L 1 SB 5434/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
1
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 10 SB 875/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 SB 5434/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 23. Oktober 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin Anspruch auf eine rückwirkende Feststellung eines Grads der Behinderung (GdB) von 20 ab September 1991 bzw. von 40 spätestens ab Dezember 2001 hat.

Die 1951 geborene Klägerin beantragte am 11.09.1991 beim Versorgungsamt F. die Feststellung von Behinderungen. Nach Beiziehung von Arztbriefen wurde mit Bescheid vom 28.11.1991 ein Wirbelsäulensyndrom und Struma als Behinderung festgestellt und der GdB mit weniger als 20 festgesetzt. Der Widerspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 22.05.1992) und wurde bestandskräftig.

Am 24.09.2001 beantragte die Klägerin die Feststellung von Behinderungen wegen eines lumbalen Bandscheibenvorfalls, eines Brustwirbelsäulen(BWS)-Syndroms, Schulter-Arm-Syndroms, Ellenbogenbeschwerden und eines Carpaltunnelsyndroms(CTS). Vorgelegt wurden die Arztbriefe des Neurologen Dr. H. vom 19.02.1998 (Diagnose: Zustand nach voroperiertem CTS links; CTS rechts ohne OP-Indikation) und vom 04.09.1991 (Wurzelreizsyndrom Schwerpunkt L5 links mit ausstrahlenden Schmerzen ohne sichere Einklemmungserscheinungen und ohne Conus-Cauda-Syndrom und sicher feststellbaren sensiblen segmentalen Störungen) sowie des Neurologen und Psychiaters Dr. J. vom 12.04.1994 (Diagnose: Wurzelkompressionssyndrom L5/S1 links, computertomografisch nachgewiesener Bandscheibenvorfall L 4/5 links; neurologisch fraglich positiver Laségue (durch Dehnung des N. ischiadicus auslösbarer Schmerz der erkrankten Seite bei Wurzelkompression), keine Paresen (nerv. bed. Lähmung), Reflexe seitengleich mittellebhaft auslösbar, keine Spontanaktivität der Kennmuskeln von L5 und S1, kein Zeichen eines neurogenen Umbauprozesses). Vom Versorgungsamt wurde beigezogen der Entlassungsbericht der M.-Klinik B. B. vom 08.11.2001 über die durchgeführte medizinische Rehabilitationsmaßnahme vom 17.10. bis 07.11.2001 (Wirbelsäulenbeweglichkeit im Normbereich, keine Schmerzentstehung, neurologisch unauffällig; Beweglichkeit der Schultergelenke Normbereich, beim Anheben und Ein-/Auswärtsdrehen ein Reiben tastbar, keine Zeichen einer Verletzung der Rotatorenmanschette; rechter Ellenbogen lokale Druckdolenz, Schmerzen bei Handstreckung gegen Widerstand, lokal keine Übererwärmung, Weichteilanschwellung oder Rötung). Mit Bescheid vom 17.12.2001 lehnte das Versorgungsamt Freiburg die Neufeststellung des GdB ab. In den Gründen wurden als Funktionsbeeinträchtigungen angegeben: Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Schilddrüsenvergrößerung, Funktionsbehinderung des rechten Ellenbogengelenkes, Carpaltunnelsyndrom beidseits und Schulterarm-Syndrom. Der hiergegen eingelegte Widerspruch der Klägerin wurde mit Widerspruchsbescheid vom 03.05.2002 zurückgewiesen. Die Entscheidung wurde bestandskräftig.

Am 10.05.2005 beantragte die Klägerin über ihren Bevollmächtigten die Überprüfung der 1991 und 2001 ergangenen Bescheide jeweils in der Gestalt der hierzu erlassenen Widerspruchsbescheide. Mit Bescheid vom 06.07.2005 lehnte das Landratsamt O. -Amt für Soziales und Versorgung - die Erteilung eines Rücknahmebescheides ab.

Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Der Bescheid sei unklar, da de fakto zwei Überprüfungsanträge gestellt worden seien, aber mit dem Bescheid nur ein Antrag abgewiesen werde. Der Bescheid von 28.11.1991 sei rechtswidrig gewesen, da ein chronifiziertes, schwer therapierfähiges Lendenwirbelsäulensyndrom vorgelegen habe. Die behandelnde Ärztin Dr. W. habe unter Berücksichtigung der Kribbelparästhesien an den Beinen hierfür eine damals noch als MdE bezeichnete GdB-Einschätzung mit 30 Prozent abgegeben. Unter Berücksichtigung des rezidivierenden Ganglions am linken Handgelenk sei ein Gesamt-GdB von 20 angemessen. Der den Verschlimmerungsantrag zurückweisende Bescheid vom 17.12.2001 sei fehlerhaft, denn es sei eine Wurzelkompression bei einem bereits 1994 nachgewiesenen Bandscheibenvorfall diagnostiziert worden. Das CTS sei bereits zweimal operiert worden und die aus dem Rehabilitations-Entlassungsbericht vom 08.11.2001 ersichtlichen Beeinträchtigungen der Ellenbogenerkrankung rechtfertigten einen Teil-GdB von 20, was mit dem Teil-GdB für die Wirbelsäulenbeschwerden von 20 und dem Schulter-Arm-Syndrom, das einer genaueren Abklärung bedurft hätte, einen Gesamt-GdB von wenigstens 40 begründet hätte.

Das Regierungspräsidium S. - Landesversorgungsamt - wies mit Widerspruchsbescheid vom 09.02.2006 auf der Grundlage der versorgungsärztlichen Stellungnahmen von Dr. M. vom 30.10.2005 und 22.01.2006 den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Voraussetzungen für eine Rücknahme nach § 44 Sozialgesetzbuch (SGB) X lägen nicht vor, denn die seinerzeit vorgenommene GdB-Bewertung sei nicht zu beanstanden. Lediglich die Funktionsbeeinträchtigungen seien neu festzustellen mit: "Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Bandscheibenschaden, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule. Funktionsbehinderung des linken Schultergelenks, Funktionsbehinderung des rechten Ellenbogengelenkes. Schilddrüsenvergrößerung (Struma)". Darüber hinaus komme eine Rückwirkung längstens für einen Zeitraum von vier Jahren, frühestens ab 1.1.2001, in Betracht. Ferner sei die rückwirkende Feststellung eines GdB 20 ab September 1991 rechtlich fraglich, da kein Rechtsschutzinteresse bestehe. Ein GdB von 20 begründe keine rechtlichen oder wirtschaftlichen Vorteile. Ferner seien die verfahrensrechtlichen Bedenken der Klägerin unbegründet, denn dass der beantragte Rückwirkungszeitraum zwei Bescheide beinhalte, erfordere nicht die Erteilung von zwei Bescheiden im Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X.

Die Klägerin hat beim Sozialgericht F. am 20.02.2006 Klage mit dem Begehren, einen Gesamt-GdB von wenigstens 20 ab 11.09.1991 festzustellen, und am 21.02. 2006 Klage mit dem Begehren, den Bescheid vom Dezember 2001/Widerspruchsbescheid vom Mai 2002 abzuändern und einen Gesamt-GdB von wenigstens 40 festzustellen, erhoben. Die Klägerin hat ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren wiederholt und ergänzend ausgeführt, ein Rechtsschutzinteresse liege vor, denn aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten gehe es darum, einen korrekt festgestellten GdB zu erhalten. Außerdem mache es einen Unterschied, ob bei einem Verschlimmerungsantrag von einem GdB von wenigstens 20 oder einem GdB von Null auszugehen sei. Ferner sei unzutreffend, dass eine Rückwirkung nur für einen Zeitraum bis zu vier Jahren ab Antragstellung in Betracht komme, denn § 44 Abs. 4 SGB X als Ausschlussfrist beziehe sich nur auf Geldleistungen. Die Klägerin hat auf den vorgelegten Entlassungsbericht der R.klinik B. K. vom 29.05.2006 verwiesen (Diagnose: Impingement-Syndrom rechte Schulter bei ACG ( Schultereckgelenk)Arthrose, Myogenes (muskulärbedingtes) Cervikalsyndrom, Dorsalgien bei fixierter BWS-Kyphose, Intercostalneuralgie 9/10 Rippe rechts, arterielle Hypertonie. Entlassungsbefund: Hyperkyphose BWS, Rotationseinschränkung der HWS, segmental keine Blockierung nachweisbar; rechtes Schultergelenk aktiv und passiv frei beweglich mit schmerzhaftem Bogen, seitengleiche gute Kraftentwicklung der Schultergürtelmuskulatur; Rumpfseitneigung beidseits bis 30 Grad, Rumpfvorbeugung mit Fingerbodenabstand 10 cm, gebesserte muskuläre Funktion; weiterhin Druckschmerz an der seitlichen Thoraxwand im Verlauf der 9. /10. Rippe).

