Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 11 AL 3123/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 AL 934/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zu den Voraussetzungen, unter denen ein niederländischer Staasangehöriger, der in
Frankreich wohnt und in Deutschland eine selbständige Tätigkeit aufgenommen hat,
unter Artikel 71 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 fällt.
Frankreich wohnt und in Deutschland eine selbständige Tätigkeit aufgenommen hat,
unter Artikel 71 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 fällt.
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 26. Januar 2007 abgeändert und der Bescheid der Beklagten vom 28. Oktober 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Juni 2005 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, den Antrag des Klägers vom 12. Juli 2002/23. Oktober 2002 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes neu zu bescheiden.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers beider Instanzen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Überbrückungsgeld nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III) streitig.
Der.1951 geborene Kläger besitzt die niederländische Staatsangehörigkeit. Der Kläger wohnt in R. (Frankreich). Er war von 01.01.1979 bis 30.6.1998 als Gewerkschaftssekretär bei der IG C.-P.-K. und vom 01.07.1998 bis 30.09.2002 als Leiter / Geschäftsführer beim Beratungsnetzwerk U.T.A. in K. beschäftigt. Er erzielte zuletzt für den Zeitraum vom 01.10.2001 bis 30.09.2002 einen Nettoverdienst von 49.943,04 EUR (monatlich 4.161,92 EUR). Sein letztes Beschäftigungsverhältnis endete aus betriebsbedingten Gründen.
Am 12.07.2002 / 23.10.2002 beantragte der Kläger beim Arbeitsamt Karlsruhe, jetzt Agentur für Arbeit (AA), Überbrückungsgeld. Er trug vor, in Frankreich gebe es kein Überbrückungsgeld für Existenzgründer, er bekäme aber für 45 Monate ein relativ hohes Arbeitslosengeld. Er wolle allerdings arbeiten und sich in Karlsruhe mit dem Existenzgründungsvorhaben "Beratungsbüro, Mitarbeiter, Weiterbildung, Motivation" selbständig machen. Er habe rund 25 Jahre ausschließlich in der Bundesrepublik Deutschland seine Beiträge zur Arbeitslosenversicherung (Sozialabgaben) und Steuern bezahlt. Er und seine Frau arbeiteten beide in Karlsruhe und ihre Tochter sei ausschließlich in Karlsruhe zur Schule gegangen. Der Kläger legte eine Stellungnahme zur Tragfähigkeit der Existenzgründung des Wirtschaftsprüfers und Steuerberaters E. vom 26.09.2002 mit einer Umsatz- und Rentabilitätsvorschau vor. Der Kläger wird vom Finanzamt Karlsruhe-Stadt seit dem 01.10.2002 als Mehrwertsteuerpflichtiger (Unternehmer) steuerlich erfasst.
Mit Bescheid vom 28.10.2002 lehnte das AA dem Antrag des Klägers auf Bewilligung von Überbrückungsgeld für die Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit ab 01.10.2002 ab. Es führte zur Begründung aus, nach § 30 SGB I könnten grundsätzlich nur solche Personen Ansprüche auf Leistungen nach dem SGB III geltend machen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hätten. Hiervon könne nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) nur für den Personenkreis der so genannten "atypischen" Grenzgänger abgewichen werden. Hierzu gehöre der Kläger nicht. Ein Anspruch auf Überbrückungsgeld bestehe daher nicht. Ermessen sei nicht auszuüben, da bereits eine der Grundvoraussetzungen für die Bewilligung von Überbrückungsgeld nicht vorliege. Außerdem lehnte das AA mit bestandskräftigem Bescheid vom 02.06.2003 einen Antrag des Klägers vom 11.09.2002 auf Leistungen von Arbeitslosengeld ab.
Gegen den Bescheid vom 28.10.2002 legte der Kläger am 25.11.2002 Widerspruch ein. Er führte zur Begründung aus, die Argumentation des AA treffe die Angelegenheit nicht richtig. Einen Antrag auf Überbrückungsgeld könne er in Frankreich nicht stellen, da es dort eine derartige Leistung durch das Arbeitsamt nicht gebe. Außerdem habe er als Selbständiger nach dem französischen Recht keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld besessen, da er aufgrund seiner Selbständigkeit nicht vermittelbar sei. Er sei daher ein "atypischer" Grenzgänger. Weiter müsse auch aufgrund des Gleichbehandlungsgebotes ein Anspruch auf über Überbrückungsgeld bestehen. Er habe seit über 25 Jahren seine Beiträge zur deutschen Arbeitslosenversicherung bezahlt. Damit hätten auch Leistungen finanziert werden sollen, die im Rahmen der besonders geförderten Selbständigkeit anfielen. Es könne nicht Ziel einer Arbeitsmarktpolitik sein, einen Grenzgänger, der seit über 25 Jahren Beiträge zur deutschen Sozialversicherung bezahlt habe, vor die Alternative zu stellen, statt sich selbständig zu machen die Arbeitslosigkeit vorzuziehen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29.06.2005 wurde der Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 28.10.2002 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, es handele sich um eine Ermessensleistung. Nach § 30 SGB I hätten grundsätzlich nur solche Personen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB III, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hätten. Dies gelte gem. Artikel 71 Absatz 1 lit. a Ziffer ii der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 grundsätzlich auch für Arbeitslose, die als Grenzgänger in Deutschland gearbeitet hätten, weil diese in der Regel Anspruch auf Leistungen nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates hätten, in dem sie wohnen. Eine Abweichung hiervon habe der EuGH für den Personenkreis der sogenannten "atypischen" Grenzgänger zugelassen. Der Kläger wäre diesem Personenkreis zuzuordnen, wenn der ausländische Träger einen Leistungsantrag wegen Vermittlungshemmnissen abgelehnt hätte. Dies sei beim Kläger nicht erfolgt. Er werde auch nicht deshalb zum "atypischen" Grenzgänger, weil er im Wohnsitzstaat bei Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit kein Arbeitslosengeld erhalte oder es dort keine dem Überbrückungsgeld vergleichbare Leistung gebe. Demzufolge sei ein Anspruch auf Lohnersatzleistungen nach dem SGB III dem Grunde nach nicht gegeben. Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Überbrückungsgeld seien daher nicht erfüllt. Es stehe daher nicht im Ermessen der AA, die Leistung dennoch zu gewähren. Die gesetzliche Regelung verstoße auch nicht gegen das Gleichbehandlungsgebot. In der Rechtsbehelfsbelehrung des Widerspruchsbescheides wurde der Kläger u. a. dahin belehrt, dass die Frist für die Erhebung der Klage drei Monate betrage. Der Widerspruchsbescheid wurde dem Bevollmächtigten des Klägers am 01.07.2005 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt.
Am 09.08.2005 erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG). Er wiederholte und vertiefte zur Begründung sein bisheriges Vorbringen. Ergänzend trug er vor, er habe seinen Wohnsitz in den letzten Jahren nach Frankreich verlegt. Er sei zuletzt als Referent für Schulungsmaßnahmen von Betriebs- und Personalräten tätig gewesen. Dieses Arbeitsverhältnis sei von seinem Arbeitgeber zum 30.09.2002 gekündigt worden. Er beabsichtige, sich in einer vergleichbaren Tätigkeit selbständig zu machen. Bei ihm liege der Ausnahmefall des " atypischen" Grenzgängers vor. Dass der ausländische Träger einen Leistungsantrag wegen eines Vermittlungshemmnisses abgelehnt habe, sei nicht zwingend notwendig. Von einem Vermittlungshemmnis müsse ausgegangen werden, da seine selbständige Tätigkeit ein entsprechendes Vermittlungshemmnis sowie auch ein entsprechendes Anspruchshindernis nach französischem Recht darstelle. Die weiteren Voraussetzungen des § 57 SGB III lägen vor. Der Kläger berief sich auf Dienstanweisungen der Beklagten.
Die Beklagte trat der Klage mit der Begründung entgegen, die Eigenschaft des Klägers als "atypischer" Grenzgänger werde nicht bereits dadurch begründet, dass er im Mitgliedstaat, indem er seinen Wohnsitz habe (Frankreich), im Falle der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit kein Arbeitslosengeld erhalte oder die dortigen Gesetze die Zahlung einer mit den Überbrückungsgeld vergleichbaren Leistung nicht vorsähen. Der Kläger übersehe, dass die Anerkennung eines Ausnahmetatbestandes voraussetze, dass es sich um einen arbeitslosen Grenzgänger handeln müsse. Der Kläger sei durch die Aufnahme seiner selbständigen Tätigkeit nicht arbeitslos. Zudem existiere beim Kläger auch kein "Beschäftigungsverbot". Eine Ausnahme von Wohnsitzprinzip des § 30 Abs. 1 SGB I werde gemacht, wenn gute Aussichten auf eine berufliche Wiedereingliederung bestünden. Dieser Zweck könne vorliegend nicht erfüllt werden, da der Kläger nicht arbeitslos sei oder gewesen sei, sondern nahtlos in eine selbständige Betätigung übergehe. Die Dienstanweisungen stünden nicht entgegen.
Mit Gerichtsbescheid vom 26.01.2007 wies das SG die Klage ab. Es führte zur Begründung aus, Voraussetzung des geltend gemachten Anspruches sei ein Wohnsitz oder ein gewöhnlichen Aufenthalt des Klägers im Geltungsbereich des SGB III. Dies sei hier nicht der Fall. Die Voraussetzungen des vom EuGH zugelassenen Ausnahmetatbestandes des sogenannten "atypischen" Grenzgängers lägen beim Kläger nicht vor.
Gegen den seinen Prozessbevollmächtigten am 30.01.2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 22.02.2007 Berufung eingelegt. Der Kläger hat zur Begründung ausgeführt, dass mangels Verfügbarkeit nach französischem Recht ein Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht bestehe und dass die Anspruchsvoraussetzungen für die Leistung eines Überbrückungsgeldes sowohl nach den gesetzlichen Grundlagen wie auch den Dienstanweisungen der Beklagten erfüllt seien.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 26. Januar 2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28. Oktober 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Juni 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Überbrückungsgeld in gesetzlichen Umfang zu leisten, hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, seinen Antrag auf Überbrückungsgeld vom 12. Juli 2002 / 23. Oktober 2002 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält den angefochtenen Gerichtsbescheid des SG für zutreffend und hat an ihrer Ansicht festgehalten.
Wegen Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie ein Band Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist gemäß den §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufung ist auch teilweise begründet. Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Neubescheidung seines Antrages auf die Gewährung von Überbrückungsgeld vom 12.07.2002 / 23.10.2002 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes zu. Im Übrigen ist seine Berufung jedoch nicht begründet.
Die Berufung des Klägers ist nicht deswegen unbegründet, weil die Klage beim SG nicht innerhalb der Klagefrist des § 87 Absatz 1 Satz 1 SGG von einem Monat erhoben wurde. Die Frist des § 87 Absatz 1 Satz 2 SGG von drei Monaten gilt vorliegend nicht, da der Widerspruchsbescheid vom 29.06.2005 an den Prozessbevollmächtigten des Klägers im Inland (Karlsruhe) mit Empfangsbekenntnis zugestellt wurde. Als Tag der Zustellung wurde im Empfangsbekenntnis durch Eingangsstempel der 01.07.2005 bestätigt und das Empfangsbekenntnis dem SG am 04.07.2005 zurückgesandt. Damit wahrte die am 09.08.2005 beim SG erhobene Klage die Monatsfrist nicht. Deswegen erweist sich die Klage jedoch nicht als unzulässig. Denn dem Kläger ist in der Rechtsbehelfsbelehrung des Widerspruchsbescheides die unrichtige Belehrung erteilt worden, dass die Frist für die Erhebung der Klage drei Monate betrage. Damit war seine Klage gemäß § 66 Absatz 1 Satz 1 SGG innerhalb eines Jahres seit der Zustellung des Widerspruchsbescheides zulässig. Diese Frist wurde eingehalten.
Rechtsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch ist § 57 Abs. 1 SGB III (i.d.F. des Gesetzes vom 10.12.2001 [BGBl. I S. 3443])). Danach können Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden oder vermeiden, zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung Überbrückungsgeld erhalten. Überbrückungsgeld kann geleistet werden, wenn der Arbeitnehmer in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit oder der vorgeschalteten Teilnahme an einer Maßnahme zu deren Vorbereitung Entgeltersatzleistungen nach dem SGB III bezogen hat oder einen Anspruch darauf hätte (§ 57 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a) SGB III) oder eine Beschäftigung ausgeübt hat, die als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme oder als Strukturanpassungsmaßnahme gefördert worden ist (§ 57 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe b) SGB III) und eine Stellungnahme einer fachkundigen Stelle über die Tragfähigkeit der Existenzgründung vorgelegt hat. Fachkundige Stellen sind insbesondere die Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern, berufsständischen Kammern, Fachverbände und Kreditinstitute (§ 57 Abs. 2 Nr. 2 SGB III).
Diese Voraussetzungen sind beim Kläger dem Grunde nach erfüllt. Nach den vorliegenden Unterlagen und Erklärungen des Klägers besteht kein Zweifel, dass der Kläger ohne die aufgenommene selbständige Tätigkeit in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit einen Anspruch gegen die Beklagte auf Entgeltersatzleistungen (Arbeitslosengeld) gehabt hätte. Insbesondere war er nach der vorgelegten Arbeitsbescheinigung zuletzt vom 01.07.1998 bis 30.09.2002 als Leiter/Geschäftsführer der Firma Beratungsnetzwerk U.T.A in Karlsruhe in einem versicherungspflichten Arbeitsverhältnis beschäftigt und hat damit die Anwartschaftszeit für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld erfüllt. Dem entspricht auch der Bescheid der Beklagten vom 02.06.2003, mit dem ein Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld aus anderen Gründen (Wohnsitz und Verfügbarkeit) abgelehnt wurde. Weiter hat der Kläger eine Stellungnahme einer fachkundigen Stelle vom 26.09.2002 durch den Wirtschaftsprüfer und Steuerberater E. vorgelegt, in der die Tragfähigkeit der Existenzgründung des Klägers bestätigt wird. Damit sind die Voraussetzungen für die Leistung von Überbrückungsgeld beim Kläger dem Grunde nach erfüllt. Dem steht § 30 Absatz 1 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I) auch hinsichtlich eines Anspruches auf Arbeitslosengeld nicht entgegen.
Ein Anspruch des Klägers auf Überbrückungsgeld nach § 57 SGB III entfällt auch nicht deswegen, weil er in Frankreich wohnt. Zwar sieht § 30 Absatz 1 SGB I vor, dass Sozialleistungen, wie sie der Kläger begehrt, nur an Personen erbracht werden dürfen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben. Hiervon macht § 30 Absatz 2 SGB I jedoch eine Ausnahme, wenn Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts auch bei einem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland einen Sozialleistungsanspruch nach deutschem Recht vorsehen. Dies trifft beim Kläger zu.
Nach Artikel 71 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (VO [EWG] Nr. 1408/71) gilt nach Absatz 1 für die Gewährung der Leistungen an einen arbeitslosen Arbeitnehmer, der während seiner letzten Beschäftigung im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats als des zuständigen Staates wohnte, folgendes:
a) i Grenzgänger erhalten bei Kurzarbeit oder sonstigem vorübergehendem Arbeitsausfall in dem Unternehmen, das sie beschäftigt, Leistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates, als ob sie im Gebiet dieses Staates wohnten; diese Leistungen gewährt der zuständige Träger; ii Grenzgänger erhalten bei Vollarbeitslosigkeit Leistungen nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet sie wohnen, als ob während der letzten Beschäftigung die Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats für sie gegolten hätten; diese Leistungen gewährt der Träger des Wohnorts zu seinen Lasten; b) i Arbeitnehmer, die nicht Grenzgänger sind und weiterhin ihrem Arbeitgeber oder der Arbeitsverwaltung des zuständigen Staates zur Verfügung stehen, erhalten bei Kurzarbeit, sonstigem vorübergehendem Arbeitsausfall oder Vollarbeitslosigkeit Leistungen nach den Rechtsvorschriften dieses Staates, als ob sie in diesem Staat wohnten; diese Leistungen gewährt der zuständige Träger; ii Arbeitnehmer, die nicht Grenzgänger sind und die sich der Arbeitsverwaltung des Mitgliedstaats zur Verfügung stellen, in dessen Gebiet sie wohnen, oder in das Gebiet dieses Staates zurückkehren, erhalten bei Vollarbeitslosigkeit Leistungen nach den Rechtsvorschriften dieses Staates, als ob sie dort zuletzt beschäftigt gewesen wären; diese Leistungen gewährt der Träger des Wohnorts zu seinen Lasten. Der Arbeitslose erhält jedoch Leistungen nach Maßgabe des Artikels 69, wenn ihm bereits Leistungen zu Lasten des zuständigen Trägers des Mitgliedstaats zuerkannt worden waren, dessen Rechtsvorschriften zuletzt für ihn gegolten haben. Die Gewährung von Leistungen nach den Rechtsvorschriften des Staates, in dem er wohnt, wird für den Zeitraum ausgesetzt, für den der Arbeitslose gemäß Artikel 69 Leistungen nach den Rechtsvorschriften beanspruchen kann, die zuletzt für ihn gegolten haben.
Der Kläger gehört zu dem von Artikel 71 VO (EWG) Nr. 1408/71 erfassten Personenkreis. Er ist Staatsangehöriger eines Mitgliedsstaates der EU. Er hatte während seiner letzten Beschäftigung in Karlsruhe bereits seinen Wohnsitz in Frankreich. Der Kläger ist weiter auch arbeitsloser Arbeitnehmer im Sinne dieser Vorschrift. Die letzte versicherungspflichtige Beschäftigung des Klägers wurde zum 30.09.2002 beendet. Damit trat beim Kläger ab 01.10.2002 Arbeitslosigkeit ein, die er nur durch die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit zeitgleich beendete. Die zeitgleiche Beendigung einer Arbeitslosigkeit schließt die Anwendung des Artikel 71 VO (EWG) Nr. 1408/71 nicht aus. Diese Vorschrift umfasst nicht nur Geldzahlungen (Lohnersatzleistungen), sondern auch die Unterstützung bei der beruflichen Wiedereingliederung, die die Arbeitsverwaltung den ihr zur Verfügung stehenden Arbeitnehmer gewährt (EuGH, Urteil vom 12.06.1986 - C-1/85 -, veröffentlicht in juris). Setzt eine Leistung zur Förderung der Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit, wie sie vorliegend streitig ist, das Vorliegen von Arbeitslosigkeit nicht voraus, sondern steht sie auch dann zu, wenn durch die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit vermieden wird, wie dies beim Kläger der Fall ist, kann dies nicht dazu führen, den Kläger vom Anwendungsbereich des Art. 71 VO (EWG) Nr. 1408/71 auszuklammern. Entscheidend ist insoweit, dass das Überbrückungsgeld sich hinsichtlich der Höhe maßgeblich an dem zuvor als Arbeitslosengeld bezogenen Betrag orientiert (vgl. § 57 Abs. 5 SGB III) und auch den Sinn hat, den Lebensunterhalt des Existenzgründers zu sichern. Es handelt sich deshalb um eine Leistung, die wenigstens teilweise Entgeltcharakter hat und daher von Art. 4 Abs. 1 Buchst. g VO (EWG) Nr. 1408/71 erfasst wird (Leopold, ZESAR 2008, 22, 26). Die Beklagte kann sich zur Begründung ihrer ablehnenden Entscheidung deshalb nicht mit Erfolg darauf berufen, beim Kläger habe wegen der Aufnahme seiner selbstständigen Tätigkeit Arbeitslosigkeit (im Sinne des SGB III) nicht vorgelegen.
Der Kläger ist zur Überzeugung des Senats - entgegen der Ansicht der Beklagten und des SG - als ein unter Artikel 71 Abs. 1 Buchstabe b VO (EWG) Nr. 1408/71 fallender Arbeitnehmer anzusehen. Dabei kommt es nicht auf die zwischen den Beteiligten in der Auslegung/Handhabung umstrittenen Dienstanweisungen der Beklagten betreffend Leistungen an arbeitslose Grenzgänger mit Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt im Ausland (Nr. 5 des Runderlasses der Beklagten vom 08.12.1999, IIa1 -7034.14) an, die nach ihrem Inhalt die Bewilligung von Lohnersatzleistungen (Arbeitslosengeld) zum Gegenstand hat, was vorliegend aber nicht streitig ist.
