L 9 U 609/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 6 U 1017/01
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 609/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 27. Oktober 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Umstritten ist, ob die Klägerin an einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 4302 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) leidet.

Die 1967 geborene Klägerin war ab 1989 bei der Crailsheimer Volksbank (Voba) als Sekretärin beschäftigt. Nach einem Umzug im Dezember 1997 in neue Geschäftsräume in einem anderen Gebäude traten bei der Klägerin, die schon 1992 wegen Sinubronchitis, 1995 einem sinubronchialen Syndrom sowie im Februar 1997 wegen akuter Sinubronchitis und um Juni 1997 wegen Dyspnoe und schwerer Bronchitis arbeitsunfähig gewesen war (Vorerkrankungsverzeichnis der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK)), ab Januar 1999 Atemwegsbeschwerden auf, die sich in der Folge verstärkten. Seit 2001 arbeitet die Klägerin nach Übernahme neuer Aufgaben wieder im ehemaligen Arbeitsgebäude. Die Klägerin führt ihre verstärkten Atemwegsbeschwerden auf Belastungen am Arbeitsplatz durch Perchlorethylen und Formaldehyd zurück. Die Einwirkungen hätten zu einer kontinuierlichen Verschlechterung ihres Bronchialsystems geführt.

Im Rahmen der daraufhin angestellten Ermittlungen teilte der behandelnde Hausarzt Dr. R. unter dem 26. Mai 2000 mit, dass die Klägerin schon im Juni 1997 über Reizhusten, Luftnot, "Druck auf die Bronchien", allgemeine Abgeschlagenheit und Leistungsschwäche geklagt habe. Arbeitsunfähigkeit habe ab 9. Juni 1997 für 5 Tage, ab 8. Februar 1999 für 10 Tage, ab 5. Mai 1999 für 17 Tage und ab 4. August 1999 für 3 Tage bestanden. Die weiteren AU-Bescheinigungen habe der Internist Dr. M. ausgestellt. Dr. M. teilte in der ärztlichen Anzeige über eine BK und dem Bericht vom 28. März 2000 mit, die Klägerin leide ab Januar 1999 unter einem Druck auf der Brust, Husten, Erstickungsangst und Atemnot mit Verstärkung der Symptome am Arbeitsplatz. Gemäß Dr. M., bei dem die Klägerin ab Mai 1999 in Behandlung war und der eine unspezifische bronchiale Hyperreaktivität diagnostizierte, waren die Lungenfunktion, ein bronchialer Provokationstest und ein Pricktest unauffällig gewesen und war nach inhalativer Therapie keine Besserung festzustellen. Wegen des weiteren Verlaufs wird auf die Berichte von Dr. M. vom 19. April, 26. Juli und 28. September 2000 sowie des Dr. R. vom 26. Mai 2000 verwiesen.

