S 20 SO 10/07

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
20
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 20 SO 10/07
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 SO 81/07
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Rücknahme von Entscheidungen über die Bewilligung von Hilfe zur Pflege und Rückforderung von 2.980,29 EUR.

Die 1969 geborene Klägerin wird seit 2003 aufgrund einer Bestellung des Amtsgerichts Aachen (Az. K XVII 1633) von ihrer Prozessbevollmächtigten betreut und vertreten. Die Betreuung ist ohne Einwilligungsvorbehalt angeordnet. Am 04.05.2004 wurde die Klägerin aus einer längeren, seit November 2003 dauernden Krankenhausbehandlung entlassen, in deren Verlauf u.a. ein künstlicher Darmausgang gelegt worden war. Am 06.05.2004 beantragte die Betreuerin der Klägerin bei der Pflegekasse Pflegesachleistungen aus der sozialen Pflegeversicherung. Bei der Beklagten beantragte sie am selben Tag Hilfe zur Pflege durch Übernahme der ungedeckten Pflegekosten. Am 19.05.2004 erklärte sich die Klägerin (persönlich) damit einverstanden, dass der Beklagten eine Kopie aller MDK-Pflegegutachten zur Verfügung gestellt werden.

In einem von der Pflegekasse veranlassten Gutachten stellte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) am 22.07.2004 fest, bei der Klägerin lägen die Voraussetzungen der Pflegestufe II vor; die Pflege werde durch einen Pflegedienst, des weiteren durch den Lebensgefährten und zwei Nachbarn sichergestellt. Daraufhin bewilligte die AOK-Pflegekasse durch unmittelbar an die Klägerin persönlich gerichtete Bescheide vom 30.07. und 14.09.2004 Pflegesachleistung und -geld (Kombinationsleistung) bis zu einem Höchstbetrag von 921,00 EUR monatlich. Im August 2004 sandte die Pflegekasse auf Anforderung der Betreuerin der Klägerin eine Kopie des Bewilligungsbescheides vom 30.07.2004 an die Betreuerin. Der Beklagten übersandte die Pflegekasse auf deren Anforderung unter Hinweis auf die Einverständniserklärung das MDK-Gutachten vom 22.07.2004.

Durch Bescheide vom 24.08. und 20.12.2004, jeweils gerichtet an die Betreuerin der Klägerin, bewilligte die Beklagte Restpflegegeld für die Zeit vom 07.05. bis 21.12.2004 nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) und ab 01.01.2005 nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) in Höhe von einem Drittel des Pflegegeldes bei Pflegestufe II (410,00 EUR), d.h. 136,67 EUR monatlich. Für Mai 2004 ergab sich ein anteiliger Betrag von 110,22 EUR. Die Bescheide enthielten ausführliche Hinweise und Belehrungen zu den Mitwirkungspflichten.

In einem Überprüfungsgutachten vom 20.12.2004 gelangte der MDK zum Ergebnis, dass nunmehr nur noch die Voraussetzungen der Pflegestufe I erfüllt seien. Daraufhin stellte die AOK-Pflegekasse durch Bescheid vom 28.12.2004, der unmittelbar an die Klägerin gerichtet war, die Leistungen aus der Pflegeversicherung auf solche nach Pflegestufe I ab 01.01.2005 um. Eine Mitteilung dieses Bescheides erfolgte durch die Pflegekasse an den Pflegedienst und die Betreuerin der Klägerin, die ebenfalls das MDK-Gutachten erhielt.

Am 14.02.2005 teilte die Klägerin, am 28.02.2005 ihre Betreuerin der AOK-Pflegekasse mit, dass dem Pflegedienst zum 01.01.2005 gekündigt worden sei und ab diesem Zeitpunkt die Pflege der Klägerin ausschließlich durch ihren Lebensgefährten erfolge. Daraufhin stellte die AOK-Pflegekasse die Pflegeversicherungsleistungen ab 01.01.2005 von Kombinationsleistung auf Pflegegeld nach Pflegestufe I (205,00 EUR monatlich) um.

