Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 V 1162/69
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1) Eine Neufeststellung in Bezug auf den Anspruch auf Berufsschadensausgleich liegt nicht vor, wenn ein bindender Bescheid nach dem 1. NOG zum BVG die Ablehnung wegen Fehlens der Eigenschaft als Erwerbsunfähiger beinhaltet und der neue Antrag unter Bezugnahme auf das 3. NOG gestellt wird.
2) Kann bei Unterstellung ungeschädigter Heimkehr von der Erreichung des Berufs als Fachschulingenieur ausgegangen werden, so kommt wegen der Nivellierung enthaltenen Generalisierung und Pauschalierung des Berufsschadensrechts Einstufung in die Leistungsgruppe III der technischen Angestellten im einschlägigen Wirtschaftsbereich in Betracht.
2) Kann bei Unterstellung ungeschädigter Heimkehr von der Erreichung des Berufs als Fachschulingenieur ausgegangen werden, so kommt wegen der Nivellierung enthaltenen Generalisierung und Pauschalierung des Berufsschadensrechts Einstufung in die Leistungsgruppe III der technischen Angestellten im einschlägigen Wirtschaftsbereich in Betracht.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/M. vom 15. Oktober 1969 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Bei dem 1924 geborenen Kläger sind durch Neufeststellungsbescheid vom 23. August 1967 "Verlust des linken Beines im Unterschenkel bei ungünstiger Weichteildeckung u. erheblicher Muskelverschmächtigung des li. Unterschenkelrestes sowie am Oberschenkel. Ausgedehnte Narbenbildung am Oberschenkel mit Fascinenlücken. Streckhemmung im li. Kniegelenk u. Rotationsbehinderung im li. Hüftgelenk, Luxationsstellung des li. Schultereckgelenkes mit deutlichen verformenden Veränderungen” als Schädigungsfolgen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) mit einem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 70 v.H. anerkannt.
Am 25. Juli 1961 stellte er beim Versorgungsamt Frankfurt/M. Antrag auf Berufsschadensausgleich nach dem 1. Neuordnungsgesetz (NOG), der durch bindend gewordenen Bescheid vom 28. Juli 1961 wegen damaligen Fehlens der Eigenschaft als Erwerbsunfähiger abgelehnt wurde.
Sein mit Zeugnissen und Bescheinigungen begründeter Antrag auf Anerkennung des besonderen beruflichen Betroffenseins vom 26. September 1962 führte zur Einschaltung des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen in Bezug auf die Frage der Durchführung berufsfördernder Maßnahmen und zu Ermittlungen des Versorgungsamtes bei der Deutschen Bundesbahn. Alsdann erging der ablehnende Bescheid vom 18. Januar 1963, der durch Widerspruchsbescheid vom 22. April 1963 bestätigt und bindend wurde.
Am 4. Dezember 1967 beantragte der Kläger erneut Berufsschadensausgleich unter Bezugnahme auf die Verbesserungen des 3. NOG. Zur Begründung verwies er auf seine früheren einschlägigen Ausführungen, wonach er den Beruf eines Werkzeugmachers erlernt, eine Berufsschulausbildung mit der Berechtigung des Besuches einer höheren technischen Lehranstalt abgeschlossen habe und am 15. März 1942 als Reichsbahnpraktikant in die Dienste der damaligen Deutschen Reichsbahn getreten sei. Diese habe beabsichtigt, ihn nach Abschluß eines fünfsemestrigen Studiums, mit dem er bis zu seiner Einberufung im Oktober 1942 bereits begonnen gehabt habe, als technischen Reichsbahninspektor-Anwärter zu übernehmen. Insbesondere wegen seiner Verletzung und der erst 1947 durchgeführten Amputation, aber auch aus wirtschaftlichen und verkehrstechnischen Gründen sei ihm die Fortführung des Studiums nach dem Kriege nicht möglich gewesen. Er übe statt des angestrebten Berufes eines Ingenieurs oder technischen Inspektors die bedeutend geringer bezahlte Tätigkeit eines gehobenen Telefonisten aus, nachdem er zuvor nur als Werkstattschreiber habe beschäftigt werden können.