Die Beklagte zog u. a. das Vorerkrankungsverzeichnis der DAK sowie einen Heilverfahren-Entlassungsbericht der Reha-Klinik S. vom 21. März 2000 (Diagnosen: gemischtförmiges Asthma bronchiale, akute Sinusitis frontalis, psychophysische Erschöpfung; laut Arbeits- und Berufsanamnese keine bekannten inhalativen Schadstoffe und Zufriedenheit der Klägerin mit ihrer Arbeitsstelle) bei und veranlasste Ermittlungen bezüglich des Arbeitsplatzes durch den Arbeitsmediziner Dr. R ... Dieser kam gemäß seinem Bericht vom 15. August 2000 u. a. unter Auswertung von ihm überlassenen Berichten der Firma A. Infutec Consult AG über Untersuchungen vom Juni/Juli 1999, Oktober 1999 und Februar 2000 und von ihm selbst veranlassten Messungen der Firma D. im Jahr 2000 zum Ergebnis, die Raumluftuntersuchungen vom Juni/Juli 1999, Oktober 1999 und Februar 2000 hätten bei Messungen in drei Phasen bei der dritten Messung unter Berücksichtigung von "Wohnraumverhältnissen" eine über dem Maximalwert liegende Konzentration von Perchlorethylen mit 1,585 mg/m³ in dem dem Arbeitplatz der Klägerin benachbarten, durch eine Verbindungstür getrennten Raum ergeben. Messungen vom 24. bis 31. Mai 2000 hätten verschiedene Komponenten von flüchtigen Lösemitteln in Spurenkonzentrationen erbracht. Bei der Besichtigung des Arbeitsplatzes der Klägerin und des Nachbarzimmers habe sich keine Gefährdung erkennen lassen. Die bei der orientierenden Langzeitmessung nachgewiesenen verschiedenen flüchtigen Lösemittel seien nicht in auffälliger Konzentration aufgetreten. Unter Berücksichtigung der Messergebnisse bestehe keine Gefährdung im Sinne einer BK nach Nr. 4302 der Anlage zur BKV. Wegen der Einzelheiten wird auf die Messprotokolle bzw. Berichte der Firmen D. und A. Infutec Consult AG sowie die Stellungnahme des Dr. R. verwiesen. Weitere Ermittlungen ergaben, dass die Klimaanlage im Februar/März 2000 überprüft und gewartet und ein Filterwechsel regelmäßig vierteljährlich durchgeführt wurde (Bericht Dr. R. vom 15. November 2000).

In der gewerbeärztlichen Stellungnahme vom 13. Dezember 2000 schlug Dr. H. hierauf vor, eine BK nach Nr. 4302 der Anlage zur BKV nicht anzuerkennen, da ein ursächlicher Zusammenhang zwischen beruflicher Tätigkeit und der Erkrankung nicht wahrscheinlich sei. Die haftungsbegründende Kausalität sei nicht nachgewiesen.

Hierauf lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 09. Januar 2001 und - auf den Widerspruch der Klägerin, die auch u. a. auf den zeitlichen Zusammenhang des Auftretens der Beschwerden mit dem Umzug, aus ihrer Sicht wesentlich erhöhte Werte von Perchlorethylen und Formaldehyd in der Raumluft sowie die Auffassung des Dr. M. die Erkrankung sei beruflich bedingt, verwies - mit Widerspruchsbescheid vom 29. März 2001 die Anerkennung einer BK nach Nr. 4302 der Anlage zur BKV ab.

Deswegen hat die Klägerin am 27. April 2001 Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben. Die medizinischen Voraussetzungen für die Anerkennung ihrer Erkrankung als BK seien nach Ansicht des behandelnden Arztes gegeben. Bezüglich der Schadstoffexposition seien die Ermittlungsergebnisse falsch bewertet worden. Die durchgeführten Ermittlungen seien unzureichend.

Das SG hat Dr. M. schriftlich als sachverständigen Zeugen gehört (Aussagen vom 20. Juli und 9. August 2001, auf die verwiesen wird) sowie lungenfachärztliche Gutachten des Dr. S. vom 10. Februar 2002, des Prof. Dr. S. vom 19. Januar 2005 und - auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) - des Prof. Dr. D. vom 12. September 2005 (mit - nach weiteren Ermittlungen des Dr. R. ( Bericht vom 31. Januar 2006) zur Konzentration von Isocyanaten am Arbeitsplatz - ergänzender Stellungnahme vom 3. April 2006) eingeholt.

