S 2 KA 128/06

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
2
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 2 KA 128/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 (10) KA 62/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Abrechnungsbescheid 2/2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.05.2006 sowie die Abrechnungsbescheide 3/2005 und 4/2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.09.2006 werden insoweit aufgehoben, als die Klägerin mit "Kosten Notfallpraxis" in Höhe von 450,- EUR je Quartal belastet worden ist.

Die Beklagte trägt die Kosten der Verfahren.

Die Berufung wird zugelassen

Tatbestand:

Streitig ist die Belastung der Klägerin mit Kosten für eine Notfallpraxis.

Die Klägerin ist als Ärztin für Psychotherapie und Psychoanalyse in L. niedergelassen und privatärztlich tätig. Sie nimmt an dem von der Beklagten und der Ärztekammer Nordrhein gemeinsam organisierten ärztlichen Notfalldienst teil. Zur Abrechnung der in diesem Rahmen zugunsten gesetzlich krankenversicherter Patienten erbrachten Leistungen hat ihr die Beklagte die Praxisnummer 27 75 047 (Notfallärzte) zugeteilt.

Bis einschließlich des Quartals 1/2004 wurde die Klägerin zu den "Kosten Notfallpraxis" mit 0,7 % ihres über die Beklagte abgerechneten Honorars herangezogen. Ab dem Quartal 2/2004 und damit auch für die streitbefangenen Quartale 2/2005 bis 4/2005 verfügte die Beklagte eine pauschale Kostenbeteiligung an den "Kosten Notfallpraxis" in Höhe von 450,- EUR je Quartal.

Nachdem sich die Klägerin gegen die Umstellung von der prozentualen Umlage auf eine Pauschale zunächst erfolglos über eine gänzliche oder modifizierte Freistellung vom allgemeinen Notfalldienst gewandt hatte, legte sie gegen die Abrechnungsbescheide 2/2005 bis 4/2005 Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheiden vom 10.05.2006 (betreffend Quartal 2/2005) und 29.09.2006 (betreffend Quartale 3/2005 und 4/2005) wies die Beklagte die Widersprüche zurück: Gemäß § 12 der Gemeinsamen Notfalldienstordnung der Ärztekammer Nordrhein und der Beklagten seien Defizite im Notfalldienst von den zum Notfalldienst verpflichteten Ärzten zu tragen. Bei den Betriebskosten der Notfalldienstpraxis handele es sich um solche Defizite. Gemäß § 13 Abs. 3 ihrer Satzung erhebe die Beklagte einen zusätzlichen Beitrag zur Deckung der Kosten für eine Notfallpraxis.

Hiergegen richten sich die am 09.06.2006 und 16.10.2006 erhobenen Klagen, die das Gericht zur gemeinsamen Entscheidung und Verhandlung verbunden hat.

Die Klägerin ist der Ansicht, für die in Abzug gebrachten Pauschalbeträge von 450,- EUR je Quartal existiere keine Ermächtigungsgrundlage. Nach § 13 Abs. 3 Satz 3 der Satzung der Beklagten könne der Beitrag zur Deckung der Kosten für eine Notfallpraxis lediglich in Form eines prozentualen Anteils sowohl an sämtlichen über die Beklagte abgerechneten Leistungen als auch alleine an den in der jeweiligen Notfallpraxis oder durch den Vertreter erbrachten notfalltauglichen ärztlichen Leistungen bestimmt werden. Auch § 13 Abs. 3 Satz 4 der Satzung, nach dem eine feste Umlage für die Finanzierung der Notfallpraxen festgesetzt werden könne, greife nicht ein, da die Klägerin keine zugelassene Vertragsärztin und damit kein Mitglied der Beklagten sei. Schließlich erfasse auch § 10 Abs. 2 der Gemeinsamen Notfalldienstordnung nicht die Veranschlagung eines festen Betrages. Im Übrigen sei die Festlegung eines Betrages von 450,- EUR je Quartal auch unverhältnismäßig, da sie in keinem Verhältnis zu der genehmigten und ausgeübten privatärztlichen Nebentätigkeit der Klägerin von fünf Arbeitsstunden pro Woche stehe.

