Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 4 KR 103/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Kostenübernahme bzw. -erstattung für das Import-Arzneimittel Captagon zur Behandlung einer Tagesmüdigkeit ("Narkolepsie").
Bis Dezember 2004 wurde die bei der Beklagten versicherte Klägerin auf Kosten der Beklagten mit dem Arzneimittel Captagon versorgt.
Mit Schreiben vom 03.12.2004 beantragte die Apotheke am C aus W bei der Beklagten unter Vorlage einer vertragsärztlichen Arzneimittelverordnung die weitere Kosten-übernahme für die Versorgung der Klägerin mit dem Arzneimittel Captagon: Die Klägerin befände sich in Dauerbehandlung; die Einstellung wäre durch eine psychiatrische Klinik vorgenommen worden. Der behandelnde Arzt lehne eine Änderung der Einstellung ab. Das Präparat Captagon sei in Deutschland nicht mehr im Handel und ein Alternativpräpa-rat mit identischem Wirkstoff gäbe es nicht. Der Preis für 100 Tabletten als Import betrage 68,21 EUR. Mit Bescheid vom 18.01.2004 lehnte die Beklagte den Antrag auf Kostenüber-nahme gegenüber der Klägerin wegen Fehlens der arzneimittelrechtlichen Zulassung ab.
Dagegen hat die Klägerin am 16.02.2005 Widerspruch erhoben. Ihrer Auffassung nach sei Captagon in Deutschland weiterhin verkehrsfähig und verschreibungsfähig: Bei Captagon handele es sich um eine Zubereitung aus dem Stoff Fenetyllin gemäß Abschnitt 1 § 1 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG). In der Anlage III zum Betäubungsmittelgesetz seien die verkehrsfähigen und verschreibungsfähigen Betäubungsmittel aufgelistet. In der Anlage III seien Mittel mit dem Wirkstoff Fenetyllin enthalten. Außerdem ergäbe sich ein Anspruch auf Versorgung aus der Zulassung dieses Arzneimittels in Belgien.
Zur weiteren Begründung legte sie den Behandlungsbericht des N, I Klinik T, vom 13.10.2004 vor. Dort heißt es abschließend, dass sich in der Austestung vigilanz steigernder Medikamente Fenetyllin (Captagon) hinsichtlich der opti-malen vigilanz steigernder Wirkung unter nur gering auftretenden Nebenwirkungen am effektivsten gezeigt hätte.
Mit Widerspruchsbescheid vom 28.04.2005 wies die Widerspruchsstelle der Beklagten den Widerspruch als unbegründet zurück. Captagon sei weder EU-weit noch in Deutschland zugelassen. Eine vertragsärztliche Versorgung scheide daher aus. Eine Kostenübernahme käme daher auch nicht nach den von der Rechtsprechung entwickelten Gesichtspunkten des "off-label-uses" in Betracht. Voraussetzung wäre auch hier zu-mindest eine Zulassung in Deutschland, wenn auch für eine andere Indikation. Des Weiteren käme eine Kostenerstattung im Rahmen eines zulassungsüberschreitenden Arzneimitteleinsatzes wie bei singulären Erkrankungen nach der BSG Rechtsprechung vom 18.05.2004 - B 1 KR 21/02 R - nicht in Betracht.