Dr. S., der einen möglichen Hinweis auf eine allergische Reaktion auf Isocyanat-TDI erhoben hat, der aber hinsichtlich der Wertigkeit fraglich sei, ist im wesentlichen zum Ergebnis gelangt, es bestehe ein sogenanntes intrinsisches Asthma bronchiale, welches durch wiederholt lang anhaltende physikalische oder chemische Reizungen der Atemwege getriggert werde und durch Duftstoffe, Nebel, Staub oder Temperaturveränderungen zu Atemnotanfällen führen könne. Nach Rückverlegung des Arbeitsplatzes in den alten Teil des Gebäudes im Januar 2001 habe sich die Beschwerdesymptomatik gebessert. Zwar hätten die Messungen am Arbeitsplatz nur ein Mal erhöhte Schadstoffkonzentrationen ergeben, doch sei "vorstellbar", dass diese bei einem sensibilisierten Atemwegssystem zu Luftnot führen könnten. Damit liege eine Hyperreagibilität des Bronchialsystems im Rahmen eines intrinsischen Asthma bronchiale vor, die bei subjektiver Angespanntheit unter Einfluss unterschiedlicher äußerer Irritanzien zur Atemnot führen könne, auch wenn diese nicht oberhalb der maximal tolerablen Arbeitsplatzkonzentration (MAK) nachgewiesen werden könnten. Da chronisch-rezidivierende Infekte der Nasennebenhöhlen die Erkrankung getriggert hätten, sei von einer schicksalshaften Manifestation der Erkrankung auszugehen.

Prof. Dr. S. ist zum Ergebnis gelangt, der nachgewiesene Expositionsgrad gegenüber Formaldehyd sei zu niedrig, um die Schwere der geschilderten Symptome, nämlich ein anhaltendes behandlungsbedürftiges Asthma bronchiale, verantworten zu können. Auch ein durch Formaldehydsensibilisierung (Typ I-Allergie) bedingtes Asthma bronchiale sei auszuschließen. Dies gelte auch für eine Verursachung durch Perchlorethylen. Der Grenzwert für Perchlorethylen von 0,1 mg/m³ stelle einen sogenannten Vorsorgewert dar. Der Eingriffswert sei auf 5 mg/m³ festgesetzt, welcher das Dreifache der in den Räumen der Voba zuletzt gemessenen Perchlorethylenkonzentration betrage. Es gebe bisher nur eine veröffentlichte Kasuistik, die eine durch eine einmalige akute hochkonzentrierte Perchlorethylen-Inhalation verursachte Atemwegserkrankung beschreibe. Eine Atemwegserkrankung, ein Asthma bronchiale, im Zusammenhang mit einer chronischen Perchlorethylen-Exposition, sei nicht bekannt. Eine durch flüchtige organische Verbindungen verursachte Atemwegserkrankung liege auch dann nicht vor, wenn von höheren Emissionen in den Jahren 1997 und 1998 ausgegangen werden müsste. Im übrigen habe die Klägerin schon vor dem Umzug unter Atemwegserkrankungen gelitten. Eine zeitlich begrenzte, aber nicht richtungsweisende Zunahme der Symptomatik durch Emission flüchtiger organischer Verbindungen sei "vorstellbar". Es handle sich bei der Klägerin um ein Infekt-Asthma bronchiale, wobei die vor 1998 aufgeführten Atemwegserkrankungen als Vorläufer eines sich schleichend entwickelnden Krankheitsbildes verstanden werden könnten. Daher stehe in der Entstehung eine infektabhängige Ätiopathogenese im Vordergrund. Eine BK nach Nr. 4302 der Anlage zur BKV sei im Ergebnis auszuschließen.