Nach einem erneuten Krankenhausaufenthalt im Februar 2005 mit Rückverlegung des künstlichen Darmausganges und anschließender stationärer Rehabilitationsmaßnahme stellte der MDK in einem weiteren Überprüfungsgutachten vom 17.08.2005 keinen pflegeversicherungsrelevanten Hilfebedarf mehr fest. Daraufhin hob die AOK-Pflegekasse durch unmittelbar an die Klägerin gerichteten Bescheid vom 24.08.2005 die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen der Pflegeversicherung ab 01.09.2005 auf und stellte die Pflegegeldzahlungen zum 31.08.2005 ein. Am selben Tag erging eine Mitteilung dieses Bescheides an die Betreuerin der Klägerin.

Erstmals mit Schreiben vom 03.02.2006 teilte die Betreuerin der Klägerin der Beklagten mit, dass ab 01.01.2005 nur noch Pflegestufe I vorliege und ab September 2005 keine Pflegestufe mehr bestehe; sie übersandte der Beklagten hierzu in Kopie den Aufhebungsbescheid der Pflegekasse vom 24.08.2005 und das Pflegegutachten vom 20.12.2004. Diese Umstände waren der Beklagten bis dahin nicht bekannt gewesen.

Die Klägerin bezog von der AOK-Pflegekasse von Mai bis Dezember 2004 anteiliges Pflegegeld zwischen 139,41 EUR (Minimum im August 2004) und 345,14 EUR (Maximum im Oktober 2004); ab Januar 2005 erhielt sie monatlich 205,00 EUR Pflegegeld.

Zu der Überzahlung des sozialhilferechtlichen Restpflegegeldes angehört erklärt die Betreuerin der Klägerin am 15.02.2006, die Zahlungen seien auf ein Gemeinschaftskonto der Klägerin und ihres Lebensgefährten gegangen; deshalb sei nicht festzustellen gewesen, dass tatsächlich noch Zahlungen der Beklagten erbracht worden seien; sie sei davon ausgegangen, dass solche Zahlungen nicht mehr erfolgt seien. Die Klägerin habe ihre Angelegenheiten, soweit es ihr möglich gewesen sei, selbst geregelt; über Änderungen sei sie - die Betreuerin - nicht informiert worden.

Daraufhin nahm die Beklagte durch Bescheid vom 16.08.2006 die Entscheidungen vom 24.08. und 20.12.2004 über die Bewilligung von Restpflegegeld gestützt auf § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zurück und forderte die Leistungen in Höhe von 2.980,29 EUR zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Klägerin bzw. ihre Betreuerin habe trotz Belehrung über Mitwirkungspflichten nicht mitgeteilt, dass Geldleistungen der Pflege- kasse gezahlt worden seien; dadurch seien die Leistungen aus Sozialhilfemitteln zu Unrecht erbracht worden.

Den dagegen am 30.08.2006 eingelegten Widerspruch wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 02.01.2007 mit ausführlicher Begründung zurück.

