4 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI), da die Auflösung seines Beschäftigungsverhältnisses erst nach dem 14. Februar 1996 verbindlich geregelt worden sei.
Während des Widerspruchsverfahrens bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 29. Januar 2001 ab 01. Februar 2001 Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit unter Verminderung des Zugangsfaktors um 0,003 für jeden der 49 Kalendermonate wegen vorzeitiger Inanspruchnahme der Rente (Zugangsfaktor damit 0,853). Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Rentenbescheid Bezug genommen.
Auf den Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 03. Mai 2001 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben und im Wesentlichen geltend gemacht, durch den Interessenausgleich vom 06. Februar 1996 habe der Verlust seines Arbeitsplatzes festgestanden. Damit habe eine Vereinbarung vorgelegen, auf Grund der das Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 1997 beendet worden sei. Ihm sei schließlich gar keine andere Wahl verblieben, als die Vereinbarung vom 26. September 1996, mit der die Versetzung in die BQA und die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses vereinbart worden sei, zu unterzeichnen, da man ihm sonst zum 01. Januar 1998 gekündigt hätte.
Mit Urteil vom 19. September 2002 hat das SG nach Beiziehung des Interessenausgleichs die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen des § 237 Abs. 4 SGB VI lägen nicht vor. Ein Interessenausgleich, der bei geplanten Betriebsänderungen zwischen dem Unternehmen und dem Betriebsrat vereinbart werde, stelle eine Kollektivvereinbarung besonderer Art dar, dem die Rechtsqualität einer Betriebsvereinbarung nicht zukomme, da er keine normative Wirkung für die einzelnen Arbeitsverhältnisse entfalte. Der Interessenausgleich vom 06. Februar 1996 habe kein Angebot auf eine individuelle Vertragsaufhebung enthalten, an das die Firma E.G.O. GmbH gebunden gewesen sei. Vielmehr sei die zukünftige Unterbreitung eines solchen Angebots an die betroffenen Mitarbeiter als weiteres Procedere mit dem Gesamtbetriebsrat vereinbart worden. Zur individuellen und verbindlichen Vertragsaufhebung sei es erst mit dem konkreten Angebot auf die Versetzung in die BQA gekommen, auf das der Kläger erst im September 1996 eingegangen sei.
Gegen das am 28. September 2002 zugestellte Urteil hat der Kläger am 20. Oktober 2002 Berufung eingelegt. Das vorübergehend ruhende Verfahren hat der Kläger wieder aufgenommen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19. September 2002 aufzuheben und unter Aufhebung des Bescheids vom 03. April 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. März 2001 sowie Abänderung des Bescheids vom 29. Januar 2001 die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 01. Februar 2001 höhere Altersrente wegen Arbeitslosigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß den §§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung ist unbegründet.
Nachdem die Beklagte den Rentenbescheid vom 29. Januar 2001 erlassen hat, ist dieser - was die streitige Frage betrifft - an die Stelle des Bescheids vom 03. April 2000 getreten. Die Beklagte hat im Widerspruchsbescheid allerdings den Bescheid vom 29. Januar 2001, der nach § 86 SGG Gegenstand des Vorverfahrens wurde, so auch die Rechtsmittelbelehrung der Beklagten, nicht ausdrücklich erwähnt. Dies ist jedoch für den Streitgegenstand des Klageverfahrens unschädlich. Denn die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers insgesamt zurück, was sachlich-inhaltlich auch den zum Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gewordenen Rentenbescheid erfasst.
