L 28 B 1619/07 AS

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
28
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 99 AS 8134/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 28 B 1619/07 AS
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 20. August 2007 wird geändert. Der Antragsgegner hat der Antragstellerin drei Viertel der außergerichtlichen Kosten für das vor dem Sozialgericht geführte einstweilige Rechtschutzverfahren zu erstatten. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe:

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Berlin vom 20. August 2007 ist entgegen der Auffassung des Antragsgegners statthaft. Nach § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) findet gegen Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile und gegen Entscheidungen der Vorsitzenden dieser Gerichte die Beschwerde statt, soweit nicht in diesem Gesetz (dem SGG) anderes bestimmt ist. Eine abweichende Bestimmung ist im SGG (bislang) nicht getroffen. Eine analoge Anwendung des § 144 Abs. 4 SGG hält der Senat für Beschlüsse, mit denen nach § 193 Abs. 1 Satz 3 SGG im Anschluss an eine anderweitig erledigte Sache ausschließlich über die Kosten entschieden worden ist, nicht für denkbar. Anders als in den Fällen des § 144 Abs. 4 SGG ist das erstinstanzliche Verfahren in der Hauptsache durch Zutun der Beteiligten - sei es durch Rücknahme, Vergleich, angenommenes Anerkenntnis oder übereinstimmende Erledigterklärung - ohne Sachentscheidung beendet worden; über die Hauptsache gibt es keine gerichtliche Entscheidung, die angefochten werden könnte. Der Entscheidung des Rechtsmittelgerichtes über die Kosten des Verfahrens steht also keine bindende Hauptsachenentscheidung entgegen. Eine analoge Anwendung des § 144 Abs. 4 SGG wird für Beschwerdeverfahren deshalb - soweit ersichtlich - nur vertreten, wenn die Beschwerde isoliert gegen die Kostenentscheidung der Hauptsache erfolgt, dagegen nicht wenn Gegenstand des Ausgangsbeschlusses allein die Kosten des Verfahrens sind (vgl. nur Sächs. LSG Beschluss vom 21. November 2005 - L 3 B 144/05 AS ER -, zitiert nach juris, dort insbesondere RdNr. 18). Die auch im Übrigen zulässige (vgl. § 173 SGG) Beschwerde, der das SG nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

Das Gericht hat in den Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes auf Antrag analog § 193 Abs. 1 Satz 3 SGG zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben, wenn das Verfahren anders als durch Beschluss geendet hat. Hierbei hat es unter Beachtung aller Umstände des Einzelfalls nach billigem Ermessen zu entscheiden, insbesondere sind die Erfolgsaussichten des Rechtsschutzbegehrens sowie die Gründe für die Antragstellung und die Erledigung zu berücksichtigen. Entgegen der Auffassung des SG entspricht es der Billigkeit, wenn der Antragsgegner den überwiegenden Teil, nämlich drei Viertel der Kosten trägt.

Das SG hat seine Entscheidung, Kosten seien nicht zu erstatten, in erster Linie damit begründet, dem Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes habe es von vornherein am Anordnungsgrund gefehlt. Der Antragstellerin, die seit dem 1. Juli 2006 keinerlei Zahlung für Kosten und Unterkunft von dem Antragsgegner erhalten hatte, hätten keine schwerwiegenden Nachteile gedroht, die ein Zuwarten der Hauptsacheentscheidung hätten ausgeschlossen erscheinen lassen, da im Zeitpunkt der Stellung des Eilantrages (20. November 2006) keine Mietschulden aufgelaufen waren und der Verlust der Wohnung nicht unmittelbar gedroht habe. Dem kann so nicht gefolgt werden.

Zwar entspricht es auch der Rechtsprechung des Senats, dass eine Verpflichtung zur Zahlung höherer Kosten für Unterkunft und Heizung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren im Grundsatz den glaubhaften Vortrag des Betroffenen voraussetzt, dass eine Schuldenlage entstanden ist, die den Vermieter zur Kündigung nach § 543 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe a) oder b) i. V. m. § 569 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) berechtigen würde, wobei die weiteren Einzelheiten von den Senaten des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg uneinheitlich beurteilt werden (vgl. nur Beschluss des Senats vom 30. Juli 2007 - L 28 B 1102/07 AS ER -, zitiert nach www.sozialgerichtsbarkeit.de). Gleichgestellt hat der Senat jedoch die Fälle, in denen ein Zuwarten auf die Hauptsacheentscheidung zu ansonsten nicht hinnehmbaren Einschränkungen in der Lebensführung der Antragsteller zwingen würde (Beschluss des Senats a. a. O.). Soweit neben der recht knapp bemessenen Regelleistung Kosten der Unterkunft und Heizung überhaupt nicht übernommen werden, die vom Betroffenen aber tatsächlich gezahlt werden, liegt schon von vornherein nahe, dass die Sicherstellung des Existenzminimums gefährdet ist. Die (bei Antragstellung und in der Folge bis zum 10. Januar 2007 noch nicht vertreten gewesene) Antragstellerin hat auf entsprechende Hinweise hin unverzüglich glaubhaft gemacht, dass ihr nur etwas mehr als die Hälfte der eigentlich zustehenden Leistungen zur Deckung ihres Lebensunterhalts zur Verfügung standen und daraus eine weitgehende und dauerhafte (nämlich bereits seit dem 1. Juli 2006 bestehende) Einschränkung in ihrer Lebensführung resultierte. Dabei kann es bei einer Unterdeckung in dieser Größenordnung ersichtlich nicht darauf ankommen, dass sie - um kostenaufwändigen Schwierigkeiten mit dem Vermieter zu entgehen - ein Auflaufen von Mietschulden durch den Einsatz eines Großteils der ihr bewilligten Regelleistung abgewendet hat, statt ihn zum sonstigen Lebensunterhalt aufzuwenden. Diese wirtschaftlich durchaus vernünftige Vorgehensweise kann für sich genommen nicht dazu führen, dass ein Anordnungsgrund entfällt. Die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes verlangt auch in diesen Fällen die Möglichkeit eines Eilverfahrens zur Sicherung des Existenzminimums, das Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der Kosten für Unterkunft und Heizung umfasst. Das SG hat insoweit eine Eilbedürftigkeit zunächst offenbar auch anerkannt. Anderenfalls hätte es auf weitere Ermittlungen im Anschluss an den Erörterungstermin vom 12. Dezember 2006 verzichten und umgehend eine Entscheidung in dem jetzt im Kostenbeschluss ausgeführten Sinne treffen müssen. Der Antragstellerin wären dann ggf. die weiteren Kosten durch Beauftragung einer Anwältin nicht entstanden.

