Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 10 KR 193/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 54/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 KR 3/08 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 19. Oktober 2006 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Behandlung eines "Totenkopfsyndromes" mit dem alloplastischen Material "New-Fill".
Der 1966 geborene und bei der Beklagten krankenversicherte Kläger leidet an einer 1996 diagnostizierten HIV-Infektion, die medikamentös behandelt wird. Als Nebenwirkung dieser Behandlung entwickelte sich eine ausgeprägte Abnahme des Unterhautfettgewebes der Wangen (Lipoathropie, Totenkopfsyndrom) bei gleichzeitiger Bildung von Fettrollen im Nackenbereich. Auf Antrag des Klägers vom 28.01.2005, diese aus seiner Sicht grobe Entstellung durch Injektion von alloplastischem Material in die Wangen zu behandeln, veranlasste die Beklagte eine Stellungnahme des MDK. Dieser führte aus, nach der vorgelegten Fotodokumentation sei der Kläger nicht als abstoßend entstellt und damit auch nicht als krank im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)anzusehen. Zur Therapie der Lipoathropie als Nebenwirkung der antiretroviralen Medikation (mittels sog. HAART) stünde keine vertragliche Behandlungsmöglichkeit zur Verfügung. Das erwünschte Behandlungsmaterial sei ein polymilchsäure-hydrogenhaltiges Produkt und als nicht apothekenpflichtiges Medizinprodukt einzuordnen. Es zähle damit nicht zu den von der GKV zu erbringenden Arzneimitteln. Dem folgend lehnte die Beklagte die begehrte Behandlung mit Bescheid vom 05.06.2005/Widerspruchsbescheid vom 29.07.2005 ab.
Die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Landshut mit Urteil vom 19.10.2006 abgewiesen und zur Begründung im Wesent- lichen ausgeführt, es könne offen bleiben, ob beim Kläger eine entstellende Gesundheitsstörung im Sinne einer Krankheit vorliege. Denn die begehrte Behandlung sei eine neue Behandlungsmethode, weil sie nicht als abrechnungsfähige Leistung im einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) aufgeführt sei, so dass ein Verbot bestehe, diese Therapie zu Lasten der GKV ambulant anzuwenden, weil eine anderslautende Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses nicht vorliege. Dieses Fehlen einer Empfehlung gehe auch nicht auf ein Systemversagen zurück. Zudem dürfe das New-Fill-Material als nicht zugelassenes Arzneimittel und als nur apothekenpflichtiges Medizinprodukt nicht zu Lasten der GKV Krankenversicherung eingesetzt werden.
Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt und geltend gemacht, das Totenkopfsyndrom sei eine Gesundheitsstörung im Sinne der GKV. Durch das Einfallen der Wangen sei die Kaufunktion gestört. Als Vater zweier Kinder und als Physiotherapeut komme er immer wieder mit Menschen in engen Kontakt, die ihn nach AIDS als Ursache seines Aussehen fragten, so dass sich bereits eine depressive Symptomatik ausgebildet habe. Erst eine Behandlung mit New-Fill am 16.08.2005 und am 24.11.2005, finanziert durch einen Zuschuss der Deutschen AIDS-Stiftung, habe zu einer Linderung der Situation geführt. Die streitige Behandlung habe also seine Krankheit nachweislich gebessert. Die fehlende Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Gunsten der begehrten Therapie gehe auf einen Systemmangel zurück. Trotz einer offenbaren Versorgungslücke habe sich der Ausschuss pflichtwidrig mit der Therapie nicht befasst, obwohl eine Vielzahl von internationalen Studien ausreichend Anlass für einen entsprechenden Antrag der zuständigen Stellen begründet hätte. Hierzu hat der Kläger auf 19 international publizierte Studien hingewiesen und insoweit 18 Berichte vorgelegt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 19.10.2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 05.06.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.07.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Krankenbehandlungskosten in Höhe von 1.223,03 Euro zu erstatten sowie künftige Kran- kenbehandlungen mit alloplastischem Material als Sachlei- stung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Verwaltungsakten der Beklagten. Darauf sowie auf die Gerichts- akten beider Rechtszüge wird zur Ergänzung des Tatbestandes Be- zug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), aber unbegründet. Die Behandlung der Wangenathropie des Klägers mittels allopla- stischem Material zählt nicht zum Leistungsumfang der GKV, so dass die Beklagte weder zur Kostenerstattung noch zur Sachleistungsgewährung verpflichtet ist.
