L 9 U 3913/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 8 U 2355/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 3913/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 30. Juni 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob der Kläger am 11. Mai 2001 einen Arbeitsunfall erlitten hat.

Der am 21.4.1967 geborene Kläger, der im elterlichen landwirtschaftlichen Betrieb in O./U. arbeitet, erlitt am 11.5.2001 gegen 20:00 Uhr auf dem Gemeindeverbindungsweg (Kirchweg) auf der Fahrt mit seinem PKW von zu Hause in Richtung D. einen Verkehrsunfall. Er stieß - ohne abzubremsen - frontal mit einem entgegenkommenden Fahrzeug zusammen und zog sich dabei ein Polytrauma, ein Schädel-Hirn-Trauma Grad III mit Hirnkontusion und traumatischer Subduralblutung, eine Erblindung des rechten Auges, eine Sprunggelenksfraktur links, eine große Unterschenkelwunde links, eine Acetabulum-Luxations¬fraktur links, eine Lungenkontusion und ein traumatisches Milzhämatom zu.

Am 15.11.2001 meldete der Kläger den Unfall der Beklagten. Er behauptete dabei, er sei um 20:00 Uhr mit seinem Pkw zu seinem Acker gefahren, um zu kontrollieren, ob der frisch gesäte Hanf schon keime; dabei habe er den schweren Autounfall erlitten.

Aus der beigezogenen Verkehrsunfallbeschreibung des Polizeireviers R. vom 17.5.2001 ist zu entnehmen, dass der Kläger zur Musikprobe nach D. fahren wollte. In dem Unfallfragebogen der Krankenkasse hat der Bruder des Klägers am 17.6.2001 angegeben, der Unfall seines Bruders habe sich auf dem Weg zur Musikprobe ereignet.

In der förmlichen Unfallanzeige vom 4.12.2001 gab der Kläger gegenüber der Beklagten an, er habe zum Acker D. (Flurstück xxx) gewollt. Dort sei Faserhanf angebaut worden und habe gekeimt. Er habe den Bestand wegen eventueller Düngung prüfen wollen.

Auf Nachfrage der Beklagten im Hinblick auf die divergierenden Angaben erklärte der Kläger am 5.2.2002 telefonisch, er sei nach dem Unfall durcheinander gewesen und habe deshalb angegeben, er sei zur Musikprobe unterwegs gewesen; seine schriftliche Stellungnahme folge.

Im Fax vom 25.2.2002 führte der Kläger aus, der Unfall habe sich am Freitagabend ereignet. An diesem Abend sei auch Musikprobe gewesen, deswegen hätten alle gedacht, er sei auf dem Weg zur Musikprobe gewesen. Da er sofort bewusstlos gewesen sei, habe er auch nicht klarstellen können, dass er auf den Acker wollte, der bis zur Unfallstelle auf dem gleichen Weg gewesen sei, auf dem er auch hätte zur Musikprobe kommen können. Nachdem er aus dem künstlichen Koma erwacht sei und wieder selbstständig habe denken können, habe er sich die Frage gestellt, warum er den Weg gefahren sei, den er sonst nicht zur Musikprobe gefahren sei, da der Weg über die Hauptstraße nicht weiter und sicherer sei. Nach ein paar Wochen habe er gewusst, wie es tatsächlich gewesen sei: An dem Unfalltag habe er mit dem Großflächenstreuer auf alle Fruchtsorten - außer Hanf - Dünger gestreut. Er sei am Flurstück O. in der Nähe der Unfallstelle gewesen. Ursprünglich habe er noch nach dem Düngen dieses Ackers den Hanfacker kontrollieren wollen. Da der Düngerstreuer um ca. 11:30 Uhr leer gewesen sei, habe er umgeplant. Er habe geplant, die Düngung erst fertig zu machen, dann den Hanfacker zu kontrollieren und dann zur Musikprobe zu gehen.

