S 8 AL 1486/04

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 8 AL 1486/04
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Gewährung von Überbrückungsgeld ab 01.05.2004. Die 1959 geborene Klägerin war vom 01.12.1987 bis 29.07.2002 selbständig tätig als Inhaberin des Restaurants L., x-Twiete, Hamburg. Ihr Ehemann G. R. war als Koch in diesem Restaurant beschäftigt. Am 30.05.2002 beantragte die Klägerin die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Mit Beschluss vom 01.08.2002 des Amtsgerichts Hamburg wurde über das Vermögen der Klägerin, handelnd unter dem Ristorante L. das Insolvenzverfahren eröffnet. Das Restaurant wurde Ende Juli 2002 vom Ehemann der Kläger als Inhaber übernommen. Laut Gewerbeanmeldung war der Ehemann der Klägerin vom 29.07.2002 bis 01.11.2004 Inhaber der Restaurants L ... Am 02.10.2002 eröffnete unter der Konzession des Ehemannes der Klägerin das Restaurant A., B-Straße, Hamburg. Zuvor war das Objekt des N.-Vereins als Vereinslokal von einem Ehepaar ca. 33 Jahre lang geführt wurden. Ab 01.10.2002 war die Klägerin als Geschäftsführerin und Betriebsleiterin des Restaurants "A." eingestellt. Im Geschäftsführervertrag vom 29.09.2002 zwischen der Klägerin und ihrem Ehemann als Pächter des Restaurants A. war u.a. geregelt:

" § 2 Arbeitszeit und Arbeitsort Frau R. übernimmt die gesamte Leitung der Gaststätte wie beispielsweise Einkauf, Werbung, Personalmanagment sowie innere und äußere Organisation und Ausgestaltung der Gaststätte. Die Öffnungszeiten richten sich nach dem mit dem Verpächter, dem N.-Verein geschlossenen Pachtvertrag, der hiermit ausdrücklich Bestandteil dieses Geschäftsführervertrages wird. Frau R. verpflichtet sich, die in diesem Pachtvertrag festgehaltene Verpflichtung des Pächters vollumfänglich in Eigenverantwortung zu erfüllen. § 5 Sonstige Vereinbarung Für den Fall, dass der Pächter die Pacht aufzugeben gedenkt bzw. eine Unterverpachtung plant, ist der Geschäftsführerin ein Vorrecht zur Übernahme des Restaurantbetriebes entweder im Rahmen eines Unterpachtvertrages oder als Nebenpächterin anzubieten ...Darüber räumt der Pächter der Geschäftsführerin Frau I. R. die Option ein, ab dem 01.09.2007 die Pacht selbst zu übernehmen."

Laut vorgelegtem Nachtrag vom Geschäftsführervertrag datierend vom 15.09.2004 war vereinbart, dass das jetzige Arbeitsverhältnis der Klägerin ab 01.11.2003 in ein reduziertes Festangestelltenverhältnis übergeht und die monatliche Vergütung auf 450 EUR brutto monatlich angepasst wird.

Am 29.04.2004 meldete sich die Klägerin arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld sowie Überbrückungsgeld ab 01.05.2004 für die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit als Inhaberin des Restaurants A ... Die Klägerin legte hierbei ein von ihrem Ehemann als Pächter unterschriebenes Kündigungsschreiben vom 15.04.2004 vor, wonach das Arbeitsverhältnis der Klägerin fristgerecht zum 30.04.2004 gekündigt worden sei, da der Ehemann die Pacht aufgebe. Die Klägerin hat dieses Schreiben unter der Bezeichnung "Geschäftsführerin" gegengezeichnet. Die Beklagte bewilligte ab 29.04.2004 Arbeitslosengeld allerdings unter Anrechnung von Nebeneinkommen i.H.v. 400 EUR monatlich. Bereits am 27.04.2004 hatte die Klägerin beim Bezirksamt die Tätigkeit als Inhaberin des Restaurants A. ab 01.05.2004 angemeldet. Mit Bescheid vom 04.06.2004 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Überbrückungsgeld ab mit der Begründung, die Klägerin habe einen bestehenden Betrieb übernommen, so dass nach Berücksichtigung aller Umstände davon auszugehen sei, dass der Lebensunterhalt auch schon während der Anlaufphase sichergestellt sei. Weiterhin sei die Klägerin bis zum 30.04.2004 bereits als Geschäftsführerin in dem Betrieb beschäftigt gewesen. Hiergegen legte die Klägerin am 22.06.2004 Widerspruch ein. Sie sei ab 01.11.2003 bis 30.04.2004 nur noch als geringfügig Beschäftigte im A. tätig gewesen. Als Nachweis legte die Klägerin Kopien der Meldung zur Sozialversicherung für den Zeitraum 01.11.2003 bis 31.12.2003 sowie vom 01.01.2004 bis 30.04.2004 vor. Mit Widerspruchsbescheid vom 30.08.2004 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 27.09.2004 Klage erhoben. Sie trägt vor, am 01.11.2003 habe ihr Ehemann die Geschäftsführertätigkeit im A. persönlich übernommen und die Klägerin sei in diesem Zeitraum nur noch als geringfügig beschäftigte Aushilfe für 16,5 Stunden wöchentlich bei einem Gehalt von 450 EUR tätig gewesen. Dies könne auch der Zeuge P. bestätigen, der als Küchenhilfe bei der Klägerin angestellt gewesen sei. Der N.-Verein und die Gäste hätten die Klägerin bewogen, den Betrieb zu übernehmen. Der Betrieb sei heruntergewirtschaftet gewesen. Die Klägerin legte u.a. Gewinn- und Verlustrechnungen für den Zeitraum April bis Dezember 2004 vor, eine Rechnung ihres Ehemanns über Mietrückstände und Telefonrechnungsrückstände über 2891,46 EUR sowie mehrere Handwerkerrechnungen.