Mit "Benachrichtigung” vom 12. Dezember 1967 lehnte das Versorgungsamt diesen Antrag unter Hinweis auf die Bindungswirkung des Bescheides vom 18. Januar 1963 ab. Auf einen wiederholten Antrag des Klägers vom 19. Januar 1968 hin erließ es den Bescheid vom 19. Februar 1968, in dem zur Begründung auf die fehlenden Voraussetzungen zur Anwendung des § 30 Abs. 2 BVG sowie darauf hingewiesen wurde, daß er sich nach Auskunft der Bundesbahndirektion F. nach Kriegsende nicht mehr um eine Einstellung bei der Bundesbahn bemüht habe. Außerdem hätte er trotz der Schädigung seine Ausbildung zum Ingenieur durchführen können. Eine schädigungsbedingte Einkommensminderung könne daher nicht festgestellt werden. Auf den Hinweis des Klägers im Widerspruchsverfahren, die Änderungen des Gesetzes aufgrund des 3. NOG seien unberücksichtigt geblieben, erging am 29. März 1966 zusätzlich ein Ergänzungsbescheid unter Bezugnahme auf die neueste Gesetzesfassung.
Der den angefochtenen Bescheid bestätigende Widerspruchsbescheid vom 16. April 1968 verwies wiederum sowohl auf die Bindungswirkung des Bescheides vom 18. Januar 1963 als auch auf den Umstand, daß eine schädigungsbedingte Einkommensminderung nicht festzustellen sei.
Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Frankfurt/M. hat der Kläger vorgetragen, er wäre als Ungeschädigter nach dem Kriege auch ohne ein Stipendium der Bahnbehörde etwa bis zum Jahre 1980 Maschinenbauingenieur geworden. Ihm gebühre deshalb Berufsschadensausgleich unter Eingruppierung in die Leistungsgruppe II der technischen Angestellten.
Durch Urteil vom 15. Oktober 1969 ist das Sozialgericht seinem Begehren insoweit gefolgt, als es den Beklagten unter Aufhebung der Bescheide vom 19. Februar und 29. März 1968 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. April 1968 verurteilt hat, Berufsschadensausgleich in gesetzlicher Höhe nach Leistungsgruppe III der technischen Angestellten in der Fachrichtung Maschinenbau ab 1. Dezember 1967 zu gewähren. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, der Kläger würde ohne die Schädigungsfolgen heute eine Tätigkeit als technischer Angestellter innerhalb dieser Leistungsgruppe ausüben. Denn sein Werdegang nach dem Kriege beweise, daß er am beruflichen Fortkommen interessiert gewesen sei. Es sei jedoch nicht wahrscheinlich, daß er seine Ausbildung zum Ingenieur erfolgreich hätte beenden können, was in den damaligen wirtschaftlichen Verhältnissen gelegen hätte. Auch bei Unterstellung der Erreichung dieses Berufszieles sei nicht wahrscheinlich, daß er eine Stelle mit Tätigkeitsmerkmalen der Leistungsgruppe II bekleiden würde. Ein solcher Aufstieg sei insbesondere in Ansehung der Erhebungen des Statistischen Bundesamtes nur möglich.