Streitgegenstand ist der Bescheid der Beklagten vom 05.06.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.07.2005, mit welchem sie es abgelehnt hat, auf Antrag des Klägers vom 28.01.2005 die begehrte Therapie zu gewähren. Diese Ablehnung ist zu Recht erfolgt, wie das Sozialgericht im angegriffenen Urteil vom 19.10.2006 zutreffend ausgeführt hat.
Der Kläger kann aus den gleichen Gründen, die eine Sachleistungsgewährung der Therapie mit polyvalenter Milchsäure/alloplastischem Material/New-Fill ausschließen, Kostenerstattung für bereits erhaltene Behandlungen dieser Art nicht beanspruchen. Denn ein Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter, als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, zu welchen die GKV allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG Urteil vom 04.04.2006 - B 1 KR 12/05 R).
1.
Der Senat läßt offen, ob die Wangenathropie des Klägers eine Krankheit im Sinne der GKV ist. Krankheit bedeutet einen regelwidrigen, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichenden Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf (oder der zu Arbeitsunfähigkeit führt). Weil nicht jeder regelwidrige körperliche Zustand als Krankheit anzusehen ist, besteht Leistungspflicht der GKV nur, wenn Körperfunktionen beeinträchtigt werden oder wenn anatomische Abweichungen entstellend wirken. Das Totenkopfsyndrom des Klägers mag dabei entsprechend der vorgelegten und vor der Behandlung mit New-Fill im Jahre 2005 erstellten Fotodokumentation sowie nach dem Augenschein in der mündlichen Verhandlung die Grenze der Entstellung erreicht haben, im Sinne einer körperlichen Auffälligkeit, die sich schon bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen quasi im Vorübergehen bemerkbar macht und die in der Folge zum sozialen Rückzug des Betroffenen führt (vgl. BSG Urteil vom 19.10.2004 - B 1 KR 28/02 R; BSG Urteil vom 19.10.2004 - B 1 KR 3/03 R; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr.45 Seite 253 f.).
Ob diese Grenze bereits überschritten ist und ob die Kaufunktion tatsächlich relevant beeinträchtigt war/ist, muss nicht abschließend beurteilt werden, denn der eventuelle Behandlungs- und Versorgungsanspruch des Klägers wird nach § 2 Abs.1 und § 12 Abs.1 SGB V eingeschränkt. Der Kläger kann danach nur solche Leistungen beanspruchen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht. Dabei ist die GKV nicht schon dann leistungspflichtig, falls eine streitige Therapie im konkreten Fall nach Einschätzung des Versicherten oder seiner behandelnden Ärzte positiv verlaufen ist oder wenn einzelne Ärzte die Therapie befürwortet haben. Vielmehr sind gemäß § 135 Abs.1 Satz 1 SGB V neue ambulante Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nur dann zugelassen, wenn der Bundesausschuss in Richtlinien nach § 95 Abs.1 Satz 2 Nr.5 SGB V dazu bereits eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen abgegeben hat (Verbot mit Erlaubnisvorbehalt, vgl. BSG Urteil vom 04.04.2006 - B 1 KR 12/05 R). An dieser fehlt es, wie sich aus dem Folgenden ergibt.
2.
Die streitige Behandlung mit New-Fill stellt eine neue Behandlungsmethode dar, für die es im Zeitpunkt der Behandlung des Klägers und auch im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats an einer erforderlichen positiven Empfehlung des Bundesausschusses fehlt.