Nach der Rechtsprechung des EuGH (vgl. Urteil vom 12.06.1986 - C-1/85 -, a.a.O) soll Artikel 71 VO (EWG) Nr. 1408/71 "sicherstellen, dass dem Wanderarbeitnehmer die Leistungen bei Arbeitslosigkeit unter den für die Arbeitsuche günstigsten Voraussetzungen gewährt werden. Unter diesem Gesichtspunkt ist davon auszugehen, dass der Vorschrift, wonach ein Grenzgänger im Sinne des Artikels 1 Buchstabe b bei Vollarbeitslosigkeit ausschließlich Anspruch auf die Leistungen des Wohnortstaates hat, die stillschweigende Annahme zu Grunde liegt, dass die Voraussetzungen für die Arbeitsuche für einen solchen Arbeitnehmer in diesem Staat am günstigsten sind. Der Zweck des Artikels 71 Absatz 1 Buchstabe a Ziffer ii der Verordnung Nr. 1408/71 kann jedoch nicht erreicht werden, wenn ein vollarbeitsloser Arbeitnehmer zwar die Kriterien des Artikels 1 Buchstabe b dieser Verordnung erfüllt, ausnahmsweise aber im Staat der letzten Beschäftigung persönliche und berufliche Bindungen solcher Art beibehält, dass er in diesem Staat die besten Aussichten auf berufliche Wiedereingliederung hat. Ein solcher Arbeitnehmer ist als Arbeitnehmer, der Nichtgrenzgänger ist, im Sinne von Artikel 71 anzusehen, der unter Absatz 1 Buchstabe b dieser Vorschrift fällt. In einem solchen Fall ist es alleine Sache des innerstaatlichen Gerichts, zu entscheiden, ob ein Arbeitnehmer, der in einem anderen Staat als dem Beschäftigungsstaat wohnt, ungeachtet dessen in Letzterem weiterhin die besten Aussichten auf berufliche Wiedereingliederung hat, sodass er unter Artikel 71 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung Nr. 1408/71 fällt." Dieser Rechtsprechung schließt sich der Senat an.
Beim Kläger bestehen zur Überzeugung des Senates Bindungen zum Bundesgebiet (Karlsruhe), die es rechtfertigen, ihn als Arbeitnehmer, der nicht Grenzgänger im Sinne des Artikels 71 VO (EWG) Nr. 1408/71 ist, anzusehen. So übt der Kläger nach seinen glaubhaften, von der Beklagten nicht in Abrede gestellten Vorbringen und den Angaben in der Stellungnahme zur Tragfähigkeit der Existenzgründung vom 26.09.2002 im Wesentlichen seine bisherige Tätigkeit als Angestellter nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen der Einstellung der Tätigkeit durch den Arbeitgeber als Selbständiger mit Betriebssitz in Karlsruhe weiter aus. Die eine Arbeitslosigkeit vermeidende selbständige Tätigkeit des Klägers steht damit in einer engen sachlichen und örtlichen Beziehung zu seiner vorherigen Tätigkeit als Angestellter. Weiter besteht auch ein örtlicher Bezug seiner Familie zum Betriebssitz des Klägers. Nach dem Vorbringen des Klägers arbeitet seine Ehefrau ebenfalls in Karlsruhe und die Tochter ist ausschließlich in Karlsruhe zur Schule gegangen. Diese besonderen Umstände rechtfertigen zur Überzeugung des Senats die Annahme, dass der Kläger in Karlsruhe die besten Aussichten auf seine berufliche Wiedereingliederung hat und deshalb als Arbeitnehmer anzusehen ist, der nicht Grenzgänger im Sinne des Artikels 71 VO (EWG) Nr. 1408/71 ist.
Damit ist der Kläger gemäß Artikel 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer i VO (EWG) Nr. 1408/71 so zu stellen, als ob er im Bundesgebiet wohnt.
Unabhängig von dem oben ausgeführten vermag der Senat der Ansicht der Beklagten und des SG auch aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht zu folgen. Nach den vom BVerfG zur Bedeutung des Gleichheitssatzes für die auf Beiträgen beruhenden Ansprüche auf eine entsprechende Sozialleistung entwickelten Maßstäben ist die den angegriffenen Entscheidungen zu Grunde liegende Auslegung des § 30 Absatz 1 SGB I mit Artikel 3 Absatz 1 GG unvereinbar. Zwar kann eine durch § 30 Absatz 1 SGB I bewirkte Ungleichbehandlung der Personen mit Auslandswohnsitz im Vergleich zu den Personen mit Inlandswohnsitz sachlich gerechtfertigt sein. Es ist ein verfassungsrechtlich grundsätzlich nicht zu beanstandendes Ziel nationaler Sozialpolitik, sozial relevante Tatbestände im eigenen Staatsgebiet zu formen und zu regeln. Der Gesetzgeber kann den Wohn- und Aufenthaltsort als Kriterium wählen, nach dem sich neben anderen Voraussetzungen die Gewährung von Leistungen bei Arbeitslosigkeit bestimmt. Er kann auch für die Beitragspflicht an den Beschäftigungsort oder an den Wohn- oder Aufenthaltsort anknüpfen. Er ist aber nicht frei darin, ohne gewichtige sachliche Gründe den Anknüpfungspunkt zwischen Beitragserhebung und Leistungsberechtigung zu wechseln. Das hat in der Arbeitslosenversicherung vor allem Bedeutung für Personen mit grenznahem Auslandswohnsitz, die im Inland beschäftigt und versichert sind (Grenzgänger). Deren besondere Situation ist durch ihre Nähe zum Staatsgebiet der Bundesrepublik, ihre zwangsweise Einbeziehung in das nationale Sicherungssystem des Beschäftigungsorts und nicht des Wohnsitzes mit entsprechender Beitragspflicht und durch den fortbestehenden Bezug zum Inlandsarbeitsmarkt gekennzeichnet, wie dies auch beim Kläger zutrifft. Steht das Wohnsitzprinzip dem Eingriff durch Auferlegung von Beiträgen nicht entgegen, so können territoriale Gründe nicht erstmals gegen die Einlösung des mit Beiträgen erworbenen Versicherungsschutzes ins Feld geführt werden, wenn Gründe, die einen solchen Wechsel des Anknüpfungssachverhalts rechtfertigen, nicht vorliegen. Unter diesen Voraussetzungen ist, bei Vorliegen eines notwendigen Bezuges zum Geltungsbereich des Gesetzes, von Verfassungs wegen eine Auslegung geboten, die den aus Artikel 3 Absatz 1 GG abgeleiteten Anspruch des Grenzgängers auf eine seiner Beitragszahlung entsprechende Sozialleistung zur Geltung bringt (vgl. zum Vorstehenden BVerfG, Beschluss vom 30.12.1999 - 1 BvR 809/95 -, mw.N.). Der notwendige Bezug zum Geltungsbereich des Gesetzes ergibt sich für den Kläger aus der engen sachlichen und örtlichen Beziehung zu seiner vorherigen Tätigkeit als Angestellter, die die Reichweite des allgemeinen Wohnsitzprinzips nach § 30 Absatz 1 SGB I einschränkt. Gründe, die den von der Beklagten vorgenommenen Wechsel des Anknüpfungssachverhalts rechtfertigen, sind im Falle des Klägers nicht ersichtlich.
Ein Rechtsanspruch des Klägers auf Leistung von Überbrückungsgeld besteht allerdings nicht. Das Überbrückungsgeld ist eine Ermessensleistung der Beklagten mit Ausgestaltungsmöglichkeiten. Dem Kläger steht deshalb nur ein Anspruch dahin zu, dass über seinen Antrag nach pflichtgemäßem Ermessen entschieden wird. Eine Ermessensreduzierung auf Null zu Gunsten des Klägers liegt nicht vor. Der Hauptantrag des Klägers kann deshalb keinen Erfolg haben.
Die Beklagte hat es - ausgehend von ihrem Rechtsstandpunkt - bislang unterlassen, über den Antrag des Klägers auf Zahlung von Überbrückungsgeld nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Insoweit hat die Berufung des Klägers - mit dem Hilfsantrag - Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Der Senat misst dem vorliegenden Rechtsstreit aufgrund der Rechtsprechung des EuGH und des BVerfG, von der er nicht abweicht, keine grundsätzliche Bedeutung bei. Im Übrigen hat sich auch das BSG bereits der Rechtsprechung des EuGH und des BVerfG angeschlossen (BSG, Urteil vom 03.07.2003, B 7 AL 42/02 R. SozR 4 - 6050 Art. 71 Nr. 2).
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers beider Instanzen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Überbrückungsgeld nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III) streitig.
Der.1951 geborene Kläger besitzt die niederländische Staatsangehörigkeit. Der Kläger wohnt in R. (Frankreich). Er war von 01.01.1979 bis 30.6.1998 als Gewerkschaftssekretär bei der IG C.-P.-K. und vom 01.07.1998 bis 30.09.2002 als Leiter / Geschäftsführer beim Beratungsnetzwerk U.T.A. in K. beschäftigt. Er erzielte zuletzt für den Zeitraum vom 01.10.2001 bis 30.09.2002 einen Nettoverdienst von 49.943,04 EUR (monatlich 4.161,92 EUR). Sein letztes Beschäftigungsverhältnis endete aus betriebsbedingten Gründen.
Am 12.07.2002 / 23.10.2002 beantragte der Kläger beim Arbeitsamt Karlsruhe, jetzt Agentur für Arbeit (AA), Überbrückungsgeld. Er trug vor, in Frankreich gebe es kein Überbrückungsgeld für Existenzgründer, er bekäme aber für 45 Monate ein relativ hohes Arbeitslosengeld. Er wolle allerdings arbeiten und sich in Karlsruhe mit dem Existenzgründungsvorhaben "Beratungsbüro, Mitarbeiter, Weiterbildung, Motivation" selbständig machen. Er habe rund 25 Jahre ausschließlich in der Bundesrepublik Deutschland seine Beiträge zur Arbeitslosenversicherung (Sozialabgaben) und Steuern bezahlt. Er und seine Frau arbeiteten beide in Karlsruhe und ihre Tochter sei ausschließlich in Karlsruhe zur Schule gegangen. Der Kläger legte eine Stellungnahme zur Tragfähigkeit der Existenzgründung des Wirtschaftsprüfers und Steuerberaters E. vom 26.09.2002 mit einer Umsatz- und Rentabilitätsvorschau vor. Der Kläger wird vom Finanzamt Karlsruhe-Stadt seit dem 01.10.2002 als Mehrwertsteuerpflichtiger (Unternehmer) steuerlich erfasst.
Mit Bescheid vom 28.10.2002 lehnte das AA dem Antrag des Klägers auf Bewilligung von Überbrückungsgeld für die Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit ab 01.10.2002 ab. Es führte zur Begründung aus, nach § 30 SGB I könnten grundsätzlich nur solche Personen Ansprüche auf Leistungen nach dem SGB III geltend machen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hätten. Hiervon könne nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) nur für den Personenkreis der so genannten "atypischen" Grenzgänger abgewichen werden. Hierzu gehöre der Kläger nicht. Ein Anspruch auf Überbrückungsgeld bestehe daher nicht. Ermessen sei nicht auszuüben, da bereits eine der Grundvoraussetzungen für die Bewilligung von Überbrückungsgeld nicht vorliege. Außerdem lehnte das AA mit bestandskräftigem Bescheid vom 02.06.2003 einen Antrag des Klägers vom 11.09.2002 auf Leistungen von Arbeitslosengeld ab.
Gegen den Bescheid vom 28.10.2002 legte der Kläger am 25.11.2002 Widerspruch ein. Er führte zur Begründung aus, die Argumentation des AA treffe die Angelegenheit nicht richtig. Einen Antrag auf Überbrückungsgeld könne er in Frankreich nicht stellen, da es dort eine derartige Leistung durch das Arbeitsamt nicht gebe. Außerdem habe er als Selbständiger nach dem französischen Recht keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld besessen, da er aufgrund seiner Selbständigkeit nicht vermittelbar sei. Er sei daher ein "atypischer" Grenzgänger. Weiter müsse auch aufgrund des Gleichbehandlungsgebotes ein Anspruch auf über Überbrückungsgeld bestehen. Er habe seit über 25 Jahren seine Beiträge zur deutschen Arbeitslosenversicherung bezahlt. Damit hätten auch Leistungen finanziert werden sollen, die im Rahmen der besonders geförderten Selbständigkeit anfielen. Es könne nicht Ziel einer Arbeitsmarktpolitik sein, einen Grenzgänger, der seit über 25 Jahren Beiträge zur deutschen Sozialversicherung bezahlt habe, vor die Alternative zu stellen, statt sich selbständig zu machen die Arbeitslosigkeit vorzuziehen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29.06.2005 wurde der Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 28.10.2002 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, es handele sich um eine Ermessensleistung. Nach § 30 SGB I hätten grundsätzlich nur solche Personen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB III, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hätten. Dies gelte gem. Artikel 71 Absatz 1 lit. a Ziffer ii der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 grundsätzlich auch für Arbeitslose, die als Grenzgänger in Deutschland gearbeitet hätten, weil diese in der Regel Anspruch auf Leistungen nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates hätten, in dem sie wohnen. Eine Abweichung hiervon habe der EuGH für den Personenkreis der sogenannten "atypischen" Grenzgänger zugelassen. Der Kläger wäre diesem Personenkreis zuzuordnen, wenn der ausländische Träger einen Leistungsantrag wegen Vermittlungshemmnissen abgelehnt hätte. Dies sei beim Kläger nicht erfolgt. Er werde auch nicht deshalb zum "atypischen" Grenzgänger, weil er im Wohnsitzstaat bei Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit kein Arbeitslosengeld erhalte oder es dort keine dem Überbrückungsgeld vergleichbare Leistung gebe. Demzufolge sei ein Anspruch auf Lohnersatzleistungen nach dem SGB III dem Grunde nach nicht gegeben. Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Überbrückungsgeld seien daher nicht erfüllt. Es stehe daher nicht im Ermessen der AA, die Leistung dennoch zu gewähren. Die gesetzliche Regelung verstoße auch nicht gegen das Gleichbehandlungsgebot. In der Rechtsbehelfsbelehrung des Widerspruchsbescheides wurde der Kläger u. a. dahin belehrt, dass die Frist für die Erhebung der Klage drei Monate betrage. Der Widerspruchsbescheid wurde dem Bevollmächtigten des Klägers am 01.07.2005 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt.
Am 09.08.2005 erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG). Er wiederholte und vertiefte zur Begründung sein bisheriges Vorbringen. Ergänzend trug er vor, er habe seinen Wohnsitz in den letzten Jahren nach Frankreich verlegt. Er sei zuletzt als Referent für Schulungsmaßnahmen von Betriebs- und Personalräten tätig gewesen. Dieses Arbeitsverhältnis sei von seinem Arbeitgeber zum 30.09.2002 gekündigt worden. Er beabsichtige, sich in einer vergleichbaren Tätigkeit selbständig zu machen. Bei ihm liege der Ausnahmefall des " atypischen" Grenzgängers vor. Dass der ausländische Träger einen Leistungsantrag wegen eines Vermittlungshemmnisses abgelehnt habe, sei nicht zwingend notwendig. Von einem Vermittlungshemmnis müsse ausgegangen werden, da seine selbständige Tätigkeit ein entsprechendes Vermittlungshemmnis sowie auch ein entsprechendes Anspruchshindernis nach französischem Recht darstelle. Die weiteren Voraussetzungen des § 57 SGB III lägen vor. Der Kläger berief sich auf Dienstanweisungen der Beklagten.