Gegen dieses Urteil, das am 23. Oktober 1969 mittels eingeschriebenen Briefes an den Kläger abgesandt worden ist, richtet sich seine am 20. November 1969 beim Hess. Landessozialgericht eingegangene Berufung. Zur Begründung trägt er vor, er habe trotz seiner Schädigungsfolgen, die eine MdE von 70 v.H. bedingten, eine Stellung erreicht, die seit September 1969 mit 1.350,– DM monatlich bezahlt werde. Damit habe er die Leistungsgruppe III schon überschritten. Bei gesunder Heimkehr wäre er mindestens Meister oder Techniker in leitender Position, wenn nicht voll ausgebildeter Ingenieur im Maschinenbau. Die Leistungsgruppe II sei deshalb im Hinblick auf die gesamte Situation in der Metallindustrie noch bescheiden. Über seine Fähigkeiten und Leistungen gäben die von ihm überreichten Bescheinigungen des F. W. und des F. S. sowie seine früheren Schulzeugnisse Auskunft. Auch habe seine Arbeitgeberin am 14. Mai 1968 bestätigt, daß er ohne Schädigungsfolgen aufgrund seiner Vorbildung und Fähigkeiten in einer günstigeren Position mit entsprechend höherer Bezahlung tätig sein könne.
Der Kläger beantragt sinngemäss,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/M. vom 15. Oktober 1969 insoweit aufzuheben, als seine Klage abgewiesen worden ist und den Beklagten unter Aufhebung der Bescheide vom 19. Februar 1960 und vom 29. März 1968 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. April 1968 zu verurteilen, Berufsschadensausgleich in gesetzlicher Höhe unter Eingruppierung in die Leistungsgruppe I b, mindestens aber in die Leistungsgruppe II der technischen Angestellten im Wirtschaftsbereich Maschinenbau ab 1. Dezember 1967 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Eine höhere Leistungsgruppe als die, welche das Sozialgericht zugestanden habe, lasse sich nicht rechtfertigen.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Die Akten des Versorgungsamtes Frankfurt/M. mit der Grdl. Nr. und die Personalakten des Klägers von der Bundesbahndirektion F. haben vorgelegen. Auf ihren Inhalt und den der Gerichtsakten beider Instanzen wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist nach § 151 Abs. 1 SGG frist- und formgerecht eingelegt worden und auch im übrigen gemäß § 143 SGG sachlich uneingeschränkt zulässig.
Obwohl der Kläger bereits im Jahre 1961 Antrag auf Gewährung von Berufsschadensausgleich gestellt hatte, über den durch Bescheid vom 28. Juli 1961 bindend entschieden worden ist, findet § 148 Ziff. 3 SGG keine Anwendung. Denn eine Neufeststellung im Sinne dieser Vorschrift liegt deshalb nicht vor, weil das 3. NOG zum BVG – wie zuvor bereits das 2. NOG – die Anspruchsvoraussetzungen des § 30 Abs. 3 und 4 geändert hat. Während früher die Eigenschaft als Erwerbsunfähiger gefordert wurde, ist die Gewährung von Berufsschadensausgleich seit Inkrafttreten des 2. NOG bereits möglich, wenn der Antragsteller Schwerbeschädigter ist. Aus diesem Grunde ist der Antrag des Klägers vom 4. Dezember 1967, den er am 19. Januar 1968 erneuert hat, als Antrag auf Erstfeststellung nach dem 3. NOG und nicht auf Neufeststellung im Hinblick auf den Bescheid vom 28. Juli 1961 zu verstehen. Dementsprechend hat der Beklagte ihn auch bearbeitet, wenn von der – sachlich und rechtlich unrichtigen – Benachrichtigung vom 12. Dezember 1967 abgesehen wird. Diese durfte jedoch aus der Sicht des Senats außer Betracht bleiben, da sie – obwohl nicht erkennbar aufgehoben – durch die Bescheide vom 19. Februar und 29. März 1968 überholt und gegenstandslos geworden ist.
