L 5 V 561/69

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 V 561/69
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1) Zwingen die anerkannten Schädigungsfolgen weitgehend als Linkshänder zu fungieren, so ist die linksseitige stärkere Abnutzung der Kleidungskanten noch kein außergewöhnlicher Kleiderverschleiß.
2) Bei der Prüfung der gesetzlichen Voraussetzungen ist sowohl auf eine Ungeschädigte Vergleichsperson als auch auf den Beschädigten selbst abzustellen.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/M. vom 10. April 1969 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Der 1924 geborene Kläger erhält wegen

1) "Völlige Versteifung des rechten Ellenbogengelenkes in einer Winkelstellung von 100 Grad und Mittelstellung des Vorderarmes unter völliger Aufhebung der Unterarmdrehbewegung. Ausgedehnte darbe Narbenbildungen am rechten Ellenbogengelenk.

2) Verlust des 2. und 4. Fingers rechts mit empfindlicher Stumpfnarbe. Beugebehinderung des 5. Fingers. Hochgradige Muskelabmagerung am ganzen rechten Arm. Geringe Bewegungseinschränkung des rechten Handgelenks.

3) Ausgedehnte, zum Teil ungünstige Narbenbildungen am Gesäß beiderseits, an beiden Oberschenkeln und am rechten Unterschenkel.

4) Geringgradige Innenohrschwerhörigkeit rechts” als Schädigungsfolgen Rente auf Grund des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) nach einem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 70 v.H. (Bescheid vom 2.2.1954).

Am 27. September 1967 beantragte er beim Versorgungsamt Gießen erstmalig die Gewährung eines monatlichen Pauschbetrages in Höhe von 12,– M wegen außergewöhnlichen Wäsche- und Kleiderverschleißes unter Hinweis auf seine Schädigungsfolgen.

Nach Befragung des Reg. Med. Rates M. lehnte das Versorgungsamt den Antrag mit Bescheid vom 9. November 1967 ab, der durch Widerspruchsbescheid vom 22. Februar 1968 bestätigt wurde.

Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Frankfurt/M. hat der Kläger vorgetragen, wegen der nachweisbaren linksseitigen Überbeanspruchung der Kleidungskanten und wegen der stärkeren Abnutzung der Hosenböden infolge unruhigen Sitzens auf Grund seiner Schädigungsfolgen seien die Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 der einschlägigen Durchführungsverordnung (DVO) erfüllt. Der Stellungnahme des Reg. Med. Rats M. sei nicht zu folgen, weil sein rechter Arm entgegen dessen Meinung völlig gebrauchsunfähig sei. Demgegenüber hat der Beklagte durch den Oberreg. Med. Rat W. ausführen lassen, es handele sich bei dem Kläger zwar um eine hochgradige Funktionseinschränkung des rechten Armes. Das Schultergelenk sei jedoch noch frei beweglich und der Ellenbogen im günstigen Winkel von 100 Grad versteift. Durch Gegenstellung das Daumens zum Kleinfinger seien noch geringe Greiffunktionen vorhanden. Der Mehreinsatz des linken Armes begründe einen wesentlichen Mehrverschleiß an Kleidung nicht zumal der rechte Arm weniger gebraucht werde. Wegen der Verwendungsmöglichkeit von angemessener Stuhlpolsterung könne auch die Abnutzung an den Hosenböden keinen Mehrverschleiß begründen. Eiterungen oder Fistelbildungen lägen nicht vor.

Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens, das der Facharzt für Chirurgie Dr. B. am 4. Dezember 1968 erstattet und in dem er nach Untersuchung des Klägers ausgeführt hat, mit den verbliebenen rechten Fingern 1 und 5 sei noch eine verminderte Zangenbewegung möglich. Als Gegenhand sei der rechte Arm noch gut gebrauchsfähig. Durch die anerkannten Schädigungsfolgen werde eine über das Normalmaß hinausgehende Abnutzung von Wäsche und Kleidungsstücken direkt nicht verursacht. Ob der indirekte Verschleiß auf der linken Seite Berücksichtigung zu finden habe, könne ärztlich nicht beantwortet werden.

Mit Urteil vom 12. April 1969 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, der Anspruch des Klägers finde weder nach dem Zweiten noch nach dem Dritten Neuordnungsgesetz (NOG) eine gesetzliche Stütze, weil ein außergewöhnlicher Kleiderverschleiß nicht vorliege.

Gegen dieses Urteil, das am 18. April 1969 mittels eingeschriebenen Briefes an den Kläger abgesandt worden ist, richtet sich seine am 20. Mai 1969 zu Protokoll des Urkundsbeamten des Sozialgerichts Frankfurt/M. eingelegte Berufung. Zur Begründung wiederholt er in tatsächlicher Hinsicht sein bisheriges Vorbringen und ist rechtlich der Auffassung, nach § 12 Abs. 2 der einschlägigen DVO sei sein Anspruch uneingeschränkt begründet, da das Vorliegen von Mehrverschleiß zu unterstellen sei.

Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Spezialgerichts Frankfurt/M. vom 10. April 1969 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 9. November 1967 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Februar 1968 zu verurteilen, einen monatlichen Pauschbetrag wegen Kosten für außergewöhnlichen Kleider- und Wäscheverschleiß in vom Gericht festzusetzender Höhe, jedoch mindestens von 12,– zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Die Akten des Versorgungsamtes Gießen mit der Grrdl. Nr. haben vorgelegen. Auf ihren Inhalt und den der Gerichtsakten beider Instanzen wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist zulässig, sie ist insbesondere frist- und formgerecht eingelegt worden (§§ 143, 151 Abs. 2 SGG). Sie ist jedoch nicht begründet.

Der Bescheid des Beklagten vom 9. November 1967 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Februar 1968 ist nicht rechtswidrig.

Da der Kläger seinen Antrag am 27. September 1967 gestellt hat, ist Rechtsgrundlage vorliegend ausschließlich § 15 BVG in der Fassung des am 1. Januar 1967 in Kraft getretenen 3. NOG in Verbindung mit § 12 der Durchführungsverordnung (DVO) vom 18. Dezember 1967 zu § 11 Abs. 3 und der §§ 13 und 15 BVG. Danach sind dann, wenn sie unerkannten Folgen der Schädigung außergewöhnlichen Verschleiß an Kleidung oder Wäsche verursachen, die dadurch entstandenen Kosten mit einer monatlichen Pauschbetrag von 8,– bis 50,– zu ersetzen. Übersteigen die tatsächlichen Aufwendungen in besonderen Fällen die höchste Stufe des Pauschbetrages, so sind sie erstattungsfähig. Welcher Pauschbetrag im einzelnen anzusetzen ist, wenn die Voraussetzungen des § 15 BVG zutreffen, wird in § 12 Abs. 1 DVO geregelt, der gemäß § 12 Abs. 2 DVO keine abschließende Aufzählung möglicher Fälle enthält. Sonderfälle, für welche der Pauschbetrag von 50,– nicht ausreicht, sind in § 12 Abs. 3 DVO angesprochen.

Von diesen Vorschriften ausgehend war festzustellen, daß der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung eines Pauschbetrages im Umfange bis zu 50,– M monatlich besitzt, weil er keinen außergewöhnlichen Verschleiß an Kleidern oder (und) Wäsche im Sinne des § 15 BVG hat. Die Art seiner Schädigungsfolgen, die ihn zwingt, weit überwiegend als Linkshänder zu fungieren und – zu seinen Gunsten unterstellt – den Sitz häufig zu wechseln, bedingt einen solchen Verschleiß auch in Ansehung des § 12 Abs. 2 DVO nicht.

Was als "außergewöhnlich” anzusehen ist, ist weder im Gesetz noch in der DVO definiert. Dieses Tatbestandsmerkmal beinhaltet einen unbestimmten Rechtsbegriff, der von Fall zu Fall durch Fakten auszufüllen ist, die nur zum Teil medizinisch zu beurteilen sind, soweit sie in unmittelbarer Verknüpfung mit den anerkannten Schädigungsfolgen selbst stehen und die zum anderen Teil außermedizinische tatsächliche Umstände umfassen. Dieser letztere Sinngehalt zumindest ist eine Rechtsfrage (vgl. BSG in Soz. Entsch. BSG IX/3 § 13 BVG Nr. 4).