Die Beklagte trat der Klage mit der Begründung entgegen, die Eigenschaft des Klägers als "atypischer" Grenzgänger werde nicht bereits dadurch begründet, dass er im Mitgliedstaat, indem er seinen Wohnsitz habe (Frankreich), im Falle der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit kein Arbeitslosengeld erhalte oder die dortigen Gesetze die Zahlung einer mit den Überbrückungsgeld vergleichbaren Leistung nicht vorsähen. Der Kläger übersehe, dass die Anerkennung eines Ausnahmetatbestandes voraussetze, dass es sich um einen arbeitslosen Grenzgänger handeln müsse. Der Kläger sei durch die Aufnahme seiner selbständigen Tätigkeit nicht arbeitslos. Zudem existiere beim Kläger auch kein "Beschäftigungsverbot". Eine Ausnahme von Wohnsitzprinzip des § 30 Abs. 1 SGB I werde gemacht, wenn gute Aussichten auf eine berufliche Wiedereingliederung bestünden. Dieser Zweck könne vorliegend nicht erfüllt werden, da der Kläger nicht arbeitslos sei oder gewesen sei, sondern nahtlos in eine selbständige Betätigung übergehe. Die Dienstanweisungen stünden nicht entgegen.
Mit Gerichtsbescheid vom 26.01.2007 wies das SG die Klage ab. Es führte zur Begründung aus, Voraussetzung des geltend gemachten Anspruches sei ein Wohnsitz oder ein gewöhnlichen Aufenthalt des Klägers im Geltungsbereich des SGB III. Dies sei hier nicht der Fall. Die Voraussetzungen des vom EuGH zugelassenen Ausnahmetatbestandes des sogenannten "atypischen" Grenzgängers lägen beim Kläger nicht vor.
Gegen den seinen Prozessbevollmächtigten am 30.01.2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 22.02.2007 Berufung eingelegt. Der Kläger hat zur Begründung ausgeführt, dass mangels Verfügbarkeit nach französischem Recht ein Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht bestehe und dass die Anspruchsvoraussetzungen für die Leistung eines Überbrückungsgeldes sowohl nach den gesetzlichen Grundlagen wie auch den Dienstanweisungen der Beklagten erfüllt seien.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 26. Januar 2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28. Oktober 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Juni 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Überbrückungsgeld in gesetzlichen Umfang zu leisten, hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, seinen Antrag auf Überbrückungsgeld vom 12. Juli 2002 / 23. Oktober 2002 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält den angefochtenen Gerichtsbescheid des SG für zutreffend und hat an ihrer Ansicht festgehalten.
Wegen Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie ein Band Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist gemäß den §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufung ist auch teilweise begründet. Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Neubescheidung seines Antrages auf die Gewährung von Überbrückungsgeld vom 12.07.2002 / 23.10.2002 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes zu. Im Übrigen ist seine Berufung jedoch nicht begründet.
Die Berufung des Klägers ist nicht deswegen unbegründet, weil die Klage beim SG nicht innerhalb der Klagefrist des § 87 Absatz 1 Satz 1 SGG von einem Monat erhoben wurde. Die Frist des § 87 Absatz 1 Satz 2 SGG von drei Monaten gilt vorliegend nicht, da der Widerspruchsbescheid vom 29.06.2005 an den Prozessbevollmächtigten des Klägers im Inland (Karlsruhe) mit Empfangsbekenntnis zugestellt wurde. Als Tag der Zustellung wurde im Empfangsbekenntnis durch Eingangsstempel der 01.07.2005 bestätigt und das Empfangsbekenntnis dem SG am 04.07.2005 zurückgesandt. Damit wahrte die am 09.08.2005 beim SG erhobene Klage die Monatsfrist nicht. Deswegen erweist sich die Klage jedoch nicht als unzulässig. Denn dem Kläger ist in der Rechtsbehelfsbelehrung des Widerspruchsbescheides die unrichtige Belehrung erteilt worden, dass die Frist für die Erhebung der Klage drei Monate betrage. Damit war seine Klage gemäß § 66 Absatz 1 Satz 1 SGG innerhalb eines Jahres seit der Zustellung des Widerspruchsbescheides zulässig. Diese Frist wurde eingehalten.
Rechtsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch ist § 57 Abs. 1 SGB III (i.d.F. des Gesetzes vom 10.12.2001 [BGBl. I S. 3443])). Danach können Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden oder vermeiden, zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung Überbrückungsgeld erhalten. Überbrückungsgeld kann geleistet werden, wenn der Arbeitnehmer in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit oder der vorgeschalteten Teilnahme an einer Maßnahme zu deren Vorbereitung Entgeltersatzleistungen nach dem SGB III bezogen hat oder einen Anspruch darauf hätte (§ 57 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a) SGB III) oder eine Beschäftigung ausgeübt hat, die als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme oder als Strukturanpassungsmaßnahme gefördert worden ist (§ 57 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe b) SGB III) und eine Stellungnahme einer fachkundigen Stelle über die Tragfähigkeit der Existenzgründung vorgelegt hat. Fachkundige Stellen sind insbesondere die Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern, berufsständischen Kammern, Fachverbände und Kreditinstitute (§ 57 Abs. 2 Nr. 2 SGB III).
Diese Voraussetzungen sind beim Kläger dem Grunde nach erfüllt. Nach den vorliegenden Unterlagen und Erklärungen des Klägers besteht kein Zweifel, dass der Kläger ohne die aufgenommene selbständige Tätigkeit in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit einen Anspruch gegen die Beklagte auf Entgeltersatzleistungen (Arbeitslosengeld) gehabt hätte. Insbesondere war er nach der vorgelegten Arbeitsbescheinigung zuletzt vom 01.07.1998 bis 30.09.2002 als Leiter/Geschäftsführer der Firma Beratungsnetzwerk U.T.A in Karlsruhe in einem versicherungspflichten Arbeitsverhältnis beschäftigt und hat damit die Anwartschaftszeit für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld erfüllt. Dem entspricht auch der Bescheid der Beklagten vom 02.06.2003, mit dem ein Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld aus anderen Gründen (Wohnsitz und Verfügbarkeit) abgelehnt wurde. Weiter hat der Kläger eine Stellungnahme einer fachkundigen Stelle vom 26.09.2002 durch den Wirtschaftsprüfer und Steuerberater E. vorgelegt, in der die Tragfähigkeit der Existenzgründung des Klägers bestätigt wird. Damit sind die Voraussetzungen für die Leistung von Überbrückungsgeld beim Kläger dem Grunde nach erfüllt. Dem steht § 30 Absatz 1 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I) auch hinsichtlich eines Anspruches auf Arbeitslosengeld nicht entgegen.
Ein Anspruch des Klägers auf Überbrückungsgeld nach § 57 SGB III entfällt auch nicht deswegen, weil er in Frankreich wohnt. Zwar sieht § 30 Absatz 1 SGB I vor, dass Sozialleistungen, wie sie der Kläger begehrt, nur an Personen erbracht werden dürfen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben. Hiervon macht § 30 Absatz 2 SGB I jedoch eine Ausnahme, wenn Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts auch bei einem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland einen Sozialleistungsanspruch nach deutschem Recht vorsehen. Dies trifft beim Kläger zu.
Nach Artikel 71 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (VO [EWG] Nr. 1408/71) gilt nach Absatz 1 für die Gewährung der Leistungen an einen arbeitslosen Arbeitnehmer, der während seiner letzten Beschäftigung im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats als des zuständigen Staates wohnte, folgendes:
a) i Grenzgänger erhalten bei Kurzarbeit oder sonstigem vorübergehendem Arbeitsausfall in dem Unternehmen, das sie beschäftigt, Leistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates, als ob sie im Gebiet dieses Staates wohnten; diese Leistungen gewährt der zuständige Träger; ii Grenzgänger erhalten bei Vollarbeitslosigkeit Leistungen nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet sie wohnen, als ob während der letzten Beschäftigung die Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats für sie gegolten hätten; diese Leistungen gewährt der Träger des Wohnorts zu seinen Lasten; b) i Arbeitnehmer, die nicht Grenzgänger sind und weiterhin ihrem Arbeitgeber oder der Arbeitsverwaltung des zuständigen Staates zur Verfügung stehen, erhalten bei Kurzarbeit, sonstigem vorübergehendem Arbeitsausfall oder Vollarbeitslosigkeit Leistungen nach den Rechtsvorschriften dieses Staates, als ob sie in diesem Staat wohnten; diese Leistungen gewährt der zuständige Träger; ii Arbeitnehmer, die nicht Grenzgänger sind und die sich der Arbeitsverwaltung des Mitgliedstaats zur Verfügung stellen, in dessen Gebiet sie wohnen, oder in das Gebiet dieses Staates zurückkehren, erhalten bei Vollarbeitslosigkeit Leistungen nach den Rechtsvorschriften dieses Staates, als ob sie dort zuletzt beschäftigt gewesen wären; diese Leistungen gewährt der Träger des Wohnorts zu seinen Lasten. Der Arbeitslose erhält jedoch Leistungen nach Maßgabe des Artikels 69, wenn ihm bereits Leistungen zu Lasten des zuständigen Trägers des Mitgliedstaats zuerkannt worden waren, dessen Rechtsvorschriften zuletzt für ihn gegolten haben. Die Gewährung von Leistungen nach den Rechtsvorschriften des Staates, in dem er wohnt, wird für den Zeitraum ausgesetzt, für den der Arbeitslose gemäß Artikel 69 Leistungen nach den Rechtsvorschriften beanspruchen kann, die zuletzt für ihn gegolten haben.
Der Kläger gehört zu dem von Artikel 71 VO (EWG) Nr. 1408/71 erfassten Personenkreis. Er ist Staatsangehöriger eines Mitgliedsstaates der EU. Er hatte während seiner letzten Beschäftigung in Karlsruhe bereits seinen Wohnsitz in Frankreich. Der Kläger ist weiter auch arbeitsloser Arbeitnehmer im Sinne dieser Vorschrift. Die letzte versicherungspflichtige Beschäftigung des Klägers wurde zum 30.09.2002 beendet. Damit trat beim Kläger ab 01.10.2002 Arbeitslosigkeit ein, die er nur durch die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit zeitgleich beendete. Die zeitgleiche Beendigung einer Arbeitslosigkeit schließt die Anwendung des Artikel 71 VO (EWG) Nr. 1408/71 nicht aus. Diese Vorschrift umfasst nicht nur Geldzahlungen (Lohnersatzleistungen), sondern auch die Unterstützung bei der beruflichen Wiedereingliederung, die die Arbeitsverwaltung den ihr zur Verfügung stehenden Arbeitnehmer gewährt (EuGH, Urteil vom 12.06.1986 - C-1/85 -, veröffentlicht in juris). Setzt eine Leistung zur Förderung der Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit, wie sie vorliegend streitig ist, das Vorliegen von Arbeitslosigkeit nicht voraus, sondern steht sie auch dann zu, wenn durch die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit vermieden wird, wie dies beim Kläger der Fall ist, kann dies nicht dazu führen, den Kläger vom Anwendungsbereich des Art. 71 VO (EWG) Nr. 1408/71 auszuklammern. Entscheidend ist insoweit, dass das Überbrückungsgeld sich hinsichtlich der Höhe maßgeblich an dem zuvor als Arbeitslosengeld bezogenen Betrag orientiert (vgl. § 57 Abs. 5 SGB III) und auch den Sinn hat, den Lebensunterhalt des Existenzgründers zu sichern. Es handelt sich deshalb um eine Leistung, die wenigstens teilweise Entgeltcharakter hat und daher von Art. 4 Abs. 1 Buchst. g VO (EWG) Nr. 1408/71 erfasst wird (Leopold, ZESAR 2008, 22, 26). Die Beklagte kann sich zur Begründung ihrer ablehnenden Entscheidung deshalb nicht mit Erfolg darauf berufen, beim Kläger habe wegen der Aufnahme seiner selbstständigen Tätigkeit Arbeitslosigkeit (im Sinne des SGB III) nicht vorgelegen.
Der Kläger ist zur Überzeugung des Senats - entgegen der Ansicht der Beklagten und des SG - als ein unter Artikel 71 Abs. 1 Buchstabe b VO (EWG) Nr. 1408/71 fallender Arbeitnehmer anzusehen. Dabei kommt es nicht auf die zwischen den Beteiligten in der Auslegung/Handhabung umstrittenen Dienstanweisungen der Beklagten betreffend Leistungen an arbeitslose Grenzgänger mit Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt im Ausland (Nr. 5 des Runderlasses der Beklagten vom 08.12.1999, IIa1 -7034.14) an, die nach ihrem Inhalt die Bewilligung von Lohnersatzleistungen (Arbeitslosengeld) zum Gegenstand hat, was vorliegend aber nicht streitig ist.
Nach der Rechtsprechung des EuGH (vgl. Urteil vom 12.06.1986 - C-1/85 -, a.a.O) soll Artikel 71 VO (EWG) Nr. 1408/71 "sicherstellen, dass dem Wanderarbeitnehmer die Leistungen bei Arbeitslosigkeit unter den für die Arbeitsuche günstigsten Voraussetzungen gewährt werden. Unter diesem Gesichtspunkt ist davon auszugehen, dass der Vorschrift, wonach ein Grenzgänger im Sinne des Artikels 1 Buchstabe b bei Vollarbeitslosigkeit ausschließlich Anspruch auf die Leistungen des Wohnortstaates hat, die stillschweigende Annahme zu Grunde liegt, dass die Voraussetzungen für die Arbeitsuche für einen solchen Arbeitnehmer in diesem Staat am günstigsten sind. Der Zweck des Artikels 71 Absatz 1 Buchstabe a Ziffer ii der Verordnung Nr. 1408/71 kann jedoch nicht erreicht werden, wenn ein vollarbeitsloser Arbeitnehmer zwar die Kriterien des Artikels 1 Buchstabe b dieser Verordnung erfüllt, ausnahmsweise aber im Staat der letzten Beschäftigung persönliche und berufliche Bindungen solcher Art beibehält, dass er in diesem Staat die besten Aussichten auf berufliche Wiedereingliederung hat. Ein solcher Arbeitnehmer ist als Arbeitnehmer, der Nichtgrenzgänger ist, im Sinne von Artikel 71 anzusehen, der unter Absatz 1 Buchstabe b dieser Vorschrift fällt. In einem solchen Fall ist es alleine Sache des innerstaatlichen Gerichts, zu entscheiden, ob ein Arbeitnehmer, der in einem anderen Staat als dem Beschäftigungsstaat wohnt, ungeachtet dessen in Letzterem weiterhin die besten Aussichten auf berufliche Wiedereingliederung hat, sodass er unter Artikel 71 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung Nr. 1408/71 fällt." Dieser Rechtsprechung schließt sich der Senat an.