Die hiernach zulässige Berufung des Klägers ist aber nicht begründet. Der Senat pflichtet den Sozialgericht dahin bei, daß es nicht wahrscheinlich ist im Sinne der im Versorgungsrecht geltenden Kausaltheorie, daß der Kläger in eine Angestelltenposition der Leistungsgruppe II aufgestiegen wäre. Ein noch weitergehender Aufstieg ist darüberhinaus eine gänzlich vage, nur theoretische Möglichkeit, der in Beachtung der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts keine Bedeutung zukommt. Denn ein Angehöriger der Leistungsgruppe I b muß auf die Geschicke seines Betriebes maßgeblich Einfluß nehmen können. Er hat sich in einer überragenden Position zu befinden, die nur wenige erreichen. Insoweit fehlt es angesichts des schulischen und beruflichen Werdeganges des Klägers in Wertung der Struktur des Berufsschadensrechts an jeglichen konkreten Anhaltspunkten.
Anhaltspunkte dafür, daß er über die Leistungsgruppe III hinausgekommen wäre, sind jedoch ihrerseits ebenfalls nicht in genügendem Maße vorhanden, so daß die vom Vordergericht vorgenommene Eingruppierung erforderlich war, aber auch genügend ist.
Der Kläger übersieht bei seiner Argumentation, daß auf sein tatsächliches oder auf ein fiktives Einkommen – bei Außerachtlassung seiner Schädigungsfolgen – nicht entscheidend, sondern allenfalls indizienhaft abzustellen ist. Das gleiche gilt entsprechend für seine Einlassung in Bezug auf seine individuellen beruflichen Chancen und Einzelerfolge. Denn das Berufsschadensrecht ist auf Pauschalierung und Generalisierung ausgerichtet. Diese führen zwangsläufig zu einer Nivellierung, die Indessen vom Gesetzgeber bewußt in Kauf genommen worden ist, um zu einer sozial möglichst gerechten Beurteilung und Verteilung zu kommen. So betrachtet ist der Berufsschadensausgleich eben ein Ausgleich und kein voller Ersatz für entgangene berufliche Möglichkeiten im Einzelfall.
Die Merkaale der Leistungsgruppen, wie sie im Rundschreiben des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vom 25. Oktober 1960 (BVBl. S. 151), das der Senat als mit dem Gesetz in Einklang stehend ansieht, enthalten sind, geben im Hinblick auf den hiernach allein entscheidenden beruflichen Durchschnittserfolg klare Hinweise. Aus diesen ist zu entnehmen, daß die Leistungsgruppe III und keine höhere angemessen ist. Denn der Kläger möge bedenken, daß in die ihm zugestandene Gruppe technische Angestellte mit mehrjähriger Berufserfahrung oder besonderen Fachkenntnissen und Fähigkeiten und solche in qualifizierter Tätigkeit gehören, welche die fachlichen Erfahrungen eines Meisters aufweisen, bei erhöhter Verantwortung größeren Abteilungen vorstehen und denen Aufsichtspersonen und Hilfsmeisters unterstellt sind. Selbst in der Leistungsgruppe IV werden schon Angestellte vorausgesetzt, die eine abgeschlossene Berufsausbildung besitzen oder erfolgreich eine Fachschule besucht haben.
Auch wenn der Kläger nach dem Kriege als Ungeschädigter die wirtschaftlichen Voraussetzungen hätte schaffen und sein Ingenieurstudium beenden können – seine eigene Einlassung im Widerspruchs- und Klageverfahren und die Bescheinigung des F. S. sprachen allerdings dagegen – und wenn überdies zu seinen Gunsten unterstellt wird, daß die Ausnahmeregelungen des sog. 3. Reiches in Bezug auf die schulische Vorbildung Studierender unter den gesetzlichen und verwaltungsmäßigen Vorschriften der demokratischen Obersten Schulbehörden nach 1945 Bestand behalten hätten, spricht erheblich mehr gegen einen Aufstieg bis in die Leistungsgruppe II als dafür. Zutreffend hat das Sozialgericht insoweit ausgeführt, daß sich nach den Erhebungen des Statistischen Bundesamtes nur etwa ein Viertel aller Angestellten in dieser Leistungsgruppe befinden. Schon deshalb ist die Wahrscheinlichkeit nicht genügend gross, auch wenn der Senat das berufliche Streben des Klägers in Anwendung des § 2 der Durchführungsverordnung zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG in jeder Hinsicht wertet. Er mußte jedoch auch berücksichtigen, daß es offenkundig vornehmlich Hochschulingenieure sind, die Stellungen mit den Merkmalen der Leistungsgruppe II bekleiden und nicht Fachschul-Ingenieure. Gegenteilige Einzelfälle sind durchaus bekannt, können aber auf die vorliegende Entscheidung keinen Einfluß haben. Denn auch insoweit spricht der Grundsatz der Generalisierung dagegen, der vom Durchschnitt auszugehen zwingt.