Die medizinische Seite hält der Senat durch die Ausführungen des Reg. Med. Rats M., des Oberreg. Med. Rats W. und des Gerichtsgutachters Dr. B. für geklärt. Denn alle sagen übereinstimmend, daß der Kläger rechts mit den verbliebenen Fingern 1 und 5 noch eine Zangenbewegung ausführen kann. Dr. B. und Oberreg. Med. Rat W. beschreiben darüber hinaus, daß der rechte Arm als Gegenhand noch gut gebrauchsfähig sei. Zwar liegen nach ihren Feststellungen im übrigen hochgradige Funktionseinschränkungen des rechten Armes vor. Da andererseits aber das Schultergelenk wiederum frei beweglich und die Ellenbogenversteifung in einem günstigen Winkel eingetreten ist, hat der Kläger die Möglichkeit, eine ganze Anzahl von Verrichtungen beidseitig auszuführen, die das Ergreifen oder Festhalten von Sachen bei An- und Auskleiden, bei sonstigen Verrichtungen des täglichen Lebens und in der Berufsarbeit angehen. Damit ist er, was die Arm- und Handtätigkeit angeht, gegenüber einem normalen Linkshänder nicht wesentlich benachteiligt. Auch bei einem solchen werden sich jedoch – spiegelbildlich bei einem Rechtshänder – die Kanten der Ärmel und die entsprechenden Seiten der Kleidung schneller abnützen. Das ist eine normale Folge der Greiftätigkeit links oder auch rechts. Ob man dieses Phänomen als direkten oder indirekten Kleiderverschleiß bezeichnet, ist nach Meinung des Senats ein rechtlich unbedeutender Streit um Worte. Außergewöhnlich ist er jedenfalls nicht. Denn die dadurch bedingten Bekleidungskosten halten sich im Rahmen des üblichen, der durch Stoffabnutzung infolge von Tragen, Reinigung und sonstiger Beanspruchung entsteht (vgl. hierzu BSG-Urteil vom 30.10.1962 in Soz. Entsch. BSG IX/3 § 13 BVG Nr. 3). Von außergewöhnlichen Kosten durch Verschleiß kann, wenn dieses Wort im Gesetz einen Sinn haben soll, nur gesprochen werden, wenn die Kosten hierher sind als die gewöhnlichen (s. Urteil des BSG vom 21.8.1962 a.a.O.).

Diese Gedankengänge treffen auch auf die Gesäß- und Schenkelverletzungsfolgen zu. Sie könnten einen außergewöhnlichen Verschleiß an Hosen nur verursachen, wenn, wie Oberreg. Med. Rat W. zutreffend ausgeführt hat, neben der anerkannten ungünstigen Narbenbildung noch Eiterungen oder Fisteln bestünden die häufigeres Waschen und Reinigen bedingten und dadurch die Abnutzung fördern. Unruhiges Sitzen allein vermag die Stoffabnutzung nicht über das gewöhnliche Maß hinaus zu fördern, abgesehen davon, daß Personen, die einen Schreibtischberuf ausüben, ganz allgemein ihren Sitz des öfteren wechseln und zum Aufstehen sowie Wiederhinsetzen veranlaßt werden. Sie alle müssen im Gegensatz zu denen, die ihre Tätigkeit im Stehen verrichten, mit relativ schnellerer Abnutzung rechnen, die indessen längst nicht außergewöhnlich ist.

Wird als Vergleichsperson nicht ein normaler Links- oder Rechtshänder in einem Sitzberuf herangezogen, sondern zur Beantwortung der Frage, ob die anerkannten Schädigungsfolgen einen außergewöhnlichen Verschleiß an Kleidung und Wäsche verursachen, nur auf den Kläger allein abgestellt (vgl. BSG-Urteil vom 21.8.1962 a.a.O.), so ergibt sich kein anderes Resultat. Denn die Rente nach dem BVG, die er nach einer MdE von 70 v.H. erhält, ist ein Ausgleich für die auf den gesundheitlichen Folgen der Schädigung beruhende Minderung der Fähigkeit, sich Verdienst durch eine Arbeit zu verschaffen. Hieraus folgt, daß mit ihr auch Kosten für Kleider und Wäsche zu bestreiten sind. Der Verschleiß derselben ist in der Regel durch die Rente mitabgegolten (vgl. BSG a.a.O.). Einen außergewöhnlichen Verschleiß, der mehr als gewöhnliche Kosten verursacht und den Senat veranlassen könnte, von einem regelwidrigen Fall zu sprechen, hat der Kläger in Ansehung seiner Schädigungsfolgen aber nicht. Hierzu wäre erforderlich, daß die Abnutzung weit über das auf ihn bezogene Normalmaß hinausgeht, was keiner der gehörten Ärzte festgestellt hat und nach den tatsächlichen Umständen des Falles, auch in Wertung seiner Erwerbstätigkeit, nicht angenommen werden kann.

Da schon aus der Art der Schädigungsfolgen heraus nicht auf ein außergewöhnliches Maß an Verschleiß im Sinne des § 15 in Verbindung mit § 12 Abs. 2 DVO zu schließen war, hatte der Senat auf die vom Kläger angeschnittene Frage, ob der Gesetzgeber eine Gleichstellung des in der letzteren Vorschrift umgrenzten Personenkreises mit dem in § 12 Abs. 1 DVO erwähnten gewollt hat, nicht näher einzugehen. Nur ergänzend sei erwähnt, daß seiner Auffassung nach bei Beschädigten, die nahezu gleichwertige oder sehr ähnliche Schädigungsfolgen aufzuweisen haben wie die, welche in § 12 Abs. 1 DVO aufgezählt sind, ein außergewöhnlicher Verschleiß tatsächlich nachgewiesenermaßen bestehen muß, ehe im Rahmen des § 12 Abs. 2 DVO zu prüfen ist, ob die Kosten hierfür in angemessener Höhe pauschal abzugelten sind.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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