S 8 R 55/07

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 8 R 55/07
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 R 2/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 20.09.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.05.2007 wird aufgehoben, soweit die Beklagte Sozialversicherungsbeiträge für die von der Klägerin übernommenen Buß- und Verwarngelder (einschließlich Steuern) erhebt. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen eine Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen.

Die Klägerin ist ein Speditionsunternehmen, das im internationalen Frachtverkehr tätig ist. Im Juni 2005 führte die Beklagte eine Betriebsprüfung durch. Mit Bescheid vom 20.09.2005 forderte sie Beiträge in Höhe von insgesamt 21.070,72 EUR nach. 18.214,48 EUR entfielen auf Beiträge für die Übernahme von Buß- und Verwarngeldern, die wegen Lenkzeitverstößen der Fahrer in Belgien und Frankreich angefallen waren. Die Beklagte führte aus, bei der Erstattung dieser Beträge handele es sich um beitragspflichtigen Arbeitslohn. Bei der von der Klägerin im Anhörungsverfahren angeführten Entscheidung des BFH vom 07.07.2004 - VI R 29/00 - handele es sich um eine Einzelfallentscheidung, die für die Erstattung von Buß- und Verwarngeldern wegen Lenkzeitüberschreitungen im Ausland keine Anwendung finde.

Im Widerspruchsverfahren berief die Klägerin sich weiterhin auf die genannte Entscheidung des BFH.

Mit Bescheid vom 22.05.2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Insbesondere bei Verstößen gegen die Straßenverkehrsordnung, bei denen erhöhte Schadensrisiken oder sogar Gesundheitsgefährdungen vorlägen, sei bei Übernahme des Bußgeldes von Arbeitslohn auszugehen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die am 20.06.2007 erhobene Klage. Die Klägerin trägt vor, die Lenkzeitüberschreitungen seien ausschließlich ihrem Verantwortungsbereich zuzuweisen, sie seien durch eine entsprechende Disposition erforderlich gewesen und beruhten sämtlich auf der Anweisung an die Fahrer, bestimmte Güter noch rechtzeitig zum Kunden zu bringen. Die sofortige Zahlung der Geldbußen sei zudem im dringenden Interesse der Klägerin in ihrer Eigenschaft als Arbeitgeberin gewesen, weil andernfalls die Fahrzeuge nicht hätten weiterfahren können. Die Erstattung Geldbußen seien daher kein Lohn für geleistete Arbeit, sondern der Ersatz betriebsbezogener Auslagen, die den Fahrern anlässlich ihrer betrieblichen Tätigkeit entstanden seien.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 20.09.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.05.2007 insoweit aufzuheben, als die Beklagte Sozialversicherungsbeiträge für die von der Klägerin übernommenen Buß- und Verwarngelder (einschließlich Steuern) erhoben hat.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie stützt sich ergänzend auf das Urteil des LSG NRW vom 20.06.2007 - L 11 (8) R 75/06 sowie den Beschluss des Sächsischen LSG vom 04.10.2007 - L 1 B 321/06 KR-ER.

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig, soweit die Beklagte Sozialversicherungsbeiträge für die von der Klägerin übernommenen Buß- und Verwarngelder (einschließlich Steuern) erhebt.

Allerdings ist die Entscheidung formell rechtmäßig. Gemäß § 28 p Abs. 1 Satz 5 SGB IV erlassen die Träger der Rentenversicherung im Rahmen der Prüfung bei den Arbeitgebern gemäß § 28 p Abs. 1 Satz 1 SGB IV Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern.

Jedoch fehlt der Beklagten für die angegriffene Beitragsnachforderung eine materiell-rechtliche Rechtsgrundlage. Der Umfang der Beitragspflicht bei versicherungspflichtig Beschäftigen richtet sich für alle Zweige der Sozialversicherung nach dem Arbeitsentgelt (§§ 226 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, 162 Nr. 1 SGB VI, 342 SGB III, 57 Abs. 1 SGB XI). Arbeitsentgelt sind gemäß § 14 Abs. 1 SGB IV alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Ist ein Nettoarbeitsentgelt vereinbart, gelten gemäß § 14 Abs. 2 SGB IV als Arbeitsentgelt die Einnahmen des Beschäftigten einschließlich der darauf entfallenen Steuern und der seinem gesetzlichen Anteil entsprechenden Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung. Lohnsteuerfreie einmalige Zuwendungen sind gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der auf § 17 SGB IV gestützten Sozialversicherungsentgeltverordnung dem Arbeitsentgelt nicht zuzurechnen.