Am 13.01.2005 hat sich die Klägerin erneut arbeitslos gemeldet.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 04.06.2004 und den Widerspruchsbescheid vom 30.08.2004 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin ab 01.05.2004 Überbrückungsgeld zu zahlen und die Nachzahlung zu verzinsen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf das Vorbringen im Widerspruchsbescheid und trägt ergänzend vor, aus den vorgelegten betriebswirtschaftlichen Auswertungen sei ersichtlich, dass die Klägerin die Selbständigkeit zumindest bereits im April 2004 begonnen habe. In den vorgelegten Rechnungen von Februar und April 2004 werde die Klägerin bereits als Inhaberin des Restaurants bezeichnet.

Zur weiteren Sachverhaltsaufklärung hat das Gericht Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen P ... Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme und der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Beklagte hat zu Recht die Gewährung von Überbrückungsgeld abgelehnt. Nach § 57 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) in der vom 01.01.2004 bis 26.11.2004 geltenden Fassung haben Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden oder vermeiden, zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung Anspruch auf Überbrückungsgeld. Das Überbrückungsgeld wird geleistet, wenn der Arbeitnehmer 1. in einem engen Zusammenhang mit der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit oder der vorgeschalteten Teilnahme an einer Maßnahme zu deren Vorbereitung Entgeltersatzleistungen nach dem SGB III bezogen hat oder einen Anspruch darauf hätte, und 2. eine Stellungnahme einer fachkundigen Stelle über die Tragfähigkeit der Existenzgründung vorgelegt hat. Es fehlt bereits an der Aufnahme der selbständigen hauptberuflichen Tätigkeit der Klägerin zum 01.05.2004. Zur Überzeugung des Gerichts ist für den Zeitpunkt der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit auf den 01.10.2002, dem Beginn der Geschäftsführertätigkeit der Klägerin für das Restaurant A., abzustellen. Die Existenzgründungsphase muss folglich zum 01.05.2004 bereits als abgeschlossen angesehen werden. Eine selbständige Tätigkeit gilt dann als aufgenommen, wenn erstmals eine unmittelbare auf berufsmäßigen Erwerb gerichtete und der Gewinnerzielung dienende Handlung mit Auswirkung vorgenommen wird. Hierbei sind insbesondere folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen: Die Klägerin war ab 01.10.2002 – ab Eröffnung - zumindest bis 31.10.2003 als Geschäftsführerin und Betriebsleiterin des Restaurants A. tätig. Laut Geschäftsführervertrag oblag ihr die gesamte Leistung der Gaststätte. Sie hatte sich weiterhin verpflichtet, die Verpflichtungen des Pächters voll umfänglich in Eigenverantwortung zu erfüllen. Weiterhin war bereits im Geschäftsführervertrag die Option auf Übernahme der Gaststätte ab 01.09.2007 eingeräumt. Die spätere Möglichkeit der "Übernahme" des Restaurants auch in formeller Hinsicht durch die Klägerin war damit bereits im Jahr 2002 eingeplant. Dies wird auch durch den eigenen Vortrag der Klägerin bestätigt. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass sie nach der Insolvenz sich wieder mit dem Gedanken getragen habe, es mit einem neuen Restaurant zu versuchen. Das dann ausgesuchte neue Lokal habe sie schon lange gekannt. Wegen ihrer Insolvenz habe sie das Lokal nicht direkt übernehmen können. Sie hat weiterhin bestätigt, dass sie die Anfänge alleine gestaltet habe, da der Ehemann sich zunächst um das Restaurant L. gekümmert habe. Dies entspricht auch den Regelungen im Geschäftsführervertrag, der der Klägerin einen vollständigen eigenen Handlungsspielraum in allen geschäftlichen Belangen einräumte. Dies wird insbesondere auch dadurch verdeutlicht, dass die Klägerin sich verpflichtet hatte, alle Verpflichtungen ihres Ehemannes als Pächter voll umfänglich zu erfüllen. Damit erklärt sich auch, warum die Klägerin an ihren Ehemann bereits die Pacht für das Restaurant vor dem 01.05.2004 gezahlt hat, obwohl dieser Pächter des Restaurants war. Bestätigt wird diese Position auch durch die Darstellung des in der Ausgabe 16/2003 erschienen Artikel in der Allgemeinen Hotel- und Gastronomie-Zeitung, in dem die Klägerin als Wirtin des A. bezeichnet wird. Auch der Vortrag der Klägerin, dass sie ab 01.11.2003 bis 30.04.2004 nicht mehr als Geschäftsführerin tätig gewesen sei, sondern lediglich als geringfügig Beschäftigte, führt nicht zu einem Anspruch auf Überbrückungsgeld. Da die Klägerin wöchentlich mit 16,5 Stunden bei einem Verdienst von 450 EUR monatlich nach ihrem Vortrag tätig war, liegt schon keine Geringfügigkeit vor. Weiterhin ist zweifelhaft, ob die Klägerin tatsächlich ab 01.11.2003 nicht mehr als Geschäftsführerin tätig war. Hiergegen spricht zum einen, dass die Vertragsänderung erstmals weit nach Beendigung des "Arbeitsverhältnisses" zum 30.04.2004 unterzeichnet wurde. In der Kündigung hat die Klägerin noch als Geschäftsführerin unterzeichnet. In der mündlichen Verhandlung hat sie auch eingeräumt, dass man sie als "Mini-Geschäftsführerin" noch hätte bezeichnen können. Auch in der eingereichten Kopie der Dienstplan-Übersicht hat die Klägerin ihre Tätigkeit als "Service + Ges-Führ." bezeichnet. Im Ergebnis kann dies aber offen bleiben, denn selbst wenn man unterstellt, dass die Klägerin ab 01.11.2003 nicht mehr formal Geschäftsführerin war, hatte der Betrieb doch zumindest den Charakter eines Familienbetriebes. Dies wird auch bestätigt durch die Aussage des Zeugen P., der nachvollziehbar ausgeführt hat, dass die Klägerin das Restaurant dann übernommen habe, da es ja auf Dauer nicht gut gehe, wenn zwei Chefs da seien. Die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit durch die Klägerin ist daher bereits im Oktober 2002 zu sehen. Allein die möglicherweise erfolgte Einschränkung der (zeitlichen) Tätigkeit der Klägerin ab November 2003 führt zu keinem anderen Ergebnis. Ebenso ist unschädlich, dass das Restaurant als Inhaber formal auf den Ehemann der Klägerin angemeldet war. Zunächst ist entscheidend die tatsächliche Ausgestaltung der Tätigkeit. Weiterhin ist bei einem "Familienbetrieb" hinsichtlich des Zeitpunktes der Existenz nicht allein auf die Person eines Familienmitgliedes abzustellen (zu dieser Erwägung vgl. BSG, U. v. 01.06.2006 – B 7a AL 34/05 R). Ansonsten wären weitgehende Manipulationsmöglichkeiten eröffnet. Die Klägerin hat das Lokal auch unter dem Namen A. formal als Inhaberin übernommen, nahtlos fortgeführt, das Personal vollständig übernommen sowie das Speiseangebot übernommen. Von einer neuen selbständigen Tätigkeit kann daher keine Rede sein. Nur der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass der Ehemann der Klägerin in der Arbeitgeberbescheinigung andere Angaben zum monatlichen Entgelt und zur wöchentlichen Arbeitszeit der Klägerin ab 01.11.2003 gemacht hat als die Klägerin. Ob sich hieraus möglicherweise Ansprüche der Beklagten aufgrund einer fehlerhaften Arbeitsbescheinigung ergeben können, ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Rechtskraft
Aus
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