Dagegen hat die Klägerin am 13.06.2005 Klage vor dem Sozialgericht Düsseldorf erhoben. Zur Begründung trägt sie vor, ihrer Auffassung nach bestünde ein Anspruch auf Kostenübernahme bzw. -erstattung. Captagon hätte eine Zulassung besessen und die Wirksamkeit zur Behandlung einer Narkolepsie wären nachgewiesen gewesen. Auch die Voraussetzungen eines "off-label-uses" lägen vor. Die Klägerin beruft sich insoweit auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes. Eine Alternative zur Behandlung mit Captagon gäbe es nicht. Das Medikament sei auch wirksam, da es erfolgreich zur Behandlung der Tagesmüdigkeit bei Narkolepsie eingesetzt worden wäre. Bei Behandlung mit Captagon wäre es ihr so gut gegangen, dass sie wieder arbeitsfähig gewesen wäre. Sie hätte ihre 2-jährige Ausbildung zur Fachredakteurin beendet. Anschließend sei sie jedoch arbeitslos geworden. Sie könne das Medikament Captagon nicht selbst bezahlen. Außerdem handele es sich um eine seltene Erkrankung, bei der wissenschaftliche Studien zur Erforschung der Wirksamkeit eines Arzneimittels regelmäßig nicht durchgeführt werden. Nach der höchtsrichterlichen Rechtsprechung habe sie auch insoweit einen Leistungsanspruch.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 18.01.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28.05.2005 zu verurteilen, die Kosten für die Behandlung mit dem Import-Arzneimittel Captagon zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Klägerin hätte keinen Anspruch auf Kostenübernahme für eine Behandlung mit Captagon. Mangels Zulassung in Deutschland ab 01.07.2003 bzw. EU-weiter Zulassung scheide ein Anspruch auf Behandlung mit Captagon im Rahmen der vertragsärztlichen Be-handlung aus. Ein außergesetzlicher Anspruch nach der Rechtsprechung des Bundessozi-algerichtes zum "Off-Label-Use" scheide insofern aus, da eine indikationsfremde Anwen-dung grundsätzlich die Zulassung des Arzneimittels voraussetzt, die hier jedoch nicht vorliegt.
Auch im Übrigen bestehe kein außergesetzlicher Anspruch auf Leistungspflicht der Kasse: Nach der Stellungnahme des MDK vom 29.08.2006 sei eine Behandlung mit den zuge-lassenen Arzneimitteln Vigil und Ritalin möglich. Ein Behandlungsversuch mit Ritalin sei offenbar nicht durchgeführt worden.
Das Gericht hat einen Befund- und Behandlungsbericht des N - I Klinik T - eingeholt. Auf den Bericht vom 20.02.2005 wird verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und den übrigen Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Verwaltungsakten der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig aber unbegründet.
Die Klägerin ist durch den angefochtenen Bescheid nicht im Sinne von § 54 Absatz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da die Beklagte zu Recht die Übernahme der Kosten für die Versorgung mit dem Arzneimittel Captagon abgelehnt hat. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Versorgung mit diesem Arzneimittel zu Lasten der Beklagten. Grundsätzlich hat ein Versicherter nach § 31 Absatz 1 SGB V Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 oder durch Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nr. 6 ausgeschlossen sind. Dieser Anspruch steht unter dem Vorbehalt, dass die Versorgung zweckmäßig und wirtschaftlich im Sinne von § 2 Absatz 1 Satz 1 und § 12 Absatz 1 SGB V ist: Der Versorgungsanspruch umfasst nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirk-samkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Die Wirksamkeit ist nicht schon dadurch bewiesen, dass die Therapie mit dem streitigen Arzneimittel bei der Klägerin positiv gewirkt hat und nach Ansicht der Ärzte gegenüber der Therapie mit anderen Arzneimitteln der Vorzug zu geben ist. Zur Qualität und Wirkungs-weise eines Arzneimittels muss es vielmehr zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen in dem Sinne geben, dass der Erfolg der Behandlungsmethode in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Anzahl von Behandlungsfällen belegt ist. Nach der Rechtsprechung des BSG fehlt es daher an der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit speziell einer Arzneimitteltherapie, wenn das verwendete Mittel nach den Regelungen des Arzneimittelrechts einer Zulassung bedarf und diese Zulassung nicht erteilt worden ist (ständige Rechtsprechung vgl. BSGE 72, 252, 256 f und Urteil vom 18.05.2004 B 1 KR 21/02 R mit weiteren Nachweisen sowie Urteil vom 27.03.2007 B 1 KR 30/06 R).
Die für Captagon erforderliche Zulassung nach Arzneimittelrecht war ab dem 01.07.2003 in Deutschland entfallen. Es handelt sich um ein Fertig-Arzneimittel im Sinne von § 4 Absatz 1 AMG, für das die Voraussetzungen des § 21 Absatz 1 Satz 1 AMG gelten, die jedoch ab dem 01.07.2003 nicht mehr vorliegen.