Die von der Klägerin vorgenommenen Erstattungen der Buß- und Verwarngelder stellen kein Arbeitsentgelt i. S. d. § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV und keine Zuwendungen i. S. d. § 1 der Sozialversicherungsentgeltverordnung dar. Zwar ist der Begriff des Arbeitsentgeltes in § 14 SGB IV sozialversicherungsrechtlich definiert. Dennoch kann er nicht losgelöst von dem zivilrechtlichen Austauschverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer betrachtet werden. Durch den Arbeitsvertrag wird derjenige, welcher Dienste zusagt, zur Leistung der versprochenen Dienste, der andere Teil zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet (§ 611 Abs. 1 BGB). Im Arbeitsvertrag verpflichtet sich damit der Arbeitnehmer zur Leistung der geschuldeten Arbeit, der Arbeitgeber zur Zahlung von Arbeitsentgelt. Leistung und Gegenleistung stehen in einem synallagmatischen Austauschverhältnis, der eine Teil leistet, damit er die Gegenleistung bekommt und umgekehrt (Prinzip des "do ut des"). Die Klägerin hat vorgetragen, dass die Lenkzeitverstöße durch die Fahrer ausschließlich im betrieblichen Interesse und auf entsprechende betriebliche Anweisung erfolgten. Die Kammer hält diese Behauptung - der die Beklagte nicht entgegen getreten ist - für glaubhaft, zumal sie von einem der beigeladenen Fahrer ausdrücklich bestätigt wurde. Die Erstattung der Beiträge unterfällt damit nicht mehr dem synallagmatischen Austauschverhältnis des Arbeitsvertrages. Deutlicher ausgedrückt: Der Arbeitnehmer fährt nicht für die Spedition, damit diese Sanktionen für betrieblich angeordnete Lenkzeitverstöße erstattet. Vielmehr handelt es sich bei der Erstattung um den Ersatz von Auslagen, die angesichts der betrieblichen Tätigkeit entstanden sind (ähnlich: SG Aachen, Urteil vom 28.09.2007 - S 6 R 53/06; SG Detmold, Urteil vom 27.01.2006 - S 11 RA 31/04). Die Kammer teilt nicht die Auffassung des LSG NRW im genannten Urteil vom 20.06.2007, wonach diese Sichtweise letztlich zu der Annahme führen würde, dass die Arbeitgeberin durch die Zusage der Übernahme der Bußgelder ihre Fahrer dazu anstiftet, Ordnungswidrigkeiten zu begehen. Zum einen ist es nicht Aufgabe des Sozialversicherungsrechts, durch Beitragserhebung ordnungswidriges Verhalten im Straßenverkehr zu sanktionieren. Zum anderen leuchtet der Ansatz auch deshalb nicht ein, weil die Erhebung der Sozialversicherungsbeiträge für die Fahrer günstig ist, da sie sich rentenerhöhend auswirkt. Gerade hierdurch könnten die Fahrer "angestiftet" werden, Verkehrsverstöße zu begehen.

Abschließend weist die Kammer darauf hin, dass diese Grundsätze ausschließlich für nachweislich betrieblich angeordnete Verkehrsverstöße, die letztlich nicht dem Fahrer individuell zugerechnet werden können, gelten. Mit dem von der Beklagten angeführten Urteil des SG Dresden vom 25.08.2005 - S 18 KR 489/02 - ist die Kammer der Auffassung, dass die Übernahme von Verwarn- und Bußgeldern wegen Geschwindigkeitsübertretungen beitragspflichtig wäre. Derartige Bußgelder hat die Klägerin indes vorliegenden Fall nicht erstattet.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 197 a Abs. 1 SGG i. V. m. 154 Abs.1 VwGO.
Rechtskraft
Aus
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