Das beklagte Land hat geltend gemacht, die am 21.02.2006 erhobene Klage sei unzulässig, da bereits Rechtshängigkeit wegen der zuvor gegen den gleichen Überprüfungsbescheid erhobenen Klage bestehe. Wenn man auch über die Frage des Rechtsschutzbedürfnisses für die Feststellung eines GdB von 20 streiten können, so gelte diese Jahresfrist des §§ 44 Abs. 4 SGB X auch bei Statusfeststellungen nach dem SGB IX. Rechtsgrundlage für die Rücknahme im Schwerbehindertenrecht sei § 44 Abs. 2 SGB X, danach sei es nicht ermessenswidrig, die Rückwirkung grundsätzlich auf vier Jahre zu beschränken und den Anwendungsbereich des Abs. 2 nicht weiter zu verstehen als den des Absatzes 1.

Das Sozialgericht hat am 17.10.2006 einen Erörterungstermin durchgeführt - auf die Niederschrift wird Bezug genommen -, die beiden Klageverfahren S 10 SB 875/06 und S 10 SB 904/06 mit Beschluss vom 23.10.2006 verbunden und mit Gerichtsbescheid vom 23.10.2006 die Klagen abgewiesen. In den Entscheidungsgründen des Gerichtsbescheids hat das Sozialgericht ausgeführt, die Klage sei bereits insoweit unzulässig, als eine nachträgliche Korrektur und Anhebung des Grads der Behinderung für den Zeitraum 1991 bis 2001 auf mindestens 20 begehrt werde. Insoweit fehle es am Rechtsschutzbedürfnis. Die Neufeststellung des GdB aufgrund eines Verschlimmerungsantrages beruhe auf der Bewertung des aktuellen Gesundheitszustandes, die GdB-Feststellung von 20 beinhalte keine rechtlichen Vorteile, da Steuervorteile erst ab einem GdB von 30 eingeräumt sind. Unbegründet sei insoweit die weitergehende Klage, denn der Bescheid vom Dezember 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheid vom Mai 2002 sei nicht rechtswidrig gewesen. Im Vordergrund der im November 2001 durchgeführten Rehabilitationsmaßnahme hätten belastungsabhängige Beschwerden im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule gestanden. Das Ellenbogengelenk sei frei beweglich und die Beweglichkeit der Wirbelsäule sei nach Abschluss der Maßnahme im Normbereich gewesen.

Gegen den ihr am 26.10.2006 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 30.10.2006 Berufung eingelegt und zur Begründung ausgeführt, das Sozialgericht stelle im angefochtenen Gerichtsbescheid formale Betrachtungen an und gehe auf die medizinisch orientierte Problematik nicht ein. Für die Überprüfung des Zeitraumes ab 2001 seien nicht die Anhaltspunkte 2005 sondern die von 1996 in Ansatz zu bringen. Das Sozialgericht habe keine Ermittlungen aufgenommen. Die Rehabilitations-Entlassungsberichte böten in ihrer epikritischen Zusammenfassung ein Zerrbild der Realität, da es nach ihrer Auffassung nicht sein könne, dass sich nach Ende der Rehabilitationsmaßnahme der Gesundheitszustand verschlechtert habe, was einen Misserfolg der Maßnahme bedeute. Mit Abweisung der Klagen ergebe sich die Konsequenz, dass weder ein Teil-GdB von 20 noch von 40 bestätigt werde, was eine weitere Verfahrenszersplitterung zur Folge habe, denn es sei ein weiterer Verschlimmerungsantrag zu stellen. Die aktenkundigen Befunde einer Wurzelkompression im April 1994, des zweifach operierten CTS im Januar 2002 und einer therapieresistenten Ellenbogenerkrankung im November 2001 rechtfertigte einen Gesamt-GdB von 40. Es sei nicht hinnehmbar, dass nach der Bescheidlage ein Gesamt-GdB von Null bestehe. Soweit im richterlichen Hinweis vom 02.05.2007 von vorübergehenden Akuterkrankungen ausgegangen werde, sei dies bei einer seit 1989 andauernden Krankengeschichte nicht verständlich. Die Epicondylitis sei chronifiziert.