Streitgegenstand ist somit ausschließlich, ob die zuerkannte Altersrente wegen Arbeitslosigkeit unter Berücksichtigung eines verminderten Zugangsfaktors zu ermitteln ist. Der Senat hat damit nicht zu prüfen, ob die Beklagte überhaupt zum Erlass des Bescheids vom 03. April 2000 befugt war. Der Kläger begehrt, wie dies auch in seinem Klageantrag zum Ausdruck kommt, die Gewährung einer höheren Rente unter Zugrundelegung eines höheren Zugangsfaktors als 0,853. Ein solcher Anspruch besteht nicht. Der Rentenanspruch des im Januar 1941geborenen Klägers richtet sich nach den Vorschriften des SGB VI in der zum Zeitpunkt des Rentenbeginns am 1. Februar 2001 geltenden Fassung (§ 300 Abs. 1 SGB VI; vgl u. a. Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 24. Februar 1999 - B 5 RJ 28/98 R - SozR 3-2600 § 300 Nr. 14). Die monatliche Rente ergibt sich gemäß § 64 Nr. 1 SGB VI, indem die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte (EP), der Rentenartfaktor und der aktuelle Rentenwert mit dem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden. Der Zugangsfaktor ist ein Berechnungselement der persönlichen EP, durch den nach § 63 Abs. 5 SGB VI Vor- und Nachteile einer unterschiedlichen Rentenbezugsdauer vermieden werden. Gemäß § 77 Abs. 1 SGB VI richtet sich der Zugangsfaktor nach dem Alter der Versicherten bei Rentenbeginn und bestimmt, in welchem Umfang EP bei der Ermittlung des Monatsbetrags der Rente zu berücksichtigen sind. EP, die noch nicht Grundlage einer Rente wegen Alters waren, werden bei Renten wegen Alters, die mit Ablauf des Kalendermonats nach Vollendung des 65. Lebensjahres oder eines für den Versicherten maßgebenden niedrigeren Rentenalters beginnen, in vollem Umfang berücksichtigt (Zugangsfaktor 1,0 - § 77 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI). Bei Renten wegen Alters, die vorzeitig in Anspruch genommen werden, ist der Zugangsfaktor für jeden Kalendermonat um 0,003 niedriger als 1,0 (§ 77 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a SGB VI). So liegt der Fall beim Kläger; dieser hat eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch genommen. Dies ergibt sich aus der Sonderregelung des § 237 SGB VI.
Unter den hier unstreitigen Voraussetzungen des § 237 Abs. 1 SGB VI haben Versicherte, die - wie der Kläger - vor dem 1. Januar 1952 geboren sind, ab Vollendung des 60. Lebensjahres Anspruch auf Altersrente wegen Arbeitslosigkeit. Nach § 237 Abs. 3 SGB VI wird jedoch die Altersgrenze von 60 Jahren für diese Rente für Versicherte, die nach dem 31. Dezember 1936 geboren sind, angehoben. Die vorzeitige Inanspruchnahme der Altersrente ist möglich (Satz 2); die Anhebung der Altersgrenze und die vorzeitige Inanspruchnahme bestimmen sich nach Anlage 19 (Satz 3). Daraus ergibt sich für den im Januar 1941 geborenen Kläger eine Anhebung der Altersgrenze für die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit um 49 Monate. Er konnte diese Altersrente vorzeitig in Anspruch nehmen, muss aber bei der hier erfolgten Inanspruchnahme ab dem 60. Lebensjahr Abschläge in Gestalt des verminderten Zugangsfaktors in Kauf nehmen.
Die Voraussetzungen der Ausnahmeregelung des § 237 Abs. 4 SGB VI liegen nicht vor. In Betracht kommt hier nur die Bestimmung des § 237 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB VI in der hier maßgeblichen Fassung. Die Nr. 3 der Bestimmung kommt nicht zur Anwendung, weil der Kläger nur von März 1955 bis 31. Dezember 1997 (512 Monate) versicherungspflichtig beschäftigt war, Pflichtbeiträge wegen Bezugs von Arbeitslosengeld nicht hinzuzurechnen sind und damit keine 45 Jahre Pflichtbeitragszeiten für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vorzuweisen hat; die Voraussetzungen der Nr. 2 sind ersichtlich gleichfalls nicht erfüllt.