Die Klägerin beantragt,

den Abrechnungsbescheid für das Quartal 2/2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.05.2006 sowie die Abrechnungsbescheide für die Quartale 3/2005 und 4/2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.09.2006 insoweit aufzuheben, als die Klägerin mit Kosten für die Notfallpraxis in Höhe von 450,- EUR pro Quartal belastet wird.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie sieht § 13 Abs. 3 ihrer Satzung und § 10 in Verbindung mit § 12 der Gemeinsamen Notfalldienstordnung als zulässige und rechtmäßige Rechtsgrundlage zum Einbehalt der Kostenumlage für die Notfallpraxis an. Auch Nichtvertragsärzte profitierten in vielfältiger Weise von den Dienstleistungen der Beklagten, ohne ihr anzugehören. Insofern sei es sachgerecht, auch diese Ärzte an den anfallenden Kosten der Notfallpraxis zu beteiligen. Die Umstellung der Kostenumlage auf eine feste Pauschale sei durch den Umzug der Notfalldienstpraxis in das Krankenhaus Maria-Hilf in Bergheim und den daraus resultierenden Änderungen in der Kostenstruktur bedingt. Die Kostenumlage sei dabei eine Umlage, die pro Kopf von allen zum Notdienst verpflichteten niedergelassenen Ärzten zu tragen sei. Der Einbehalt der Kostenpauschale sei im Übrigen unabhängig vom Verdienst im Notfalldienst zu betrachten.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide der Beklagten beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), da diese rechtswidrig sind.

Als belastende Maßnahme bedarf die Heranziehung der Klägerin zur pauschalen Tragung der Kosten für die Notfalldienstpraxis in Höhe von 450,- EUR je Quartal sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach einer Ermächtigungsgrundlage. Eine solche bestand in den streitbefangenen Quartalen 2/2005 bis 4/2005 nicht.

Nach § 13 Abs. 3 Satz 1 der hier maßgeblichen Satzung der Beklagten (Rhein. Ärzteblatt 4/2004, 74, 82) erhebt die KV Nordrhein zur Deckung der Kosten für eine Notfallpraxis, in der nach der Notfalldienstordnung der von der Ärztekammer Nordrhein und der KV Nordrhein organisierte Notfalldienst ausgeführt wird, und zur Deckung der Kosten für Arztrufzentralen sowie für nicht anderweitig gedeckte Transportkosten im Notfallbezirk einen zusätzlichen Beitrag. Dieser kann nach Satz 4 auch in einer festen Umlage auf alle im Notfalldienstbezirk niedergelassenen und über die KV Nordrhein abrechnenden Mitglieder bestehen oder in einer Umlage auf die Mitglieder, die aus der Notfallpraxis einen unmittelbaren Nutzen ziehen. Die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Bestimmung sind vorliegend nicht erfüllt, da die Klägerin nicht "Mitglied" der Beklagten ist. Nach § 3 Abs. 1 der Satzung sind Mitglieder der KV Nordrhein (§ 77 Abs. 3 SGB V) Vertragsärzte und zugelassene Psychotherapeuten (§ 28 Abs. 3 SGB V) sowie die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden ermächtigten Krankenhausärzte und die in den zugelassenen Versorgungszentren angestellten Ärzte (§ 95 Abs. 3 SGB V). Hierzu gehören Privatärzte nicht. Der zusätzliche Beitrag, der gemäß § 13 Abs. 3 der Satzung der Beklagten nur im Falle der Einrichtung einer speziellen Notfallpraxis erhoben wird, ist deshalb ausschließlich von den Vertragsärzten des betroffenen Notfalldienstbezirkes zu entrichten (so BSG, Urteil vom 06.09.2006 - B 6 KA 31/05 R - SozR 4-2500 § 75 Nr. 4 Rdnr. 18).

Dem steht nicht entgegen, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen von der Vergütung von Nichtvertragsärzten für ambulante Notfallbehandlungen einen Anteil für Verwaltungskosten abziehen dürfen (BSG, Urteil vom 24.09.2003 - B 6 KA 51/02 R - SozR 4-2500 § 75 Nr. 2). Wie die Beklagte unter Bezugnahme auf diese Entscheidung zutreffend ausführt, hat die Einbeziehung der Notfallbehandlungen durch Nichtvertragsärzte in die Honorierungsverantwortung der Kassenärztlichen Vereinigungen zur Folge, dass auch Nichtvertragsärzte von den Dienstleistungen der Kassenärztlichen Vereinigungen in erheblicher Weise profitieren. Deshalb ist es sachgerecht, dass auch Außenstehende wie Nichtvertragsärzte die Verwaltungskosten mit finanzieren.