Der Antragstellerin kann auch nicht vorgehalten werden, sie habe erst im Laufe des Verfahrens nachgewiesen, dass die Mietzahlungen tatsächlich durch sie und nicht durch ihre Mutter erfolgt sind. Sie hat bereits am 21. August 2006 "höheres Alg II" beantragt, was angesichts der zu diesem Zeitpunkt bereits bewilligten ungekürzten Regelleistung und der vorangehenden Auseinandersetzungen nur als Antrag auf Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung verstanden werden konnte. Sie hat dazu angegeben, dass ihre Mutter nicht mehr in der Lage sei, das Kindergeld an sie weiter zu reichen. Eine Reaktion durch den Antragsgegner hierauf ist nicht erfolgt. Insbesondere hat er keinen Anlass gesehen, den mitgeteilten Sachverhalt weiter aufzuklären und ggf. weitergehende Nachweise anzufordern. Auch dies rechtfertigt seine Belastung mit Kosten.

Einer vollständigen Kostenübernahme steht allerdings entgegen, dass die Antragstellerin - nunmehr rechtlich vertreten - auf das (Teil)anerkenntnis des Antragsgegners mit Erlass der Bescheide vom 4. und 5. Januar 2007 zunächst den Rechtsstreit nicht insgesamt für erledigt erklärt hat, sondern das Verfahren - im Wesentlichen gerichtet auf höhere Leistungen für die Zeit von November 2006 bis Januar 2007 - mit Schriftsatz vom 23. Januar 2007 fortgeführt hat. Auch nach ihrem eigenen Vortrag war ihr Lebensunterhalt für Zeiträume ab Februar 2007 uneingeschränkt gesichert, denn ihre Mutter hat von diesem Zeitpunkt an den für sie gezahlten Unterhalt wieder an sie weitergeleitet, so dass neben dem Alg II ergänzend Einkommen in ausreichender Höhe erzielt worden ist. Die Anrechnung von Unterhalt, der tatsächlich der Antragstellerin bis Januar 2007 nicht zugeflossen war, in den Bescheiden vom 4. und 5. Januar 2007 war zwar rechtswidrig. Die Annahme einer besonderen Dringlichkeit und dementsprechend die Bejahung eines Anordnungsgrundes scheidet aber in aller Regel aus, soweit diese Dringlichkeit vor dem Zeitpunkt der (gedachten) gerichtlichen Entscheidung vorgelegen hat. Die Antragstellerin hat keine Umstände vorgetragen, die hier - ausgehend von einer Entscheidung des SG nach Eingang ihres Schriftsatzes vom 23. Januar 2007 - ausnahmsweise zur Annahme eines Anordnungsgrundes für zurückliegende Zeiträume hätten führen können. Sie hat selbst nicht einmal behauptet, dass ggf. entstandene Schulden nicht auch zu einem späteren Zeitpunkt hätten zurückgezahlt werden können. Weshalb sie meint, wegen des auch für künftige Zeiträume noch streitig gewesenen Abzugs einer Warmwasserpauschale in Höhe von 9 Euro monatlich einstweiligen Rechtsschutz durch ein Gericht bemühen zu müssen, erschließt sich dem Senat nicht. Unrichtigkeiten eines im Verlaufe des Verfahrens erlassenen, die Rechtsposition der Antragstellerin grundsätzlich verbessernden Bescheides müssen eine nicht hinnehmbare Einschränkung für die Zukunft bedeuten, damit die Fortführung eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens noch gerechtfertigt ist. Allein die Verfahrensdauer eines sich anschließenden Hauptsacheverfahrens vermag einen Anordnungsgrund auch dann nicht zu begründen, wenn zunächst ein Anordnungsgrund wegen Existenzgefährdung vorlag. Sobald in sog. Vornahmesachen eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in den Rechten des Betroffen, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden, wegen eingetretener Veränderungen nicht mehr droht, entfällt ein Anordnungsgrund für die Zukunft. Passt die rechtlich vertretene Antragstellerin auf entsprechenden Hinweis des Gerichts, wie er hier erfolgt ist, ihre Vorgehensweise dieser Veränderung der Sach- und Rechtslage ausdrücklich nicht an, ist die Belastung mit einem Teil der Kosten nicht unbillig. Eine Unterliegensquote, die erheblich unter der Hälfte der angefallenen Kosten liegt, erscheint bei einem im Ausgangspunkt erfolgreich gewesenen Verfahren allerdings angemessen.

Da die Beschwerde im Wesentlichen erfolgreich war und der Antragsgegner auch eine teilweise Kostenübernahme abgelehnt hatte, erschien eine Quotelung hinsichtlich der Kosten für das Beschwerdeverfahren nicht gerechtfertigt.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochtenen werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved