L 6 AL 1106/97 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 5 Ar 1333/97 A
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AL 1106/97 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Abgrenzung zum Beschluß des erkennenden Senats vom 6. November 1997 (L-6/Ar-1071/97.A)
Hat ein türkischer Arbeitnehmer eines türkischen Unternehmens bis zum 30. April 1997 für die Durchführung von Transporten eines deutschen Spediteurs in die Türkei mit dessen Lkw zusammenhängende Arbeitserlaubnisse für mehr als ein Jahr erhalten und für die Folgezeit eine Arbeitserlaubnis beantragt, deren Schicksal noch in der Schwebe ist, kann er nach dem Ergebnis der im einstweiligen Rechtsschutz gebotenen vorläufigen Überprüfung nach dem Beschluß 1/80 des Assoziationsrates (EWG – Türkei) Anspruch auf Erneuerung der Arbeitserlaubnis zur weiteren Durchführung solcher Transporte haben.
Die in § 9 AEVO enthaltene Regelung, daß für bestimmte Berufs- und Personengruppen keine Arbeitserlaubnis erforderlich ist, beruht auf der Ermächtigungsgrundlage des § 19 Abs. 4 AFG und stellt eine Ausnahme von der grundsätzlichen Arbeitserlaubnispflicht des § 19 Abs. 1 AFG dar. Veränderungen von Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes berechtigen den Verordnungsgeber zur Einschränkung von bisherigen Ausnahmen. Damit werden bisher arbeitserlaubnisfreie Berufs- und Personengruppen dem allgemeinen Arbeitserlaubnisrecht unterstellt.
Die fehlende Übergangsregelung hat die Bundesanstalt für Arbeit durch befristete Arbeitserlaubnisse (bis 30.4.1997) ausreichend ausgeglichen.
Vertrauensschutz auf die Beibehaltung von Ausnahmeregelungen auch bei sich ändernder Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes ist nicht gegeben.
Abgrenzung zum Urteil des Bundessozialgericht vom 10.3.1994 (7 RAr 44/93) und zum Beschluß des Bayer. Landessozialgerichts vom 24. April 1997 (L 11 B 376/96.Al-VR).
I. Auf die Beschwerde der Antragstellerin werden der Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 28. Juli 1997 aufgehoben und die Antragsgegnerin verpflichtet, vorläufige Arbeitserlaubnisse – längstens bis zum Abschluß der ersten Instanz des Hauptsacheverfahrens S-5/Ar-1334/97 – zu erteilen für die Lkw-Fahrer: M. T., geb., T. G., geb., I. G., geb., T. K., geb., H. Ö., geb. für eine Beschäftigung bei der Firma C., zur Durchführung von Lkw-Transporten der Antragstellerin.

II. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die außergerichtlichen Kosten des Anordnungsverfahrens beider Instanzen zu erstatten

Tatbestand:

I

Gegenstand des Verfahrens ist das Begehren der Antragstellerin, vorläufig dem bisherigen Zustand entsprechend weiterhin Transporte mit in der Türkei wohnenden und dort beschäftigten Lkw-Fahrern auf Lkw der Antragstellern auf der Strecke Deutschland – Türkei durchzuführen.

Nach § 9 Nr. 2 Arbeitserlaubnisverordnung (AEVO) in der bis zum 31. August 1993 geltenden Fassung bedurfte das fahrende Personal im grenzüberschreitenden Personen- und Güterverkehr keiner Arbeitserlaubnis, ab 1.9.1993 bedurfte nur das fahrende Personal im grenzüberschreitenden Personen- und Güterverkehr bei Arbeitgebern im Ausland keiner Arbeitserlaubnis, ab 10. Oktober 1996 nur das fahrende Personal im grenzüberschreitenden Personen- und Güterverkehr bei Arbeitgebern im Ausland, sofern das Fahrzeug im Sitzstaat des Arbeitgebers zugelassen ist. Die Antragstellerin betreibt Lkw-Transporte auf der Strecke Deutschland – Türkei mit eigenen, in Deutschland zugelassenen, Lkw. Die Antragstellerin wurde nach ihren Angaben 1991 gegründet und betrieb bis zu 6 Lkw, derzeit nur noch 2. Die Antragstellerin arbeitet mit einer Fa. C. in Istanbul (einer GmbH türkischen Rechts) zusammen, die dort wohnhafte Lkw-Fahrer unter Vertrag hat, die die Transporte der Antragstellerin auf den Lkw der Antragstellerin ausführen. Gesellschafter der Fa. C. sollen ein anderer hessischer Spediteur und ein türkischer Geschäftsmann sein, wobei letzterer die Anteile für die Antragstellerin als "Strohmann” halten und weisungsgebunden sein soll.

