Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 6 SB 1522/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 3175/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 26. Juni 2005 abgeändert. Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 18. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Mai 2004 verurteilt, den GdB mit 20 ab April 2006 festzustellen; im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) der Klägerin nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) streitig.
Die 1952 geborene Klägerin stellte erstmals am 12.02.2004 einen Antrag auf Feststellung von Behinderungen. Das Versorgungsamt Freiburg (VA) holte mit dem Einverständnis der Klägerin den Befundbericht ihres behandelnden Orthopäden Dr. K. vom 03.03.2004 ein, der mit der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 15.03.2004 ausgewertet wurde. Der Versorgungsarzt gelangte zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit einem GdB von 10 vorliege.
Mit Bescheid vom 18.03.2004 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin auf Feststellung des Grades der Behinderung und Ausstellung eines entsprechenden Ausweises ab, da die geltend gemachten Gesundheitsstörung "Funktionsbehinderung der Wirbelsäule" keinen GdB von wenigstens 20 bedinge. Nach § 69 Abs. 1 SGB IX sei hingegen eine Feststellung nur zu treffen, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliege.
Dagegen legte die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten Widerspruch ein und machte geltend, der orthopädische Befund, wie er von Dr. K. im Befundschein vom 03.03.2004 wiedergegeben werde, bedinge einen GdB von 30. Zu berücksichtigen sei, dass vor allem der Befund an der Halswirbelsäule wesentlich ausgeprägter sei als dies durch die reinen Bewegungsmaße, wie sie Dr. K. mitgeteilt habe, zum Ausdruck komme. Die ebenfalls geschilderten chronischen Schmerzzustände einschließlich der Kopfschmerzsymptomatik und die Befunde an den Handgelenken, die zu einer eingeschränkten Gebrauchsfähigkeit beider Hände führten, ergäben einen Gesamt-GdB von 30.
Hierzu führte die Versorgungsärztin Dr. W. in ihrer gutachtlichen Stellungnahme vom 07.05.2004 aus, bei beginnenden degenerativen Veränderungen der Halswirbelsäule und guter Beweglichkeit sowie Nackenschmerzen sei von leichtgradigen Funktionsstörungen auszugehen. Ein Kopfschmerzsyndrom liege nicht vor. Bei radiologisch unauffälligem Befund der Handgelenke und freier Beweglichkeit ergebe sich noch kein messbarer GdB. Ein GdB von wenigstens 20 liege nicht vor.
Mit Widerspruchsbescheid vom 26.05.2004 wurde der Widerspruch der Klägerin zurückgewiesen.
Dagegen erhob die Klägerin am 01.07.2004 Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG) mit dem Ziel, den GdB mit 30 festzustellen. Als Beleg für ihren Standpunkt legte sie den Befundbericht des Radiologen R. vom 14.05.2004 vor, in dem über das Ergebnis einer kernspintomographischen Untersuchung der Halswirbelsäule berichtet wird.
Das SG holte den Befundbericht des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. M. vom 13.10.2004 sowie den des Orthopäden Dr. K. vom 02.11.2004 ein. Auf den Inhalt dieser Befundberichte wird verwiesen.
Mit Gerichtsbescheid vom 27.06.2005 wies das SG die Klage ab.
Gegen den - dem Bevollmächtigten der Klägerin am 01.07.2005 zugestellten - Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 01.08.2005 Berufung eingelegt. Sie verfolgt weiterhin das Ziel, den GdB mit 30 festzustellen. Hierzu hat die Klägerin, die zum 30.06.2005 nach B. verzogen ist, den Bericht über die Computertomographie LWK 3 bis SWK 1 vom 10.04.2006 vorgelegt.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgericht Konstanz vom 27. Juni 2005 sowie den Bescheid des Beklagten vom 18. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Mai 2004 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, einen GdB von 30 festzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Der Beklagte hält die Entscheidung des SG für richtig.
Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat das orthopädische Gutachten des Dr. Ki., B. vom 20.07.2007 eingeholt, das dieser aufgrund der ambulanten Untersuchung der Klägerin vom 25.04.2007 erstattet hat. Darin führt der Gutachter aus, bei der Klägerin liege eine HWS-Erkrankung mit mittelschwerer Beeinträchtigung sowie eine Schultererkrankung links mit Bewegungseinschränkung, die ebenfalls als mittelschwer zu beurteilen sei, vor. Seit Juni 2006 klage die Klägerin über Schmerzen und eine schmerzhafte Belastungseinschränkung des linken Armes im Schultergelenk, bedingt durch ein Impingementsyndrom links bei bildgebendem Nachweis einer AC-Gelenkarthrose ohne Rissbildung der Rotatorenmanschette (Engpasssyndrom der Rotatorenmanschette). Im Vordergrund der klinischen Untersuchung und der angegebenen subjektiven Beschwerden hätten die HWS-Erkrankung und die schmerzhafte Belastungseinschränkung des linken Armes im Schultergelenk gestanden. Der linke Arm könne seitwärts um 105 Grad aktiv und um 115 Grad passiv und vorwärts um 125 Grad angehoben werden. Der Schürzengriff und Nackengriff hätten beidseits ausgeführt werden können, linksseitig hätten dabei Schmerzen im linken Schultergelenkbereich bestanden. Beim Anspannen der Schultermuskulatur gegen Widerstand werde beidseits keine Schmerzzunahme angegeben. Die HWS-Erkrankung, die er als mittelschwer bewerte, bedinge einen Teil-GdB von 20 und die Schultererkrankung links mit Bewegungseinschränkung, die er ebenfalls als mittelschwer einstufe, ziehe einen Teil-GdB von 20 nach sich. Die LWS-Erkrankung, die als leicht zu beurteilen sei, bewerte er mit einem Teil-GdB von 10. Das Nervenengpasssyndrom des N. medianus rechts und der Zustand nach operativer Behandlung eines Nervenengpasssyndroms links rufe keinen Teil-GdB hervor. Den Gesamt-GdB schätze er mit 30 ein, und zwar seit Juni 2006, dem Beginn der Schultererkrankung. Zu berücksichtigen sei bei der Bildung des Gesamt-GdB, dass die HWS-Erkrankung mit pseudoradikulärer Symptomatik (Taubheit und Kribbeln in den Fingerspitzen) nachteilig beeinflusst werde durch die Erkrankung des linken Schultereckgelenkes. Die Funktionsbeeinträchtigungen von Seiten der Halswirbelsäule und der linken Schulter verstärkten sich wechselseitig.
Der Beklagte hat daraufhin das Vergleichsangebot vom 18.12.2007 unterbreitet, wonach er sich bereit erkläre, den GdB mit 20 ab April 2006 festzustellen. Außergerichtliche Kosten seien hingegen nicht zu erstatten. Zur Begründung hat der Beklagte die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 14.12.2007 vorgelegt, wonach die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit einem Teil-GdB von 20 bewertet werden könne. Die vom Sachverständigen vorgenommene Bewertung der Funktionsbehinderung des linken Schultergelenkes mit einem Teil-GdB von 20 sei hingegen zu weitreichend. Vorwärts könne der Arm auf 125 Grad erhoben werden. Deshalb werde ein Teil-GdB von 10 empfohlen, was zum Gesamt-GdB von 20 ab April 2006 führe.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf die Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, in der Sache jedoch nur zum Teil begründet. Der Beklagte ist verpflichtet, bei der Klägerin einen GdB von 20 ab April 2006 festzusetzen; ein Anspruch auf Feststellung eines GdB von 30 besteht hingegen nicht, insofern ist die Berufung unbegründet.
Der Beklagte wird seit 01.01.2005 wirksam durch das Regierungspräsidium Stuttgart (Abteilung 10) vertreten. Nach § 71 Abs. 5 SGG wird in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts das Land durch das Landesversorgungsamt oder durch die Stelle, der dessen Aufgaben übertragen worden sind, vertreten. In Baden-Württemberg sind die Aufgaben des Landesversorgungsamts durch Art 2 Abs. 2 des Gesetzes zur Reform der Verwaltungsstruktur, zur Justizreform und zur Erweiterung des kommunalen Handlungsspielraums (Verwaltungsstruktur-Reformgesetz -VRG) vom 01.07.2004 (GBl S. 469) mit Wirkung ab 01.01.2005 (Art 187 VRG) auf das Regierungspräsidium Stuttgart übergegangen.
