L 9 U 5354/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 10 U 4183/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 5354/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 11. November 2005 abgeändert. Die Beitragsbescheide vom 19. Dezember 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Dezember 2003 (betreffend die Jahre 1996, 1997, 1999 und 2000) werden aufgehoben.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Die Klägerin trägt 4/5 der Kosten, die Beklagte 1/5 der Kosten in beiden Rechtszügen.

Der Streitwert wird auf 57.784,10 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Zuordnung zu den Gefahrklassen und die Höhe der Beiträge für die Jahre 1996 bis 2000 sowie für 2002.

Die Klägerin ist ein Malerbetrieb, der Arbeiten im Bereich Korrosionsschutz, Kunststoffbeschichtung, Sandstrahlreinigung, Gerüstbau und Betonsanierung durchführt. Bei einer Betriebsprüfung am 15.8.1996 betreffend die Jahre 1991 bis 1995 stellte der Prüfer fest, ca. 6% der im Unternehmenszweig "Malerei" angefallenen Arbeiten entfielen auf Betonsanierungsarbeiten. Betonsanierung sei ab 1.1.1993 in den Veranlagungsbescheid aufzunehmen.

Mit Neuveranlagungsbescheid vom 10.10.1996 wurde neben den Unternehmenszweigen Nr. 40 03 12 Malerarbeiten aller Art (Gefahrklasse 4), Nr. 50 11 28 kaufmännisches und technisches Personal (Gefahrklasse 1,0), Nr. 50 02 10 Gerüstbau, Gerüstverleih (Gefahrklasse 10.0) auch der Unternehmenszweig Nr. 50 01 01 Hochbau aller Art mit der Gefahrklasse 8,5 veranlagt. Im Begleitschreiben vom 31.10.1996 wies die Beklagte die Klägerin darauf hin, dass die Entgelte der Betonsanierung unter dem neuen Unternehmenszweig Hochbau aller Art nachzuweisen seien.

Im Veranlagungsbescheid vom 4.3.1999, gültig ab 1.1.1999, wurde die Gefahrklasse für den Unternehmenszweig Gerüstbau, Gerüstverleih von 10,0 auf 10,5 angehoben.

Die Klägerin meldete im Jahreslohnnachweis 1998 vom 26.1.1999, dass von den insgesamt 112.561 geleisteten vollen Arbeitsstunden 5 149 auf Hochbau aller Art (Bruttolohn 116.556.- DM) entfielen. Für das Jahr 1996 erging der Beitragsbescheid am 21.04.1997, für das Jahr 1997 am 22.04.1998, für das Jahr 1998 am 16.04.1999, für das Jahr 1999 am 25.04.2000 und für das Jahr 2000 am 11.04.2001.

Anlässlich einer Betriebsprüfung am 28.11.2001, die Jahre 1996 bis 2000 betreffend, stellte der Betriebsprüfer fest, dass die Entgelte von 4 Meistern im gesamten Prüfungszeitraum zu 100% in Gefahrklasse 1,0 nachgewiesen waren, im Jahr 2000 keine Löhne im Bereich Betonsanierung ausgewiesen waren und nicht alle Entgelte der Arbeitnehmer der Gerüstbauabteilung unter 10,5 nachgewiesen waren. Deswegen erfolgte in allen Jahren eine Umrechnung der Entgelte der Meister zu 25% von Gefahrklasse 1,0 nach Gefahrklasse 4.0, des weiteren wurden in den Jahren 1998, 1999 und 2000 höhere Lohnsummen als bisher gemeldet im Bereich Gerüstbau festgestellt und schließlich wurde für das Jahr 2000 6% der Gesamtleistung des Unternehmens - wie in den Jahren 1996 bis 1999 - in den Unternehmenszweig 50 01 01 (Hochbau aller Art- Betonsanierung) in Gefahrklasse 8.5 übernommen.

Mit Beitragsbescheiden vom 19.12.2001 forderte die Beklagte daraufhin von der Klägerin für 1996 noch DM 833,23, für 1997 DM 1.183,36, für 1999 DM 7.603,08, für 2000 DM 15.070,82 und nahm für 1998 eine Gutschrift über DM 533,57 vor. Insgesamt forderte sie auf Grund der Beitragskorrektur von der Klägerin DM 24.156,92 für die Jahre 1996 bis 2000.