Dagegen hat die Klägerin am 05.02.2007 durch ihre Betreuerin und Prozessbevollmächtigte Klage erhoben. Sie trägt vor, bis Dezember 2005 in Lebensgemeinschaft mit ihrem Lebensgefährten gelebt zu haben; beide hätten damals ein gemeinsames Konto unterhalten, auf das die Zahlungen eingegangen seien; das Konto sei zunächst von dem Lebensgefährten, später von ihr selbst verwaltet worden; die Betreuerin habe zu keinem Zeitpunkt Zugang zum Konto gehabt; deshalb seien der Betreuerin auch die Pflegegeldzahlungen der AOK-Pflegekasse von Mai bis Dezember 2004 nicht bekannt gewesen. Soweit die Beklagte in den Bescheiden vom 24.08. und 20.12.2004 auf die Pflicht zur Mitteilung von Veränderungen in den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen hingewiesen habe, sei die Betreuerin dieser Verpflichtung nachgekommen, indem sie auf entsprechende Anforderung der Beklagten im Januar 2005 Einkommensnachweise der Klägerin in Form des Alg II-Bewilligungsbescheides vorgelegt habe. Die Betreuerin der Klägerin behauptet, mit den Bescheiden vom 24.08. und 20.12.2004 sei kein konkreter Hinweis auf eine Verpflichtung zur Mitteilung von Änderungen der Leistungen der Pflegekasse (Kombinationspflege oder Pflegegeld) erfolgt; sie behauptet weiter, der Beklagten sei zum Zeitpunkt der Bewilligung der Sozialhifeleistung bekannt gewesen, dass die AOK-Pflegekasse Kombinationspflege bewilligt habe. Schließlich behauptet die Betreuerin und Prozessbevollmächtigte, im Februar 2006 habe die Klägerin überhaupt kein Restpflegegeld vom Beklagten erhalten. Sie meint, durch Einsicht in die MDK-Gutachten habe die Beklagte Kenntnis über die Einstufung erlangen können. Da die Betreuung ohne Einwilligungsvorbehalt angeordnet worden sei, habe die Klägerin ohne weiteres das Konto selbst verwalten und rechtserhebliche Erklärungen abgeben können. Die Kombinationspflegeleistung und die Änderung in ausschließliches Pflegegeld sei von der Klägerin persönlich oder ihrem Lebensgefährten gegenüber der AOK-Pflegekasse in Auftrag gegeben worden. Die Prozessbevollmächtigte meint, eine Sorgfaltspflichtverletzung bzw. grobe Fahrlässigkeit der Klägerin liege nicht vor.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 16.08.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.01.2007 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, die Mitwirkungspflichten nach § 60 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) träfen sowohl die Klägerin als auch ihre Betreuerin. Der Umstand, dass es der Beklagten möglich gewesen wäre, durch regelmäßige Nachfrage bei der AOK die jeweiligen wirtschaftlichen Verhältnisse in Erfahrung zu bringen, habe die Klägerin bzw. ihre Betreuerin nicht von deren Mitteilungspflichten entbunden. Um diese Verpflichtung einhalten zu können, hätte die Betreuerin sich über die Vermögensverhältnisse der Klägerin informieren müssen; als gesetzliche Vertreterin u.a. im Bereich der Vermögenssorge hätte sie insbesondere Einblick in die Konten nehmen können und müssen. Kommunikationsprobleme zwischen der Klägerin und ihrer Betreuerin hätten die Betreuerin nicht von ihrer Ver- pflichtung gegenüber der Beklagten, eine Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse mitzuteilen, entbunden. Das Verschulden der Betreuerin müsse sich die Klägerin zurechnen lassen. Entgegen der Behauptung der Betreuerin habe die Beklagte im August 2004 keine Kenntnis von den Leistungsbescheiden der AOK-Pflegekasse gehabt. Hinsichtlich der von der Betreuerin bestrittenen Zahlung des Restpflegegeldes für Februar 2006 hat die Beklagte entsprechende Buchungs- und Leistungsnachweise vorgelegt; die Stadtkasse habe die Leistung für den Monat Februar 2006 am 30.01.2006 auf das Konto der Klägerin überwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten und der AOK-Pflegekasse, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Die Beklagte hat zu Recht die Entscheidungen über die Bewilligungen von Restpflegegeld ab 07.05.2004 - gestützt auf § 45 SGB X - zurückgefordert und die in der Zeit von Mai 2004 bis Februar 2006 zu Unrecht bezogenen Leistungen in Höhe von 2980,29 EUR gemäß § 50 SGB X zurückgefordert. Denn die Bewilligung und der Bezug dieser Leistung waren rechtswidrig und von der Klägerin bzw. ihrer Betreuerin verschuldet, sodass die Klägerin keinen Vertrauensschutz für sich in Anspruch nehmen kann, die überzahlten Leistungen zu behalten.