Nach § 237 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB VI wird die Altersgrenze von 60 Jahren bei der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit für bestimmte Versicherte nur in dem dort festgelegten Umfang (bei einem Versicherten, der wie der Kläger im Januar 1941 geborenen ist, nur um einen Monat) angehoben, wenn der Versicherte bis zum 14. Februar 1941 geboren ist und (a) am 14. Februar 1996 arbeitslos war oder Anpassungsgeld für entlassene Arbeitnehmer des Bergbaus bezogen hat oder (b) sein Arbeitsverhältnis auf Grund einer Kündigung oder Vereinbarung, die vor dem 14. Februar 1996 erfolgt ist, nach dem 13. Februar 1996 beendet worden ist und er daran anschließend arbeitslos geworden ist oder Anpassungsgeld für entlassene Arbeitnehmer des Bergbaus bezogen hat.
Die erforderliche Vereinbarung im Sinne von § 237 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b SGB VI muss nicht zwingend zwischen den Parteien des Arbeitsverhältnisses abgeschlossen sein. Vielmehr sind Vereinbarungen im Sinne dieser Bestimmung alle Verträge, soweit sie die Beendigung des Arbeitsverhältnisses regeln. Erfasst werden nicht nur individuelle Gestaltungsverträge, sondern auch alle individuellen und kollektiven Verpflichtungsverträge, auf deren Grundlage der die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bewirkende Rechtsakt zu ergehen hat und auch tatsächlich ergangen ist. Insbesondere muss aber die Betriebsvereinbarung einen Verpflichtungsvertrag über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch des einzelnen Arbeitnehmers enthalten (vgl. BSG, Urteil vom 5. Juli 2005, B 4 RA 5/03 R in SozR 4-2600 § 237 Nr. 8). Er muss rechtliche und sachliche Grundlage für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses geworden sein. Der Schutzzweck der Norm beschränkt sich demgemäß nicht nur auf diejenigen Versicherten, die am Stichtag bereits eine individuelle gestaltende Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses getroffen hatten, sondern erfasst notwendig auch diejenigen, deren Arbeitsvertrag auf Grund einer vor dem 14. Februar 1996 geschlossenen wirksamen (individuellen oder) kollektiven Frühverrentungsvereinbarung enden sollte und deswegen dann später auch beendet worden ist. Diese Sach- und Rechtslage muss sich vor dem 14. Februar 1996 bereits so verfestigt haben, dass für den Arbeitnehmer die Beendigung des Arbeitsverhältnisses unausweichlich war. Diese Voraussetzungen sind bei dem vor dem 15. Februar 1941 geboren Kläger nicht erfüllt.
Ein kollektiver Verpflichtungsvertrag über die Beendigung der Arbeitsverhältnisse der einzelnen Arbeitnehmer und gerade auch dem des Klägers lag mit dem Interessenausgleich und dem Sozialplan vom 6. Februar 1996 nicht vor. Zum einen verpflichtete sich die Fa. E.G.O. in Ziffer 3.1 des Sozialplans, allen Mitarbeitern in ihren anderen Betrieben freie oder künftig frei werdende Arbeitsplätze - erforderlichenfalls auch verbunden mit dem Angebot von Qualifizierungsmaßnahmen - anzubieten, zum anderen wurde festgelegt, dass ein Aufhebungsvertrag erst nach Prüfung des Einzelfalles und Zustimmung durch die Fa. E.G.O. abgeschlossen werden konnte. Damit war weder mit der Vereinbarung des Interessenausgleichs noch mit der Vereinbarung des Sozialplans ein Ausscheiden des Klägers unausweichlich geregelt. Ein entsprechendes Auflösungsangebot der Fa. E.G.O. erfolgte - nach Prüfung des Einzelfalles und deren Entscheidung, im Falle des Klägers so zu verfahren - erst mit dem schriftlichen Angebot vom 10. Juli 1996, das der Kläger am 26. September 1996 annahm. Schon deshalb aber kann die Vereinbarung des Interessenausgleichs und des Sozialplans nicht bereits als solche einer Individualkündigung oder einem Aufhebungsvertrag gleichstehen.
Damit ist die Berufung des Klägers zurückzuweisen. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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