Hiergegen legte die Klägerin am 13.2.2002 Widerspruch ein und machte geltend, die Lohnsummen für Gerüstbau und Betonsanierung - teilweise auch die von ihr in den Lohnnachweisen der jeweiligen Jahre gemeldeten - seien zu hoch angesetzt. Die Veränderungen beim Gerüstbau resultierten aus der Tatsache, dass Gerüstbauer auch Malerarbeiten verrichteten, die Lohnart 3 jedoch reine Gerüstbauarbeiten seien. Anstelle der von ihr gemeldeten Bruttolohnsummen in den Jahren 1996 bis 1999 seien in diesen Jahren bis einschließlich 2000 maximal 1000 Stunden pro Jahr mit einer Bruttolohnsumme von 26.000 DM für die Betonsanierung anzusetzen. Betonsanierungsarbeiten (Strahlen und Abspitzen) würden zu 90% von Subunternehmern durchgeführt.

Gegen den Beitragsbescheid für 2002 vom 17.4.2003 legte die Klägerin am 25.4.2003 Widerspruch ein und führte u.a. aus, sie halte die separate Gefahrklasseneinteilung zwischen Malerarbeiten, Betoninstandsetzung und Gerüstbau, wie sie die Beklagte in ihrem Betrieb vorgenommen habe, nicht für gerechtfertigt. Die Versicherten würden wechselseitig beschäftigt, sodass auf die Tätigkeit abzustellen sei, deren arbeitsmäßiger Anteil über 65 vH liege. Außerdem hätten die Betoninstandsetzungsarbeiten, die in ihrem Betrieb ausgeführt würden, nichts mit den Betonsanierungsarbeiten im Hochbau zu tun. Die im Malerhandwerk durchgeführten Oberflächeninstandsetzungen seien den Malerarbeiten aller Art (Gefahrklasse 4) zuzuordnen. Deshalb werde sie die Beitragsbescheide für die Jahre 1996 bis 2000 und 2002 nicht anerkennen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 4.12.2003 wies die Beklagte die Widersprüche gegen die Beitragsbescheide vom 19.12.2001 und 17.4.2003 zurück. Nachdem die Klägerin bislang keine getrennten Aufzeichnungen über Arbeitsentgelte von Versicherten vorgelegt habe, die in verschiedenen Unternehmenszweigen der Klägerin tätig seien, sei die Beklagte berechtigt, die Lohnsummenverteilung entsprechend ihrer Kenntnis vorzunehmen. Hinsichtlich der Betonsanierungsarbeiten fielen nach dem gültigen Gefahrtarif der Beklagten alle damit zusammenhängenden Arbeiten unter die Gefahrklasse 8,5. Hinsichtlich des Umfangs dieser Arbeiten habe man seit 1996 6% der Lohnsumme der Maler diesem Bereich zugeordnet. Dies müsse auch für das Jahr 2000 gelten. Bei den Gerüstbaulohnsummen seien nur 1998 bis 2000 Korrekturen vorgenommen worden. Für die restlichen Jahre sei es bei den von der Klägerin selbst nachgewiesenen Lohnsummen verblieben.

Hiergegen erhob die Klägerin am 19.12.2003 Klage zum Sozialgericht (SG) Freiburg, mit der sie die Aufhebung der angefochtenen Bescheide begehrte.