Die Klägerin beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts F. vom 23.10.2006 und den Bescheid des Beklagten vom 06.07.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheid vom 09.02.2006 aufzuheben und das beklagte Land zu verurteilen, unter Aufhebung des Bescheids vom 28.11.1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheid vom 22.05.1992 sowie des Bescheid vom 17.12.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheid vom 03.05.2002 für die Zeit vom 22.05.1992 bis 20.01.2001 einen GdB von wenigstens 20 und für die Zeit vom 17.12.2001 bis 06.07.2005 einen GdB von wenigstens 40 festzustellen.

Das beklagte Land beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Dem Antrag der Klägerin auf Überprüfung der genannten bestandskräftigen Bescheide habe nicht entsprochen werden können, da nach den aktenkundigen Befundunterlagen weder für die Zeit ab 1991 noch in der Zeit vor dem Änderungsbegehren im September 2001 ein Gesamt-GdB von wenigstens 20 vorgelegen habe und außerdem allerhöchstens eine Rückwirkung gem. § 44 Abs. 4 SGB X bis zum 01.01.2001 in Betracht komme.

Auf richterlichen Hinweis auf § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) mit Fristsetzung bis 30.06.2007 (Verfügung vom 05.06.2007) hat der Klägerbevollmächtigte mit dem am Donnerstag, dem 04.07.2007 eingegangenen gerichtlichen Vordruck nach § 109 SGG die Einholung eines ärztlichen Gutachtens beantragt und damit zugleich die Kostenverpflichtungserklärung der Klägerin für die den angeforderten Kostenvorschuss von 1500 EUR übersteigenden Kosten vorgelegt. Im Antrag sind der handschriftlich eingetragene Name und Anschrift des zu beauftragenden Arztes gestrichen und der handschriftliche, unterschriebene, mit Datum vom 03.07.07 versehene Vermerk des Bevollmächtigten angebracht: "neuer Gutachtensauftrag kommt".

Der Senat hat die Verwaltungsakte des beklagten Landes und die Akten des Sozialgerichts beigezogen. Auf diese Unterlagen und die im Berufungsverfahren angefallene Akte wird im Übrigen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gem. §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten nach §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung hat entscheiden können, ist auch im Übrigen zulässig.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid ist nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rücknahme der angegriffenen bestandskräftigen Bescheide von 1991/1992 und 2001/2002. Der den Rücknahmeantrag ablehnende Bescheid des Beklagten vom 06.07.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheid vom 09.02.2006 ist rechtmäßig.

Die Berufung ist nicht bereits wegen Unzulässigkeit der Klage unbegründet.

Ein Prozesshindernis wegen der Sperrwirkung (§ 202 SGG i. V. m. § 17 Abs. 1 Satz 2 Gerichtsverfassungsgesetz) doppelter Rechtshängigkeit (§ 94 SGG) lag zum Zeitpunkt der Klageerhebung am 21.02.2006 vor dem Sozialgericht nicht vor. Die Rechtshängigkeit umfasst den vom Klageantrag umschriebenen Streitgegenstand (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG Kommentar, 8. Aufl., § 94 Rdnr. 3a). Vorliegend richten sich die verbundenen Klagen zwar gegen den gleichen Ausgangsbescheid. Die geltend gemachten prozessualen Ansprüche sind aber nicht deckungsgleich, da die Klageziele unterschiedliche höhere GdB-Feststellungen in unterschiedlichen Zeiträumen betreffen.

Auch für die im Wege einer Überprüfungsentscheidung begehrte Feststellung eines GdB von 20 ist ein Rechtsschutzinteresse nicht zu verneinen.