Die vorliegend streitbefangene Beteiligung der Klägerin an der Deckung der Kosten für die Notfallpraxis in Bergheim erfolgte jedoch nicht über Verwaltungskosten, sondern über eine feste pauschale Umlage. Hierzu wäre aber - sofern die Klägerin als Nichtvertragsärztin insoweit der Satzungsgewalt der Beklagten unterliegen sollte - eine konkrete Ermächtigungsgrundlage erforderlich gewesen. Das ist gemäß § 13 Abs. 3 Satz 3 der Satzung der Beklagten aber nur hinsichtlich der Festsetzung des besonderen Beitrages als Vomhundertsatz der im Notfalldienst oder der Notfallpraxis erbrachten Leistungen der Fall. Eine feste Kostenpauschale scheidet nach dieser Bestimmung aus; diejenige des Satzes 4 über die feste Umlage ist - wie dargelegt - nach ihrem Wortlaut auf Nichtvertragsärzte nicht anwendbar. Unklarheiten in der Formulierung der Satzungsbestimmungen gehen jedoch - wie bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen - zulasten des Verwenders, hier der Beklagten.

Auch § 12 der Gemeinsamen Notfalldienstordnung (Rhein. Ärzteblatt 1/2002, 65, 68) stellt keine hinreichende Ermächtigungsgrundlage für eine pauschale Beteiligung an den Kosten der Notfallpraxis dar. Nach dieser Bestimmung trägt die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein die Kosten der Organisation und Durchführung des Notfalldienstes. Defizite tragen die zum Notfalldienst verpflichteten Ärzte. Diese Regelung, welcher auch zum Notfalldienst verpflichtete Nichtvertragsärzte unterliegen, begründet jedoch keine Verpflichtung der Nichtvertragsärzte, in gleichem Maße wie Vertragsärzte pauschale Umlagekosten für Notfallpraxen zu entrichten. Zu tragende Defizite ergeben sich aufgrund konkreter Einnahme-/Ausgabeberechnungen unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Beklagte die Kosten der Organisation und Durchführung des Notfalldienstes trägt. Sofern die Beklagte vorträgt, die Kostenumlage sei eine Umlage, die pro Kopf von allen zum Notdienst verpflichteten niedergelassenen Ärzten zu tragen sei, verkennt dies entscheidend, dass Nichtvertragsärzte allein an den "Defiziten" zu beteiligen sind.

Schließlich enthält auch § 10 Abs. 2, 3 der Gemeinsamen Notfalldienstordnung keine hinreichende Ermächtigungsgrundlage für eine Kostenpauschale. Danach kann in Organisationsplänen geregelt werden, dass die Einteilung zum Notdienst in einer Notfallpraxis (§ 9) vom Einverständnis mit einem Abzug der anteiligen Kosten der Notfallpraxis von dem Honorar für vertragsärztliche Leistungen abhängig gemacht wird. In den Organisationsplänen werden die Kosten der zentralen Notfallpraxis dargestellt. Weigert sich der Arzt, sich an den Kosten zu beteiligen, finden die Ausführungen in § 2 Abs. 3 (Bereitschaft für Notfalldienstleistungen in den Räumen der eigenen Praxis oder an anderer Stelle, Dienst in einer Arztrufzentrale, Bereitschaft zu konsiliarischer Unterstützung des Notarztdienstes) entsprechende Anwendung. Obwohl in den Verwaltungsakten der Beklagten keine Organisationspläne vorhanden sind, kann nach Lage der Dinge sicher davon ausgegangen werden, dass der Klägerin vorliegend kein Einverständnis zu einer pauschalen Kostentragung in Höhe von 450,- EUR pro Quartal mit den Sanktionsfolgen des § 2 Abs. 3 abverlangt worden ist.

Für die streitbefangenen Quartale 2/2005 bis 4/2005 fehlt es damit insgesamt an einer hinreichenden Ermächtigungsgrundlage für die Heranziehung von Nichtvertragsärzten zu einer pauschalen Umlage zur Deckung der Kosten für eine Notfallpraxis. Soweit sich die Rechtslage durch die Neufassung der §§ 10 und 12 der Gemeinsamen Notfalldienstordnung mit Wirkung ab dem Quartal 1/2007 geändert hat (Rhein. Ärzteblatt 1/2007, 61, 66), ändert dies am vorliegenden Ergebnis nichts.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 183 SGG in Verbindung mit Art. 17 Abs. 1 Satz 2 des 6. SGG-ÄndG sowie § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Da es sich um zwei miteinander verbundene Streitsachen handelt, deren eine einen Streitwert von unter 500,- EUR aufweist, hat die Kammer wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache die Berufung zugelassen (§ 144 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved