L 8 Kr 1111/79

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 9a Kr 22/78
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 Kr 1111/79
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die Arbeitsunfähigkeit ist ein Rechtsbegriff, dessen Voraussetzungen anhand ärztlich erhobener Befunde allein von den Krankenkassen und im Rechtsstreit von den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit festzustellen sind.
2. Das Attest mit der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit hat daher lediglich die Bedeutung eines medizinischen Gutachtens, das die Grundlage für den über den Krankengeldbezug zu erteilenden Verwaltungsakt des Versicherungsträgers (Krankenkasse) bildet.
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 22. August 1979 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Krankengeld für die Zeit vom 23. August bis zum 1. Dezember 1977.

Der im Jahre 1938 geborene Kläger ist spanischer Staatsangehöriger und bei der Beklagten gegen Krankheit versichert. Am 13. Mai 1977 trat er seinen Urlaub an und reiste nach Spanien, wo er am 25. Mai 1977 wegen "Ulcera de duodeno” arbeitsunfähig krank wurde. Wiederholt bescheinigte die Delegacion Provincial Guipuzcoa des Instituto Nacional de Prevision (Nationale Vorsorgeanstalt) die Arbeitsunfähigkeit, zuletzt mit dem Formblatt vom 2. Dezember 1977, das bei der Beklagten am 8. Dezember 1977 einging. Nach der Rückkehr des Klägers in die Bundesrepublik Deutschland im Dezember 1977 ließ sie ihn durch seinen Hausarzt, den Internisten Dr. (Gießen), am 20. Dezember 1977 untersuchen und begutachten. In Auswertung der seit dem 29. Juni 1977 gefertigten Röntgenaufnahmen und erhobenen Befunde gelangte Dr. zu der Auffassung, daß die Arbeitsunfähigkeit in Spanien längstens bis zum 22. August 1977 angedauert habe. Unter Anrechnung der Lohnfortzahlung bis zum 5. Juli 1977 gewährte die Beklagte mit dem Bescheid vom 12. Januar 1978 für die Zeit vom 6. Juli bis zum 22. August 1977 Krankengeld; die Weitergewährung über den 22. August 1977 hinaus lehnte sie im Hinblick auf das Gutachten von Dr. ab. Gegen diesen ihm am gleichen Tage ausgehändigten Bescheid legte der Kläger am 3. Februar 1978 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19. April 1978 zurückwies.

Gegen diesen ihm am 20. April 1978 zugestellten Widerspruchsbescheid hat der Kläger bei dem Sozialgericht Gießen – SG – am 10. Mai 1978 Klage erhoben und unter Vorlage weiterer ärztlicher Bescheinigungen des Instituto Nacional de Prevision, in denen die Arbeitsunfähigkeit bis zum 1. Dezember 1977 attestiert ist, geltend gemacht, daß die Beklagte an diese Bescheinigungen gebunden sei.

Mit Urteil vom 22. August 1979 hat das SG unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide die Beklagte verurteilt, dem Kläger auch für die Zeit vom 23. August bis 1. Dezember 1977 Krankengeld zu gewähren. Es sei unerheblich, ob objektiv tatsächlich Arbeitsunfähigkeit vorgelegen habe. Die von den spanischen Kassenärzten festgestellte Arbeitsunfähigkeit könne nicht rückwirkend gegenstandslos gemacht werden.

Gegen dieses ihr am 29. August 1979 zugestellte Urteil hat die Beklagte bei dem SG am 24. September 1979 Berufung eingelegt. Sie bringt zu ihrer Begründung vor: Bei Zweifeln über das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit während des Auslandsaufenthalts dürfe sie diese nachprüfen. Diese Überprüfung habe ergeben, daß der Kläger ab dem 23. August 1977 nicht mehr arbeitsunfähig gewesen sei.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 22. August 1979 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der nicht im Termin zu mündlichen Verhandlung vertretene Kläger beantragt (sinngemäß),
die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und meint, daß an seiner Arbeitsunfähigkeit für die Zeit vom 23. August bis 1. Dezember 1977 keine begründeten Zweifel bestünden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungs- und Streitakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte entscheiden, obwohl der Kläger weder im Termin zur mündlichen Verhandlung erschienen noch in ihm vertreten war. Seine Prozeßbevollmächtigte ist in der ordnungsmäßig erfolgten Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden (§ 110 Sozialgerichtsgesetz – SGG –). Sie hat auch erklärt, daß nach Lage der Akten entschieden werden könne.

Die statthafte Berufung ist frist- und formgerecht eingelegt und daher zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG).

Sie ist auch begründet. Das auf die zulässige Klage ergangene sozialgerichtliche Urteil konnte nicht aufrecht erhalten bleiben, da das SG ihr zu Unrecht stattgegeben hat. Der Bescheid vom 12. Januar 1978 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juni 1978 (§ 95 SGG) ist nicht rechtswidrig. Der Kläger hat für die Zeit vom 23. August bis zum 1. Dezember 1977 keinen Anspruch auf die Gewährung von Krankengeld, da für diesen Zeitraum keine Arbeitsunfähigkeit bestand (§ 182 Abs. 1 Nr. 2 Reichsversicherungsordnung – RVO –).

Zutreffend ist allerdings das SG zunächst davon ausgegangen, daß für den geltend gemachten Krankengeldanspruch des Klägers, der spanischer Staatsangehöriger ist und bei der Firma Gail AG in Gießen seit November 1971 arbeitet, deutsches Recht anzuwenden ist. Spanische Staatsangehörige sind den deutschen gleichgestellt (Art. 4, 6, 16 Abs. 3 der Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Spanischen Staat über soziale Sicherheit vom 29. Oktober 1959 – BGBl. II 1961 S. 599 – bzw. vom 4. Dezember 1973 – BGBl. II 1977 S. 687 – i.d.F. der dazu ergangenen Gesetze vom 16. Juni 1961 – BGBl. II S. 590 – und vom 29. Juli 1977 – BGBl. II S. 685 –).

Nach § 182 Abs. 1 Nr. 2 S. 1 RVO wird Krankengeld als Teil der Krankenhilfe gewährt, wenn die Krankheit den Versicherten arbeitsunfähig macht. Nach der Rechtsprechung des Senats und des Bundessozialgerichts ist Voraussetzung für die Zahlung von Krankengeld, daß Arbeitsunfähigkeit festgestellt wurde. Es ist dann nicht zu gewähren, wenn es für eine Zeit der Arbeitsunfähigkeit im Ausland geltend gemacht wird und ernsthafte Zweifel an der im Ausland ärztlich festgestellten Arbeitsunfähigkeit bestehen (vgl. BSG, Urteil vom 19. März 1970 – 5 RKn 47/67 – in KVRS 2310/10; Hess. LSG, Urteil vom 26. September 1979 – L-8/Kr-1458/78 –). Die Arbeitsunfähigkeit ist ein Rechtsbegriff, dessen medizinischen Voraussetzungen der Arzt lediglich festzustellen hat. Es ist Sache des Versicherungsträgers und der im Rechtsstreit damit befaßten Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit dazu Feststellungen zu treffen, ob die objektiven medizinischen Befunde den Rechtsbegriff der Arbeitsunfähigkeit ausfüllen. Das Attest mit der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit hat daher lediglich die Bedeutung eines medizinischen Gutachtens, das die Grundlage für den über den Krankengeldbezug zu erteilenden Verwaltungsakt des Versicherungsträgers (Krankenkasse) bildet. Würde die ärztliche Feststellung eine uneingeschränkt bindende Wirkung auslösen, so wären bei der Anfechtung des Bescheides über das Krankengeld sowohl der Versicherungsträger als auch die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit unzulässig gebunden (vgl. BSG a.a.O. und Urteil vom 24. Februar 1976 – 5 RKn 26/75 –; Hess. LSG a.a.O.; Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Anm. 13 b zu § 182 RVO).

Nach diesen Grundsätzen ergeben sich nach dem von dem Kläger für die Zeit vom 23. August bis zum 1. Dezember 1977 geltend gemachten Krankengeldanspruch keine objektiv erhobenen Befunde, die die Annahme der Arbeitsunfähigkeit rechtfertigen. Dem stehen die im Verwaltungs- aber auch gerichtlichen Verfahren vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen nicht entgegen. Für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit sind bei der Art der Erkrankung des Klägers, nämlich eines Ulcus duodeni, von maßgeblicher Bedeutung die Röntgenbefunde. Diese sind nach Rückkehr des Klägers durch dessen behandelnden Facharzt für innere Medizin Dr. am 20. Dezember 1977 ausgewertet worden. Ihm lagen die Röntgenaufnahmen aus Spanien seit dem 23. Juni bis zum 7. Oktober 1977 vor. Aufgrund dieser ist erwiesen, daß ein Geschwür jedenfalls seit dem 23. August 1977 nicht mehr vorhanden war. Daraus und aus den von Dr. erhobenen Befunden hat die Beklagte nach dessen überzeugenden Gutachten zutreffend festgestellt, daß seit dem 23. August 1977 keine Arbeitsunfähigkeit mehr bestanden hat. Soweit der Kläger die Auffassung vertritt, daß die Beklagte verpflichtet gewesen sei, bei Zweifeln an der Richtigkeit der spanischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, eine vertrauensärztliche Untersuchung herbeizuführen (§ 369 b Abs. 1 Nr. 2 RVO) und mit der Anhörung des Dr. dieser Pflicht nicht genügt sei, kann er keinen Erfolg haben. Daraus läßt sich kein Anspruch auf Krankengeld herleiten. Im gerichtlichen Verfahren sind entgegen der Auffassung des Klägers und des SG die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen eines Arztes uneingeschränkt überprüfbar, wobei im Rahmen der freien Beweiswürdigung auch die von den Beteiligten beigebrachten Gutachten uneingeschränkt zu würdigen sind (§ 128 SGG; vgl. auch BSG, Besch. vom 31. Mai 1963 – 2 RU 231/62 – in SozR. Nr. 66 zu § 128).

Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 193, 160 SGG.
Rechtskraft
Aus
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