Die Beklagte durfte die Sozialhilfebewilligungsbescheide vom 24.08. und 20.12.2004, auch nachdem sie unanfechtbar geworden sind, zurücknehmen, weil sie rechtswidrig sind (§ 45 Abs. 1 SGB X). Die Klägerin hatte zu keinem Zeitpunkt Anspruch auf Restpflegegeld nach § 69c Abs. 2 Satz 2 BSHG (bis 31.12.2004) bzw. § 66 Abs. 2 Satz 2 SGB XII (ab 01. 01.2005). Denn auf ein Restpflegegeld ist ein Pflegegeld, das nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) geleistet wird, in vollem Umfang anzurechnen (§§ 69c Abs. 1 Satz 2 BSHG, 66 Abs. 1 Satz 2 SGB XII). Die Klägerin hat für den gesamten Zeitraum des Bezugs von Restpflegegeld auch Pflegegeld nach dem SGB XI in einer Höhe bezogen, das die bewilligte Sozialhilfeleistung von 136,67 EUR monatlich (im Mai 2004 anteilig 110,22 EUR) überstieg. Es bestand daher zu keinem Zeitpunkt Anspruch auf Restpflegegeld.

Die Beklagte war auch berechtigt, die Bewilligungsentscheidungen mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, weil sich die Klägerin nicht auf Vertrauensschutz berufen kann. Denn die begünstigenden Verwaltungsakte der Beklagten beruhten auf Angaben, die die Klägerin bzw. ihre Betreuerin grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht haben; soweit sie die Rechtswidrigkeit der Verwaltungsakte nicht kannten, beruht dies jedenfalls auf grober Fahrlässigkeit (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und 3 SGB X). Die Bewilligung und der Bezug des Restpflegegeldes beruht nämlich darauf, dass die Klägerin durch ihre Betreuerin zunächst Pflegesachleistung, d.h. Pflege durch einen Pflegedienst beantragt hatte. Bereits der Umstand, dass sie diese Leistung auf Kombinationsleistung umgestellt hat mit der Folge, dass bei Nichtausschöpfen der Pflegeversicherungsleistung durch Inanspruchnahme des Pflegedienstes ein anteiliges Pflegegeld zur Auszahlung kam, hat weder die Klägerin noch ihre Betreuerin der Beklagten zeitnah mitgeteilt. Diese erfuhr erstmals im Februar 2006 davon. Auch der Umstand, dass ab 01. Januar 2005 auf Antrag der Klägerin eine Umstellung der Kombinationsleistung auf Pflegegeld nach § 37 SGB XI erfolgte, ist der Beklagten nicht unverzüglich mitgeteilt worden. Und insbesondere ist ihr in diesem Zusammenhang auch nicht mitgeteilt worden, dass ab 01.01.2005 von der Pflegekasse nur noch Leistungen nach Pflegestufe I gezahlt worden. Diese Tatsache war nicht nur wesentlich im Hinblick auf die Anrechnung der gewährten Pflegeversicherungsleistung auf das Restpflegegeld, sondern hätte sich auch auf die Höhe eines Restpflegegeldanspruchs - wenn er denn bestanden hätte - ausgewirkt.

