L 9 U 5297/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 2 U 3780/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 5297/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 19. September 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Höhe der Rente auf Grund des Arbeitsunfalls vom 11.6.2001.

Der 1943 geborene Kläger befand sich am 11.6.2001 als Passagier in einem zweimotorigen Flugzeug auf einer Dienstreise. Bei einer Notlandung streifte es einen Strommasten, wobei der Kläger verletzt wurde. Er wurde zunächst vom 11.6. bis 22.6.2001 im Klinikum Passau stationär behandelt. Der Leitende Arzt für Unfallchirurgie O. stellte beim Kläger folgende Diagnosen: LWS-Prellung mit Verdacht auf LWK IV-Fraktur, Gesichtsschädelprellung mit Verdacht auf Zahnfraktur, stumpfes Bauchtrauma. Nach Verlegung des Klägers in die Abteilung für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie im Klinikum Sch. G. (stationärer Aufenthalt vom 22. bis 29.6.2001) diagnostizierte der Chefarzt Dr. W. beim Kläger folgende Gesundheitsstörungen: "BWK-I-Kompressionsfraktur, BWK-XII-Spaltbruch ohne Hinterkantenbeteiligung, LWK-II-Kompressionsfraktur, Zahnfraktur Schneidezahn links oben".

Vom 15.10.2001 bis 19.3.2002 wurden Maßnahmen zur stufenweisen Wiedereingliederung in das Erwerbsleben durchgeführt. Am 19.3.2002 stellte Dr. W. Arbeitsfähigkeit ab diesem Tag fest.

Wegen einer lumbalen Spinalkanalstenose LWK 2/3, 3/4 und 4/5 wurde beim Kläger am 4.6.2002 in der Klinik für Neurochirurgie in G. (stationär 2.6. bis 10.6.2002) eine selektive Radikulodekompression LWK 2/3, 3/4, 4/5 links und LWK 2/3 und 3/4 rechts bei Intaktlassen der Bandscheiben durchgeführt. Danach befand sich der Kläger zu einem Anschlussheilverfahren vom 10.6. bis 29.6.2002 in der Fachklinik E ...

Die Beklagte holte eine Auskunft bei Dr. P. vom 8.8.2002 (Behandlung wegen einer Lumbago am 14.9.1992) ein und beauftragte Dr. Sch., Chefarzt des Instituts für Diagnostische Radiologie, mit der Erstattung eines Gutachtens nach Aktenlage. Im Gutachten vom 18.10.2002 führte Dr. Sch. aus, auf Grund des Unfalls sei es zu einer Deckplattenkompression des BWK 1, einem Spaltbruch des BWK 12 mit Zertrümmerung der rechten Corpushälfte, einer Schädigung der Bandscheiben zwischen BWK 12 und LWK 1 und einer Einstauchung der Unterseite des LWK 2 gekommen. Die Veränderungen am BWK 12 und LWK 2 führten zu einer Kyphosierung dieses Bereichs bei ca. 12 °und zu einer leichten rechtsgerichteten Skoliose. Während die Verletzung des BWK 1 praktisch ohne bleibende Residuen ausgeheilt sei, komme es am BWK 12 zu einer konstitutiven weiteren Verformung. Unfallunabhängig bestünden eine erhebliche Adipositas sowie degenerative Veränderungen an HWS, BWS und LWS. Die Bandscheibenprotrusionen an HWS und LWS führten zu einer deutlichen Spinalstenose. Die unfallunabhängigen Veränderungen an der LWS hätten zu einer selektiven Radikulodekompression geführt. Wesentliche Unfallfolge seien die Veränderungen um den BWK 12 mit Spinalkanalstenose und Konuskompression. Inwieweit der Unfall, der als ein überwiegend axial einwirkendes Stau-chungstrauma erfolgt sei, sich auf die vorbestehenden degenerativen Veränderungen verschlim-mernd ausgewirkt habe, vermöge er quantitativ nicht zu bewerten; qualitativ mögliche Ver-schlimmerungen sollten zwischenzeitlich abgeklungen seien. Er könne die Frage nicht beant-worten, ob über den 18.3.2002 hinaus Behandlungsbedürftigkeit wegen der Unfallfolgen bestan-den und bis wann eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit vorgelegen habe.

Anschließend beauftragte die Beklagte Prof. Dr. S., Chefarzt der Neurologischen Klinik des Christophsbad G., mit der Begutachtung des Klägers. Dieser diagnostizierte im Gutachten vom 28.4.2003 beim Kläger ein Polytrauma (11.6.2001) mit Schädel-Hirn-Trauma Grad 1, Lockerung des oberen Schneidezahnes links, Wurzelkompression C 6 bis C 8 links, Rippenfrakturen 11 und 12 rechts, Wirbelkörperfrakturen, Kompressionsfrakturen BWK 1, 12 und LWK 1 sowie ein Verdacht auf eine leichte Myelopathie. Unfallunabhängig bestünden degenerative Veränderungen an der Hals- und Lendenwirbelsäule, betont C 3 bis Th 4 sowie L 2/3 bis L 5/S 1. Unklar bleibe, inwieweit die sich mit Latenz entwickelte Spinalkanalstenose Unfallfolge sei. Man könne nicht ausschließen, dass es durch die schweren Unfallfolgen mit Frakturen in Höhe BWK 12 und LWK 2 zu einer zusätzlichen Wirbelsäulenschädigung gekommen sei mit Instabilität, Schmerzen, radikulären und pseudo-radikulären Beschwerden und schließlich im Rahmen von reparativen Vorgängen zur Entwicklung einer Spinalkanalstenose. Deswegen würde er diese sowie die postoperativ objektivierten Wurzelkompressionsfolgen L 4 bis S 1 zumindest zeitlich begrenzt als Unfallfolge deuten. Für folgende Gesundheitsstörungen halte er den ursächlichen Zusammenhang mit dem Unfall für wahrscheinlich: Radikuläre Beschwerden im Bereich der linken Hand (C 7), leichte Myelopathie mit leichter neurogener Blasenstörung, chronische Lumbago mit Folgen einer sekundär sich entwickelten Spinalkanalstenose mit Wurzelkompression L 4 bis S 1 links und L 5 betont. Die MdE für die Unfallfolgen schätze er seit Wegfall der Arbeitsunfähigkeit auf 40 vH. Die unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit habe bis Februar 2003 bestanden.

Prof. Dr. S., Direktor der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, führte im Gutachten vom 17.7.2003 aus, als wesentliche Unfallfolgen lägen noch eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung der BWS und LWS bei Zustand nach BWK 12-Fraktur mit Höhenminderung ohne Hinterkantenbeteiligung, ein Vakuumphänomen der Bandscheibe BWK 12/LWK 1 nach traumatischer Zerreißung sowie eine LWK 2-Fraktur mit Teilwirbelbildung, eine endgradige Bewegungseinschränkung im Bereich der HWS bei Zustand nach BWK I-Kompressionsfraktur sowie eine Fußheberschwäche links vor. Die unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit habe bis 19.3.2002 bestanden. Die stationäre Behandlung in der Neurochirurgischen Abteilung des Bezirkskrankenhauses Günzburg sowie das Anschlussheilverfahren seien nicht auf dem Unfall zurückzuführen, da es sich - wie im Gutachten von Dr. Sch. beschrieben - um alte Veränderungen handle. Die MdE für die Unfallfolgen liege seit Wegfall der Arbeitsunfähigkeit bei 20%.

Der Chirurg Prof. Dr. R. führte in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 8.9.2003 aus, der MdE-Einschätzung mit 40 vH durch Prof. Dr. S. könne nicht gefolgt werden, weil die Spinalkanalstenose mit nachfolgender operativer Behandlung als unfallunabhängig angesehen werden müsse. Die neurogene Blasenstörung sowie die chronische Lumbago seien unfallunabhängig. Auf Grund der leichten Myelopathie könne die MdE auf neurologischem Gebiet mit 10 vH eingeschätzt werden. Unter Berücksichtigung der Unfallfolgen auf chirurgischem Gebiet würde die Gesamt-MdE 30 vH betragen.

Der Chirurg Dr. S. schlug in der Stellungnahme vom 5.11.2003 eine urologische und eine erneute neurologische Begutachtung vor.

PD Dr. R., Chefarzt a. D. der Neurologischen Klinik am Klinikum L., führte im Gutachten vom 22.11.2003 aus, auf neurologischem Fachgebiet finde sich eine diskrete Sensibilitätsstörung an der linken Hand im Verein mit einer geringen Beugebeeinträchtigung der betroffenen Finger sowie eine leichte motorische Beeinträchtigung in den Fuß- und Zehengelenken links. Diese Symptome und die Beschwerden der LWS seien auf eine Wurzelschädigung C 7 links sowie auf eine lumbale Wurzelschädigung mit Schwerpunkt L 5 links zurückzuführen. Die Wurzelläsion C 7 links sei als unfallbedingte abgegrenzte, aber fortbestehende Verschlimmerung einer vorbestehenden Schädigung zu interpretieren. Die lumbale Wurzelsymptomatik links sei in Übereinstimmung mit den Ausführungen von Prof. Dr. R. nicht ursächlich mit dem Unfall im Zusammenhang zu bringen. Die Sensibilitätsstörungen an der oberen Extremität führten zu einer MdE von höchstens 10 vH. Die Beantwortung der Frage, ob die Blasenfunktionsstörung unfallbedingt sei, obliege dem urologischen Gutachter.

Prof. Dr. P. führte beim Kläger eine urodynamische Untersuchung durch und berichtete im Arztbrief an den Sachverständigen Fleck vom 6.2.2004, beim Kläger bestehe eine obstruktive Blasenentleerungsstörung mit reaktiver Detrusorhyperkontraktibilität und mäßigen sekundären Veränderungen der Harnblase bei Blasenhalsstenose und gering vergrößerter Prostata. Einen Hinweis für eine neurogene Störung gebe es nicht. Ein Zusammenhang mit dem Unfallereignis vom 11.6.2001 bestehe nicht. Der Urologe Fleck gelangte im Gutachten vom 14.3.2004 unter Mitberücksichtigung des Arztbriefes von Prof. Dr. P. zum Ergebnis, die Beschwerden des Klägers (2 bis 3-malige Nykturie, Miktion 4 bis 5-mal am Tag) seien auf eine Prostatahyperplasie mit chronischer Prostatitis zurückzuführen. Ein Unfallzusammenhang bestehe nicht.

Dr. S. schlug auf Grund der vorliegenden Gutachten in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 21.4.2004 eine MdE vom 25. vH vor.

Mit Bescheid vom 26.4.2004 gewährte die Beklagte dem Kläger ab 19.3.2002 wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 11.6.2001 eine Rente nach einer MdE um 25. vH. Sie führte aus, bei der Bewertung der MdE habe sie folgende gesundheitlichen Beeinträchtigungen berücksichtigt: "Anteilige schmerzhafte Bewegungseinschränkung der Brust- und Lendenwirbelsäule nach Brüchen des 1. und 12. Brustwirbelkörpers sowie des 2. Lendenwirbelkörpers. Anteilige endgradige Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule sowie Missempfindung im Bereich des Versorgungsgebietes C 7 nach Schädigung im Bereich der Wurzel sowie Pelzigkeit im Bereich des Zeige- und Mittelfingers der linken Hand als Ausdruck einer Verschlimmerung".

Hiergegen legte der Kläger am 10.5.2004 Widerspruch ein, begehrte die Anerkennung der Veränderungen im Bereich der Lendenwirbelsäule mit Spinalkanalstenose als Unfallfolgen sowie die Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE um 40 vH.

Die Beklagte ließ den Kläger von Prof. Dr. S., Neurologe und Psychiater, untersuchen. Im Befundbericht mit gutachterlichen Stellungnahme vom 10.11.2004 führte dieser aus, die derzeit beim Kläger im Vordergrund stehende Schmerzsymptomatik im Bereich der LWS bestehe ein-deutig auf Grund unfallfremder Erkrankungen, nämlich der erheblich degenerativen Verände-rungen im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule. In diesem Bereich hätten keine Unfallschä-den vorgelegen, sodass ein ursächlicher Zusammenhang der geklagten Beschwerden mit dem Unfallereignis nicht begründet werden könne. Es bestünden keine Hinweise auf Beschwerden im Bereich des unfallbeschädigten 2. LWK.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18.11.2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Hiergegen erhob der Kläger am 17.12.2004 Klage zum Sozialgericht (SG) Ulm, mit der er die Anerkennung der Veränderungen im Bereich der Lendenwirbelsäule mit Spinalkanalstenose und die Gewährung einer Rente nach einer MdE um mindestens 40 vH weiter verfolgte.

Das SG beauftragte Dr. H. vom Orthopädischem Forschungszentrum Stuttgart mit der Begutachtung des Klägers. Dieser führte im Gutachten vom 8.9.2005 aus, beim Kläger lägen folgende Unfallfolgen vor: • Verschlechterung eines chronischen lumbalen Schmerzsyndroms mit diskreten neurologischen Ausfällen im Bereich der linken unteren Gliedmaße bei fortgeschrittenen degenerativen Veränderungen der mittleren und unteren LWS nach in leichter Fehlstellung verheilten Frakturen des 12. Brustwirbels und des 2. Lendenwirbels • Verschlechterung eines degenerativen unteren HWS-Syndroms mit Missempfindungen insbesondere im linken Arm und in der linken Hand bei fortgeschrittenen degenerativen Veränderungen der unteren HWS nach in leichter Fehlstellung verheilten Frakturen des 1. Brustwirbels • Gelegentliche Schmerzen im Bereich des unteren rechten Rippenbogens nach Bruch der 11. und 12. Rippe. Dr. H. schätzte die MdE für die Unfallfolgen vom 11.6. bis 31.10.2001 auf 100%, vom 1.11. bis 31.12.2001 auf 50% und danach auf Dauer auf 25%.

Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) holte das SG ein Gutachten bei dem Orthopäden Dr. O.ein. Dieser führte im Gutachten vom 21.3.2006 aus, beim Kläger lägen folgende Unfallfolgen vor: • Mischbild einer Claudicatio spinalis und L 5-Ischialgie links nach posttraumatisch verstärkter Spinalkanalstenose im Gefolge einer Sinterung einer BWK-12-Fraktur mit Verletzung der Bandscheiben BWK 12/LWK 1 und diskogener Konuskompression • Sensibles C 6/7 Zervikobrachialsyndrom links bei Zustand nach HWS-Distorsion mit Schädelanschlag und vorbestehender relativer ossärer Spinalkanalstenose. Zwar hätten beim Kläger schon vor dem Unfall eine Osteochondrose und eine Spondylose (ohne Symptome) bestanden. Da die Schmerzen aber unfallbedingt abrupt eingesetzt hätten, müssten sie eine andere Ursache als die Röntgenbefunde haben. Die Veränderungen hätten sich in einer ausgeprägten Plusvariante, der so genannten Spondylosis hyperostatika realisiert. Allein dadurch sei es zu spangenbildenden Veränderungen zwischen verschiedenen Wirbelkörpern und teilweise auch knöchernen Beeinträchtigungen der Weite des Spinalkanals gekommen. Bei der BWK-12-Fraktur sei die Hinterkante mitbetroffen. Es habe sich eine weitere Sinterung und Verlagerung von Hinterkantenanteilen in den Spinalkanal ergeben. Die Bandscheibe zwischen BWK 12 und LWK 1 sei traumatisch schwerverletzt und anschließend sekundär in den Spinalkanal verlagert worden. Die radiologische Verlaufsbeobachtung korreliere mit dem klinischen Verlauf der Beschwerden beim Kläger; so hätten sich die Beinbeschwerden durch Myelonkompression erst mit gewissen Abstand zum Unfall eingestellt. Bei fehlender spezifischer Krankheitsvorgeschichte sei ein spontaner Krankheitseintritt zwar nicht absolut sicher ausgeschlossen, ohne den Unfall jedoch nur schwer vorstellbar. Die unfallbedingte MdE schätze er - wie Dr. S. - auf 40 vH.

Mit Urteil vom 19.9.2006 wies das SG die Klage gestützt auf die Gutachten von Prof. Dr. S. und Dr. Roos ab. Der Beurteilung von Prof. Dr. S. vermochte es sich nicht anzuschließen, da dieser die unfallbedingte Kausalität nicht beachtet habe. Das Sachverständigengutachten von Dr. H. habe die Bewertung der Beklagten bestätigt. Das Gutachten von Dr. O. vermöge nicht zu überzeugen.

Gegen das am 26.9.2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 20.10.2006 Berufung eingelegt und vorgetragen, das SG hätte sich zu weiterer Sachaufklärung in Form der Einholung einer ergänzenden Stellungnahme bei Dr. O. oder eines weiteren Sachverständigengutachtens von Amts wegen gedrängt fühlen müssen. Auch sei das Gutachten von Dr. O. nicht widersprüchlich. Vielmehr habe er ausgeführt, dass er (der Kläger) ohne die anlagebedingte knöcherne Enge des Spinalkanals den Unfall besser überstanden hätte, sodass zumindest von einer richtunggebenden Verschlimmerung auszugehen sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 19. September 2006 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 26. April 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. November 2004 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente nach einer MdE um wenigstens 40 vH ab 19. März 2002 zu gewähren, hilfsweise ein weiteres fachorthopädisches Sachverständigengutachten zur Kausalität von Amts wegen einzuholen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erwidert, auf Grund der schlüssigen und nachvollziehbar begründeten Gutachten von Prof. Dr. S. und Dr. H. müsse es als erwiesen angesehen werden, dass die für die Beschwerden im Wesentlichen verantwortliche hochgradige Spinalkanalstenose nicht ursächlich auf das Unfallereignis zurückzuführen sei. Auch Dr. O. komme zum Ergebnis, dass beim Kläger eine anlagebedingte unfallunabhängige Spinalkanalstenose bestehe. Er vermutet zwar, dass der Kläger ohne die vorbestehende Spinalkanalstenose den Unfall besser überstanden hätte. Er könne jedoch nicht darlegen, auf Grund welcher objektivierbaren Befunde er diese These vertrete.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da der Kläger keinen Anspruch auf eine höhere Rente als nach einer MdE um 25 vH wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 11.6.2001 hat.

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nach § 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern.

Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22. Juni 2004, B 2 U 14/03 R in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel (BSG SozR 2200 § 581 Nr. 23 und 27).

Auf Grund der vorliegenden ärztlichen Unterlagen, insbesondere des Gutachtens des Radiologen Dr. Sch., des Chirurgen Prof. Dr. S., der Neurologen und Psychiater Dr. Roos und Prof. Dr. S., des Urologen Fleck sowie des Orthopäden Dr. H. vermag auch der Senat wegen der Unfallfolgen keinen höhere MdE als 25 vH festzustellen.

Als Folgen des Arbeitsunfalls liegen beim Kläger unstreitig ein BWK-1-Kompressionsbruch, ein BWK-12-Spaltbruch, ein LWK-2-Kompressionsbruch, eine Fraktur des Schneidezahns links oben sowie eine Fraktur der Rippen 11 und 12 rechts vor. Diese Gesundheitsstörungen (Gesundheitserstschäden) haben zu Beschwerden bzw. weiteren Gesundheitsstörungen beim Kläger geführt. Für die Bejahung eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Gesundheitserstschaden und den fortdauernden Gesundheitsstörungen gilt - wie für die Bejahung eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen Einwirkung und Gesundheitserstschaden - die Kausalitätslehre der wesentlichen Bedingung. Diese setzt zunächst einen naturwissenschaftlichen Zusammenhang zwischen den Gesundheitserstschäden und den fortdauernden Gesundheitsstörungen voraus und in einem zweiten wertenden Schritt, dass die Gesundheitserstschäden für die fortdauernden Gesundheitsstörungen wesentlich ursächlich sind (BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 15). Dabei genügt für die Bejahung des ursächlichen Zusammenhangs die hinreichende Wahrscheinlichkeit. Diese liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände die für den wesentlichen Ursachenzusammenhang sprechenden so stark überwiegen, dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann und ernstliche Zweifel ausscheiden; die bloße Möglichkeit einer wesentlichen Verursachung genügt nicht (BSG, Urteil vom 7. September 2004 - B 2 U 34/03 R m. w. N.). Dabei müssen auch körpereigene Ursachen erwiesen sein, um bei der Abwägung mit den anderen Ursachen berücksichtigt werden zu können; kann eine Ursache jedoch nicht sicher festgestellt werden, stellt sich nicht einmal die Frage, ob sie im konkreten Einzelfall auch nur als Ursache im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinn in Betracht zu ziehen ist (BSGE 61, 127 ff.). Die Kausalitätsbeurteilung hat auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen. Das schließt die Prüfung ein, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet war, eine bestimmte körperliche Störung hervorzurufen (vgl. Urteil des BSG vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R -SozR 4-2700 § 8 Nr. 17 = BSGE 96, 196 ff.).