Die Antragstellerin hat Kopien von Arbeitserlaubnissen der 5 türkischen Fahrer vorgelegt, für die sie ein weiteres Tätigwerden im bisherigen Umfang anstrebt, und zwar:

M. T., geb. , 23.11.1995 bis 30.4.1997,
T., geb. , 23.11.1995 bis 30.4.1997,
I. G., geb. , 23.11.1995 bis 30.4.1997,
T. K., geb. , 23.11.1995 bis 30.4.1997,
H. Ö., geb. , 23.11.1995 bis 30.4.1997.

Als Beschäftigungsbetrieb waren zumeist C., Istanbul, teilweise aber auch C. und die Antragstellerin angegeben.

Die Erteilung von Arbeitserlaubnissen jeweils für die 5 oben genannten türkischen Fahrer für die Zeit ab 1.5.1997 lehnte die Antragsgegnerin ab (5 Widerspruchsbescheide vom 28.8.1997). Diese Bescheide legte die Antragstellerin im Hauptsache verfahren S-5/AL-1334/97 mit dem Ziel der Aufhebung vor.

Mit Schreiben vom 26.5.1997 beantragte die Antragstellerin, ihr Bescheinigungen über die Arbeitserlaubnisfreiheit der o.a. 5 Lkw-Fahrer auszustellen. Dies lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 5.6.1997 und auf den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 28.10.1997 unter Hinweis auf § 9 AEVO ab.

Bereits am 9. Juli 1997 hat die Antragstellerin bei dem Sozialgericht Gießen Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung gestellt und gleichzeitig Klage erhoben mit dem Ziel einer erlaubten weiteren Tätigkeit der genannten 5 türkischen Lkw-Fahrer (Az. S-5/Ar-1333/97A und S-5/Ar-1334/97). Unter Vorlage einer eidesstattlichen Erklärung des Gesellschafters und Geschäftsführers hat die Antragstellerin u.a. vorgetragen, daß es ihr trotz großer Bemühungen nicht gelungen sei, in den vergangenen Jahren geeignetes und zuverlässiges Fahrpersonal auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu finden, auch nicht hier ansässige Türken. Zur Fortführung des Betriebes sei sie deshalb auf die in der Türkei ansässigen Lkw-Fahrer wie bisher angewiesen. Zur Zeit werde nur ein Notbetrieb aufrecht erhalten, 4 der 6 Lkw seien bereits verkauft. Ohne die angestrebte Regelung müsse der Betrieb liquidiert werden.

Mit Beschluss vom 28.7.1997 hat das Sozialgericht Gießen den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung abgelehnt im wesentlichen mit der Begründung, daß es an einer hinreichenden Erfolgsaussicht in der Hauptsache fehle. Die genannten türkischen Arbeitnehmer seien arbeitserlaubnispflichtig, da der Befreiungstatbestand des § 9 Nr. 2 AEVO in der seit 10.10.1996 geltenden Fassung nicht vorliege. Grund der Einschränkung sei gewesen, der Beschäftigung von ausländischen Arbeitnehmern zu wesentlich niedrigeren Löhnen bei einer erheblichen Anzahl an arbeitslosen inländischen Kraftfahrern entgegenzuwirken. Dies rechtfertige den Eingriff in den Gewerbebetrieb der Antragstellerin und stelle eine zulässige Beschränkung des Rechts aus Artikel 14 GG dar. Die den betroffenen Unternehmen eingeräumte Übergangsfrist bis 30.4.1997 sei auch ausreichend. Es sei auch unbeachtlich, ob der deutsche Arbeitsmarkt genügend geeignetes Fahrpersonal aufweise, da es auch andere Möglichkeiten der Umstellung gebe. Auch ein Verstoß gegen das Assoziationsabkommen mit der Türkei sei nicht gegeben, da dieses keine Arbeitserlaubnisfreiheit regele, sondern den erleichterten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt nach Ablauf bestimmter Beschäftigungszeiten in Form der Verlängerung einer erteilten Arbeitserlaubnis.