Im Zwischenbericht von Dr. L., Chefarzt der Chirurgischen Klinik B.h, vom 19.4.2004 ist erwähnt, im Oktober habe der Kläger erstmals berichtet, er habe den Unfall auf dem Weg zu einer Ackerbesichtigung erlitten.

Die Beklagte holte Auskünfte beim Bürgermeisteramt Uttenweiler ein und zog eine Flurkarte bei. Die Gemeinde gab unter dem 4.4.2003 an, die Gesamtstrecke vom Wohnort bis nach. betrage zwei Kilometer (fünf Minuten). Der Unfall habe sich nach 500 Metern ereignet. Die Kontrolle des Hanfs hätte 10 Minuten, die Musikprobe üblicherweise zwei Stunden gedauert.

Mit Bescheid vom 21.5.2003 lehnte die Beklagte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ab. Zur Begründung führte sie aus, den Angaben gegenüber der Ortsbehörde vom 4.4.2003 sei zu entnehmen, dass sich der Unfall vor Erreichen des betreffenden Ackers, an der Abzweigung zu diesem Acker ereignet habe. Die vom Verkehrsdienst gefertigte Unfallanzeige weise die genaue Unfallstelle nach der betreffenden Abzweigung in Richtung D. aus. Demnach habe sich der Kläger im Unfallzeitpunkt auf direktem Weg zur Musikprobe befunden, ohne seinen Acker kontrolliert zu haben.

Hiergegen legte der Kläger am 26.5.2003 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 9.9.2003 zurückwies.

Hiergegen erhob der Kläger am 18.9.2003 Klage zum Sozialgericht (SG) Ulm, mit der er die Anerkennung des Unfalls vom 11.5.2001 als Arbeitsunfall weiter verfolgte. Zur Begründung trug er vor, der Unfall habe sich auf dem Weg zum Acker und nicht auf dem Weg zur Musikprobe nach dem Besuch des Ackers ereignet. Richtig sei, dass die Unfallstelle kurz nach besagter Kreuzung liege. Er müsse das auf ihn zurasende Fahrzeug erkannt haben, sei vor Schreck nicht mehr zum Abbremsen und Abbiegen gekommen, über die Kreuzung gefahren und mit dem Fahrzeug kollidiert.

Die Beklagte erwiderte, nach Aussagen des Vaters des Klägers vom 21.5.2001 gegenüber dem Polizeirevier R. sei der Kläger noch eine Stunde vor dem Unfall zum Kunstdünger ausstreuen auf dem besagten Acker gewesen. Es sei daher eher unwahrscheinlich, dass er eine Stunde später nochmals hinfahren wollte. Es sei davon auszugehen, dass die Annahme des Bruders des Kläger stimme, der am 16.5.2001 vermutet habe, der Kläger habe im Unfallzeitpunkt zum eigenen Acker hinüber geschaut, als er auf dem Weg zur Musikprobe daran vorbeigefahren sei. Das erkläre auch, warum der Kläger auf das entgegenkommende Fahrzeug nicht reagiert habe und mit einer Geschwindigkeit von ca. 50 km/h gefahren sei. Hätte er tatsächlich in den Feldweg einbiegen wollen, hätte er seine Geschwindigkeit noch viel mehr verringern müssen, da es sich um eine rechtwinklige Einfahrt handele.