Ausgehend hiervon sind die diskreten Sensibilitätsstörungen an der linken Hand und die geringe Beugebeeinträchtigung der Finger 2 und 3 auf eine Wurzelschädigung C 7 zurückzuführen, die wesentlich durch den Unfall bedingt ist, zumal die vorbestehenden degenerativen Veränderungen (deutliche Bandscheibenveränderungen in den Segmenten HWK 3/4, 5/6 und 6/7) vor dem Unfall zu keiner klinischen Symptomatik geführt haben. Zu dieser Überzeugung gelangt der Senat auf Grund der insoweit übereinstimmenden Beurteilungen von Prof. Dr. S. und Dr. R ... Der Senat vermag dagegen nicht mit Wahrscheinlichkeit festzustellen, dass die beim Kläger vorliegende Spinalkanalstenose mit Kreuzschmerzen und Ausstrahlung in beide Beine, die zu der operativen selektiven Radikulodekompression LWK 2/3, 3/4 und 4/5 links sowie LWK 2/3 und 3/4 rechts geführt hat, ursächlich auf den Unfall bzw. die dort erlittenen Erstschäden zurückzuführen ist. Zu dieser Überzeugung gelangt der Senat auf Grund der Gutachten des Radiologen Prof. Dr. Sch., des Chirurgen Prof. Dr. S., der Neurologen und Psychiater PD Dr. Roos und Prof. Dr. S., der beratungsärztlichen Stellungnahme von Prof. Dr. R. sowie des Gutachtens des Orthopäden Dr. H ...

