L 3 U 239/06

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 25 U 616/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 U 239/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 06. Juli 2006 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Streitig ist die Höhe der Verletztenrente.

Der 1942 geborene Kläger erlitt am 12. Oktober 1959 als Lehrling bei der Firma W K Aufzugbau auf dem Weg von der Berufschule nach Hause mit dem Moped einen Unfall, bei dem er sich einen Bruch des rechten Oberschenkels sowie der Kniescheibe zuzog.

Am 21. Oktober 2002 erlitt er einen Treppensturz, der mit Bescheid der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG) vom 05. März 2003 als Arbeitsunfall anerkannt wurde. Als Unfallfolgen wurden festgestellt: "Folgenlos ausgeheiltes Schädel-Hirn-Trauma 1. Grades, folgenlos ausgeheilte Prellungen der Wirbelsäule und des rechten Kniege-lenks". Nicht als Unfallfolge anerkannt wurde unter anderem "vorgeschädigtes rechtes Bein /rechtes Kniegelenk auf Grund eines Unfalls vor ca. 40 Jahren mit Kniescheiben- und Oberschenkelfraktur und hieraus resultierender erheblicher posttraumatischer Gonarthrose und massiver Retropatellararthrose (degenerative Erkrankungen des Kniegelenks und der Kniescheibenrückfläche)".

Im Mai 2003 leitete die VBG die ihr vorliegenden Unterlagen zu dem Unfall vom 12. Oktober 1959 an die Beklagte weiter mit der Bitte um weitere Bearbeitung. Hierbei handelte es sich unter anderem um einen Zwischenbericht des Orthopäden Dr. Z vom 22. November 2002, ein Schreiben des Chefarztes der Abteilung für Unfallchirurgie des M-L-Krankenhauses, Prof. Dr. H, vom 10. Dezember 2002, ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten des Prof. Dr. G vom 19. Februar 2003, Bescheinigungen des Chirurgen Dr. S vom 12. April 1960 und des Orthopäden Prof. Dr. F vom 21. De-zember 1982, ein fachorthopädisches Gutachten des Prof. Dr. F vom 30. März 1983 zu einem Privatunfall vom 07. Dezember 1981 und einen Entlassungsbericht des M-L-Krankenhauses vom 28. März 2003 einschließlich Arthroskopiebogen vom 14. März 2003.

Die Beklagte zog daraufhin noch ein Vorerkrankungsverzeichnis der B Ersatzkasse, einen Entlassungsbericht des O-H-Heims vom 01. Februar 1982, einen Zwischenbericht des Dr. Z vom 23. Juni 2003, einen Zwischenbericht des M-L-Krankenhauses vom 21. November 2002, einen neurologischen Befund des Dr. B vom 02. Dezember 2002 sowie den Operations-Bericht des M-L-Krankenhauses vom 14. März 2003 bei. Die VBG übersandte außerdem einen Durchgangsarztbericht (DAB) des Prof. Dr. H vom 22. Oktober 2002, den Operations-Bericht sowie den Arthroskopiebogen des M-L-Krankenhauses vom 05. November 2002, einen EEG-Befund des Dr. B vom 10. Dezember 2002 sowie einen MRT-Befund der Lendenwirbelsäule vom 20. Januar 2003.

Am 12. November 2003 erstellte Prof. Dr. H ein Zusammenhangsgutachten für die Beklagte. Danach seien durch den Unfall wesentlich verursacht worden eine lateral betonte Gonarthrose rechtes Knie, eine Femoropatellararthrose rechts, eine knöchern verheilte supracondyläre varisierende Umstellungsosteotomie am distalen Femur rechts sowie eine Bewegungseinschränkung rechtes Knie. Die Minderung der Er-werbsfähigkeit (MdE) betrage für die Zeit vom 11. April 1960 bis zum 12. März 2003 10 v. H. sowie vom 14. Juni 2003 bis zum 01. September 2003 und auf Weiteres 20 v. H ... Mit Schreiben vom 03. März 2004 ergänzte Prof. Dr. H seine gutachterliche Einschätzung dahingehend, dass die unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit seit dem 29. September 2003 beendet sei.

Die Beklagte zog daraufhin noch einen Bericht des Dr. Z vom 22. Dezember 2003 sowie Untersuchungsberichte des Chirurgen Dr. K vom 04. August 2003 und 15. September 2003 (beide für die D Krankenversicherungs AG) bei. Die VBG stellte einen weiteren Bericht des Prof. Dr. H vom 21. Oktober 2003 samt eines Entlassungsberichts des M-L-Krankenhauses vom 01. März 2004 und Operations-Berichts vom 19. Februar 2004 (Materialentfernung) zur Verfügung.

