S 9 AL 29/07

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 9 AL 29/07
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AL 96/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Dauer des Arbeitslosengeldanspruches.

Der 0000 geborene Kläger war bei der U. C. beschäftigt. Vom Insolvenzverwalter wurde er unter Freistellung ab Ende August zum 30.11.2005 gekündigt.

Der Kläger erhielt Insolvenzgeld für die Zeit vor dem 29.08.2005. Für die Zeit ab 29.08.2005 bezieht der Kläger Arbeitslosengeld im Rahmen der "Gleichwohl-Gewährung" (§143 Abs. 3 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch - SGB III -) für eine Anspruchsdauer von 960 Tagen.

Der Kläger beansprucht von der Beklagten die Verlängerung seines Leistungsanspruches um 93 Leistungstage. Denn für die Zeit bis 30.11.2005 (Ablauf der Kündigungsfrist) habe die Beklagte aufgrund Anspruchsüberganges eine Masseforderung gehabt, die auch realisierbar gewesen sei. Die Beklagte habe aber diese Ansprüche - zum Schaden des Klägers - aufgrund einer Absprache mit dem Insolvenzverwalter nicht geltend gemacht, um die Fortführung des zahlungsunfähigen Betriebes mit mehreren 100 Arbeitnehmern zu erleichtern. Dieser Verzicht zu Lasten des Klägers sei rechtswidrig, weshalb der Leistungszeitraum um die Tage der "Gleichwohl-Gewährung" zu verlängern sei. Die Beklagte müsse den Kläger so stellen, als ob sie den übergegangenen Anspruch realisiert habe.

Die Beklagte lehnte dies ab (Bescheid vom 07.03.2007, Widerspruchsbescheid vom 02.04.2007). Derzeit sei die Masseschuldforderung lediglich gestundet bis 31.12.2007. Sei die U. C. bis dahin erloschen, lebe die Masseforderung wieder auf; anderenfalls werde sie als Insolvenzforderung zurückgestuft und mit 5 % Quote berücksichtigt.

Hiergegen wendet sich die Klage. Der Kläger trägt vor, im Rahmen der Verfolgung der übergegangenen Ansprüche gemäß § 115 SGB X gegenüber dem Insolvenzverwalter wäre die Realisierung der übergegangenen Beträge für die Beklagte möglich und zumutbar gewesen. Die gesamtwirtschaftlich sinnvolle Schonung der Insolvenzschuldnerin dürfe nicht auf Kosten des Klägers erfolgen. Das Unternehmen erfreue sich nach Fortführung bester wirtschaftlicher Gesundheit, insoweit sei eine derartige Rücksichtnahme auf das Unternehmen auch nicht erforderlich gewesen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, unter Aufhebung ihres Bescheides vom 28.02.2007 in Form des Widerspruchsbescheides vom 02.04.2007 dem Kläger Arbeitslosengeld für weitere 93 Tage über den 27.04.2008 hinaus zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, eine Anspruchsdauerverlängerung sei an die Realisierung der übergegangenen Forderung gebunden, auch wenn die Beklagte den Einzug der Forderung nicht betreibe.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Klage richtet sich - unter Berücksichtigung eines offensichtlichen Schreibfehlers im Klageantrag - gegen die Bescheide vom 07.03.2007 und 02.04.2007. Diese Bescheide sind rechtmäßig und beschweren den Kläger nicht, denn er hat - jedenfalls bisher - keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld über den 27.04.2008 hinaus.

Der Klageantrag bedarf der Auslegung. Mit Bescheid vom 19.09.2005 hat die Beklagte dem Kläger bestandskräftig Arbeitslosengeld für 960 Leistungstage bewilligt. Dieser Anspruch wird voraussichtlich am 27.04.2008 erschöpft sein. Darüber, ob dem Kläger nach dem 27.04.2008 noch Arbeitslosengeld zusteht, kann aber die Kammer schon deshalb nicht entscheiden, weil nicht feststeht, dass der Kläger zu diesem Zeitpunkt noch arbeitslos sein wird. Auch steht - für den Fall einer Zwischenbeschäftigung - durchaus nicht fest, dass der Anspruch des Klägers tatsächlich am 27.04.2008 auslaufen wird. Ersichtlich geht es dem Kläger darum, festzustellen, dass die Dauer des Anspruches auf Arbeitslosengeld nicht durch die 93 Tage des Leistungsbezuges gemindert worden ist, die auf die Arbeitslosengeldzahlung im Wege der "Gleichwohl-Gewährung" nach § 143 Abs. 3 SGB III bis zum Ablauf der Kündigungsfrist am 30.11.2005 entfallen.