Die begehrte Methode ist nicht eine einfache Anwendung eines Arzneimittels, Medikamentes oder Arzneimittelproduktes, sondern sie umfasst die Injektion von polyvalenter Milchsäure in die Wangen durch einen Arzt. Es handelt sich somit um eine in den Körper eingreifende ärztliche Therapie, welche eine Kombination aus Untersuchung, Einbringen des Materials in den Körper mittels Injektion unter Beachtung der - im Falle der HIV-Infektion des Klägers nochmals gesteigert zu beachtenden - hygienischen Medizinstandards sowie aus Nachsorge umfasst.
Dieses Therapieverfahren ist eine neue Behandlungsmethode, weil es (bisher) nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM-Ä) enthalten ist (vgl. BSGE 81, 54, 58; BSGE 81, 73, 75).
Solche neuen Methoden dürfen, weil ihre Qualität und Wirksamkeit entsprechend einem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse nicht ohne weiteres nachgewiesen ist, ambulant nur dann zu Lasten der GKV Anwendung finden, wenn sich der Gemeinsame Bundesausschuss positiv dazu geäußert hat. Fehlt es daran, wie im vorliegenden Fall, ist gemäß § 135 Abs.1 SGB V die Methode ebenso wirksam ausgeschlossen, als hätte der Gesetzgeber selbst die Entscheidung getroffen. Gegen diesen normativen Regelungsweg bestehen keine Bedenken (vgl. BSG Urteil vom 04.04.2006 - B 1 KR 12/05 R m.w.N.).
3.
Die Voraussetzungen einer Ausnahme hiervon sind nicht erfüllt, zu Unrecht macht der Kläger geltend, nur in Folge eines Systemversagens es fehle an einer Empfehlung des Bundesausschusses. Denn die fehlende Empfehlung ist nicht darauf zurückzuführen, dass das Verfahren vor dem Bundesausschuss trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde. Vielmehr entsprechen Qualität und Wirksamkeit der vom Kläger begehrten Behandlung nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse, welche sich in zuverlässigen wissenschaftlich nachprüfbaren Aussagen niedergeschlagen haben.
Insoweit ist dem Kläger entgegen zu halten, dass eine mögliche Verbreitung der New-Fill-Methode im kosmetischen/ästhetischen Bereich keinen Maßstab für die Behandlung seiner Erkrankung darstellt. Denn er leidet an einer vor über 10 Jahren diagnostizierten HIV-Infektion, die permanente antiretroviral behandelt wird. Infolge dessen ist das Immunsystem des Klägers nicht mit dem eines gesunden Menschen vergleichbar, der sich eine kosmetische Behandlung angedeihen lässt. Erforderlich wären vielmehr gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse zur Behandlung des Totenkopfsyndroms als Nebenwirkung der Dauermedikation von HIV-erkrankten Personen mittels New-Fill. Hierzu hat der Kläger zwar einige einschlägige Studien vorgelegt, u.a. auch eine der Ludwig-Maximilian-Universität München vom 19.08.2005 (in englischer Sprache). Die dortige Anzahl der untersuchten Patienten (14, von denen 12 die Studie bis zum Ende durchlaufen haben) reicht jedoch nicht aus, um eine wissenschaftlich fundierte Sicherheit und Wirksamkeit der Methode nachzuweisen. Auch die weiteren vorgelegten internationalen Studien haben jeweils weniger als 100 Patienten umfasst und können wegen der maximalen Laufzeit von zwei Jahren keine ausreichenden Aussagen über Langzeitfolgen der streitigen Methode treffen. Eine pflichtwidrige Blockade des Zulassungsverfahrens vor dem Bundesausschuss kann der Senat deshalb nicht erkennen.