Prof. Dr. D. ist u. a. zum Ergebnis gelangt, eine obstruktive Atemwegserkrankung sei nachgewiesen, wobei es sich höchstwahrscheinlich um ein intrinsisches, nicht-allergisches Asthma bronchiale handle. Die Entstehung sei sehr wahrscheinlich multifaktoriell bedingt. Es sei nicht geklärt, ob die Erkrankung durch Arbeitsplatzbedingungen hergerufen oder verschlimmert sei. Zumindest nach den Schilderungen der Klägerin sei diese Annahme "nicht fernliegend" und könne "keinesfalls ausgeschlossen" werden. Nach Kenntnis des von der Beklagten auf seine Anregung veranlassten Berichtes des Dr. R. vom 31. Januar 2006 (nach den Messergebnissen sei eine Gefährdung der Klägerin durch Isocyanate am Arbeitsplatz auszuschließen) hat Prof. Dr. D. ausgeführt, die Stoffgruppe der Isocyanate komme mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht als Auslöser der Beschwerden der Klägerin in Betracht. Bezüglich der Raumpflege lägen keine weiteren Erkenntnisse vor. Sollte diese nach Dienstschluss erfolgt sein, sei es recht unwahrscheinlich, dass die Reinigungsvorgänge die Ursache der Beschwerden seien. Das Ergebnis der Mitarbeiterbefragung (dessen Beiziehung er ebenfalls angeregt hat) liege nicht vor. Auch wenn es nicht gelinge, den Nachweis eines ursächlichen Zusammenhanges zu erbringen, sei der glaubwürdig vorgetragene zeitliche Zusammenhang doch auffällig. Grundsätzlich bestünde noch die Möglichkeit eines Reexpositionsversuchs. Falls danach eine messbare Reaktion auftrete, wäre "auch ohne Nachweis eines konkreten Auslösers" die Wahrscheinlichkeit einer berufsbedingten Verursachung der Atemwegserkrankung genauer abzuschätzen.

Die Klägerin hat u. a. noch die Aufzeichnungen über eine Mitarbeiterbefragung vorgelegt.

Mit Urteil vom 27. Oktober 2006 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK nach Nr. 4302 der Anlage zur BKV lägen nicht vor. Zwar bestehe eine obstruktive Atemwegserkrankung, doch sei der Nachweis einer beruflichen Verursachung nicht erbracht. Eine schädigende Einwirkung sei nicht bewiesen und auch der weiter erforderliche wahrscheinliche Ursachenzusammenhang der Erkrankung mit einer solchen sei nicht erwiesen.

Gegen das am 08. Januar 2007 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 05. Februar 2007 Berufung eingelegt. Sie trägt im wesentlichen vor, das Vorliegen der Atemwegserkrankung sei nachgewiesen. Nach den Ausführungen von Prof. Dr. D. sei noch nicht geklärt, ob die Erkrankung durch Arbeitsplatzbedingungen hervorgerufen oder verschlimmert worden sei. Wie er dargelegt habe, sei ein solcher Zusammenhang ("von den Schilderungen der Versicherten her") nicht fernliegend und könne keinesfalls ausgeschlossen werden. Er habe im übrigen angeregt, das Protokoll der Mitarbeiterbefragung vorzulegen und die Frage einer Exposition wegen Isocyanaten sowie die Möglichkeit intermittierender, kurzfristiger Konzentrationsspitzen, z.B. in Folge einer morgendlichen Reinigung, durch den Präventionsdienst abzuklären. Die Aufzeichnungen über die Mitarbeiterbefragung habe sie dem SG vorgelegt, mit der Anregung sie Prof. Dierkesmann zur Stellungnahme weiterzureichen. Dies habe das SG zu Unrecht unterlassen. Außerdem hätte es einen Reexpositionsversuch durchführen müssen. Angesichts der Entwicklung der Erkrankung sei von einem ursächlichen Zusammenhang mit den arbeitsplatzbezogenen Einwirkungen auszugehen. Ein zeitlicher Zusammenhang sei evident und eine Verursachung durch andere Faktoren auszuschließen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 27. Oktober 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 09. Januar 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. März 2001 aufzuheben, das Vorliegen einer Berufskrankheit gemäß Nr. 4302 der Anlage zur BKV festzustellen sowie die Beklagte zu verurteilen, Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Nach ihren Feststellungen sei die Klägerin während der versicherten Tätigkeit keiner Gefährdung ausgesetzt gewesen, durch die eine BK nach Nr. 4302 der Anlage zur BKV entstehen könne. Dies ergebe sich aus allen Messungen und sonstigen Feststellungen. Insofern sei auf den Ermittlungsbericht vom 31. Januar 2006 zu verweisen. Die Relevanz einer Mitarbeiterbefragung erschließe sich nicht. Es sei bereits die haftungsbegründende Kausalität für eine BK nicht gegeben.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung, über die der Senat aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet.