Die noch in Belgien bestehende Zulassung für Captagon hat jedoch keine fiktive Zulassung in Deutschland zur Folge. Eine nationale gesetzliche Regelung, die die automa-tische Geltung einer in einem anderen EU Mitgliedstaat ausgesprochenen Arzneimittelzu-lassung auch in Deutschland anordnet, existiert nicht. Nach § 37 Absatz 1 Satz 2 AMG gilt die von einem anderen Staat für ein Arzneimittel erteilte Zulassung vielmehr nur dann als solche im Sinne von § 21 AMG, soweit dies durch eine Rechtsverordnung des zuständigen Bundesministeriums bestimmt ist (Urteil des BSG vom 18.05.2004 - B 1 KR 21/02 R). Eine solche Regelung besteht hier nicht.
Eine für alle Mitgliedsländer der EU geltende Zulassung von Captagon besteht ebenfalls nicht.
Eine Zulassung kann auch nicht aus dem Betäubungsmittelrecht abgeleitet werden: Captagon enthält als Arzneimittelwirkstoff Fenetyllin, das in Anlage III zum Betäubungs-mittelgesetz (BtMG) aufgeführt ist und somit zu den verkehrsfähigen und verschreibungs-fähigen Betäubungsmitteln im Sinne des § 1 Absatz 1 BtMG gehört. Die Verkehrsfähigkeit dieses Wirkstoffes Fenetyllin nach dem Betäubungsmittelgesetz hat jedoch nicht zur Folge, dass dadurch die nach dem Arzneimittelgesetz erforderliche Zulassung für ein Fertig-Arzneimittel wie Captagon ersetzt wird.
Es besteht ebenfalls kein Anspruch nach der vom BSG entwickelten Rechtsprechung zum sogenannten "Off-Label-Use". Nach dieser Rechtsprechung kommt unter bestimmten Voraussetzungen die Anwendung eines Arzneimittels außerhalb der für dieses Arzneimittel zugelassenen Indikation in Betracht (vgl. Urteil des BSG vom 27.03.2007 B 1 KR 17/06 R mit weiteren Nachweisen). Die Rechtsprechung über den "Off-Label-Use" von Arznei-mitteln scheitert hier schon daran, dass eine Zulassung überhaupt fehlt. Von einer indika-tionsfremden Anwendung kann nur dann die Rede sein, wenn das betreffende Arzneimittel für eine bestimmte Indikation auf dem deutschen Markt überhaupt zugelassen ist. Daran fehlt es wie oben dargelegt.
Ein außergesetzlicher Leistungsanspruch kommt auch nicht nach der vom BSG ent-wickelten Rechtsprechung über sogenannte "Seltenheitsfälle" in Betracht: Maßnahmen zur Behandlung einer Krankheit, die so selten auftritt, dass ihre systematische Erforschung praktisch ausscheidet, sind vom Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung nicht allein deshalb ausgeschlossen, weil der Bundesausschuss der Ärzte und Kranken-kassen dafür keine Empfehlung abgegeben hat, oder weil das dabei verwendete, in Deutschland nicht zugelassene Arzneimittel, im Einzelfall aus dem Ausland beschafft werden muss (vgl. Urteil des BSG vom 19.10.2004 - B 1 KR 27/02 R). Ein derartiger Leistungsanspruch ist vom BSG nur in notstandsähnlichen Situationen zugelassen worden, wenn eine schwerwiegende (lebensbedrohliche oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende) Erkrankung behandelt werden soll, für die keine andere Behandlungsmöglichkeit zur Verfügung steht. Ein Leistungsanspruch nach diesen Grundsätzen scheidet hier aus zwei Gründen aus: Zum Einen handelt es sich bei der Nar-kolepsie nicht um seine seltene Erkrankung und zum Anderen bestehen alternative zuge-lassene Behandlungsmöglichkeiten. Die Tatsache, dass zur Behandlung der Narkolepsie die Arzneimittel Ritalin und Vigil in Deutschland zugelassen sind, zeigt zum Einen auf, dass die Narkolepsie nicht so selten ist, dass keine Arzneimittelstudien durchgeführt wurden, die Voraussetzung für die Zulassung der genannten Arzneimittel waren und zeigt zum Anderen, dass Behandlungsmöglichkeiten mit zugelassenen Arzneimitteln bestehen. Zwar hat der behandelnde N die Behandlung mit Captagon als die bei der Klägerin effektivste Behandlungsmöglichkeit dargestellt, einen Behandlungsversuch mit Ritalin hat er jedoch nicht unternommen. Die vertragsärztlichen Behandlungsmöglichkeiten sind somit nicht ausgeschöpft.