Nach § 128 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB III mindert sich die Dauer des Anspruches auf Arbeitslosengeld um die Anzahl von Tagen, für die der Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit erfüllt worden ist. Grundsätzlich mindert er sich demnach auch um Arbeitslosengeldzahlungen im Wege der "Gleichwohl-Gewährung", obwohl insoweit nach § 115 Abs. 1 SGB X die Beklagte einen Anspruch gegen den Arbeitgeber auf Zahlung des geschuldeten Arbeitsentgelts hat. Die Beklagte tritt zwar bei Fortbestand des Arbeitsverhältnisses gewissermaßen in Vorleistung für den Arbeitgeber, dennoch zahlt sie kein Arbeitsentgelt sondern Arbeitslosengeld aus der Arbeitslosenversicherung (Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 11.06.1987, 7 RAr 16/86). Der Kläger hat demnach reguläres Arbeitslosengeld bezogen, so dass sich sein Anspruch grundsätzlich verbraucht (BSG, a.a.O.).

Die Minderung des Anspruches soll allerdings aus Billigkeitsgründen in den Fällen entfallen, in denen die Beklagte tatsächlich Ersatz für ihre Aufwendungen beim Arbeitgeber erlangt (BSG, a.a.O.). Dies ist bisher allerdings nicht der Fall, denn die Masseforderung ist einstweilen bis zum 31.12.2007 gestundet. Der Kläger will jedoch so gestellt werden, als ob die Beklagte bereits Ersatz für ihre Aufwendungen erlangt hätte. Er begründet dies damit, dass die Beklagte ohne Not eine Rechtsposition aufgegeben habe, die es ihr erlaubt hätte, durch zielstrebige Beitreibung ihrer Masseforderungen einen solchen Ersatz ihrer Aufwendungen zu erlangen.

Diese Argumentation verhilft der Klage jedoch nicht zum Erfolg. Zum einen steht bereits nicht fest, dass ein entsprechender Verzicht der Beklagten wirksam wird, dies kann mit Sicherheit erst nach Ablauf des Stichtages 31.12.2007 gesagt werden. Ob überhaupt und ggf. in welcher Höhe die Beklagte pflichtwidrig zu Lasten des Klägers auf die Beitreibung von Ansprüchen verzichtet hat, lässt sich demnach zum derzeitigen Zeitpunkt noch gar nicht sagen.

Der Kläger schätzt die wirtschaftlichen Verhältnisse seiner früheren Arbeitgeberin zwar so ein, dass zum Stichtag keinesfalls damit gerechnet werden könne, dass die U. C. erloschen sei. Selbst wenn diese Prognose - für deren Tragfähigkeit die Kammer keinerlei Anhaltspunkte hat - zutreffen sollte, wäre dennoch der Anspruch des Klägers nicht begründet. Denn die Kammer folgt der zitierten Rechtsprechung des BSG (s.o.) darin, dass die grundsätzlich vorzunehmende Minderung des Arbeitslosengeldanspruches auch um Tage der "Gleichwohl-Gewährung" nur dann aus Billigkeitsgründen entfällt, wenn die Beklagte auch tatsächlich Ersatz für ihre Aufwendungen erlangt hat, und zwar unabhängig davon, aus welchen Gründen (in den Grenzen des § 826 BGB) dies ggf. der Fall war. Denn die Verpflichtung der Arbeitslosenversicherung gegenüber dem Kläger liegt im Wesentlichen darin, sein Risiko der Arbeitslosigkeit zu versichern. Der Kläger hatte im vorliegenden Fall die Wahl, ob er Arbeitslosengeld im Wege der "Gleichwohl-Gewährung" beantragen oder eigene Masseforderungen selbst geltend machen wollte. Er hat sich zur Inanspruchnahme der Versicherung entschieden. Durch den hiermit verbundenen Übergang seiner Ansprüche wird aber die Beklagte nicht automatisch zu seinem Sachwalter gegenüber dem Arbeitgeber. Denn die Interessenlage der Beklagten und des Klägers ist insoweit durchaus verschieden. So hat die Bundesagentur ein Interesse daran, dass Beitreibungsmaßnahmen nicht dazu führen, dass der Arbeitgeber zahlungsunfähig wird und hierdurch Arbeitsplätze vernichtet werden. Der Auffassung, die "Gleichwohl-Gewährung" sei auf die Dauer des Anspruches nicht anzurechnen, wenn die Beklagte die übergangenen Ansprüche nicht mit der notwendigen Sorgfalt geltend macht und die Geltendmachung deshalb scheitert, ist daher nicht zu folgen (Anschluss an BSG, a.a.O.).

Der vorstehend dargelegten, die Kammer überzeugenden Auffassung des Bundessozialgerichtes hat sich der 11. Senat ausdrücklich angeschlossen (Urteil vom 29.11.1988, 11/7 RAr 79/87, wenn auch aus Gründen, die im hier zu entscheidenden Fall nicht tragen würden).

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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