Nach alledem war, wie geschehen, zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Bei dem 1924 geborenen Kläger sind durch Neufeststellungsbescheid vom 23. August 1967 "Verlust des linken Beines im Unterschenkel bei ungünstiger Weichteildeckung u. erheblicher Muskelverschmächtigung des li. Unterschenkelrestes sowie am Oberschenkel. Ausgedehnte Narbenbildung am Oberschenkel mit Fascinenlücken. Streckhemmung im li. Kniegelenk u. Rotationsbehinderung im li. Hüftgelenk, Luxationsstellung des li. Schultereckgelenkes mit deutlichen verformenden Veränderungen” als Schädigungsfolgen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) mit einem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 70 v.H. anerkannt.
Am 25. Juli 1961 stellte er beim Versorgungsamt Frankfurt/M. Antrag auf Berufsschadensausgleich nach dem 1. Neuordnungsgesetz (NOG), der durch bindend gewordenen Bescheid vom 28. Juli 1961 wegen damaligen Fehlens der Eigenschaft als Erwerbsunfähiger abgelehnt wurde.
Sein mit Zeugnissen und Bescheinigungen begründeter Antrag auf Anerkennung des besonderen beruflichen Betroffenseins vom 26. September 1962 führte zur Einschaltung des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen in Bezug auf die Frage der Durchführung berufsfördernder Maßnahmen und zu Ermittlungen des Versorgungsamtes bei der Deutschen Bundesbahn. Alsdann erging der ablehnende Bescheid vom 18. Januar 1963, der durch Widerspruchsbescheid vom 22. April 1963 bestätigt und bindend wurde.
Am 4. Dezember 1967 beantragte der Kläger erneut Berufsschadensausgleich unter Bezugnahme auf die Verbesserungen des 3. NOG. Zur Begründung verwies er auf seine früheren einschlägigen Ausführungen, wonach er den Beruf eines Werkzeugmachers erlernt, eine Berufsschulausbildung mit der Berechtigung des Besuches einer höheren technischen Lehranstalt abgeschlossen habe und am 15. März 1942 als Reichsbahnpraktikant in die Dienste der damaligen Deutschen Reichsbahn getreten sei. Diese habe beabsichtigt, ihn nach Abschluß eines fünfsemestrigen Studiums, mit dem er bis zu seiner Einberufung im Oktober 1942 bereits begonnen gehabt habe, als technischen Reichsbahninspektor-Anwärter zu übernehmen. Insbesondere wegen seiner Verletzung und der erst 1947 durchgeführten Amputation, aber auch aus wirtschaftlichen und verkehrstechnischen Gründen sei ihm die Fortführung des Studiums nach dem Kriege nicht möglich gewesen. Er übe statt des angestrebten Berufes eines Ingenieurs oder technischen Inspektors die bedeutend geringer bezahlte Tätigkeit eines gehobenen Telefonisten aus, nachdem er zuvor nur als Werkstattschreiber habe beschäftigt werden können.