Gegen den am 31. Juli 1997 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 6. August 1997 Beschwerde eingelegt, der das Sozialgericht am 11. August 1997 nicht abgeholfen hat. Die Antragstellerin trägt vor, es seien letztlich die Arbeitsämter gewesen, die die Nahostspediteure 1993 veranlaßt hätten; ihre türkischen Fahrer bei türkischen Firmen anzustellen und nicht direkt bei sich in Deutschland. Entscheidend sei die Frage der (teilweisen) Verfassungswidrigkeit der Neufassung des § 9 Abs. 2 AEVO. Die Auswirkungen dieser Bestimmung für die spezielle Branche der Antragstellerin sei verkannt worden, da dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales nicht unterstellt werden solle, daß beabsichtigt gewesen sei, funktionierende Betriebe, die selbstverständlich auch deutsche Arbeitnehmer beschäftigten, zu zerstören. Die Prozeßbevollmächtigten der Antragstellerin vertraten allein 11 Spediteure aus der speziellen Branche und in keinem einzigen Fall seien die Arbeitsämter in der Lage gewesen, qualifizierte und zuverlässige Fahrer für die Nahostroute zur Verfügung zu stellen. Aus den Schreiben des Regierungspräsidiums Gießen vom 4. November 1997 und vom 15. Januar 1998 ergebe sich, daß das dortige Widerspruchsverfahren noch nicht abgeschlossen sei. Die Behauptung der Beklagten, die Widerspruchsbescheide bezüglich der abgelehnten Verlängerung der Arbeitserlaubnisse der 5 türkischen Fahrer seien bestandskräftig geworden, sei unrichtig. Vielmehr seien diese zum Gegenstand des Hauptsacheverfahrens vor dem Sozialgericht Gießen geworden.

Die Antragstellerin hat für die Spediteure positive Entscheidungen in gleichgelagerten Fällen vorgelegt, und zwar des Sozialgerichts Augsburg vom 16. September 1997 (S 2 Al 446/97), des Sozialgerichts Bayreuth vom 4. November 1997 (S 7 VR 25/97.Al) sowie des Bayerischen Landessozialgerichts vom 24. April 1997 (L 11 B 376/96.Al-VR).

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
die Beklagte zu verurteilen, schriftlich zu bescheinigen, daß die ausschließlich im Nahostverkehr eingesetzten und in der Türkei ansässigen Fahrer

M. T.
T. G.
I. G.
T. K.
H. Ö.

arbeitserlaubnisfrei bei ihr eingesetzt werden dürfen, soweit die Fahrer bei dem Kooperationspartner, der Firma C. in Istanbul, beschäftigt sind.

Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Antragsgegnerin trägt vor, die Befreiungsvorschrift des § 9 Nr. 2 AEVO gelte nur für ausländische Kraftfahrer, die bei einem im Ausland ansässigen Unternehmen beschäftigt seien und die benutzten Fahrzeuge im Sitzstaat des Unternehmens zugelassen seien. Daraus ergebe sich, daß die hier in Rede stehenden türkischen Kraftfahrer arbeitserlaubnispflichtig seien. Ursache für die mehrfachen Änderungen der Regelung des § 9 AEVO seien stets konjunkturelle Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt gewesen. Da sich die bis 9.10.1996 geltende Beschränkung durch § 9 Abs. 2 AEVO als nicht effektiv erwiesen habe, sei die Änderung erforderlich geworden. Die Gültigkeit der den 5 Fahrern in der Vergangenheit erteilten Arbeitserlaubnisse habe im 1. bzw. 2. Quartal 1997 geendet. Die im Anschluß daran beantragten Arbeitserlaubnisse seien abgelehnt worden; dies dürfte zwischenzeitlich Bindungswirkung erlangt haben.

Entscheidungsgründe:

II

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig. Die Beschwerde ist auch begründet Der angefochtene Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 28. Juli 1997 ist rechtswidrig und war deshalb aufzuheben. Zwar ist bei dem vorliegenden Verfahren nach dem SGG vorläufiger gerichtlicher Rechtsschutz für die Antragstellerin nicht vorgesehen, ist jedoch nach der grundlegenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (19. Oktober 1977 – 2BvR 42/76 = BVerfGE 46, S. 166) dann geboten, wenn für die Antragstellerin schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre.