Durch Urteil vom 30.6.2005 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, der Kläger habe wegen der Folgen des Verkehrsunfalls vom 11.5.2001 keinen Anspruch auf Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung, da der Unfall kein Arbeitsunfall (Wegunfall) sei. Es sei nicht erwiesen, dass sich die Unfallfahrt auf dem direkten Weg zwischen dem Wohnort des Klägers und dem Ort einer landwirtschaftlichen Tätigkeit ereignet habe. Um seine Felder zu erreichen, hätte der Kläger an der Kreuzung abbiegen müssen. Tatsächlich sei er jedoch über die Kreuzung hinaus gefahren. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen das am 24.8.2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 13.9.2005 beim SG Ulm Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt und vorgetragen, nach nunmehriger genauer Aufarbeitung des Sachverhalts stelle sich dieser wie folgt dar: Am Unfalltag habe er nicht das Feld 372, sondern das Feld mit der Flurstück Nr. 346 kontrollieren wollen. Hierbei habe es sich um ein Feld gehandelt, das mit Wintergerste bepflanzt gewesen sei. Diese werde üblicherweise im Herbst und gegebenenfalls in Frühjahr mit Pflanzenschutzmittel gespritzt. Er habe das Feld auf Unkraut in Form von Disteln sowie Kletten/Labkraut kontrolliert. Dies ergebe sich daraus, dass er den Kirchweg entlanggefahren sei, während er sonst immer die Hauptstraße benutze, um zur Musikprobe zu gelangen. Auch erkläre dies, warum er nicht angeschnallt gewesen sei. Er habe das Feld beobachtet und an geeigneter Stelle anhalten und aussteigen wollen. Hiergegen spreche auch nicht, dass die Musikprobe bereits um 20:00 Uhr begonnen und sich der Unfall kurze Zeit später ereignet habe, da er häufig zu spät erscheine.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 30. Juni 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 21. Mai 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. September 2003 aufzuheben und festzustellen, dass es sich bei dem Unfall vom 11. Mai 2001 um einen Arbeitsunfall/Wegeunfall gehandelt hat.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erwidert, es vermöge nicht zu überzeugen, dass der Kläger nun - fast 4½ Jahre nach dem Unfallereignis - nur durch die Aufarbeitung des erstinstanzlichen Urteils feststelle, bisher von falschen Vorstellungen ausgegangen zu sein. Diese späte Erkenntnis sei auch nicht mit dem Gesundheitszustand des Klägers zu erklären. Den Angaben könne keinesfalls Glauben geschenkt werden.

Der Senat hat die Akten des Landratsamts B., die Krankenakten bzw. Unterlagen des Kreiskrankenhauses Biberach und des Bundeswehrkrankenhauses Ulm sowie den Entlassungsbericht der F.klinik vom 13.8.2001 über den stationären Aufenthalt des Klägers vom 25.6. bis 6.8.2001 beigezogen und Dr. H., Arzt für Allgemeinmedizin, als sachverständigen Zeugen gehört. Dieser hat unter dem 9.3.2006 angegeben, der Kläger selbst habe ihm mitgeteilt, der Unfall habe sich auf dem Weg zu einer Feldbesichtigung ereignet.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats und die beigezogenen Akten des Landratsamts B. Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschlie¬ßungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da der Kläger keinen Anspruch auf Anerkennung des Unfalls vom 11.5.2001 als Arbeitsunfall hat.

Arbeitsunfälle sind gem. § 8 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch (SGB) VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Versicherte Tätigkeit ist auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII). Dabei ist erforderlich, dass der Weg mit der Tätigkeit in dem Unternehmen - rechtlich - zusammenhängt, das heißt, dass ein innerer Zusammenhang zwischen dem Weg und der Tätigkeit in dem Unternehmen besteht. Maßgebend ist dabei die Handlungstendenz des Versicherten, so wie sie insbesondere durch die objektiven Umstände des Einzelfalles bestätigt wird. Für die tatsächlichen Grundlagen des Vorliegens einer versicherten Tätigkeit muss der volle Beweis erbracht werden, das Vorhandensein versicherter Tätigkeit also sicher feststehen, während für die kausale Verknüpfung zwischen ihr und dem Unfall die hinreichende Wahrscheinlichkeit genügt (BSG SozR 3-2700 § 8 Nr. 14).

Ausgehend hiervon ist für den Senat nicht nachgewiesen, dass sich der Kläger zum Unfallzeitpunkt auf dem Weg zu einer versicherten Tätigkeit befunden hat. Zutreffend hat das SG ausgeführt, dass gegen den Vortrag des Klägers, er habe das Hanffeld (Flurstück Nr. xxx) kontrollieren wollen, schon spricht, dass sich der Unfall nach der Abzweigung zum Hanffeld ereignet hat.