Mit "Benachrichtigung” vom 12. Dezember 1967 lehnte das Versorgungsamt diesen Antrag unter Hinweis auf die Bindungswirkung des Bescheides vom 18. Januar 1963 ab. Auf einen wiederholten Antrag des Klägers vom 19. Januar 1968 hin erließ es den Bescheid vom 19. Februar 1968, in dem zur Begründung auf die fehlenden Voraussetzungen zur Anwendung des § 30 Abs. 2 BVG sowie darauf hingewiesen wurde, daß er sich nach Auskunft der Bundesbahndirektion F. nach Kriegsende nicht mehr um eine Einstellung bei der Bundesbahn bemüht habe. Außerdem hätte er trotz der Schädigung seine Ausbildung zum Ingenieur durchführen können. Eine schädigungsbedingte Einkommensminderung könne daher nicht festgestellt werden. Auf den Hinweis des Klägers im Widerspruchsverfahren, die Änderungen des Gesetzes aufgrund des 3. NOG seien unberücksichtigt geblieben, erging am 29. März 1966 zusätzlich ein Ergänzungsbescheid unter Bezugnahme auf die neueste Gesetzesfassung.
Der den angefochtenen Bescheid bestätigende Widerspruchsbescheid vom 16. April 1968 verwies wiederum sowohl auf die Bindungswirkung des Bescheides vom 18. Januar 1963 als auch auf den Umstand, daß eine schädigungsbedingte Einkommensminderung nicht festzustellen sei.
Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Frankfurt/M. hat der Kläger vorgetragen, er wäre als Ungeschädigter nach dem Kriege auch ohne ein Stipendium der Bahnbehörde etwa bis zum Jahre 1980 Maschinenbauingenieur geworden. Ihm gebühre deshalb Berufsschadensausgleich unter Eingruppierung in die Leistungsgruppe II der technischen Angestellten.
Durch Urteil vom 15. Oktober 1969 ist das Sozialgericht seinem Begehren insoweit gefolgt, als es den Beklagten unter Aufhebung der Bescheide vom 19. Februar und 29. März 1968 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. April 1968 verurteilt hat, Berufsschadensausgleich in gesetzlicher Höhe nach Leistungsgruppe III der technischen Angestellten in der Fachrichtung Maschinenbau ab 1. Dezember 1967 zu gewähren. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, der Kläger würde ohne die Schädigungsfolgen heute eine Tätigkeit als technischer Angestellter innerhalb dieser Leistungsgruppe ausüben. Denn sein Werdegang nach dem Kriege beweise, daß er am beruflichen Fortkommen interessiert gewesen sei. Es sei jedoch nicht wahrscheinlich, daß er seine Ausbildung zum Ingenieur erfolgreich hätte beenden können, was in den damaligen wirtschaftlichen Verhältnissen gelegen hätte. Auch bei Unterstellung der Erreichung dieses Berufszieles sei nicht wahrscheinlich, daß er eine Stelle mit Tätigkeitsmerkmalen der Leistungsgruppe II bekleiden würde. Ein solcher Aufstieg sei insbesondere in Ansehung der Erhebungen des Statistischen Bundesamtes nur möglich.
Gegen dieses Urteil, das am 23. Oktober 1969 mittels eingeschriebenen Briefes an den Kläger abgesandt worden ist, richtet sich seine am 20. November 1969 beim Hess. Landessozialgericht eingegangene Berufung. Zur Begründung trägt er vor, er habe trotz seiner Schädigungsfolgen, die eine MdE von 70 v.H. bedingten, eine Stellung erreicht, die seit September 1969 mit 1.350,– DM monatlich bezahlt werde. Damit habe er die Leistungsgruppe III schon überschritten. Bei gesunder Heimkehr wäre er mindestens Meister oder Techniker in leitender Position, wenn nicht voll ausgebildeter Ingenieur im Maschinenbau. Die Leistungsgruppe II sei deshalb im Hinblick auf die gesamte Situation in der Metallindustrie noch bescheiden. Über seine Fähigkeiten und Leistungen gäben die von ihm überreichten Bescheinigungen des F. W. und des F. S. sowie seine früheren Schulzeugnisse Auskunft. Auch habe seine Arbeitgeberin am 14. Mai 1968 bestätigt, daß er ohne Schädigungsfolgen aufgrund seiner Vorbildung und Fähigkeiten in einer günstigeren Position mit entsprechend höherer Bezahlung tätig sein könne.