Da die Beklagte jedwede Entschädigung ablehnt, weil kein Versicherungsfall eingetreten sei, kann die Klägerin eine Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG erheben. Dies hat die Klägerin bei sinnentsprechender Auslegung ihres Vorbringens (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 07. September 2004, B 2 U 45/03 R in SozR 4-2700 § 2 Nr. 2) auch getan. Dem auf Entschädigung gerichteten Teil des gestellten Antrages kommt bei dieser Sachlage keine eigenständige Bedeutung zu (BSG, a.a.O.).

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung des Vorliegens einer BK nach Nr. 4302 der Anlage zur BKV.

BKen sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung oder mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, Erkrankungen in der Rechtsverordnung als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (§ 9 Abs. 1 Satz 2 erster Halbsatz SGB VII). Hierzu zählen nach Nr. 4302 der Anlage zur BKV durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.

Für die Anerkennung einer Erkrankung als BK Nr. 4302 müssen also folgende Voraussetzungen erfüllt sein: Die Klägerin muss aufgrund ihrer versicherten Tätigkeit chemisch-irritativ oder toxisch wirkenden Stoffen ausgesetzt gewesen sein, sie muss an einer obstruktiven Atemwegserkrankung leiden und diese Erkrankung muss durch die versicherten Einwirkungen verursacht worden sein sowie die Klägerin zum Unterlassen aller gefährdenden Tätigkeiten gezwungen haben.

Ausgehend hiervon stellt der Senat zunächst fest, dass die Klägerin an einer obstruktiven Atemwegserkrankung leidet. Nach den übereinstimmenden Feststellungen sämtlicher Sachverständiger liegt bei ihr ein Asthma bronchiale vor, wobei dieses von Dr. S. als intrinsisches und von Prof. Dr. S. synonym (vgl. Pschyrembel 261. Auflage, Stichwort Asthma bronchiale, S. 164 , 2. Spalte) als infektbedingtes Asthma bronchiale bezeichnet wird. Auch Prof Dr. D. ist zu dem Ergebnis gelangt, dass es sich bei der obstruktiven Atemwegserkrankung der Klägerin höchstwahrscheinlich um ein intrinsisches, nicht allergisches Asthma bronchiale handelt.

Des weiteren stellt der Senat anhand der Ergebnisse der am Arbeitplatz der Klägerin durchgeführten Messungen fest, dass am Arbeitplatz der Klägerin (Zimmer 143) bzw. in dem durch eine Verbindungstür getrennten Nachbarraum (Zimmer 144) bei der ersten Untersuchung im Juni/Juli 1999 Formaldehyd- und Perchlorethylen-Konzentrationen der Klasse C (= auffällig, da höher als 95% der Haushalte) festgestellt wurden. Bei der zweiten Messung im Oktober 1999 lagen die Werte für beide Stoffe im unauffälligen Bereich (Klasse A). Bei der dritten Messung im Februar 2000 fanden sich im Zimmer der Klägerin (143) für beide Stoffe unauffällige Werte (Klasse A), während im Zimmer 144 - neben einem unauffälligen Wert für Formaldehyd - für Perchlorethylen ein Wert der Klasse D (= über dem Maximalwert) in Höhe von 1,585 mg/m3 gemessen wurde. Damit wurde der Grenzwert von 0,1 mg/m3 um das nahezu 16-fache überschritten. Die im Mai 2000 durchgeführten Messungen auf flüchtige Lösungsmittel (u.a. Perchlorethylen) in den Zimmern 143 und 144 erbrachten wiederum unauffällige Werte (Klasse A). Schließlich zeigten die Raumluftproben, die im November 2005 in den Zimmern 143 und 144 vorgenommen wurden, keine bestimmbaren Isocyanat-Gehalte.

Die erhöhten Werte in Bezug auf Formaldehyd und Perchlorethylen im Juli 1999 im Vergleich mit den unauffälligen Werten im Oktober 1999 wurden von der untersuchenden Fa. A. Infutec Consult AG auf die im Juli 1999 herrschenden ungünstigen raumluftklimatischen Verhältnisse (äußerst geringe Luftwechselrate bei gleichzeitig stark erhöhten Raumtemperaturen) zurückgeführt, während für den den Maximalwert übersteigenden Wert an Perchlorethylen im Zimmer 144 wahlweise die Emissionen von in anderen Räumen nicht vorhandenen Einrichtungsgegen-ständen oder ein Eintrag von außen als ursächlich in Erwägung gezogen wurde, aber nicht durch die Außenluft, da ansonsten auch der Raum 143 erhöhte Messwerte hätte zeigen müssen.

Dass in der Zeit vor den durchgeführten Messungen, d.h. ab dem Wechsel des Arbeitsplatzes der Klägerin in die neuen Geschäftsräume der Voba im Dezember 1997, eine vergleichbare oder gar höhere Konzentration von Perchlorethylen, Formaldehyd oder sonstigen flüchtigen Lösungsmitteln vorgelegen hat, ist nicht nachgewiesen und auch im nachhinein nicht mehr feststellbar. Es ist nicht ersichtlich, dass ohne gezieltes Einbringen entsprechender Stoffe ein höheres Messergebnis zu erzielen wäre. Gegen eine entsprechend erhöhte Konzentration vor den erfolgten Untersuchungen spricht im übrigen das Ergebnis der Messungen im Jahr 1999. Der Senat sieht auch keine Veranlassung zu weiteren Ermittlungen, da der Sachverhalt - soweit möglich - insoweit geklärt ist. Aus den von der Klägerin dem SG noch vorgelegten Aufzeichnungen über eine Mitarbeiterbefragung ergibt sich nichts, was eine andere, als die durch die genannten Messungen festgestellte Schadstoffbelastung am Arbeitsplatz der Klägerin belegen könnte.

Angesichts der bei den Raumluftmessungen im November 2005 nicht nachweisbaren Isocyanat-Gehalte gibt es keine objektiven Anhaltspunkte für eine entsprechende Belastung in der streitigen Zeit bis zum Wechsel des Arbeitsplatzes im Jahr 2001. Auch insoweit erbringen die von der Klägerin vorgelegten Aufzeichnungen über eine "Mitarbeiterbefragung" keinen Nachweis einer konkreten Exposition der Klägerin gegenüber Schadstoffen.

Die durch die genannten Messungen nachgewiesene Schadstoffbelastung am Arbeitsplatz der Klägerin ist aber nicht mit Wahrscheinlichkeit wesentlich ursächlich für die bei ihr vorliegende obstruktive Atemwegserkrankung.

Für den Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkungen und Erkrankungen im Berufskrankheitenrecht gilt, wie auch sonst in der gesetzlichen Unfallversicherung, die Theorie der wesentlichen Bedingung, die das Bundessozialgericht in der Entscheidung vom 6. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R (SozR 4-2700 § 8 Nr 17 = BSGE 96, 196-209) zusammengefasst dargestellt hat. Die Theorie der wesentlichen Bedingung hat zur Ausgangsbasis die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie, nach der Ursache eines Erfolges jedes Ereignis ist, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Aufgrund der Unbegrenztheit der Bedingungstheorie werden im Sozialrecht als rechtserheblich aber nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. "Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben). Gesichtspunkte für die Beurteilung der Wesentlichkeit einer Ursache sind insbesondere die versicherte Ursache bzw. das Ereignis als solches, einschließlich der Art und des Ausmaßes der Einwirkung, konkurrierende Ursachen unter Berücksichtigung ihrer Art und ihres Ausmaßes, der zeitliche Ablauf des Geschehens und Rückschlüsse aus dem Verhalten des Verletzten nach dem Unfall, den Befunden und Diagnosen der erstbehandelnden Ärzte sowie der gesamten Krankengeschichte. Trotz dieser Ausrichtung am individuellen Versicherten ist der Beurteilung des Ursachenzusammenhangs im Einzelfall der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand über die Ursachenzusammenhänge zwischen Ereignissen und Gesundheitsschäden zugrunde zu legen. Beweisrechtlich ist zu beachten, dass der Ursachenzusammenhang nach der Theorie der wesentlichen Bedingung positiv festgestellt werden muss und hierfür hinreichende Wahrscheinlichkeit genügt, nicht jedoch die bloße Möglichkeit.