Dabei ist es denkbar, dass der Anbieter der streitgegenständlichen Behandlungsmethode aus rein wirtschaftlichen Gründen auf Grund des Behandlungserfolges und Marktanteils in der kosmetischen/ästhetischen Anwendung keine Veranlassung sieht, risikobehaftete und ergebnisoffene Forschungen zur Behandlung des Totenkopfsyndromes bei HIV-infizierten Patienten anzustoßen oder durchführen zu lassen. Die Konsequenz eines solchen rein finanziell-ökonomischen Verhaltens besteht aber nicht darin, über die Pflichtbeiträge zur GKV alle Beitragszahler zu verpflichten, eine nicht ausreichend standardisierte und gesicherte Methode zu finanzieren. Der Gesetzgeber hat sich vielmehr entschieden, der medizinischen Sicherheit Vorrang einzuräumen. Diese Entscheidung mag im Falle des Klägers unbefriedigend sein. Sie ist aber vor dem Hintergrund zB der Contergan-Fälle vielleicht einleuchtend und jedenfalls vom Senat nicht zu beanstanden.
4.
Der Kläger beruft sich ohne Erfolg auf die psychischen Beeinträchtigungen, welche die Wangenathropie nach den beigezogenen Befunden der behandelnden Ärzte und Therapeuten verursacht hat. Denn eine invasive körperliche Behandlung mit der begehrten Methode kann allenfalls indirekt auf seinen psychischen Zustand einwirken. Mittelbare Behandlungen psychischer Leiden mittels körperlicher Eingriffe bedürfen aber stets besonderer Gründe, für welche aber im streitigen Fall weder aus dem Vortrag des Klägers, noch aus den Akten noch sonst Anhaltspunkte erkennbar sind (vgl. BSG Urteil vom 19.10.2004 - B 1 KR 9/04 R).
5.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus einer grundrechtskonformen Auslegung der Regelungen des SGB V entsprechend der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 06.12.2005 (NZS 2006, 84). Zwar leidet der Kläger an einer lebensbedrohlichen Krankheit, der HIV-Infektion. Deren Behandlung ist aber nicht Streitgegenstand. Der Kläger begehrt vielmehr die Behandlung des Totenkopfsyndromes, welches eine Nebenwirkung der antiretroviralen Therapie ist. Dieses Syndrom selbst ist jedoch nicht lebensbedrohlich und verläuft auch nicht regelmäßig tödlich.
Die Berufung bleibt deshalb in vollem Umfange ohne Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe zur Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich, § 160 SGG.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Behandlung eines "Totenkopfsyndromes" mit dem alloplastischen Material "New-Fill".
Der 1966 geborene und bei der Beklagten krankenversicherte Kläger leidet an einer 1996 diagnostizierten HIV-Infektion, die medikamentös behandelt wird. Als Nebenwirkung dieser Behandlung entwickelte sich eine ausgeprägte Abnahme des Unterhautfettgewebes der Wangen (Lipoathropie, Totenkopfsyndrom) bei gleichzeitiger Bildung von Fettrollen im Nackenbereich. Auf Antrag des Klägers vom 28.01.2005, diese aus seiner Sicht grobe Entstellung durch Injektion von alloplastischem Material in die Wangen zu behandeln, veranlasste die Beklagte eine Stellungnahme des MDK. Dieser führte aus, nach der vorgelegten Fotodokumentation sei der Kläger nicht als abstoßend entstellt und damit auch nicht als krank im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)anzusehen. Zur Therapie der Lipoathropie als Nebenwirkung der antiretroviralen Medikation (mittels sog. HAART) stünde keine vertragliche Behandlungsmöglichkeit zur Verfügung. Das erwünschte Behandlungsmaterial sei ein polymilchsäure-hydrogenhaltiges Produkt und als nicht apothekenpflichtiges Medizinprodukt einzuordnen. Es zähle damit nicht zu den von der GKV zu erbringenden Arzneimitteln. Dem folgend lehnte die Beklagte die begehrte Behandlung mit Bescheid vom 05.06.2005/Widerspruchsbescheid vom 29.07.2005 ab.