Mit Gerichtsbescheid vom 11.11.2005 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, die angefochtenen Beitragsbescheide seien nicht zu beanstanden. Das gelte insbesondere für die Zuordnung von Arbeitsentgelten zu den Bereichen Hoch- und Gerüstbau. Schon im Widerspruchsverfahren habe die Klägerin nähere Unterlagen über Lohnsummen und Beauftragung von Subunternehmern nicht vorgelegt, sondern sich auf die pauschale Behauptung beschränkt, sie erbringe nur 10% von Leistungen im Bereich der Betonsanierung durch eigene Mitarbeiter und der Gerüstbau an Bauwerken nehme nur einen kleinen Teil von Gerüstbauaufträgen ein. Auch wegen unzureichenden Beitragsnachlasses seien die Bescheide nicht zu beanstanden. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen den am 15.11.2005 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 14.12.2005 Berufung eingelegt und vorgetragen, sie erbringe Betonsanierungsarbeiten für ihre Auftraggeber. Dabei würden folgende Arbeitsschritte durchgeführt: 1. Gerüstbau 2. Hochdruckwasserstrahlung bis zur Freilegung der Armierung 3. Rostschutzanstriche auf der Armierung 4. Spachtelarbeiten zur Abdeckung der Armierung 5. Anstricharbeiten (wo gefordert). Die Leistungen Ziff. 1 und 2 erbringe sie grundsätzlich durch Subunternehmer, nur die Leistungen Ziff. 3 bis 5 führe sie mit eigenen Leuten aus. Mit Schreiben vom 28.2.2003 an die Beklagte habe sie für die Jahre 1996 bis 2000 diese Fremdleistungen den jeweiligen Auftragssummen nach ausgewiesen. Somit seien für die Zuordnung in die Gefahrklassen ausreichende Abgrenzungskriterien vorhanden. Die auf eigenes Risiko arbeitenden und nicht in ihren Betrieb eingegliederten Subunternehmer dürften deshalb bei der Festlegung der Gefahrklasse keine Rolle spielen. Dabei sei es ohne Bedeutung, dass sie werbend auf ihrem Briefbogen "Betonsanierung" anbiete. Da sie keine eigenen Strahlgeräte besitze, führe sie auch niemals selbst Strahlerarbeiten durch. Eigene Leute würden zu Betonsanierungsarbeiten dann im Rahmen von Malerarbeiten eingesetzt, wenn sich bei der Ausführung von Malerarbeiten beispielsweise an einer Betonfassade ergebe, dass sich dort lose, abzuschlagende Betonteile befänden. Die von ihr durchgeführten Gerüstbauarbeiten seien nicht dem Hochbau zuzurechnen. Gerüste für den Hochbau besitze sie nicht und setze sie auch nicht ein. Gerüste zur Ausführung von Malerarbeiten würden von Drittunternehmern angemietet, die die Gerüste aufstellten und auch wieder abbauten. Anders sei es bei den Gerüstbauarbeiten, die sie für die Energieversorger vornehme. Hierbei handele es sich nicht um Hochbaugerüste, sondern um solche, die ausschließlich als Stütze verwendet und nicht begangen oder bestiegen würden. Den für Energieversorger ausgeführten Gerüstarbeiten habe sie auch konkrete Beschäftigte mit konkreten Lohnsummen zuordnen können. Diese seien deswegen nicht der Gefahrklasse 10,0, sondern 8,5 zuzuordnen.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 11. November 2005 sowie die Bescheide der Beklagten vom 19. Dezember 2001 und 17. April 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Dezember 2003 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Sie erwidert, die von der Klägerin auszuführenden Restarbeiten, die nicht von Subunternehmern erbracht würden, seien der Gefahrklasse 8,5 (Betonsanierung) zuzuordnen. Die Arbeiten der Subunternehmer und das damit verbundene Risiko würde nicht dem Betrieb der Klägerin angelastet. Richtig sei vielmehr, dass sie bei der Zuordnung zum Gefahrtarif lediglich darauf abstelle, welchem Unternehmenszweig des Gefahrtarifs die Tätigkeit der Klägerin zuzuordnen sei. Soweit es insgesamt um die Ausführung von Betonsanierungsarbeiten gehe, sei allein darauf abzustellen. Nicht entscheidend sei dabei, dass die Klägerin eventuell im Zusammenhang mit einem übernommenen Betonsanierungsauftrag nur Arbeiten ausführe, die im Vergleich zu den bereits vorausgegangenen (von Subunternehmern übernommenen) Arbeiten ein geringeres Unfallrisiko aufwiesen. Nach dem Gewerbezweigsprinzip, dem der Gefahrtarif folge, seien alle zur Durchführung eines bestimmten Auftrages erforderlichen Arbeiten einem Unternehmenszweig zuzurechnen, selbst dann, wenn nur Teiltätigkeiten ausgeführt werden sollten. Soweit die Klägerin vortrage, es seien keine eigenen Gerüste vorhanden, setze sie sich in Widerspruch zu ihren vorangegangenen Angaben (Blatt 35 Verwaltungsakten). Bei den Arbeiten zur Erstellung der Schutzgerüste handele es sich um Gerüstbauarbeiten im Sinne des Gefahrtarifs. Die hier maßgeblichen Gefahrtarife sprächen nur vom Gerüstbau, ohne zwischen Hochbaugerüsten, Schutzgerüsten oder sonstigen Gerüsten (z. B. Treppengerüsten) zu unterscheiden.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung der Klägerin ist auch teilweise begründet. Mit den Beitragsbescheiden vom 19.12.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4.12.2003 (betreffend die Jahre 1996, 1997, 1999 und 2000) hat die Beklagte zu Unrecht die früheren Beitragsbescheide für die genannten Jahre abgeändert und Beiträge nachgefordert. Für das Jahr 1998 erfolgte demgegenüber eine Gutschrift, sodass die Klägerin hierdurch nicht beschwert ist. Der Beitragsbescheid für 2002 vom 17.4.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4.12.2003 ist nicht zu beanstanden.

Gemäß § 749 Nr. 3 Reichsversicherungsordnung (RVO), der gem. § 219 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch (SGB) VII für das Beitragsjahr 1996 anwendbar ist, darf die Berufsgenossenschaft nach Zustellung des Bescheides den Beitrag zu Ungunsten des Beitragsschuldners nur dann noch anders feststellen, wenn der Lohnnachweis sich als unrichtig ergibt. Nach dem für die Beitragsjahre 1997, 1999 und 2000 anwendbaren § 168 Abs. 2 Nr. 2 SGB VII darf der Beitragsbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit zu Ungunsten der Beitragspflichtigen nur dann aufgehoben werden, wenn der Lohnnachweis unrichtige Angaben enthält oder sich die Schätzung als unrichtig erweist.

Die Angaben der Klägerin in ihren Lohnnachweisen waren zur Überzeugung des Senats unrichtig im Sinne der genannten Vorschriften. In den hier streitigen Jahre 1996, 1997, 1999 und 2000 hat die Klägerin zu Unrecht sämtliche Entgelte ihrer vier Meister im Unternehmenszweig "Kaufmännisches und technisches Personal " (Gefahrklasse 1,0) nachgewiesen. Zu Recht hat die Beklagte deswegen - basierend auf den Feststellungen des Betriebsprüfers in den Vorjahren - eine Umrechnung zu 25% in den Unternehmenszweig "Malerarbeiten aller Art" (Gefahrklasse 4,0) vorgenommen. Für die Jahre 1998, 1999 und 2000 waren nicht alle Entgelte der Arbeitnehmer der Gerüstbausabteilung in dem Unternehmenszweig "Gerüstbau/Gerüstverleih" (Gefahrklasse 10,0) nachgewiesen. Die fehlenden Entgelte hat die Beklagte deswegen zu Recht in der Gefahrklasse 10,5. berücksichtigt. Im Jahr 2000 wurden - ohne dass eine Änderung des bindend gewordenen Veranlagungsbescheides vom 10.10.1996 erfolgt wäre - keine Lohnsummen im Unternehmenszweig "Hochbau aller Art" - hier Betonsanierung - (Gefahrklasse 8,5) nachgewiesen. Deswegen hat die Beklagte zu Recht - entsprechend den Feststellungen des früheren Betriebsprüfers die Jahre 1996 bis 1999 betreffend - 6% der Entgeltsummen aus dem Unternehmenszweig "Malerei" (Gefahrklasse 4,0) in den Unternehmenszweig "Hochbau aller Art" (Gefahrklasse 8,5) umgerechnet.

Die angefochtenen Beitragsänderungsbescheide waren jedoch rechtswidrig und deshalb aufzuheben, weil § 749 RVO und § 168 Abs. 2 SGB VII die Ausübung von Ermessen erfordern, das durch die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden nicht ausgeübt worden ist.