Soweit der Kläger nunmehr im Berufungsverfahren vorträgt, er habe nicht das Hanffeld, sondern das Gerstefeld (Flurstück Nr. xxx) kontrollieren wollen, hält der Senat den nunmehrigen - 4½ Jahre nach dem Unfall erfolgten - Vortrag für unglaubwürdig. Zum einen steht er in Widerspruch zu den ursprünglichen Angaben des Klägers, er habe sich auf dem Weg zu dem Flurstück Nr. xxx befunden und zu den zeitnahen Angaben seiner Angehörigen, er habe sich auf dem Weg zur Musikprobe befunden. Zum Anderen hatte der Kläger nach den Angaben seines Bruders vom 16.5.2001 und seines Vaters vom 21.5.2001 gegenüber dem Polizeirevier Riedlingen noch eine Stunde vor dem Unfall auf einem Acker vor dem Rapsfeld an der Unfallstelle gearbeitet und dort Kunstdünger ausgebracht. Das Flurstück Nr. xxx befindet sich nach dem vom Kläger vorgelegten Plan auf der rechten Seite des von O. nach D. führenden Verbindungsweges gegenüber dem Rapsfeld, sodass nicht nachvollziehbar ist, warum er dieses nicht sogleich kontrolliert hat, sondern erst auf dem Weg zur Musikprobe kontrollieren wollte. Insbesondere ist auch nicht glaubhaft, dass sich der Kläger erst nach 4½ Jahren an den tatsächlichen Verlauf des Unfalltages erinnern konnte, zumal in der Krankenakte des Kreiskrankenhauses B. unter dem 22.6.2001 vermerkt ist: "Kann sich an den Unfalltag erinnern, jedoch nicht den Unfall". Darüber hinaus spricht auch die Tatsache, dass der Kläger im Zeitpunkt des Unfalls mit ca. 50/55 km/h fuhr und trotz des entgegenkommenden Fahrzeuges nicht abbremste, dafür, dass er vom Auto aus das Feld betrachtete und nicht vorhatte, dort anzuhalten. Denn dem Kläger waren die Örtlichkeiten und seine Felder bekannt, sodass er nicht nach einer geeigneten Stelle zum Anhalten suchen musste, wofür er hätte die Geschwindigkeit verringern müssen.

Aber selbst wenn man zu Gunsten des Klägers unterstellen würde, er hätte vorgehabt, am Flur¬stück Nr. 346 anzuhalten, um das Feld zu kontrollieren, bevor er zur Musikprobe weiterfuhr, wäre ein Versicherungsschutz zu verneinen. Bei der Frage, ob eine gemischte (das heißt sowohl privaten als auch betrieblichen Interessen dienende) Tätigkeit wesentlich betrieblichen Interes¬sen gedient hat, ist darauf abzustellen, ob diese Tätigkeit hypothetisch auch dann vorgenommen worden wäre, wenn der private Zwecke entfallen wäre (BSG SozR 3-2200 § 548 Nr. 19). Da der Kläger das Gerstefeld schon nicht kontrolliert hat, als er sich in unmittelbarer Nähe des Feldes zum Arbeiten aufhielt, ist der Senat nicht davon überzeugt, dass der Kläger auch dann zur Kon¬trolle dieses Feldes aufgebrochen wäre, wenn er nicht vorgehabt hätte, zu der abendlichen Mu¬sikprobe zu fahren. Damit diente der Weg von Zuhause nach D. nicht wesentlich be¬trieblichen, sondern eigenwirtschaftlichen Zwecken, sodass ein Unfallversicherungsschutz zu verneinen ist.

Nach alledem ist das angefochtene Urteil des SG nicht zu beanstanden. Die Berufung des Klägers musste deswegen zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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