Auf Antrag des Behinderten stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den daraus resultierenden GdB fest (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Nach § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung, nach Zehnergraden abgestuft, festgestellt (§ 69 Abs. 1 Satz 3 SGB IX). Die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG festgelegten Maßstäbe gelten entsprechend (§ 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX), so dass auch hier die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2004 (AHP) heranzuziehen sind.
Nach § 69 Abs. 3 SGB IX ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt ungeeignet (vgl. Nr. 19 Abs. 1 der AHP). In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (Nr. 19 Abs. 3 der AHP). Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. Nr. 19 Abs. 4 der AHP). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung der AHP in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3 3879 § 4 Nr. 5).
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der GdB bei der Klägerin mit 20 seit April 2006 festzustellen ist. Zu dieser Überzeugung gelangt der Senat aufgrund des gerichtlichen Sachverständigengutachtens des Dr. Ki. vom 20.07.2007. Dr. Ki. hat aufgrund der ambulanten Untersuchung der Klägerin die Befunde beschrieben und aufgezeigt, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin im Laufe des Verfahrens verschlechtert hat. Im Bereich der Wirbelsäule liegen HWS-Beschwerden sowie ein Lumbalsyndrom vor. Die HWS-Erkrankung mit Kopfschmerzsymptomatik bei bildgebendem Nachweis einer Spinalkanalstenose (Einengung des Spinalkanales in Höhe C 5/ C 6 und geringer in Höhe C 6/ C 7) und Cervikalstenose wird von Dr. Ki. als mittelschwer eingestuft. Die LWS-Erkrankung wird hingegen von ihm als leicht bewertet. Für die Beeinträchtigung der Wirbelsäulen kann daher ein Teil-GdB von 20 zugrunde gelegt werden. Hinsichtlich der Funktionsbehinderung des linken Schultergelenkes gelangt der Senat entgegen dem gerichtlichen Sachverständigen jedoch aufgrund der vom ihm beschriebenen Befunde nur zu einem Teil-GdB von 10. Nach den vom gerichtlichen Sachverständigen in seinem Gutachten niedergelegten Bewegungsausmaßen der Schultergelenke rechts/links konnte die Klägerin den linken Arm seitwärts um 105 Grad aktiv und 115 Grad passiv sowie vorwärts um 125 Grad bewegen. Entsprechend den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 2004" (AHP 2004, S.119) wird eine Bewegungseinschränkung des Schultergelenkes mit 10 bewertet, wenn der Arm nur um 120 Grad zu erheben ist mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit. Der GdB beträgt 20, wenn der Arm nur um 90 Grad zu erheben ist mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit. Vorliegend beschreibt Dr. Ki., dass der linke Arm sowohl seitwärts als auch vorwärts um mehr als 90 Grad, nämlich 105 Grad bzw. 125 Grad aktiv erhoben werden konnte. Aufgrund dessen wird in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 14.12.2007 zu Recht darauf hingewiesen, dass bei diesem Befund für die Funktionsbehinderung des linken Schultergelenks nur ein GdB von 10 in Betracht kommt. Unter Berücksichtigung der Einzel-GdB-Werte von 20 für die Beeinträchtigungen von Seiten der Wirbelsäulen und von 10 für die Funktionsbehinderung des linken Schultergelenkes beträgt der Gesamt-GdB damit 20 ab April 2006.
Soweit die Klägerin einen GdB von 30 geltend macht, war die Berufung daher als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG, wobei der Senat berücksichtigt hat, dass der Beklagte dem neuen Sachverhalt nach Vorlage des gerichtlichen Sachverständigengutachtens umgehend Rechnung getragen hat. Es erscheint daher nicht gerechtfertigt, dass der Beklagte außergerichtliche Kosten zu erstatten hat.
Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) der Klägerin nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) streitig.
Die 1952 geborene Klägerin stellte erstmals am 12.02.2004 einen Antrag auf Feststellung von Behinderungen. Das Versorgungsamt Freiburg (VA) holte mit dem Einverständnis der Klägerin den Befundbericht ihres behandelnden Orthopäden Dr. K. vom 03.03.2004 ein, der mit der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 15.03.2004 ausgewertet wurde. Der Versorgungsarzt gelangte zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit einem GdB von 10 vorliege.
Mit Bescheid vom 18.03.2004 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin auf Feststellung des Grades der Behinderung und Ausstellung eines entsprechenden Ausweises ab, da die geltend gemachten Gesundheitsstörung "Funktionsbehinderung der Wirbelsäule" keinen GdB von wenigstens 20 bedinge. Nach § 69 Abs. 1 SGB IX sei hingegen eine Feststellung nur zu treffen, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliege.
Dagegen legte die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten Widerspruch ein und machte geltend, der orthopädische Befund, wie er von Dr. K. im Befundschein vom 03.03.2004 wiedergegeben werde, bedinge einen GdB von 30. Zu berücksichtigen sei, dass vor allem der Befund an der Halswirbelsäule wesentlich ausgeprägter sei als dies durch die reinen Bewegungsmaße, wie sie Dr. K. mitgeteilt habe, zum Ausdruck komme. Die ebenfalls geschilderten chronischen Schmerzzustände einschließlich der Kopfschmerzsymptomatik und die Befunde an den Handgelenken, die zu einer eingeschränkten Gebrauchsfähigkeit beider Hände führten, ergäben einen Gesamt-GdB von 30.
Hierzu führte die Versorgungsärztin Dr. W. in ihrer gutachtlichen Stellungnahme vom 07.05.2004 aus, bei beginnenden degenerativen Veränderungen der Halswirbelsäule und guter Beweglichkeit sowie Nackenschmerzen sei von leichtgradigen Funktionsstörungen auszugehen. Ein Kopfschmerzsyndrom liege nicht vor. Bei radiologisch unauffälligem Befund der Handgelenke und freier Beweglichkeit ergebe sich noch kein messbarer GdB. Ein GdB von wenigstens 20 liege nicht vor.
Mit Widerspruchsbescheid vom 26.05.2004 wurde der Widerspruch der Klägerin zurückgewiesen.
Dagegen erhob die Klägerin am 01.07.2004 Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG) mit dem Ziel, den GdB mit 30 festzustellen. Als Beleg für ihren Standpunkt legte sie den Befundbericht des Radiologen R. vom 14.05.2004 vor, in dem über das Ergebnis einer kernspintomographischen Untersuchung der Halswirbelsäule berichtet wird.
Das SG holte den Befundbericht des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. M. vom 13.10.2004 sowie den des Orthopäden Dr. K. vom 02.11.2004 ein. Auf den Inhalt dieser Befundberichte wird verwiesen.
Mit Gerichtsbescheid vom 27.06.2005 wies das SG die Klage ab.
Gegen den - dem Bevollmächtigten der Klägerin am 01.07.2005 zugestellten - Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 01.08.2005 Berufung eingelegt. Sie verfolgt weiterhin das Ziel, den GdB mit 30 festzustellen. Hierzu hat die Klägerin, die zum 30.06.2005 nach B. verzogen ist, den Bericht über die Computertomographie LWK 3 bis SWK 1 vom 10.04.2006 vorgelegt.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgericht Konstanz vom 27. Juni 2005 sowie den Bescheid des Beklagten vom 18. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Mai 2004 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, einen GdB von 30 festzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Der Beklagte hält die Entscheidung des SG für richtig.
Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat das orthopädische Gutachten des Dr. Ki., B. vom 20.07.2007 eingeholt, das dieser aufgrund der ambulanten Untersuchung der Klägerin vom 25.04.2007 erstattet hat. Darin führt der Gutachter aus, bei der Klägerin liege eine HWS-Erkrankung mit mittelschwerer Beeinträchtigung sowie eine Schultererkrankung links mit Bewegungseinschränkung, die ebenfalls als mittelschwer zu beurteilen sei, vor. Seit Juni 2006 klage die Klägerin über Schmerzen und eine schmerzhafte Belastungseinschränkung des linken Armes im Schultergelenk, bedingt durch ein Impingementsyndrom links bei bildgebendem Nachweis einer AC-Gelenkarthrose ohne Rissbildung der Rotatorenmanschette (Engpasssyndrom der Rotatorenmanschette). Im Vordergrund der klinischen Untersuchung und der angegebenen subjektiven Beschwerden hätten die HWS-Erkrankung und die schmerzhafte Belastungseinschränkung des linken Armes im Schultergelenk gestanden. Der linke Arm könne seitwärts um 105 Grad aktiv und um 115 Grad passiv und vorwärts um 125 Grad angehoben werden. Der Schürzengriff und Nackengriff hätten beidseits ausgeführt werden können, linksseitig hätten dabei Schmerzen im linken Schultergelenkbereich bestanden. Beim Anspannen der Schultermuskulatur gegen Widerstand werde beidseits keine Schmerzzunahme angegeben. Die HWS-Erkrankung, die er als mittelschwer bewerte, bedinge einen Teil-GdB von 20 und die Schultererkrankung links mit Bewegungseinschränkung, die er ebenfalls als mittelschwer einstufe, ziehe einen Teil-GdB von 20 nach sich. Die LWS-Erkrankung, die als leicht zu beurteilen sei, bewerte er mit einem Teil-GdB von 10. Das Nervenengpasssyndrom des N. medianus rechts und der Zustand nach operativer Behandlung eines Nervenengpasssyndroms links rufe keinen Teil-GdB hervor. Den Gesamt-GdB schätze er mit 30 ein, und zwar seit Juni 2006, dem Beginn der Schultererkrankung. Zu berücksichtigen sei bei der Bildung des Gesamt-GdB, dass die HWS-Erkrankung mit pseudoradikulärer Symptomatik (Taubheit und Kribbeln in den Fingerspitzen) nachteilig beeinflusst werde durch die Erkrankung des linken Schultereckgelenkes. Die Funktionsbeeinträchtigungen von Seiten der Halswirbelsäule und der linken Schulter verstärkten sich wechselseitig.
Der Beklagte hat daraufhin das Vergleichsangebot vom 18.12.2007 unterbreitet, wonach er sich bereit erkläre, den GdB mit 20 ab April 2006 festzustellen. Außergerichtliche Kosten seien hingegen nicht zu erstatten. Zur Begründung hat der Beklagte die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 14.12.2007 vorgelegt, wonach die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit einem Teil-GdB von 20 bewertet werden könne. Die vom Sachverständigen vorgenommene Bewertung der Funktionsbehinderung des linken Schultergelenkes mit einem Teil-GdB von 20 sei hingegen zu weitreichend. Vorwärts könne der Arm auf 125 Grad erhoben werden. Deshalb werde ein Teil-GdB von 10 empfohlen, was zum Gesamt-GdB von 20 ab April 2006 führe.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf die Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, in der Sache jedoch nur zum Teil begründet. Der Beklagte ist verpflichtet, bei der Klägerin einen GdB von 20 ab April 2006 festzusetzen; ein Anspruch auf Feststellung eines GdB von 30 besteht hingegen nicht, insofern ist die Berufung unbegründet.
Der Beklagte wird seit 01.01.2005 wirksam durch das Regierungspräsidium Stuttgart (Abteilung 10) vertreten. Nach § 71 Abs. 5 SGG wird in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts das Land durch das Landesversorgungsamt oder durch die Stelle, der dessen Aufgaben übertragen worden sind, vertreten. In Baden-Württemberg sind die Aufgaben des Landesversorgungsamts durch Art 2 Abs. 2 des Gesetzes zur Reform der Verwaltungsstruktur, zur Justizreform und zur Erweiterung des kommunalen Handlungsspielraums (Verwaltungsstruktur-Reformgesetz -VRG) vom 01.07.2004 (GBl S. 469) mit Wirkung ab 01.01.2005 (Art 187 VRG) auf das Regierungspräsidium Stuttgart übergegangen.