Die Antragstellerin hat einen Anspruch auf Erlaß der begehrten einstweiligen Anordnung. Dabei geht der erkennende Senat davon aus, daß das ihm eingeräumte freie Ermessen zur Bestimmung derjenigen Anordnung, die zur Erreichung des angestrebten Zweckes geeignet ist (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 5. Auflage, § 97, RdNr. 23 b), dahin auszuüben war, daß die Beklagte verpflichtet wird, den 5 genannten türkischen Fahrern vorläufige Arbeitserlaubnisse zu erteilen. Nur eine Arbeitserlaubnis ist geeignet, das Begehren der Antragstellerin für die Dauer des Hauptsacheverfahrens zu sichern, die bisherige Arbeitsweise mit der Fa. C. aufrecht zu erhalten. Nach der Neuregelung des § 9 Abs. 2 AEVO bedarf es hierfür einer Arbeitserlaubnis. Für die begehrte Bescheinigung eines arbeitserlaubnisfreien Einsatzes fehlt es seit 10.10.1996 an einer Rechtsgrundlage. Dementsprechend hat die Beklagte den genannten Fahrern auch Arbeitserlaubnisse erteilt, allerdings letztmals befristet bis zum 30. April 1997. Die entsprechenden Verlängerungsanträge sind gestellt und abgelehnt worden. Durch rechtzeitiges Einbringen der 5 ablehnenden Widerspruchsbescheide vom 28. August 1997 in das Hauptsacheverfahren S-5/AL-1334/97 hat die Antragstellerin den Eintritt der Bindungswirkung verhindert. Im Rahmen der dort gestellten Anträge und dem verfolgten Klageziel kann die Anfechtung der 5 Widerspruchsbescheide vom 28. August 1997 nur dahin verstanden werden, daß die Antragstellerin neben der Aufhebung auch die Verurteilung der Beklagten zur Erteilung der entsprechenden Arbeitserlaubnisse begehrt.

Nach dem schlüssigen und glaubhaften Vorbringen der Antragstellerin droht ihr wirtschaftlicher Zusammenbruch, wenn sie die bisherige Zusammenarbeit mit der Fa. C. nicht fortführen kann. Damit liegt ein Anordnungsgrund vor.

Von einer weiteren Aufklärung des Sachverhaltes war im Rahmen des begehrten einstweiligen Rechtsschutzes abzusehen, da nach Auffassung des erkennenden Senates bei der gebotenen summarischen Prüfung auch vom Vorliegen eines Anordnungsanspruches ausgegangen werden kann.

Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 AFG bedürfen Arbeitnehmer, die nicht Deutsche sind, zur Ausübung einer Beschäftigung einer Erlaubnis der Antragsgegnerin, soweit in zwischenstaatlichen Vereinbarungen nichts anderes bestimmt ist. Nach Satz 2 wird die Erlaubnis nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes unter Berücksichtigung der Verhältnisse des einzelnen Falles erteilt. Nach Satz 3 darf Ausländern, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben und im Geltungsbereich dieses Gesetzes eine Beschäftigung ausüben wollen, die Arbeitserlaubnis nur erteilt werden, sofern die Dauer der Beschäftigung die Dauer von 3 Monaten nicht übersteigt.

Nach Abs. 4 kann das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung durch Rechtsverordnung für einzelne Berufs- und Personengruppen Ausnahmen von Abs. 1 Satz 1 bis 3 zulassen. Von dieser Ermächtigung wurde durch die Verordnung zur Änderung des Arbeitserlaubnisrechts vom 30. September 1996 (BGBl I S. 1491) Gebrauch gemacht. Es ist nicht erkennbar, daß die Beschränkung der Arbeitserlaubnisfreiheit bei fahrendem Personal im grenzüberschreitenden Güterverkehr bei Arbeitgebern mit Sitz im Ausland, sofern das Fahrzeug im Sitzstaat des Arbeitgebers zugelassen ist, gegen die Ermächtigungsgrundlage verstößt. Soweit nach der bis zum 9. Oktober 1996 geltenden Fassung unbeachtlich war, in welchem Land der benutzte Lkw zugelassen war, hatte dies offenbar zu der auch von der Antragstellerin verwendeten Konstruktion geführt, in der Bundesrepublik Deutschland einen vollständigen Speditionsbetrieb aufrecht zu erhalten, jedoch ohne die erforderlichen Lkw-Fahrer, die von einem türkischen Betrieb zu stellen waren. Dieses Verhalten wirkt sich auf den deutschen Arbeitsmarkt aus. Es war demnach naheliegend, bei ungünstiger werdendem Arbeitsmarkt in der Bundesrepublik Deutschland die Ausnahmen in der AEVO zu überprüfen und ggf. enger zu fassen. Dabei bedeutet die Herausnahme einer bestimmten Berufsgruppe (wie hier das fahrende Personal im grenzüberschreitenden Güterverkehr bei Arbeitgebern mit Sitz im Ausland, sofern das Fahrzeug in der Bundesrepublik Deutschland zugelassen ist) aus der generellen Arbeitserlaubnisfreiheit keineswegs für die dadurch betroffene Antragstellerin, daß die Beschäftigung von Arbeitnehmern, die nicht Deutsche (oder diesen gleichgestellt) sind, nunmehr in ihrem Betrieb ausnahmslos ausgeschlossen ist. Vielmehr wird sie dadurch lediglich den anderen Betrieben gleichgestellt, die entsprechend § 19 Abs. 1 Satz 6 AFG nichtdeutsche Arbeitnehmer nur einstellen dürfen, wenn diese eine Arbeitserlaubnis besitzen. Die Antragstellerin wird also aus Gründen der Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes dem allgemeinen Arbeitserlaubnisrecht unterstellt. Ein Vertrauensschutz der Antragstellerin auf eine Fortdauer einer Ausnahmeregelung, die ihrerseits abhängig von Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes ist, kann keinen Bestand haben, wenn sich Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes ändern.