Abweichend von einem Arbeitsunfall mit seinem zeitlich begrenzten Ereignis, das oftmals relativ eindeutig die allein wesentliche Ursache für einen als Unfallfolge geltend gemachten Gesundheitsschaden ist, ist die Beurteilung des Ursachenzusammenhangs bei BKen in der Regel schwieriger. Denn angesichts der multifaktoriellen Entstehung vieler Erkrankungen, der Länge der zu berücksichtigenden Zeiträume und des Fehlens eines typischerweise durch berufliche Einwirkungen verursachten Krankheitsbildes bei vielen BKen, stellt sich letztlich oft nur die Frage nach einer wesentlichen Mitverursachung der Erkrankung durch die versicherten Einwirkungen (BSG Urteil vom 27. Juni 2007 - B 2 U 7/05 R - UV-Recht Aktuell 2006, 510-515; Juris).

Nach diesen Grundsätzen stellt der Senat mit dem Sachverständigen Dr. S. fest, dass - auf der ersten Prüfungsstufe der Kausalität - die Atemnotzustände, an denen die Klägerin im Rahmen der obstruktiven Atemwegserkrankung litt, durch physikalische und chemische Reizungen der Atemwege hervorgerufen werden können, zu denen auch die am Arbeitsplatz der Klägerin festgestellten Schadstoffe beitragen können. Auch Prof. Dr. S. bezeichnet es als vorstellbar, dass durch Emissionen flüchtiger organischer Verbindungen eine zeitlich begrenzte Zunahme der Symptomatik eintrat.

In der zweiten Stufe der Kausalitätsprüfung muss jedoch festgestellt werden, dass nach den Darlegungen beider Sachverständigen das Asthma bronchiale verbunden mit einer leicht-mittelgradigen unspezifischen Hyperreagibilität wesentlich verursacht wurde durch wiederkehrende Infekte der Atemwege, wie sie vor der angeschuldigten Schadstoffexposition im neuen Gebäude der Voba im Vorerkrankungsverzeichnis seit 1992 aufgeführt und auch vom behandelnden Arzt Dr. R. insbesondere im Juni 1997 (Reizhusten, Luftnot, "Druck auf die Bronchien", allgemeine Abgeschlagenheit und Leistungsschwäche, Arbeitsunfähigkeit für 5 Tage) dokumentiert wurden. Diese Erkrankungen sind mit Prof. Dr. S. als Vorläufer des sich schleichend entwickelnden Infekt-Asthma bronchiale anzusehen, das erstmals im Juni 1997 in ein Krankheitsbild mit ausgeprägter Symptomatik überging und sich über die Jahre weiter verstärkte. Gegen einen wesentlichen ursächlichen Zusammenhang zwischen den angeschuldigten Einwirkungen und der Erkrankung der Klägerin spricht auch, dass nach Aktenlage der Umzug in die neuen Räumlichkeiten Ende 1997 nicht sofort zu einer erheblichen Beschwerdezunahme führte, sondern erst im Januar 1999 die von Dr. M. genannten Symptome auftraten, die - erst - im Februar 1999 auch zu einer Zeit der Arbeitsunfähigkeit führten. Darauf weist auch Prof. Dr. D. hin, der eine Latenzzeit von etwa einem Jahr als ungewöhnlich bezeichnet. Darüber hinaus sind die gemessenen Konzentrationen von Perchlorethylen und Formaldehyd, auch unter der Annahme, dass sie im Arbeitsraum der Klägerin wiederholt auftraten, so gering, dass sie allenfalls leichtgradige und nach Expositionsende sofort reversible Beschwerden auslösen können. Der Senat entnimmt insoweit dem Gutachten von Prof. Dr. Schulz, dass in Bezug auf Formaldehyd ein Konzentrationsbereich von 0,1-0,2 ppm als Wirkungsschwelle bezeichnet wird, bei der erste Atemwegsreizungen auftreten können. Die unteren Atemwege und damit das Bronchialsystem werden aber erst bei einer inhalativen Formaldehydkonzentration von 2-5 ppm erreicht. Eine solche wurde aber niemals erreicht. In Bezug auf Perchlorethylen gibt es keine Untersuchung, die einen ursächlichen Zusammenhang zwischen einer chronischen Perchlorethylen-Exposition und einem Asthma bronchiale herstellt. Somit überzeugt den Senat die Beurteilung von Dr. S. und Prof. Dr. S. dass ein wesentlicher ursächlicher Zusammenhang zwischen den Einwirkungen und der Erkrankung nicht - auch nicht im Sinne einer richtunggebenden Verschlimmerung- besteht.