Die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Landshut mit Urteil vom 19.10.2006 abgewiesen und zur Begründung im Wesent- lichen ausgeführt, es könne offen bleiben, ob beim Kläger eine entstellende Gesundheitsstörung im Sinne einer Krankheit vorliege. Denn die begehrte Behandlung sei eine neue Behandlungsmethode, weil sie nicht als abrechnungsfähige Leistung im einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) aufgeführt sei, so dass ein Verbot bestehe, diese Therapie zu Lasten der GKV ambulant anzuwenden, weil eine anderslautende Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses nicht vorliege. Dieses Fehlen einer Empfehlung gehe auch nicht auf ein Systemversagen zurück. Zudem dürfe das New-Fill-Material als nicht zugelassenes Arzneimittel und als nur apothekenpflichtiges Medizinprodukt nicht zu Lasten der GKV Krankenversicherung eingesetzt werden.
Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt und geltend gemacht, das Totenkopfsyndrom sei eine Gesundheitsstörung im Sinne der GKV. Durch das Einfallen der Wangen sei die Kaufunktion gestört. Als Vater zweier Kinder und als Physiotherapeut komme er immer wieder mit Menschen in engen Kontakt, die ihn nach AIDS als Ursache seines Aussehen fragten, so dass sich bereits eine depressive Symptomatik ausgebildet habe. Erst eine Behandlung mit New-Fill am 16.08.2005 und am 24.11.2005, finanziert durch einen Zuschuss der Deutschen AIDS-Stiftung, habe zu einer Linderung der Situation geführt. Die streitige Behandlung habe also seine Krankheit nachweislich gebessert. Die fehlende Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Gunsten der begehrten Therapie gehe auf einen Systemmangel zurück. Trotz einer offenbaren Versorgungslücke habe sich der Ausschuss pflichtwidrig mit der Therapie nicht befasst, obwohl eine Vielzahl von internationalen Studien ausreichend Anlass für einen entsprechenden Antrag der zuständigen Stellen begründet hätte. Hierzu hat der Kläger auf 19 international publizierte Studien hingewiesen und insoweit 18 Berichte vorgelegt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 19.10.2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 05.06.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.07.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Krankenbehandlungskosten in Höhe von 1.223,03 Euro zu erstatten sowie künftige Kran- kenbehandlungen mit alloplastischem Material als Sachlei- stung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Verwaltungsakten der Beklagten. Darauf sowie auf die Gerichts- akten beider Rechtszüge wird zur Ergänzung des Tatbestandes Be- zug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), aber unbegründet. Die Behandlung der Wangenathropie des Klägers mittels allopla- stischem Material zählt nicht zum Leistungsumfang der GKV, so dass die Beklagte weder zur Kostenerstattung noch zur Sachleistungsgewährung verpflichtet ist.
Streitgegenstand ist der Bescheid der Beklagten vom 05.06.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.07.2005, mit welchem sie es abgelehnt hat, auf Antrag des Klägers vom 28.01.2005 die begehrte Therapie zu gewähren. Diese Ablehnung ist zu Recht erfolgt, wie das Sozialgericht im angegriffenen Urteil vom 19.10.2006 zutreffend ausgeführt hat.
Der Kläger kann aus den gleichen Gründen, die eine Sachleistungsgewährung der Therapie mit polyvalenter Milchsäure/alloplastischem Material/New-Fill ausschließen, Kostenerstattung für bereits erhaltene Behandlungen dieser Art nicht beanspruchen. Denn ein Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter, als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, zu welchen die GKV allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG Urteil vom 04.04.2006 - B 1 KR 12/05 R).
1.
Der Senat läßt offen, ob die Wangenathropie des Klägers eine Krankheit im Sinne der GKV ist. Krankheit bedeutet einen regelwidrigen, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichenden Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf (oder der zu Arbeitsunfähigkeit führt). Weil nicht jeder regelwidrige körperliche Zustand als Krankheit anzusehen ist, besteht Leistungspflicht der GKV nur, wenn Körperfunktionen beeinträchtigt werden oder wenn anatomische Abweichungen entstellend wirken. Das Totenkopfsyndrom des Klägers mag dabei entsprechend der vorgelegten und vor der Behandlung mit New-Fill im Jahre 2005 erstellten Fotodokumentation sowie nach dem Augenschein in der mündlichen Verhandlung die Grenze der Entstellung erreicht haben, im Sinne einer körperlichen Auffälligkeit, die sich schon bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen quasi im Vorübergehen bemerkbar macht und die in der Folge zum sozialen Rückzug des Betroffenen führt (vgl. BSG Urteil vom 19.10.2004 - B 1 KR 28/02 R; BSG Urteil vom 19.10.2004 - B 1 KR 3/03 R; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr.45 Seite 253 f.).