Dass die Zahlung eines Pflegegeldes aus der sozialen Pflegeversicherung den Anspruch auf Restpflegegeld beeinflusst, musste zumindest die Betreuerin der Klägerin, die zugleich Rechtsanwältin ist, wissen. Sie hat beide Leistungen beantragt, und als Betreuerin und Rechtsanwältin darf man bei ihr die Kenntnis von der Anrechnung des Pflegegeldes auf das sozialhilferechtliche Restpflegegeld erwarten. Wenn sie diese Kenntnis nicht hatte und ihr deshalb nicht bewusst war, dass die Bewilligung und Zahlung des Restpflegegeldes durch die Beklagte rechtswidrig war, ist dies zumindest grob fahrlässig. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3, 2. Halbsatz SGB X). Begünstigte war zwar die Klägerin, jedoch muss sich diese ein Verschulden ihrer Betreuerin zurechnen lassen. Grobe Fahrlässigkeit im Rahmen des Kennenmüssens der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes liegt dann vor, wenn die in der Personengruppe herrschende Sorgfaltspflicht in ungewöhnlichen hohem Maße verletzt worden ist; der Betreffende muss unter Berücksichtigung seiner individuellen Einsicht- und Urteilsfähigkeit seine Sorgfaltspflichten in außergewöhnlich hohem Maße verletzt haben (Wiesner in: Schroeder/Printzen, SGB X-Kommentar, 3. Auflage 1996, § 45 Rn. 24). In diesem Sinne ist grobe Fahrlässigkeit jedenfalls der Betreuerin im Hinblick auf eine Unkenntnis der Rechtswidrigkeit der Verwaltungsakte zu bejahen. Zum einem muss sie als Betreuerin eines sozial hilfebedürftigen Menschen wie der Klägerin wissen, in welchem Verhältnis Pflegegeld aus der sozialen Pflegeversicherung und Restpflegegeld als Sozialhilfeleistung stehen und aufeinander angerechnet werden; dies gilt umso mehr, als sie Rechtsanwältin ist. Soweit die Betreuerin zu ihrer Entschuldigung vorträgt, Zahlungen seien seinerzeit auf ein Gemeinschaftskonto gegangen, weshalb für sie nicht feststellbar gewesen sei, dass Zahlungen der Beklagten erfolgt seien, verwundert dies ebenso wie der Hinweis der Betreuerin, im Rahmen der Betreuung sei kein Einwilligungsvorbehalt angeordnet worden, die Klägerin habe ihre Angelegenheiten, soweit es ihr möglich gewesen sei, selbst geregelt, über Änderungen sei sie - die Betreuerin - nicht informiert worden. Dieses Vorbringen offenbart ein höchst fragwürdiges Verständnis von ihrer Funktion als Betreuerin. Ausweislich der Bestellungsurkunde umfasst der Aufgabenkreis der Betreuerin u.a. die Vermögenssorge und die Vertretung gegenüber Behörden- und Leistungsträgern. Dementsprechend hat sie völlig richtig alle in Betracht kommenden Leistungen in Zusammenhang mit der Pflegebedürftigkeit der Klägerin beantragt, einerseits bei der Pflegekasse, anderseits bei der Beklagten. Als von beiden Leistungsträgern Bewilliigungsbescheide ergangen waren, durfte die Betreuerin diese leistungsrechtliche Angelegenheit nicht als erledigt ansehen. Im Gegenteil: Weil sowohl Pflegeversicherungsleistungen als auch sozialhilferechtliches Restpflegegeld bewilligt waren, bedurfte es einer erhöhten Überwachung der für diese Leistungen maßgeblichen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Dazu war die Betreuerin auch ohne weiteres in der Lage. Sie hätte zu jeder Zeit Einblick in die Konten der Klägerin nehmen und sich Auszüge vorlegen lassen können. Sie hätte die Klägerin darauf hinweisen können und müssen, sie unverzüglich über alle wesentlichen Dinge (Pflegegutachten, Bewilligungsbescheide, tatsächliche Änderungen in der Pflege) zeitnah zu unterrichten. Es ist völlig unverständlich, aus welchem Grund die Betreuerin glaubte annehmen zu dürfen, dass seitens der Beklagten trotz zweier Bewillilgungsbescheide keine Leistungen gezahlt würden. Allein der Umstand, dass die Klägerin im Mai 2004 ihr Einverständnis zur Weiterleitung der MDK-Gutachten durch die Pflegekasse an die Beklagte gegeben hatte, konnte und durfte die Betreuerin nicht zu der Annahme verleiten, die Beklagte werde sich nun selbst über alle pflegeversicherungsrelevanten Umstände auf dem Laufenden halten, ohne dass es einer weiteren Mitwirkung der Klägerin oder der Betreuerin bedürfe. Denn die MDK-Gutachten enthalten lediglich (medizinische) Pflegefeststellungen, nicht aber leistungsrechtliche Daten. Auch wenn die Bescheide der AOK-Pflegekasse jeweils an die Klägerin persönlich gerichtet waren, hatte die Betreuerin stets Kenntnis davon, weil ihr die Pflegekasse diese Bescheide ebenfalls mitgeteilt hat.