Der Kläger beantragt sinngemäss,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/M. vom 15. Oktober 1969 insoweit aufzuheben, als seine Klage abgewiesen worden ist und den Beklagten unter Aufhebung der Bescheide vom 19. Februar 1960 und vom 29. März 1968 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. April 1968 zu verurteilen, Berufsschadensausgleich in gesetzlicher Höhe unter Eingruppierung in die Leistungsgruppe I b, mindestens aber in die Leistungsgruppe II der technischen Angestellten im Wirtschaftsbereich Maschinenbau ab 1. Dezember 1967 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Eine höhere Leistungsgruppe als die, welche das Sozialgericht zugestanden habe, lasse sich nicht rechtfertigen.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Die Akten des Versorgungsamtes Frankfurt/M. mit der Grdl. Nr. und die Personalakten des Klägers von der Bundesbahndirektion F. haben vorgelegen. Auf ihren Inhalt und den der Gerichtsakten beider Instanzen wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist nach § 151 Abs. 1 SGG frist- und formgerecht eingelegt worden und auch im übrigen gemäß § 143 SGG sachlich uneingeschränkt zulässig.
Obwohl der Kläger bereits im Jahre 1961 Antrag auf Gewährung von Berufsschadensausgleich gestellt hatte, über den durch Bescheid vom 28. Juli 1961 bindend entschieden worden ist, findet § 148 Ziff. 3 SGG keine Anwendung. Denn eine Neufeststellung im Sinne dieser Vorschrift liegt deshalb nicht vor, weil das 3. NOG zum BVG – wie zuvor bereits das 2. NOG – die Anspruchsvoraussetzungen des § 30 Abs. 3 und 4 geändert hat. Während früher die Eigenschaft als Erwerbsunfähiger gefordert wurde, ist die Gewährung von Berufsschadensausgleich seit Inkrafttreten des 2. NOG bereits möglich, wenn der Antragsteller Schwerbeschädigter ist. Aus diesem Grunde ist der Antrag des Klägers vom 4. Dezember 1967, den er am 19. Januar 1968 erneuert hat, als Antrag auf Erstfeststellung nach dem 3. NOG und nicht auf Neufeststellung im Hinblick auf den Bescheid vom 28. Juli 1961 zu verstehen. Dementsprechend hat der Beklagte ihn auch bearbeitet, wenn von der – sachlich und rechtlich unrichtigen – Benachrichtigung vom 12. Dezember 1967 abgesehen wird. Diese durfte jedoch aus der Sicht des Senats außer Betracht bleiben, da sie – obwohl nicht erkennbar aufgehoben – durch die Bescheide vom 19. Februar und 29. März 1968 überholt und gegenstandslos geworden ist.
Die hiernach zulässige Berufung des Klägers ist aber nicht begründet. Der Senat pflichtet den Sozialgericht dahin bei, daß es nicht wahrscheinlich ist im Sinne der im Versorgungsrecht geltenden Kausaltheorie, daß der Kläger in eine Angestelltenposition der Leistungsgruppe II aufgestiegen wäre. Ein noch weitergehender Aufstieg ist darüberhinaus eine gänzlich vage, nur theoretische Möglichkeit, der in Beachtung der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts keine Bedeutung zukommt. Denn ein Angehöriger der Leistungsgruppe I b muß auf die Geschicke seines Betriebes maßgeblich Einfluß nehmen können. Er hat sich in einer überragenden Position zu befinden, die nur wenige erreichen. Insoweit fehlt es angesichts des schulischen und beruflichen Werdeganges des Klägers in Wertung der Struktur des Berufsschadensrechts an jeglichen konkreten Anhaltspunkten.