Es liegt auch nicht ein dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 10. März 1994 (7 RAr 44/93) vergleichbarer Sachverhalt vor. Die dort klagende Spedition beschäftigte 4 in Polen wohnhafte Fahrer und hatte von der Antragsgegnerin eine Mitteilung bekommen, daß die 4 polnischen Fahrer keine Arbeitserlaubnis benötigten. Das Bundessozialgericht hat im Wege der Auslegung das Vorliegen einer stillschweigenden Übergangsregelung angenommen, wonach die vor dem 1. September 1993 beschäftigten polnischen Fahrer auch ohne Arbeitserlaubnis weiterbeschäftigt werden dürften. Im vorliegenden Fall handelt es sich jedoch gerade nicht um bei der Antragstellerin beschäftigte Arbeitnehmer, sondern um türkische Arbeitnehmer des türkischen Partnerbetriebes der Antragstellerin.

Auch die von der Antragstellerin vorgelegte Entscheidung des Bayerischen Landessozialgerichts vom 24. April 1997 (L 11 B 376/96. Al-VR) beruht auf einem abweichenden Sachverhalt. Dort erhielt die Spedition mit Sitz in Deutschland von der Antragsgegnerin ein Schreiben vom 23. September 1994, das das Gericht als feststellenden Verwaltungsakt ansah (bindende Feststellung, daß die Befreiungsvorschrift des § 9 Abs. 2 AEVO auch dann gilt, wenn die benutzten Fahrzeuge auf in Deutschland ansässige Unternehmen zugelassen sind), der bisher nicht aufgehoben worden sei. Alle übrigen Probleme wurden im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes als nicht entscheidungserheblich angesehen. Die Antragstellerin verfügt jedoch nicht über eine entsprechende schriftliche Regelung durch die Antragsgegnerin.

Soweit bei der Verordnung vom 30. September 1996 keine Übergangsregelung enthalten war, hat die Antragsgegnerin der Antragstellerin durch die Erteilung von befristeten Arbeitserlaubnissen für die betroffenen 6 Fahrer bis zum 30. April 1997 tatsächlich die Möglichkeit der Umstellung ihres Betriebes auf die neue rechtliche Situation gegeben. Dies wird vom erkennenden Senat auch für ausreichend angesehen, zumal der Antragstellerin unterschiedliche Reaktionen -evtl. auch in Kombination zur Verfügung standen, wie etwa die dauerhafte Umstellung auf einen Betrieb mit eigenen Lkw und eigenen Fahrern, die Einstellung deutscher oder bevorrechtigter Ausländer, die Beantragung von Arbeitserlaubnissen für nicht im Ausland wohnende Ausländer, die Zusammenarbeit mit anderen türkischen Betrieben, die im Besitz dort zugelassener Lkw sind (vgl. Beschluss des erkennenden Senats vom 6. November 1997 – L – 6/Ar – 1071/97.A). Soweit die Antragstellerin behauptet, daß der hiesige Arbeitsmarkt nicht einen geeigneten Lkw-Fahrer für ihre Bedürfnisse hergebe, wäre dies dann zu prüfen, wenn die Erteilung einer allgemeinen Arbeitserlaubnis nach § 19 Abs. 1 AFG für eine Beschäftigung bei der Antragstellerin beantragt wird. Der begehrte Anspruch auf arbeitserlaubnisfreie Beschäftigung ist damit nicht zu stützen.