Indem sowohl die Klägerin als auch die Betreuerin die Beklagte über die wesentlichen pflegeversicherungsrechtlichen Leistungsdaten (Umstellung von Sach- auf Kombinationsleistung, Umstellung von Kombinationsleistung auf Pflegegeld, Reduzierung des Pflegegeldes von Pflegestufe II auf Pflegestufe I, Einstellung des Pflegegeldes ab September 2005) im Unklaren gelassen haben, sind sie ihren Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen. Die wichtigste Mitwirkungspflicht ergibt sich aus § 60 Abs. 1 SGB I. Danach hat, wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind, und Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind, unverzüglich mitzuteilen. Die Kammer ist nicht davon überzeugt, dass die Klägerin selbst in ihrer Person die sich aus der genannten Vorschrift ergebenden Mitteilungspflichten grob fahrlässig verletzt hat. Sie stand und steht in einer sozialen Ausnahmesituation, weshalb ihr vom Amtsgericht eine Betreuerin zur Regelung ihrer Angelegenheiten zur Seite gestellt worden ist. Hinzu kommt, dass die rechtswidrigen Bewilligungsbescheide der Beklagten, in denen ausdrücklich auf die Mitwirkungspflichten hingewiesen worden ist, nicht der Klägerin persönlich, sondern der Betreuerin zugesandt worden sind. Die Betreuerin aber hat die ihr obliegenden Mitteilungspflichten gegenüber der Beklagten jedenfalls grob fahrlässig (an der Grenze zur Vorsätzlichkeit) verletzt. Mag man ihr noch zu Gute halten, dass sie bei Erhalt der Bewilligungsbescheide diese nicht Wort für Wort durchgelesen hat (was für sich allerdings schon den Tatbestand grober Fahrlässigkeit erfüllt hätte), so hätte es nahe gelegen, jedenfalls nach Aufdeckung der Überzahlungen im Februar 2006 die Bewilligungsbescheide und die darin enthaltenen Hinweise und Belehrungen genau zu studieren. Das hat die Betreuerin aber offensichtlich nicht getan. Denn anders ist nicht zu erklären, dass sie noch im Klagebegründungsschriftsatz vom 17.04.2007 (Seite 6 unter Ziffer 2.) behauptet, in den Bescheiden vom 24.08 und 20.12.2004 fehle ein konkreter Hinweis auf eine Verpflichtung zur Vorlage von Änderung der Leistung von Kombinations- pflege oder Pflegegeld. Das Gegenteil ist der Fall!

Im Bewilligungsbescheid vom 24.08.2004 heißt es u.a.: "Die Zahlung bzw. Überweisung dieser festgestellten Leistung erfolgt unter dem ausdrücklichen Vorbehalt, dass die der Bewilligung zugrunde liegenden Fakten (persönliche und wirtschaftlichen Verhältnisse aller Personen der Haushaltsgemeinschaft) weiterhin den Tatsachen entsprechen und sich diese Verhältnisse während des Bewilligungsabschnittes nicht ändern". Weiter heißt es auf Seite 3 des Bescheides vom 24.08.2004: "Jeder Hilfeempfänger ist verpflichtet, jede Änderung in den Familien- Einkommens- und Vermögensverhältnissen ... unverzüglich der Bewilligungsbehörde mitzuteilen. Bei Minderjährigen oder unter Betreuung stehenden Hilfeempfängern obliegt den gesetzlichen Vertretern ...oder den Betreuern diese Pflicht zur Unterrichtung des Sozialhilfeträgers. Der Hilfeempfänger muss sich ihre Versäumnisse zurechnen lassen." Nicht weniger deutlich heißt es im Bescheid vom 20.12.2004 unter der fettgedruckten Überschrift "Belehrung über die Mitwirkungspflichten": "Jede leistungsberechtigte Person oder deren Vertreter ist verpflichtet, alle Tatsachen anzugeben und unverzüglich Änderungen in den Verhältnissen mitzuteilen, die für die Leistung erheblich sind. Hierzu gehören sowohl Änderungen in familiärer und häuslicher als auch in persönlicher und wirtschaftlicher Hinsicht, insbesondere - ... - ... - ... - Änderungen der Einkommens- und Vermögensverhältnisse, beispielsweise ... Pflegegeld". Unter der weiteren fettgedruckten Überschrift "Folgen bei Verstoss gegen die Mitwirkungspflichten" heißt es im Bescheid vom 20.12.2004: "Nach den §§ 45 bis 50 des Zehntes Buches des Sozialgesetzbuches - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) haben leistungsberechtigte Personen mit der Rückforderung zu Unrecht gewährter Leistungen u.a. dann zu rechnen, wenn der Leistungsbescheid auf Angaben beruht, die die leistungsberechtigte Person oder deren Vertreter vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, die leistungsberechtigte Person oder deren Vertreter die Rechtswidrigkeit des Leistungsbescheides kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte, oder die leistungsberechtigte Person oder deren Vertreter seiner Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist."