Für die Notwendigkeit, eine Ermessensentscheidung zu treffen, spricht der Wortlaut der Vorschrift "darf". Hätte der Gesetzgeber eine gebundene Entscheidung gewollt und die Berufsgenossenschaft verpflichten wollen, beim Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 168 Abs. 2 SGB VII (bzw. § 749 RVO) rückwirkend höhere als die ursprünglich festgesetzten Beiträge zu erheben, wäre die Formulierung " wird aufgehoben, wenn ..." oder "wird nur aufgehoben, wenn ..." zu erwarten gewesen. Dies wird durch die Gesetzesbegründung zu § 168 Abs. 2 SGB VII bestätigt, in der es heißt: "Die Vorschrift zählt die Fälle auf, in denen ein Beitragsbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit zu Ungunsten des Unternehmers aufgehoben werden kann; sie entspricht im wesentlichen dem geltenden Recht (§ 749 RVO). Im übrigen richtet sich die Aufhebung von Beitragsbescheiden nach den §§ 44 ff. SGB X"(BT-Drucksache 13/2204). Auch diese Formulierung "kann" und der Hinweis auf die §§ 44 ff. SGB X spricht dafür, dass § 168 Abs. 2 SGB VII Ermessen verlangt. Angesichts dessen schließt sich der Senat der neueren Rechtsprechung der Landessozialgerichte (LSG) an, die § 168 Abs. 2 Nr. 2 SGB VII als Ermessensvorschrift ansehen (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 10.7.2007 - L 7 U 2777/07 - ER-B; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.3.2007 - L 2 U 46/03; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 20.2.2004 - L 2 ER 59/03 U - in JURIS) sowie der überwiegend vertretenen Literaturmeinung (Platz in Lauterbach, Unfallversicherung, 4. Aufl., Stand April 2007, § 168 SGB VII Rdnr. 4; Freischmidt in Hauck, SGG VII, Gesetzliche Unfallversicherung, § 168 Rdnr. 11; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand Januar 2008, § 168 SGB VII Rdnr. 4). Dagegen wurde die Notwendigkeit von Ermessen vom LSG Niedersachsen, Urteil vom 29.7.1997 - L 3 U 223/97 - in Breithaupt 1997 Seite 939, 942 m. w. N. verneint. Aus dem Urteil des LSG Berlin vom 30.4.2002 - L 2 U 55/00 - in JURIS lässt sich nicht entnehmen, dass das LSG Ermessen für erforderlich gehalten hätte. Das Sozialgericht (SG) Dortmund, Urteil vom 25.7.2002 - S 17 U 45/00 - hält die Berufsgenossenschaft nach § 749 Nr. 3 RVO für verpflichtet, einen Änderungsbescheid zu erlassen. Ricke im Kassler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Stand September 2007, § 168 SGB VII Rdnr. 4 sowie Bigge in jurisPR SozR 22/07 Anm. 3 verneinen die Notwendigkeit von Ermessen. Das Bundessozialgericht (BSG) hat sich mit der Frage von Ermessen bei § 749 RVO nicht auseinandergesetzt, ein solches aber auch nicht gefordert (BSG, Urteile vom 12.12.1985 in SozR 2200 § 734 Nr. 5 und 6).

Der Bescheid der Beklagten vom 17.4.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4.12.2003, bei dem es sich um keinen Änderungsbescheid gemäß § 168 Abs. 2 SGB VII handelt, ist dagegen nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat insoweit keine konkreten Einwände gegen die Beitragshöhe erhoben, sondern geltend gemacht, dass die separate Gefahrklasseneinteilung zwischen Malerarbeiten, Betonsanierung (bzw. Hochbau aller Art) und Gerüstbau nicht gerechtfertigt sei. Damit wendet sie sich in der Sache gegen die im Veranlagungsbescheid vom 10.10.1996 vorgenommene Aufteilung in die verschiedenen Unternehmenszweige. Dieser Veranlagungsbescheid wurde zwischen den Beteiligten jedoch gemäß § 77 SGG bindend. Diese Bindungswirkung ist auch von den Gerichten zu beachten (BSG SozR 2200 § 734 Nr. 6). Deswegen kann insoweit eine Überprüfung durch den Senat nicht stattfinden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) und berücksichtigt, dass sich die Beitragsnachforderung auf DM 24.156,92 = 12.151,23 EUR und die Forderung aus dem Beitragsbescheid für das Jahr 2002 vom 17.4.2003 auf 45.432,87 EUR beläuft, sodass eine Forderung von insgesamt 57.784,10 EUR streitig war.

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, da es an höchstrichterlicher Rechtsprechung zur Frage, ob und in welchem Umfang § 168 Abs. 2 SGB VII (als Nachfolgeregelung von § 749 RVO) Ermessen erfordert, fehlt.
Rechtskraft
Aus
Saved