Soweit der auf Antrag der Klägerin gehörte Prof. Dr. D. einen ursächlichen Zusammenhang "nicht ausschließt" und weitere Ermittlungen angeregt hat, ergibt sich hieraus nichts anderes. Der Sachverständige hat selbst darauf hingewiesen, dass die nach Aktenlage vorhandene Latenzzeit von einem Jahr zwischen dem Umzug und dem Auftreten verstärkter Beschwerden gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht. Wenn er nun "in Anbetracht dessen, dass die Klägerin einen so klaren zeitlichen Zusammenhang zwischen ihren Beschwerden und dem Aufenthalt am Arbeitplatz angibt" weitere Nachforschungen am Arbeitplatz verlangt, widerspricht er seiner eigenen Einschätzung. Für weitere Ermittlungen des Senats hinsichtlich der beruflichen Belastungen besteht auch aus den oben genannten Gründen kein Anlass. Im übrigen hat der Senat auch keine Veranlassung gesehen, Prof. Dr. D. zu den Aufzeichnungen über die Mitarbeiterbefragung zu hören, zumal eine nochmalige Anhörung des Prof. Dr. D., der vom SG auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG gehört worden ist, nicht nach dieser Vorschrift beantragt wurde. Das SG hat auch zu Recht keinen Reexpositionsversuch veranlasst. Prof. Dr. D. nennt einen solchen - aufwändigen - Versuch trotz seiner eigenen Anregung in seiner Relevanz unklar. Dies trifft zu, da die vorgeschlagenen Lungenfunktionsmessungen am alten Arbeitsplatz, auch wenn sie eine messbare Reaktion zeigen würden, ohne den Nachweis eines konkreten Auslösers einen wahrscheinlichen ursächlichen Zusammenhang zwischen Einwirkung und Erkrankung im Sinne einer BK Nr. 4302 nicht beweisen könnten. Im übrigen dürften infolge Zeitablaufs die 1999 bis 2001 vorhandenen Verhältnisse am früheren Arbeitsplatz der Klägerin nicht mehr rekonstruierbar sein.

Damit steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die gesundheitlichen Beschwerden der Klägerin nicht beruflich verursacht sind. Das zeitweilige Auftreten verstärkter Beschwerden in zeitlichem Zusammenhang mit der angeschuldigten Tätigkeit im Zeitraum von Januar 1999 bis Dezember 2000 reicht nicht aus, um einen ursächlichen Zusammenhang und damit das Vorliegen einer BK nach Nr. 4302 der Anlage zur BKV festzustellen. Da das SG somit zu Recht die Klage abgewiesen hat, ist die Berufung zurückzuweisen.

Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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