Ob diese Grenze bereits überschritten ist und ob die Kaufunktion tatsächlich relevant beeinträchtigt war/ist, muss nicht abschließend beurteilt werden, denn der eventuelle Behandlungs- und Versorgungsanspruch des Klägers wird nach § 2 Abs.1 und § 12 Abs.1 SGB V eingeschränkt. Der Kläger kann danach nur solche Leistungen beanspruchen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht. Dabei ist die GKV nicht schon dann leistungspflichtig, falls eine streitige Therapie im konkreten Fall nach Einschätzung des Versicherten oder seiner behandelnden Ärzte positiv verlaufen ist oder wenn einzelne Ärzte die Therapie befürwortet haben. Vielmehr sind gemäß § 135 Abs.1 Satz 1 SGB V neue ambulante Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nur dann zugelassen, wenn der Bundesausschuss in Richtlinien nach § 95 Abs.1 Satz 2 Nr.5 SGB V dazu bereits eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen abgegeben hat (Verbot mit Erlaubnisvorbehalt, vgl. BSG Urteil vom 04.04.2006 - B 1 KR 12/05 R). An dieser fehlt es, wie sich aus dem Folgenden ergibt.
2.
Die streitige Behandlung mit New-Fill stellt eine neue Behandlungsmethode dar, für die es im Zeitpunkt der Behandlung des Klägers und auch im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats an einer erforderlichen positiven Empfehlung des Bundesausschusses fehlt.
Die begehrte Methode ist nicht eine einfache Anwendung eines Arzneimittels, Medikamentes oder Arzneimittelproduktes, sondern sie umfasst die Injektion von polyvalenter Milchsäure in die Wangen durch einen Arzt. Es handelt sich somit um eine in den Körper eingreifende ärztliche Therapie, welche eine Kombination aus Untersuchung, Einbringen des Materials in den Körper mittels Injektion unter Beachtung der - im Falle der HIV-Infektion des Klägers nochmals gesteigert zu beachtenden - hygienischen Medizinstandards sowie aus Nachsorge umfasst.
Dieses Therapieverfahren ist eine neue Behandlungsmethode, weil es (bisher) nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM-Ä) enthalten ist (vgl. BSGE 81, 54, 58; BSGE 81, 73, 75).
Solche neuen Methoden dürfen, weil ihre Qualität und Wirksamkeit entsprechend einem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse nicht ohne weiteres nachgewiesen ist, ambulant nur dann zu Lasten der GKV Anwendung finden, wenn sich der Gemeinsame Bundesausschuss positiv dazu geäußert hat. Fehlt es daran, wie im vorliegenden Fall, ist gemäß § 135 Abs.1 SGB V die Methode ebenso wirksam ausgeschlossen, als hätte der Gesetzgeber selbst die Entscheidung getroffen. Gegen diesen normativen Regelungsweg bestehen keine Bedenken (vgl. BSG Urteil vom 04.04.2006 - B 1 KR 12/05 R m.w.N.).
3.
Die Voraussetzungen einer Ausnahme hiervon sind nicht erfüllt, zu Unrecht macht der Kläger geltend, nur in Folge eines Systemversagens es fehle an einer Empfehlung des Bundesausschusses. Denn die fehlende Empfehlung ist nicht darauf zurückzuführen, dass das Verfahren vor dem Bundesausschuss trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde. Vielmehr entsprechen Qualität und Wirksamkeit der vom Kläger begehrten Behandlung nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse, welche sich in zuverlässigen wissenschaftlich nachprüfbaren Aussagen niedergeschlagen haben.