Ebenso besteht kein Anspruch auf Versorgung mit Captagon nach einer verfassungskon-formen erweiterten Auslegung des Leistungsanspruches zur Arzneimittelversorgung: Aufgrund des Beschlusses des Bundesverfasssungsgerichtes vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98 - SozR4 - 2500 § 27 Nr. 5) ist es mit den Grundrechten aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz (GG) nicht vereinbar, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tötliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, generell von der Gewährung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Methode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Voraussetzung für einen derartigen außergesetzlichen Leistungsanspruch ist 1. das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tötlich verlaufenden Erkrankung, 2. das Fehlen einer allgemein anerkannten medizinischem Standard entsprechenden Behandlungsmöglichkeit und 3. eine nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krank-heitsverlauf. Bei der Narkolepsie handelt es sich jedoch nicht um eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tötlich verlaufende Erkrankung. Des Weiteren fehlt die 2. Voraussetzung: Hier steht eine vertragsärztliche Behandlungsmöglichkeit mit den Arzneimitteln Ritalin und Vigil zur Verfügung. Selbst wenn Vigil nach den Angaben des N wegen Un-wirksamkeit hier ausscheiden sollte, bleibt noch die Behandlungsmöglichkeit mit Ritalin bestehen.
Die Klage musste daher abgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Streitig ist die Kostenübernahme bzw. -erstattung für das Import-Arzneimittel Captagon zur Behandlung einer Tagesmüdigkeit ("Narkolepsie").
Bis Dezember 2004 wurde die bei der Beklagten versicherte Klägerin auf Kosten der Beklagten mit dem Arzneimittel Captagon versorgt.
Mit Schreiben vom 03.12.2004 beantragte die Apotheke am C aus W bei der Beklagten unter Vorlage einer vertragsärztlichen Arzneimittelverordnung die weitere Kosten-übernahme für die Versorgung der Klägerin mit dem Arzneimittel Captagon: Die Klägerin befände sich in Dauerbehandlung; die Einstellung wäre durch eine psychiatrische Klinik vorgenommen worden. Der behandelnde Arzt lehne eine Änderung der Einstellung ab. Das Präparat Captagon sei in Deutschland nicht mehr im Handel und ein Alternativpräpa-rat mit identischem Wirkstoff gäbe es nicht. Der Preis für 100 Tabletten als Import betrage 68,21 EUR. Mit Bescheid vom 18.01.2004 lehnte die Beklagte den Antrag auf Kostenüber-nahme gegenüber der Klägerin wegen Fehlens der arzneimittelrechtlichen Zulassung ab.
Dagegen hat die Klägerin am 16.02.2005 Widerspruch erhoben. Ihrer Auffassung nach sei Captagon in Deutschland weiterhin verkehrsfähig und verschreibungsfähig: Bei Captagon handele es sich um eine Zubereitung aus dem Stoff Fenetyllin gemäß Abschnitt 1 § 1 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG). In der Anlage III zum Betäubungsmittelgesetz seien die verkehrsfähigen und verschreibungsfähigen Betäubungsmittel aufgelistet. In der Anlage III seien Mittel mit dem Wirkstoff Fenetyllin enthalten. Außerdem ergäbe sich ein Anspruch auf Versorgung aus der Zulassung dieses Arzneimittels in Belgien.