Anhaltspunkte dafür, daß er über die Leistungsgruppe III hinausgekommen wäre, sind jedoch ihrerseits ebenfalls nicht in genügendem Maße vorhanden, so daß die vom Vordergericht vorgenommene Eingruppierung erforderlich war, aber auch genügend ist.
Der Kläger übersieht bei seiner Argumentation, daß auf sein tatsächliches oder auf ein fiktives Einkommen – bei Außerachtlassung seiner Schädigungsfolgen – nicht entscheidend, sondern allenfalls indizienhaft abzustellen ist. Das gleiche gilt entsprechend für seine Einlassung in Bezug auf seine individuellen beruflichen Chancen und Einzelerfolge. Denn das Berufsschadensrecht ist auf Pauschalierung und Generalisierung ausgerichtet. Diese führen zwangsläufig zu einer Nivellierung, die Indessen vom Gesetzgeber bewußt in Kauf genommen worden ist, um zu einer sozial möglichst gerechten Beurteilung und Verteilung zu kommen. So betrachtet ist der Berufsschadensausgleich eben ein Ausgleich und kein voller Ersatz für entgangene berufliche Möglichkeiten im Einzelfall.
Die Merkaale der Leistungsgruppen, wie sie im Rundschreiben des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vom 25. Oktober 1960 (BVBl. S. 151), das der Senat als mit dem Gesetz in Einklang stehend ansieht, enthalten sind, geben im Hinblick auf den hiernach allein entscheidenden beruflichen Durchschnittserfolg klare Hinweise. Aus diesen ist zu entnehmen, daß die Leistungsgruppe III und keine höhere angemessen ist. Denn der Kläger möge bedenken, daß in die ihm zugestandene Gruppe technische Angestellte mit mehrjähriger Berufserfahrung oder besonderen Fachkenntnissen und Fähigkeiten und solche in qualifizierter Tätigkeit gehören, welche die fachlichen Erfahrungen eines Meisters aufweisen, bei erhöhter Verantwortung größeren Abteilungen vorstehen und denen Aufsichtspersonen und Hilfsmeisters unterstellt sind. Selbst in der Leistungsgruppe IV werden schon Angestellte vorausgesetzt, die eine abgeschlossene Berufsausbildung besitzen oder erfolgreich eine Fachschule besucht haben.
Auch wenn der Kläger nach dem Kriege als Ungeschädigter die wirtschaftlichen Voraussetzungen hätte schaffen und sein Ingenieurstudium beenden können – seine eigene Einlassung im Widerspruchs- und Klageverfahren und die Bescheinigung des F. S. sprachen allerdings dagegen – und wenn überdies zu seinen Gunsten unterstellt wird, daß die Ausnahmeregelungen des sog. 3. Reiches in Bezug auf die schulische Vorbildung Studierender unter den gesetzlichen und verwaltungsmäßigen Vorschriften der demokratischen Obersten Schulbehörden nach 1945 Bestand behalten hätten, spricht erheblich mehr gegen einen Aufstieg bis in die Leistungsgruppe II als dafür. Zutreffend hat das Sozialgericht insoweit ausgeführt, daß sich nach den Erhebungen des Statistischen Bundesamtes nur etwa ein Viertel aller Angestellten in dieser Leistungsgruppe befinden. Schon deshalb ist die Wahrscheinlichkeit nicht genügend gross, auch wenn der Senat das berufliche Streben des Klägers in Anwendung des § 2 der Durchführungsverordnung zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG in jeder Hinsicht wertet. Er mußte jedoch auch berücksichtigen, daß es offenkundig vornehmlich Hochschulingenieure sind, die Stellungen mit den Merkmalen der Leistungsgruppe II bekleiden und nicht Fachschul-Ingenieure. Gegenteilige Einzelfälle sind durchaus bekannt, können aber auf die vorliegende Entscheidung keinen Einfluß haben. Denn auch insoweit spricht der Grundsatz der Generalisierung dagegen, der vom Durchschnitt auszugehen zwingt.
Nach alledem war, wie geschehen, zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
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