Klarer und eindeutiger sind Hinweise auf Mitwirkungs- und Mitteilungspflichten kaum möglich!

Indem die Betreuerin der Klägerin die Beklagte nicht zeitnah auf die jeweiligen pflegeversicherungsrechtlichen Umstände, die sich auf den Anspruch auf Restpflegegeld nach dem BSHG bzw. SGB XII auswirkten, unterrichtete, hat sie die ihr in ihrer Funktion als Betreuerin obliegenden Mitwirkungspflichten auf Gröblichste verletzt. Die Beklagte hat daher zu Recht in den angefochtenen Bescheiden ausführlich dargelegt und begründet, dass sich die Klägerin, die sich das Verhalten ihrer Betreuerin zurechnen lassen muss, nicht auf Vertrauensschutz berufen kann. Auch die von der Beklagten umfassend angestellten Ermessenserwägungen, warum sie nicht von der Rücknahme und Rückforderung abgesehen hat, sind nicht zu beanstanden.

Sind somit die begünstigenden Verwaltungsakte der Beklagten zu Recht aufgehoben worden, sind die erbrachten Leistungen zu erstatten (§ 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Die Beklagte hat die Erstattungsforderung im Bescheid vom 16.08.2006 umfassend, nachvollziehbar und richtig für jeden Monat des Zeitraums Mai 2004 bis Februar 2006 aufgeschlüsselt. Die Rückforderung ist mit 2980,29 EUR richtig beziffert. Dies gilt auch im Hinblick auf die Zahlung für Februar 2006. Soweit die Betreuerin den Eingang einer Restgeldpflegezahlung für Februar 2006 bestreitet, ist dies völlig unsubstanziiert. Die Beklagte hat unter Vorlage entsprechender Buchungsbelege/Leistungsnachweise dargelegt, dass die Stadtkasse am 30.01.2006 die Zahlung für Februar 2006 überwiesen hat. Angesichts dieser substanziierten Angaben wäre es Sache der Klägerin bzw. ihrer Betreuerin gewesen, durch Vorlage der vollständigen Kontounterlagen für den maßgeblichen Zeitraum, z. B. die Zeit vom 30.01.2006 bis ca. 15.02.2006 zu belegen, dass die Februar-Rate nicht eingegangen ist. Dies hat die Klägerin bzw. ihre Betreuerin trotz ausdrücklicher Aufforderung des Gerichts nicht getan. Die Kammer ist daher überzeugt, dass auch das Restpflegegeld für Februar 2006 ausgezahlt worden und gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X zu erstatten ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Kammer hat erwogen, der Klägerin nach einem ggf. in der mündlichen Verhandlung zu erteilenden Hinweis Verschuldenskosten gemäß § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG aufzuerlegen. Denn sie hat den Rechtsstreit fortgeführt, obwohl ihr vom Vorsitzenden die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung bzw. -Verteidigung dargelegt worden ist. Den Beteiligten steht ein Vertreter oder Bevollmächtigter gleich (§ 192 Abs. 1 Satz 2 SGG). Die K ammer hat letztlich aber davon abgesehen, der Klägerin solche Kosten aufzuerlegen, weil ein Verschulden im Sinne des § 192 die Einsichtsfähigkeit in die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung voraussetzt. Diese Einsichtsfähigkeit vermochte die Kammer bei der Betreuerin und Prozessbevollmächtigte der Klägerin nicht zu erkennen.
Rechtskraft
Aus
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