Beim Kläger bestehen zur Überzeugung des Senates Bindungen zum Bundesgebiet (Karlsruhe), die es rechtfertigen, ihn als Arbeitnehmer, der nicht Grenzgänger im Sinne des Artikels 71 VO (EWG) Nr. 1408/71 ist, anzusehen. So übt der Kläger nach seinen glaubhaften, von der Beklagten nicht in Abrede gestellten Vorbringen und den Angaben in der Stellungnahme zur Tragfähigkeit der Existenzgründung vom 26.09.2002 im Wesentlichen seine bisherige Tätigkeit als Angestellter nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen der Einstellung der Tätigkeit durch den Arbeitgeber als Selbständiger mit Betriebssitz in Karlsruhe weiter aus. Die eine Arbeitslosigkeit vermeidende selbständige Tätigkeit des Klägers steht damit in einer engen sachlichen und örtlichen Beziehung zu seiner vorherigen Tätigkeit als Angestellter. Weiter besteht auch ein örtlicher Bezug seiner Familie zum Betriebssitz des Klägers. Nach dem Vorbringen des Klägers arbeitet seine Ehefrau ebenfalls in Karlsruhe und die Tochter ist ausschließlich in Karlsruhe zur Schule gegangen. Diese besonderen Umstände rechtfertigen zur Überzeugung des Senats die Annahme, dass der Kläger in Karlsruhe die besten Aussichten auf seine berufliche Wiedereingliederung hat und deshalb als Arbeitnehmer anzusehen ist, der nicht Grenzgänger im Sinne des Artikels 71 VO (EWG) Nr. 1408/71 ist.
Damit ist der Kläger gemäß Artikel 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer i VO (EWG) Nr. 1408/71 so zu stellen, als ob er im Bundesgebiet wohnt.
Unabhängig von dem oben ausgeführten vermag der Senat der Ansicht der Beklagten und des SG auch aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht zu folgen. Nach den vom BVerfG zur Bedeutung des Gleichheitssatzes für die auf Beiträgen beruhenden Ansprüche auf eine entsprechende Sozialleistung entwickelten Maßstäben ist die den angegriffenen Entscheidungen zu Grunde liegende Auslegung des § 30 Absatz 1 SGB I mit Artikel 3 Absatz 1 GG unvereinbar. Zwar kann eine durch § 30 Absatz 1 SGB I bewirkte Ungleichbehandlung der Personen mit Auslandswohnsitz im Vergleich zu den Personen mit Inlandswohnsitz sachlich gerechtfertigt sein. Es ist ein verfassungsrechtlich grundsätzlich nicht zu beanstandendes Ziel nationaler Sozialpolitik, sozial relevante Tatbestände im eigenen Staatsgebiet zu formen und zu regeln. Der Gesetzgeber kann den Wohn- und Aufenthaltsort als Kriterium wählen, nach dem sich neben anderen Voraussetzungen die Gewährung von Leistungen bei Arbeitslosigkeit bestimmt. Er kann auch für die Beitragspflicht an den Beschäftigungsort oder an den Wohn- oder Aufenthaltsort anknüpfen. Er ist aber nicht frei darin, ohne gewichtige sachliche Gründe den Anknüpfungspunkt zwischen Beitragserhebung und Leistungsberechtigung zu wechseln. Das hat in der Arbeitslosenversicherung vor allem Bedeutung für Personen mit grenznahem Auslandswohnsitz, die im Inland beschäftigt und versichert sind (Grenzgänger). Deren besondere Situation ist durch ihre Nähe zum Staatsgebiet der Bundesrepublik, ihre zwangsweise Einbeziehung in das nationale Sicherungssystem des Beschäftigungsorts und nicht des Wohnsitzes mit entsprechender Beitragspflicht und durch den fortbestehenden Bezug zum Inlandsarbeitsmarkt gekennzeichnet, wie dies auch beim Kläger zutrifft. Steht das Wohnsitzprinzip dem Eingriff durch Auferlegung von Beiträgen nicht entgegen, so können territoriale Gründe nicht erstmals gegen die Einlösung des mit Beiträgen erworbenen Versicherungsschutzes ins Feld geführt werden, wenn Gründe, die einen solchen Wechsel des Anknüpfungssachverhalts rechtfertigen, nicht vorliegen. Unter diesen Voraussetzungen ist, bei Vorliegen eines notwendigen Bezuges zum Geltungsbereich des Gesetzes, von Verfassungs wegen eine Auslegung geboten, die den aus Artikel 3 Absatz 1 GG abgeleiteten Anspruch des Grenzgängers auf eine seiner Beitragszahlung entsprechende Sozialleistung zur Geltung bringt (vgl. zum Vorstehenden BVerfG, Beschluss vom 30.12.1999 - 1 BvR 809/95 -, mw.N.). Der notwendige Bezug zum Geltungsbereich des Gesetzes ergibt sich für den Kläger aus der engen sachlichen und örtlichen Beziehung zu seiner vorherigen Tätigkeit als Angestellter, die die Reichweite des allgemeinen Wohnsitzprinzips nach § 30 Absatz 1 SGB I einschränkt. Gründe, die den von der Beklagten vorgenommenen Wechsel des Anknüpfungssachverhalts rechtfertigen, sind im Falle des Klägers nicht ersichtlich.
Ein Rechtsanspruch des Klägers auf Leistung von Überbrückungsgeld besteht allerdings nicht. Das Überbrückungsgeld ist eine Ermessensleistung der Beklagten mit Ausgestaltungsmöglichkeiten. Dem Kläger steht deshalb nur ein Anspruch dahin zu, dass über seinen Antrag nach pflichtgemäßem Ermessen entschieden wird. Eine Ermessensreduzierung auf Null zu Gunsten des Klägers liegt nicht vor. Der Hauptantrag des Klägers kann deshalb keinen Erfolg haben.
Die Beklagte hat es - ausgehend von ihrem Rechtsstandpunkt - bislang unterlassen, über den Antrag des Klägers auf Zahlung von Überbrückungsgeld nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Insoweit hat die Berufung des Klägers - mit dem Hilfsantrag - Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Der Senat misst dem vorliegenden Rechtsstreit aufgrund der Rechtsprechung des EuGH und des BVerfG, von der er nicht abweicht, keine grundsätzliche Bedeutung bei. Im Übrigen hat sich auch das BSG bereits der Rechtsprechung des EuGH und des BVerfG angeschlossen (BSG, Urteil vom 03.07.2003, B 7 AL 42/02 R. SozR 4 - 6050 Art. 71 Nr. 2).
Rechtskraft
Aus
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