Zur weiteren Begründung legte sie den Behandlungsbericht des N, I Klinik T, vom 13.10.2004 vor. Dort heißt es abschließend, dass sich in der Austestung vigilanz steigernder Medikamente Fenetyllin (Captagon) hinsichtlich der opti-malen vigilanz steigernder Wirkung unter nur gering auftretenden Nebenwirkungen am effektivsten gezeigt hätte.
Mit Widerspruchsbescheid vom 28.04.2005 wies die Widerspruchsstelle der Beklagten den Widerspruch als unbegründet zurück. Captagon sei weder EU-weit noch in Deutschland zugelassen. Eine vertragsärztliche Versorgung scheide daher aus. Eine Kostenübernahme käme daher auch nicht nach den von der Rechtsprechung entwickelten Gesichtspunkten des "off-label-uses" in Betracht. Voraussetzung wäre auch hier zu-mindest eine Zulassung in Deutschland, wenn auch für eine andere Indikation. Des Weiteren käme eine Kostenerstattung im Rahmen eines zulassungsüberschreitenden Arzneimitteleinsatzes wie bei singulären Erkrankungen nach der BSG Rechtsprechung vom 18.05.2004 - B 1 KR 21/02 R - nicht in Betracht.
Dagegen hat die Klägerin am 13.06.2005 Klage vor dem Sozialgericht Düsseldorf erhoben. Zur Begründung trägt sie vor, ihrer Auffassung nach bestünde ein Anspruch auf Kostenübernahme bzw. -erstattung. Captagon hätte eine Zulassung besessen und die Wirksamkeit zur Behandlung einer Narkolepsie wären nachgewiesen gewesen. Auch die Voraussetzungen eines "off-label-uses" lägen vor. Die Klägerin beruft sich insoweit auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes. Eine Alternative zur Behandlung mit Captagon gäbe es nicht. Das Medikament sei auch wirksam, da es erfolgreich zur Behandlung der Tagesmüdigkeit bei Narkolepsie eingesetzt worden wäre. Bei Behandlung mit Captagon wäre es ihr so gut gegangen, dass sie wieder arbeitsfähig gewesen wäre. Sie hätte ihre 2-jährige Ausbildung zur Fachredakteurin beendet. Anschließend sei sie jedoch arbeitslos geworden. Sie könne das Medikament Captagon nicht selbst bezahlen. Außerdem handele es sich um eine seltene Erkrankung, bei der wissenschaftliche Studien zur Erforschung der Wirksamkeit eines Arzneimittels regelmäßig nicht durchgeführt werden. Nach der höchtsrichterlichen Rechtsprechung habe sie auch insoweit einen Leistungsanspruch.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 18.01.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28.05.2005 zu verurteilen, die Kosten für die Behandlung mit dem Import-Arzneimittel Captagon zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Klägerin hätte keinen Anspruch auf Kostenübernahme für eine Behandlung mit Captagon. Mangels Zulassung in Deutschland ab 01.07.2003 bzw. EU-weiter Zulassung scheide ein Anspruch auf Behandlung mit Captagon im Rahmen der vertragsärztlichen Be-handlung aus. Ein außergesetzlicher Anspruch nach der Rechtsprechung des Bundessozi-algerichtes zum "Off-Label-Use" scheide insofern aus, da eine indikationsfremde Anwen-dung grundsätzlich die Zulassung des Arzneimittels voraussetzt, die hier jedoch nicht vorliegt.
Auch im Übrigen bestehe kein außergesetzlicher Anspruch auf Leistungspflicht der Kasse: Nach der Stellungnahme des MDK vom 29.08.2006 sei eine Behandlung mit den zuge-lassenen Arzneimitteln Vigil und Ritalin möglich. Ein Behandlungsversuch mit Ritalin sei offenbar nicht durchgeführt worden.
Das Gericht hat einen Befund- und Behandlungsbericht des N - I Klinik T - eingeholt. Auf den Bericht vom 20.02.2005 wird verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und den übrigen Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Verwaltungsakten der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig aber unbegründet.
Die Klägerin ist durch den angefochtenen Bescheid nicht im Sinne von § 54 Absatz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da die Beklagte zu Recht die Übernahme der Kosten für die Versorgung mit dem Arzneimittel Captagon abgelehnt hat. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Versorgung mit diesem Arzneimittel zu Lasten der Beklagten. Grundsätzlich hat ein Versicherter nach § 31 Absatz 1 SGB V Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 oder durch Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nr. 6 ausgeschlossen sind. Dieser Anspruch steht unter dem Vorbehalt, dass die Versorgung zweckmäßig und wirtschaftlich im Sinne von § 2 Absatz 1 Satz 1 und § 12 Absatz 1 SGB V ist: Der Versorgungsanspruch umfasst nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirk-samkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Die Wirksamkeit ist nicht schon dadurch bewiesen, dass die Therapie mit dem streitigen Arzneimittel bei der Klägerin positiv gewirkt hat und nach Ansicht der Ärzte gegenüber der Therapie mit anderen Arzneimitteln der Vorzug zu geben ist. Zur Qualität und Wirkungs-weise eines Arzneimittels muss es vielmehr zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen in dem Sinne geben, dass der Erfolg der Behandlungsmethode in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Anzahl von Behandlungsfällen belegt ist. Nach der Rechtsprechung des BSG fehlt es daher an der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit speziell einer Arzneimitteltherapie, wenn das verwendete Mittel nach den Regelungen des Arzneimittelrechts einer Zulassung bedarf und diese Zulassung nicht erteilt worden ist (ständige Rechtsprechung vgl. BSGE 72, 252, 256 f und Urteil vom 18.05.2004 B 1 KR 21/02 R mit weiteren Nachweisen sowie Urteil vom 27.03.2007 B 1 KR 30/06 R).
Die für Captagon erforderliche Zulassung nach Arzneimittelrecht war ab dem 01.07.2003 in Deutschland entfallen. Es handelt sich um ein Fertig-Arzneimittel im Sinne von § 4 Absatz 1 AMG, für das die Voraussetzungen des § 21 Absatz 1 Satz 1 AMG gelten, die jedoch ab dem 01.07.2003 nicht mehr vorliegen.
Die noch in Belgien bestehende Zulassung für Captagon hat jedoch keine fiktive Zulassung in Deutschland zur Folge. Eine nationale gesetzliche Regelung, die die automa-tische Geltung einer in einem anderen EU Mitgliedstaat ausgesprochenen Arzneimittelzu-lassung auch in Deutschland anordnet, existiert nicht. Nach § 37 Absatz 1 Satz 2 AMG gilt die von einem anderen Staat für ein Arzneimittel erteilte Zulassung vielmehr nur dann als solche im Sinne von § 21 AMG, soweit dies durch eine Rechtsverordnung des zuständigen Bundesministeriums bestimmt ist (Urteil des BSG vom 18.05.2004 - B 1 KR 21/02 R). Eine solche Regelung besteht hier nicht.
Eine für alle Mitgliedsländer der EU geltende Zulassung von Captagon besteht ebenfalls nicht.
Eine Zulassung kann auch nicht aus dem Betäubungsmittelrecht abgeleitet werden: Captagon enthält als Arzneimittelwirkstoff Fenetyllin, das in Anlage III zum Betäubungs-mittelgesetz (BtMG) aufgeführt ist und somit zu den verkehrsfähigen und verschreibungs-fähigen Betäubungsmitteln im Sinne des § 1 Absatz 1 BtMG gehört. Die Verkehrsfähigkeit dieses Wirkstoffes Fenetyllin nach dem Betäubungsmittelgesetz hat jedoch nicht zur Folge, dass dadurch die nach dem Arzneimittelgesetz erforderliche Zulassung für ein Fertig-Arzneimittel wie Captagon ersetzt wird.