Auf Antrag des Behinderten stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den daraus resultierenden GdB fest (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Nach § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung, nach Zehnergraden abgestuft, festgestellt (§ 69 Abs. 1 Satz 3 SGB IX). Die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG festgelegten Maßstäbe gelten entsprechend (§ 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX), so dass auch hier die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2004 (AHP) heranzuziehen sind.
Nach § 69 Abs. 3 SGB IX ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt ungeeignet (vgl. Nr. 19 Abs. 1 der AHP). In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (Nr. 19 Abs. 3 der AHP). Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. Nr. 19 Abs. 4 der AHP). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung der AHP in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3 3879 § 4 Nr. 5).
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der GdB bei der Klägerin mit 20 seit April 2006 festzustellen ist. Zu dieser Überzeugung gelangt der Senat aufgrund des gerichtlichen Sachverständigengutachtens des Dr. Ki. vom 20.07.2007. Dr. Ki. hat aufgrund der ambulanten Untersuchung der Klägerin die Befunde beschrieben und aufgezeigt, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin im Laufe des Verfahrens verschlechtert hat. Im Bereich der Wirbelsäule liegen HWS-Beschwerden sowie ein Lumbalsyndrom vor. Die HWS-Erkrankung mit Kopfschmerzsymptomatik bei bildgebendem Nachweis einer Spinalkanalstenose (Einengung des Spinalkanales in Höhe C 5/ C 6 und geringer in Höhe C 6/ C 7) und Cervikalstenose wird von Dr. Ki. als mittelschwer eingestuft. Die LWS-Erkrankung wird hingegen von ihm als leicht bewertet. Für die Beeinträchtigung der Wirbelsäulen kann daher ein Teil-GdB von 20 zugrunde gelegt werden. Hinsichtlich der Funktionsbehinderung des linken Schultergelenkes gelangt der Senat entgegen dem gerichtlichen Sachverständigen jedoch aufgrund der vom ihm beschriebenen Befunde nur zu einem Teil-GdB von 10. Nach den vom gerichtlichen Sachverständigen in seinem Gutachten niedergelegten Bewegungsausmaßen der Schultergelenke rechts/links konnte die Klägerin den linken Arm seitwärts um 105 Grad aktiv und 115 Grad passiv sowie vorwärts um 125 Grad bewegen. Entsprechend den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 2004" (AHP 2004, S.119) wird eine Bewegungseinschränkung des Schultergelenkes mit 10 bewertet, wenn der Arm nur um 120 Grad zu erheben ist mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit. Der GdB beträgt 20, wenn der Arm nur um 90 Grad zu erheben ist mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit. Vorliegend beschreibt Dr. Ki., dass der linke Arm sowohl seitwärts als auch vorwärts um mehr als 90 Grad, nämlich 105 Grad bzw. 125 Grad aktiv erhoben werden konnte. Aufgrund dessen wird in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 14.12.2007 zu Recht darauf hingewiesen, dass bei diesem Befund für die Funktionsbehinderung des linken Schultergelenks nur ein GdB von 10 in Betracht kommt. Unter Berücksichtigung der Einzel-GdB-Werte von 20 für die Beeinträchtigungen von Seiten der Wirbelsäulen und von 10 für die Funktionsbehinderung des linken Schultergelenkes beträgt der Gesamt-GdB damit 20 ab April 2006.
Soweit die Klägerin einen GdB von 30 geltend macht, war die Berufung daher als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG, wobei der Senat berücksichtigt hat, dass der Beklagte dem neuen Sachverhalt nach Vorlage des gerichtlichen Sachverständigengutachtens umgehend Rechnung getragen hat. Es erscheint daher nicht gerechtfertigt, dass der Beklagte außergerichtliche Kosten zu erstatten hat.
Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht.
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