Rechtsgrundlage für den begehrten Rücknahmebescheid ist § 44 SGB X. Nach dieser Vorschrift ist ein nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen wurde, der sich als unrichtig erweist. Im Rahmen einer Entscheidung nach § 44 SGB X gelten dabei die allgemeinen Verfahrens- und Beweislastregeln (vgl. BSGE 45, 1, 10; BSG SozR 3870 § 2 BKGG Nr. 44; Urteil des BSG vom 01.03.1989 - 2 RU 42/88 -).

Die Feststellung des GdB beruht seit 01.07.2001 auf den Vorschriften des Neunten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB IX), die an die Stelle der durch dieses Gesetz aufgehobenen Vorschriften des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) getreten sind (vgl. Art. 63, 68 des Gesetzes vom 19.06.2001 BGBl. I S. 1046). Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden danach als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt (§ 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX) und eine Feststellung ist nur zu treffen, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt (§ 69 Abs. 1 Satz 6 SGB IX), was insgesamt der zum Zeitpunkt der streitigen bestandskräftigen Bescheide geltenden Regelung in § 3 Abs. 2 SchwbG entspricht. Es besteht somit ein Rechtsanspruch darauf, dass der GdB korrekt in Zehnergraden ab einem GdB 20 festgestellt wird, unabhängig von den damit verbundenen wirtschaftlichen oder steuerlichen Vorteilen.

Die Berufung ist aber unbegründet, weil die Klägerin materiell keinen Anspruch auf Rücknahme der beanstandeten bestandskräftigen Bescheide hat.

Die Rücknahme gem. § 44 SGB X des bestandskräftigen Bescheids vom 28.11.1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.05.1992 mit Rückwirkung ab September 1991 scheitert für den Zeitraum bis 30.06.2001 (vor Inkrafttreten des SGB IX) bereits deshalb, weil unabhängig vom Vorliegen der ermessenseröffnenden Voraussetzungen eine rückwirkende Aufhebung ermessensfehlerfrei verneint worden ist. Unter der Geltung des Schwerbehindertengesetzes hat das Bundessozialgericht entschieden, dass § 44 Abs. 1 SGB X auf die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft oder des GdB nicht anwendbar ist, da es sich hierbei nicht um Verwaltungsakte handelt, auf Grund derer Sozialleistungen im Sinne von § 11 Sozialgesetzbuch (SGB) I zu erbringen sind. Hierzu gehören Dienst-, Sach- und Geldleistungen nach dem Sozialgesetzbuch, d. h. weder die Feststellungen nach dem SchwbG oder die auf anderen Gesetzen beruhenden, an diese Feststellungen anknüpfenden steuerlichen, arbeitsrechtlichen oder verkehrsrechtlichen etc. Vorteile sind unter diese Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch zu subsumieren gewesen. Danach war für die Überprüfung einer GdB-Feststellung nur § 44 Abs. 2 SGB X anwendbar, wonach die Rücknahme grundsätzlich nur für die Zukunft zu erfolgen hat. Die Rücknahme für die Vergangenheit liegt im Ermessen der Behörde, wobei es nicht ermessensfehlerhaft ist, die Rückwirkung grundsätzlich auf die Vierjahresfrist in § 44 Abs. 4 SGB X zu beschränken und nur ausnahmsweise eine sich darüber hinaus erstreckende Rückwirkung anzuordnen (vgl. insgesamt Urteil des Bundessozialgerichts vom 29.05.1991- SozR 3-1300 § 44 Nr. 3).

Zwar sind in dem angefochtenen Überprüfungsbescheid hierzu keine Ermessenserwägungen angestellt worden, doch hat der Beklagte im Klageverfahren insoweit unter Bezugnahme auf § 44 Abs. 2 SGB X Ermessenserwägungen zulässig nachgeschoben. Die angestellten Ermessenserwägungen, dass die Klägerin aus der begehrten rückwirkenden Feststellung eines GdB von 20 weder rechtliche noch wirtschaftlicher Vorteile erlangen kann, sind in Ansätzen bei der Verneinung eines Feststellungsinteresses in den Bescheiden bereits angesprochen worden, was die konkretisierende nachträgliche Geltendmachung als Ermessensüberlegungen im gerichtlichen Verfahren ermöglicht. Diese Erwägungen sind auch nicht ermessensfehlerhaft. Insoweit schließt sich der Senat den Ausführungen im angefochtenen Gerichtsbescheid an, die zwar zum fehlenden Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin, aber zur gleichen Zielrichtung der Feststellung ihres Interesses an einer rückwirkenden GdB 20-Feststellung ergangen sind.

Ob in Abänderung des Bescheids der Beklagten vom 17.12.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.05.2002 eine rückwirkende Feststellung ab 01.01.2001 (unter Berücksichtigung von § 44 Abs. 4 SGB X im Hinblick auf den am 10.05.2005 gestellten Überprüfungsantrag) nach § 44 Abs. 1 oder Abs. 2 Satz 2 SGB X in Betracht kommt, nachdem zum 01.07. 2001 die Regelungen nach dem SGB IX in Kraft getreten sind und damit Dienst-, Sach- und Geldleistungen i. S. von § 11 SGB I auch die Feststellung der Behinderteneigenschaft als Voraussetzung für Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe der behinderten Menschen nach SGB IX sein könnten, kann dahinstehen.

Denn jedenfalls liegt die für beide Regelungen nach Abs. 1 und Abs. 2 zur Rücknahme erforderliche Voraussetzung nicht vor, dass die verfügte Ablehnung der Neufeststellung eines GdB von mindestens 20 bzw. 40 rechtswidrig gewesen ist.

Dem einen zeitnahen Befund über den Krankheitszustand der Klägerin enthaltenen Entlassungsbericht der M.-Klinik B. B. vom 08.11.2001 über die durchgeführte medizinische Rehabilitationsmaßnahme vom 17.10. bis 07.11.2001 sind keine Gesundheitsstörungen zu entnehmen, die eine Teil-GdB-Bewertung mit mehr als 10 erlauben. Dies ergibt sich sowohl aus den Anhaltspunkten i. d. F. von 1996 wie auch aus den annähernd gleich lautenden Anhaltspunkten i. d. F. von 2005.

Die Wirbelsäulenbeschwerden waren nach dem Entlassungsbericht nicht mit neurologischen Ausfallerscheinungen oder relevanten Bewegungseinschränkungen verbunden, was nach den Anhaltspunkten einen GdB von Null ergibt (Anhaltspunkte 1996 Nr. 26.18, wie auch Anhaltspunkte 2005 Nr. 26.18).

Für die die oberen Gliedmaßen betreffenden Gesundheitsstörungen gilt, dass die unauffällige Schulterbeweglichkeit, ein frei bewegliches Ellenbogengelenk rechts mit allenfalls Druckschmerzhaftigkeit und bewegliches Handgelenk mit Schmerzhaftigkeit bei Streckung gegen Widerstand keinen GdB von mehr als 10 rechtfertigt. Eine Schulterbeweglichkeitseinschränkung mit Anhebung nur bis zu 120 Grad ergibt einen Teil-GdB von 10, was bei der Klägerin bei normaler Beweglichkeit gerade nicht vorliegt. Eine geringgradige Bewegungseinschränkungen des Ellenbogengelenks bei freier Unterarmbeweglichkeit ergibt einen Teil-GdB von 0 bis 20. Bei der Klägerin liegt bei freier Beweglichkeit nur eine schmerzhafte arthrotische Veränderung vor, was keine relevante GdB-Einstufung erlaubt. Eine maßgebende Bewegungseinschränkungen des Handgelenks mit Streckung und Beugung bis 30-0-40, was auch nur einen Teil-GdB von Null bis 10 rechtfertigt, liegt ersichtlich ebenso wenig vor (vgl. hierzu insgesamt Anhaltspunkte 1996 und 2005 Nr. 26.18). Hinweise darauf, dass die Entlassungsberichte nicht korrekte Befunde enthalten, sind den beigezogenen Akten nicht zu entnehmen. Der von der Klägerin selbst im Klageverfahren vorgelegte Entlassungsbericht der R.klinik B. K. vom 29.05.2006 über das fünf Jahre später durchgeführte Rehabilitationsverfahren enthält keine wesentlichen Abweichungen zu den 2001 in Bad Bellingen erhobenen Befunden. Abgesehen davon, dass Rückschlüsse hieraus auf bereits 2001 und früher vorliegende Funktionseinschränkungen bei einer denkbaren Progredienz der Erkrankungen nicht ohne weiteres möglich sind, enthalten die Befunde keine Hinweise auf eine gravierende Wirbelsäulenerkrankung, da keine neurologischen Defizite beschrieben werden. Die jetzt beschriebenen Einklemmungserscheinungen an der rechten Schulter bei ansonsten freier Beweglichkeit lassen keine maßgebliche Befundänderung erkennen.

Allein aus dem Umstand, dass Mitte der 90er Jahre ein Bandscheibenvorfall behandlungsbedürftig war, wobei neurologische Ausfallerscheinungen in Form der geltend gemachten Kribbelparästhesien auch nur als geringfügig eingestuft werden können, rechtfertigt noch keine höhere GdB-Bewertung. Die 2001 diagnostizierten Restbeschwerden ohne neurologische Symptomatik waren nach den obigen Darlegungen zutreffend eingestuft worden. Gleiches gilt für die von der Klägerin im Berufungsverfahren geltend gemachten chronifizierten Beschwerden im Ellenbogengelenk. Auf den Umstand einer Chronifizierung und auf die Dauer des chronischen Leidens kommt es nicht an, sondern auf das Ausmaß der damit verbundenen funktionellen Beeinträchtigungen. Soweit Beschwerden vorlagen, die eine Operationsindikation ergeben haben, sind die damit verbundenen Funktionsbeeinträchtigungen der Akuterkrankung einer GdB-Bewertung nicht zugänglich, da als Behinderung nur die mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichenden Gesundheitsstörungen gelten (§ 2 Abs. 1 SGB IX und annähernd gleich lautend § 3 Abs. 1 SchwbG).

Zu Ermittlungen von Amts wegen hat sich der Senat daher nicht veranlasst gesehen. Dem Antrag nach § 109 SGG hat der Senat nicht stattgegeben. Ein ordnungsgemäßer Antrag nach § 109 SGG ist nicht fristgerecht gestellt worden.

Gemäß § 109 Abs. 2 SGG kann das Gericht einen Antrag nach § 109 Abs. 1 SGG ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

Von grober Nachlässigkeit ist auszugehen, wenn die zur ordnungsgemäßen Prozessführung erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen worden ist, wenn gerade nicht getan wird, was jedem einleuchten muss. Danach ist von einem sachkundigen Prozessbevollmächtigten zu verlangen, dass er den Antrag nach § 109 SGG in angemessener Frist stellt, wenn das Gericht zu erkennen gibt, dass es keine weiteren Sachverhaltsermittlungen von Amts wegen durchzuführen beabsichtigt (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 8. Auflage 2005, § 109 SGG Rz. 11 mwN).

Mit richterlicher Verfügung vom 05.06.2007 war für einen Antrag nach § 109 SGG Frist bis 30.06.2007 gesetzt worden, weshalb spätestens bis Montag, den 01.07.2007 ein entscheidungsfähiger Antrag bei Gericht hätte eingehen müssen. Der erst am 04.07.2007 eingegangene Antrag war daher verspätet. Zudem liegt kein formgerechter vollständiger Antrag vor, da ein bestimmter Arzt, dem der beantragte Gutachtensauftrag zu erteilen gewesen wäre, dem am 04.07.2007 eingegangenen Schreiben nicht zu entnehmen war. Die mit dem handschriftlichen Vermerk des Klägerbevollmächtigten angekündigte Nachbenennung ist nicht erfolgt. Der unter dem 03.07.2007 handschriftlich angefügte Vermerk mit der Ankündigung, einen Arzt zu benennen, war überdies auch erst nach Ablauf der richterlichen Frist erfolgt. Der Antrag nach § 109 SGG ist daher grob nachlässig verspätet gestellt worden. Die Einholung des Gutachtens hätte die Entscheidung auch verzögert, da der entscheidungsreife Rechtsstreit nicht zum vorgemerkten Termin durch Urteil hätte beendet werden können.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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