Es besteht ebenfalls kein Anspruch nach der vom BSG entwickelten Rechtsprechung zum sogenannten "Off-Label-Use". Nach dieser Rechtsprechung kommt unter bestimmten Voraussetzungen die Anwendung eines Arzneimittels außerhalb der für dieses Arzneimittel zugelassenen Indikation in Betracht (vgl. Urteil des BSG vom 27.03.2007 B 1 KR 17/06 R mit weiteren Nachweisen). Die Rechtsprechung über den "Off-Label-Use" von Arznei-mitteln scheitert hier schon daran, dass eine Zulassung überhaupt fehlt. Von einer indika-tionsfremden Anwendung kann nur dann die Rede sein, wenn das betreffende Arzneimittel für eine bestimmte Indikation auf dem deutschen Markt überhaupt zugelassen ist. Daran fehlt es wie oben dargelegt.
Ein außergesetzlicher Leistungsanspruch kommt auch nicht nach der vom BSG ent-wickelten Rechtsprechung über sogenannte "Seltenheitsfälle" in Betracht: Maßnahmen zur Behandlung einer Krankheit, die so selten auftritt, dass ihre systematische Erforschung praktisch ausscheidet, sind vom Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung nicht allein deshalb ausgeschlossen, weil der Bundesausschuss der Ärzte und Kranken-kassen dafür keine Empfehlung abgegeben hat, oder weil das dabei verwendete, in Deutschland nicht zugelassene Arzneimittel, im Einzelfall aus dem Ausland beschafft werden muss (vgl. Urteil des BSG vom 19.10.2004 - B 1 KR 27/02 R). Ein derartiger Leistungsanspruch ist vom BSG nur in notstandsähnlichen Situationen zugelassen worden, wenn eine schwerwiegende (lebensbedrohliche oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende) Erkrankung behandelt werden soll, für die keine andere Behandlungsmöglichkeit zur Verfügung steht. Ein Leistungsanspruch nach diesen Grundsätzen scheidet hier aus zwei Gründen aus: Zum Einen handelt es sich bei der Nar-kolepsie nicht um seine seltene Erkrankung und zum Anderen bestehen alternative zuge-lassene Behandlungsmöglichkeiten. Die Tatsache, dass zur Behandlung der Narkolepsie die Arzneimittel Ritalin und Vigil in Deutschland zugelassen sind, zeigt zum Einen auf, dass die Narkolepsie nicht so selten ist, dass keine Arzneimittelstudien durchgeführt wurden, die Voraussetzung für die Zulassung der genannten Arzneimittel waren und zeigt zum Anderen, dass Behandlungsmöglichkeiten mit zugelassenen Arzneimitteln bestehen. Zwar hat der behandelnde N die Behandlung mit Captagon als die bei der Klägerin effektivste Behandlungsmöglichkeit dargestellt, einen Behandlungsversuch mit Ritalin hat er jedoch nicht unternommen. Die vertragsärztlichen Behandlungsmöglichkeiten sind somit nicht ausgeschöpft.
Ebenso besteht kein Anspruch auf Versorgung mit Captagon nach einer verfassungskon-formen erweiterten Auslegung des Leistungsanspruches zur Arzneimittelversorgung: Aufgrund des Beschlusses des Bundesverfasssungsgerichtes vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98 - SozR4 - 2500 § 27 Nr. 5) ist es mit den Grundrechten aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz (GG) nicht vereinbar, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tötliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, generell von der Gewährung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Methode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Voraussetzung für einen derartigen außergesetzlichen Leistungsanspruch ist 1. das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tötlich verlaufenden Erkrankung, 2. das Fehlen einer allgemein anerkannten medizinischem Standard entsprechenden Behandlungsmöglichkeit und 3. eine nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krank-heitsverlauf. Bei der Narkolepsie handelt es sich jedoch nicht um eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tötlich verlaufende Erkrankung. Des Weiteren fehlt die 2. Voraussetzung: Hier steht eine vertragsärztliche Behandlungsmöglichkeit mit den Arzneimitteln Ritalin und Vigil zur Verfügung. Selbst wenn Vigil nach den Angaben des N wegen Un-wirksamkeit hier ausscheiden sollte, bleibt noch die Behandlungsmöglichkeit mit Ritalin bestehen.
Die Klage musste daher abgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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