Prof. Dr. Sch. beschreibt in seinem radiologischen Gutachten vom 18.10.2002 multietagere degenerative Veränderungen (Osteochondrose und Spondylose) an der HWS, BWS und LWS mit deutlichen Bandscheibenverschmälerungen an der unteren LWS. Die Spondylosen sind un-terschiedlich ausgeprägt und auch mit deutlichen knöchernen Appositionen an den dorsalen Konturen der Wirbelkörper unter Beengung des Spinalkanals und mit Bandscheibenprotrusionen verbunden, was zu deutlichen Spinalstenosen geführt hat. Besonders betont sind die Hinterkan-tenanbauten bei LWK 2 und 3 sowie LWK 4 und 5 mit einem ganz massiven Knochensporn, der von LWK 5 nach dorsal um fast 1 cm in den Spinalkanal hineinragt. Verstärkt werden die Spi-nalstenosen durch unterschiedliche Spondylarthrosen der paarigen Wirbelgelenke an der LWS, wo Bandscheibenvorfälle bei LWK 4/5 und LWK 5/SWK zu finden sind. Prof. Dr. Sch. sieht diese Veränderungen an der LWS, die zu der Radikulodekompressionsoperation geführt haben - für den Senat - nachvollziehbar - als unfallunabhängig an. Dies stimmt mit der Beurteilung von Prof. Dr. S. überein, der die degenerativen Veränderungen an der Wirbelsäule, die knöchernen Appositionen an den dorsalen Konturen der Wirbelkörper unter Beengung des Spinalkanals und Neuroforamina, die Bandscheibenprotrusionen an der LWS und die daraus resultierende Spinalstenose, die massiven Hinterkantenanbauten LWK 3, 4 und 5, den Bandscheibenvorfall LWK 5, SWK 1, den Versatz der Wirbelkörper zueinander im Bereich LWK 4/5, 5/SWK 1 ebenfalls als unfallunabhängig ansieht. Da es keine knöchernen Verletzungen unterhalb von LWK 2 gegeben hat, erscheint dem Senat die Schlussfolgerung von Prof. Dr. R., PD Dr. R., Prof. Dr. S. und Dr. H. nachvollziehbar und überzeugend, dass die Spinalkanalstenose in dem darunter liegenden Bereich unfallunabhängig ist. So erklärt PD Dr. Roos die neurologische Beeinträchtigung an der linken unteren Extremität des Klägers mit einer Schädigung der Nervenwurzel L 5 und sieht diese sowie die Beschwerden an der LWS als Folge der degenerativen Wirbelsäulenveränderungen an. Gegen einen Kausalzusammenhang der Spinalka-nalstenosen mit dem Arbeitsunfall spricht, wie Dr. H. zutreffend ausführt, dass die degenerativen Veränderungen schon unmittelbar nach dem Unfall radiologisch nachweisbar waren. Derartige Veränderungen entstehen jedoch nicht innerhalb kurzer Zeit, sondern im Laufe von Jahren oder Jahrzehnten. Auch finden sich die ausgeprägtesten Veränderungen unterhalb der Verletzungsstelle, nämlich im Segment L 3/4 (maximale Stenose) und im Segment L 5/S 1 (Bandscheibenvorfall). Auch die Verursachung der Stenose durch maximal verdickte Ligamenta flava (gelbe Bänder) spricht für eine idiopathische Spinalkanalstenose und nicht für eine verletzungstypische Stenose.

Der hiervon abweichenden Beurteilung von Prof. Dr. S. und Dr. O. vermag sich der Senat nicht anzuschließen. So führt Prof. Dr. S. selbst aus, es bleibe unklar, inwieweit die sich mit Latenz entwickelte Spinalkanalstenose Unfallfolge sei; man könne es nicht ausschließen. Dies reicht aber nicht aus, um einen Kausalzusammenhang wahrscheinlich zu machen, zumal beim Kläger degenerative Veränderungen vorhanden sind, die ebenfalls als ursächlich in Betracht kommen. Der Umstand, dass die BWK-12-Fraktur mit Beteiligung der Hinterkante abgelaufen ist, rechtfertigt ebenfalls nicht die Schlussfolgerung von Dr. O., dass dadurch die Spinalkanalstenose, die im wesentlichen die LWK 2/3, 3/4, 4/5 und 5/SWK 1 betraf, derart verstärkt wurde, dass es zu den gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers kam. Eine Begründung hierfür bleibt er schuldig.

Unter diesen Umständen sieht der Senat auch keine Notwendigkeit, von Amts wegen ein weiteres fachorthopädisches Gutachten zur Kausalitätsfrage einzuholen. Vielmehr ist der medizinsiche Sachverhalt geklärt.

Für die beim Kläger vorliegende Blasenentleerungsstörung gibt es keinen Hinweis auf eine neurogene Störung und einen Unfallzusammenhang, wie der Senat den Ausführungen des Urologen Prof. Dr. P. und dem Gutachten des Urologen Fleck entnimmt.

Der Senat hält deswegen die Einschätzung der Gesamt-MdE durch Dr. S. und Dr. H. mit 25 vH für die Unfallfolgen (insbesondere Zustand nach Frakturen des 12. BWK und 2. LWK sowie die Sensibilitätsstörung an der linken Hand mit geringer Beugebeeinträchtigung der Finger 2 und 3) für zutreffend, zumal eine MdE von 40 vH erst erreicht wird, wenn ein Zustand besteht, der dem Verlust eines Unterschenkels unterhalb des Knies vergleichbar ist.

Nach alledem waren das Urteil des SG und die Bescheide der Beklagten nicht zu beanstanden. Die Berufung des Klägers musste deswegen zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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