Nach Auffassung des erkennenden Senats liegt auch kein Verstoß gegen Artikel 14 GG vor. Zum einen werden Inhalt und Schranken des Eigentums durch Gesetz bestimmt (Abs. 1 Satz 2), zum anderen verpflichtet Eigentum. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen (Abs. 2). Zum Schutzbereich des Artikels 14 gehört auch der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb. Dabei steht das wirtschaftliche Unternehmen mit seinen personellen und gegenständlichen Grundlagen unter dem Schutz des Artikel 14 Abs. 1 Satz 1 GG (BVerfGE 45, S. 142 (173)), bloße (Umsatz- und Gewinn-)Chancen und tatsächliche Gegebenheiten werden eigentumsrechtlich jedoch nicht geschützt (BVerfGE 68, S. 193 (223)). Ist schon zweifelhaft, ob die türkischen Beschäftigten einer in der Türkei ansässigen Partnerfirma zu den personellen Grundlagen der Antragstellerin gehören, so ist der sich verändernde Zustand des Arbeitsmarktes jedenfalls den tatsächlichen Gegebenheiten zuzurechnen, die eigentumsrechtlich nicht geschützt sind. Die durch Verordnung bisher geregelte Ausnahme, bei fahrendem Personal im grenzüberschreitenden Güterverkehr unbeschränkt auf Personal ausländischer Arbeitgeber zugreifen zu können, hat nach Auffassung der Antragsgegnerin zu einer Situation geführt, die mit Lage und Entwicklung des heimischen Arbeitsmarktes nicht mehr in Einklang zu bringen ist. Der Wegfall der bisherigen Ausnahme stellt damit eine Regelung dar, die Inhalt und Schranken des Eigentums näher bestimmt und auch dem Gemeinwohl dient.

Weitergehende Ansprüche auf die Erteilung von Arbeitserlaubnissen der 5 genannten Arbeitnehmer können sich im Gegensatz, zu der o.a. Entscheidung des erkennenden Senats vom 6.11.1997 (s.o.) jedoch aus dem Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 12. September 1963 (ratifiziert durch Gesetz vom 13. Mai 1964 = BGBl II S. 509) und dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates, Kapitel II, Abschnitt 1, Artikel 6 ergeben. Danach hat ein türkischer Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehört, in diesem Mitgliedstaat nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt. Dabei handelt es sich um einen unmittelbar auch in der Bundesrepublik Deutschland durchsetzbaren Anspruch (vgl. Urteil des EuGH vom 20. September 1990 – Rs C – 192/89 = NVwZ 1991 S. 255). Die den betroffenen 5 türkischen Lkw-Fahrern bis zum 30. April 1997 erteilten Arbeitserlaubnisse haben mehr als 1 Jahr umfaßt, da sie bereits ab 23. November 1995 ohne Unterbrechung Bestand hatten. Es ist auch eine Beschäftigung bei dem bisherigen Arbeitgeber vorgesehen und die Fahrer stehen nach Angaben der Antragstellerin auch weiterhin zur Verfügung. Der erkennende Senat sieht die Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt und die Ordnungsmäßigkeit der Beschäftigung als möglich an (vgl. EuGH vom 30.9.1997 – C-98/96 = Juris Dokument WBRE410003977). Es liegen auch noch keine endgültigen Ablehnungen über die beantragten Verlängerungen der begehrten Arbeitserlaubnisse vor. Diese sind vielmehr ebenfalls zum Streitgegenstand des Hauptsacheverfahrens geworden. Dem entspricht im übrigen, daß auch hinsichtlich der beantragten Aufenthaltsgenehmigung ausweislich des Schreibens des Regierungspräsidiums Gießen vom 15. Januar 1998 das Widerspruchsverfahren noch anhängig ist.

Für abschließende Feststellungen bzw. weitere Ermittlungen insoweit sieht der erkennende Senat im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes keine Veranlassung, da die überwiegende Erfolgsaussicht vom erkennenden Senat bereits bei dem derzeitigen Stand als gegeben gesehen wird.
Rechtskraft
Aus
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