Insoweit ist dem Kläger entgegen zu halten, dass eine mögliche Verbreitung der New-Fill-Methode im kosmetischen/ästhetischen Bereich keinen Maßstab für die Behandlung seiner Erkrankung darstellt. Denn er leidet an einer vor über 10 Jahren diagnostizierten HIV-Infektion, die permanente antiretroviral behandelt wird. Infolge dessen ist das Immunsystem des Klägers nicht mit dem eines gesunden Menschen vergleichbar, der sich eine kosmetische Behandlung angedeihen lässt. Erforderlich wären vielmehr gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse zur Behandlung des Totenkopfsyndroms als Nebenwirkung der Dauermedikation von HIV-erkrankten Personen mittels New-Fill. Hierzu hat der Kläger zwar einige einschlägige Studien vorgelegt, u.a. auch eine der Ludwig-Maximilian-Universität München vom 19.08.2005 (in englischer Sprache). Die dortige Anzahl der untersuchten Patienten (14, von denen 12 die Studie bis zum Ende durchlaufen haben) reicht jedoch nicht aus, um eine wissenschaftlich fundierte Sicherheit und Wirksamkeit der Methode nachzuweisen. Auch die weiteren vorgelegten internationalen Studien haben jeweils weniger als 100 Patienten umfasst und können wegen der maximalen Laufzeit von zwei Jahren keine ausreichenden Aussagen über Langzeitfolgen der streitigen Methode treffen. Eine pflichtwidrige Blockade des Zulassungsverfahrens vor dem Bundesausschuss kann der Senat deshalb nicht erkennen.
Dabei ist es denkbar, dass der Anbieter der streitgegenständlichen Behandlungsmethode aus rein wirtschaftlichen Gründen auf Grund des Behandlungserfolges und Marktanteils in der kosmetischen/ästhetischen Anwendung keine Veranlassung sieht, risikobehaftete und ergebnisoffene Forschungen zur Behandlung des Totenkopfsyndromes bei HIV-infizierten Patienten anzustoßen oder durchführen zu lassen. Die Konsequenz eines solchen rein finanziell-ökonomischen Verhaltens besteht aber nicht darin, über die Pflichtbeiträge zur GKV alle Beitragszahler zu verpflichten, eine nicht ausreichend standardisierte und gesicherte Methode zu finanzieren. Der Gesetzgeber hat sich vielmehr entschieden, der medizinischen Sicherheit Vorrang einzuräumen. Diese Entscheidung mag im Falle des Klägers unbefriedigend sein. Sie ist aber vor dem Hintergrund zB der Contergan-Fälle vielleicht einleuchtend und jedenfalls vom Senat nicht zu beanstanden.
4.
Der Kläger beruft sich ohne Erfolg auf die psychischen Beeinträchtigungen, welche die Wangenathropie nach den beigezogenen Befunden der behandelnden Ärzte und Therapeuten verursacht hat. Denn eine invasive körperliche Behandlung mit der begehrten Methode kann allenfalls indirekt auf seinen psychischen Zustand einwirken. Mittelbare Behandlungen psychischer Leiden mittels körperlicher Eingriffe bedürfen aber stets besonderer Gründe, für welche aber im streitigen Fall weder aus dem Vortrag des Klägers, noch aus den Akten noch sonst Anhaltspunkte erkennbar sind (vgl. BSG Urteil vom 19.10.2004 - B 1 KR 9/04 R).
5.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus einer grundrechtskonformen Auslegung der Regelungen des SGB V entsprechend der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 06.12.2005 (NZS 2006, 84). Zwar leidet der Kläger an einer lebensbedrohlichen Krankheit, der HIV-Infektion. Deren Behandlung ist aber nicht Streitgegenstand. Der Kläger begehrt vielmehr die Behandlung des Totenkopfsyndromes, welches eine Nebenwirkung der antiretroviralen Therapie ist. Dieses Syndrom selbst ist jedoch nicht lebensbedrohlich und verläuft auch nicht regelmäßig tödlich.
Die Berufung bleibt deshalb in vollem Umfange ohne Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe zur Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich, § 160 SGG.
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