L 20 B 6/08 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
20
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 94 AS 22320/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 20 B 6/08 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 19. Dezember 2007 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

Die gemäß § 172 Abs. 1 und § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 19. Dezember 2007 ist unbegründet. Der Antragsgegner war nicht im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, an die Antragsteller die ihnen für Juli bis September 2007 bewilligten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) auszuzahlen sowie dem Antragsteller zu 1) für den Monat September 2007 Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 91,49 EUR zu gewähren.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinen. Die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) und der geltend gemachte Anspruch (Anordnungs-anspruch) sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 3 SGG i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung - ZPO -). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

In Höhe eines Betrages von 1.293,80 EUR haben die Antragsteller bereits einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Denn insoweit hat der Antragsgegner mit der mit Schriftsatz vom 19. Dezember 2007 bei Gericht eingereichten Buchungsübersicht - von den Antragstellern unwidersprochen – dargelegt, dass er die den Antragstellern bewilligten Leistungen in dieser Gesamthöhe direkt an Gläubiger der Antragsteller (Vermieter, Krankenkasse) gezahlt hat. Von den von den Antragstellern geltend gemachten, mit Bescheid vom 2. Juni 2007 für die Antragstellerinnen zu 2) und 3) bewilligten Leistungen (377,82 EUR für den Monat Juli 2007 sowie jeweils 330,52 EUR für die Monate August und September 2007) sowie mit Bescheid vom 18. Juli 2007 für den Antragsteller zu 1) bewilligten Leistungen (155,64 EUR für den Monat Juli 2007 sowie jeweils 186,75 EUR für die Monate August und September 2007) von insgesamt 1.568,00 EUR hat der Antragsgegner somit einen überwiegenden Teil erbracht.

Ob ein Anordnungsanspruch bezüglich der danach noch offenen geltend gemachten Beträge (274,20 EUR ursprünglich bewilligte Leistungen sowie weitere 91,94 EUR Miete für den Monat September 2007) besteht oder ob die Bewilligungsbescheide durch Bescheide vom 20. August 2007 rechtswirksam teilweise zurückgenommen worden sind und ob der Antragsteller zu 1) für den Monat September 2007 eine doppelte Mietzahlung beanspruchen kann, kann dahinstehen. Denn insoweit besteht jedenfalls keine besondere Dringlichkeit, die den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlich machen würde. Den Antragstellern ist es zuzumuten ihre – vermeintlichen – Ansprüche insoweit in einem Hauptsacheverfahren zu verfolgen.

In einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beurteilt sich das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Eilantrag entscheidet; im Beschwerdeverfahren ist dies der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung (Finkenburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 5. Auflage, Anm. 431; Schoch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichts-ordnung (VwGO), 12. Ergänzungslieferung 2005, § 123 Randnummern 165, 166 mit weiteren Nachweisen zur Parallelproblematik in § 123 VwGO). Dies folgt daraus, dass in dem Erfordernis eines Anordnungsgrundes ein spezifisches Dringlichkeitselement enthalten ist, das im Grundsatz nur Wirkungen für die Zukunft entfalten kann. Die rückwirkende Feststellung einer - einen zurückliegenden Zeitraum betreffenden - besonderen Dringlichkeit ist zwar rechtlich möglich, sie kann jedoch in aller Regel nicht mehr zur Bejahung eines Anordnungsgrundes führen. Denn die prozessuale Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes besteht vor dem Hintergrund des Artikels 19 Absatz 4 Grundgesetz (GG) darin, in dringenden Fällen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, in denen eine Entscheidung im - grundsätzlich vorrangigen - Verfahren der Hauptsache zu spät käme, weil ohne sie schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 22. November 2002 - 1 BvR 1586/02 - NJW 2003, S. 1236 und vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - Breithaupt 2005, S. 803). Dies bedeutet aber zugleich, dass die Annahme einer besonderen Dringlichkeit und dementsprechend die Bejahung eines Anordnungsgrundes in aller Regel ausscheidet, soweit diese Dringlichkeit vor dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorgelegen hat, denn insoweit ist die besondere Dringlichkeit durch den Zeitablauf überholt, das Abwarten einer Entscheidung im Verfahren der Hauptsache über den zurückliegenden Zeitraum ist dem Rechtsschutzsuchenden in aller Regel zumutbar.

Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass das Gebot des effektiven Rechtsschutzes nach Artikel 19 Absatz 4 GG in besonderen Fällen ausnahmsweise auch die Annahme eines Anordnungsgrundes für zurückliegende Zeiträume verlangen kann, so insbesondere dann, wenn anderenfalls effektiver Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren nicht erlangt werden kann, weil bis zur Entscheidung im Verfahren der Hauptsache Fakten zum Nachteil des Rechtsschutzsuchenden geschaffen worden sind, die sich durch eine - stattgebende - Entscheidung im Verfahren der Hauptsache nicht oder nicht hinreichend rückgängig machen lassen.

Im Hinblick hierauf kann mit dem Gesuch nach einstweiligem Rechtsschutz durch eine Entscheidung des Senats lediglich eine (vorläufige) Nachzahlung von Leistungen für einen im Zeitpunkt der Zustellung dieses Beschlusses gänzlich abgelaufenen, also in der Vergangenheit liegenden Bewilligungszeitraum (September 2007) erreicht werden. Es ist auch nicht zu befürchten, dass den Antragstellern durch ein Zuwarten auf eine Entscheidung in einem - von ihnen bisher nicht anhängig gemachten - Hauptsacheverfahren Nachteile entstünden, die durch eine Entscheidung im Verfahren der Hauptsache nicht oder nicht hinreichend rückgängig gemacht werden könnten. Derartige Nachteile drohen auch nicht deswegen, weil der Vermieter der von den Antragstellern nicht mehr bewohnten Wohnung wegen Mietrückständen in Höhe von 439,00 EUR die Erhebung einer Klage angekündigt haben soll. Denn für den Fall, dass das Entstehen dieser Mietrückstände aus einer rechtswidrigen Nichtleistung des Antragsgegners resultieren sollte, wären etwaige durch die Geltendmachung der Mietschulden entstehende Kosten im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens dem Antragsgegner – als weitere Kosten für Unterkunft – aufzuerlegen.

Dies bedeutet, dass insoweit effektiver Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren erlangt und den Antragstellern ein Zuwarten auf die Entscheidung in der Hauptsache zugemutet werden kann.

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren war daher mangels hinreichender Erfolgsaussicht abzulehnen (§ 73 a SGG in Verbindung mit § 114 Satz 1 der Zivilprozessordnung).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG analog.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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