Mit Bescheid der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) vom 16. Januar 2004 wurde dem Kläger ab dem 01. September 2003 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit bis zum 31. August 2006 gewährt. Mit Widerspruchsbescheid vom 21. April 2004 wurde der Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid der VBG vom 05. März 2003 zurückgewiesen.

Nach Einholung einer ärztlichen Stellungnahme des Dr. B am 28. April 2004 gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 10. Juni 2004 wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 12. Oktober 1959 ab dem 01. September 2003 Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE von 20 v. H. Als Unfallfolgen wurden anerkannt: "Bewegungseinschrän-kung und belastungsabhängige Beschwerden im rechten Kniegelenk, Schwellneigung am Kniegelenk und Unterschenkel sowie Entfernung des Außenmeniskus nach knöchern in leichter Fehlstellung verheiltem Bruch des kniegelenksnahen Oberschenkels und der Kniescheibe mit Knorpelschädigung". Der unfallbedingte Krankenstand (Wiedererkrankung) habe vom 12. Februar 2003 bis zum 31. August 2003 bestanden. Unabhängig von dem Arbeitsunfall lägen folgende Beeinträchtigungen des Gesundheitszustandes vor: "Folgenlos ausgeheiltes Schädel-Hirn-Trauma 1. Grades, folgenlos ausgeheilte Prellungen der Wirbelsäule und des rechten Kniegelenks mit Krankenstand vom 21. Oktober 2002 bis zum 28. Oktober 2002 (Arbeitsunfall vom 21. Ok-tober 2002, VBG); knöchern verheilte valgisierende Umstellungsosteotomie linkes Knie bei Kniebinnenschaden und Varusgonarthrose mit Krankenstand vom 29. Oktober 2002 bis zum 11. Februar 2003; älterer Bandscheibenvorfall L5/S1 mit Alteration der Nervenwurzel und Einengung des Neuroforamens L5/S1 links, bei L4/5 eine Pelottierung des Duraschlauchs und eine geringfügige Bandscheibenprotrusion bei L3/4."

Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 21. September 2004 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, die MdE von 20 v. H. sei angesichts der Maßgaben in der unfallmedizinischen Fachliteratur (Schön-berger/Mehrtens/Valentin,
"Arbeitsunfall und Berufskrankheit", 7. Auflage), wonach die beim Kläger bestehende Bewegungseinschränkung im rechten Kniegelenk für sich noch keine derartige MdE rechtfertige, nicht zu beanstanden.

Mit seiner hiergegen vor dem Sozialgericht (SG) Berlin erhobenen Klage hat der Klä-ger geltend gemacht, die MdE sei zu niedrig angesetzt und müsse mindestens 50 v. H. betragen. Auch die bei ihm bestehenden degenerativen Veränderungen am linken Bein müssten als Unfallfolgen berücksichtigt werden. Darüber hinaus sei eine erhebliche Verschlechterung seines Zustands eingetreten.

Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädischen Fachgutachtens von Dr. W-R. In seinem am 24. November 2005 fertig gestellten Gutachten ist er zu dem Schluss gelangt, seit der Begutachtung durch Prof. Dr. H im November 2003 sei es zu einer weiteren Verschlechterung der Belastungsfähigkeit des rechten Kniegelenks gekommen. Bei der jetzigen Untersuchung habe sich ein leichter Gelenkerguss nachweisen lassen, die Gelenkbeweglichkeit sei hochgradig schmerzhaft gewesen und habe alle typischen Zeichen einer deutlichen Gonarthrose aufgewiesen. Im Kniegelenk habe sich zudem ein beginnendes Streckdefizit von 10 Grad eingestellt und der Schmerzmittelkonsum habe zugenommen. Neuere Röntgenaufnahmen von April 2005 zeigten einen schwerstgradigen Gelenkverschleiß mit kompletter Aufhebung des lateralen Gelenkspaltes. Es hätten sich abstruse knöcherne Anbauten eingestellt, auch das femoropatallare Gleitlager zeige massive knöcherne Veränderungen. Unter rein funktionellen Gesichtspunkten sei der Zustand des rechten Kniegelenks nach wie vor mit 20 v. H. einzuschätzen. Jedoch rechtfertige die weitere Limitierung der Wegstrecke, die Notwendigkeit der Benutzung von Hilfsmitteln wie Bandagen und Gehstützen, der zunehmende Schmerzmittelkonsum und das Vollbild einer Pango-narthrose die Einschätzung mit einer MdE von 30 v. H. ab dem Zeitpunkt der jetzigen Begutachtung. Die Veränderungen des linken Kniegelenks sowie die vorgetragenen Rückenbeschwerden könnten allerdings nicht auf die Schädigung des rechten Kniegelenks zurückgeführt werden. Ein solcher Zusammenhang wäre nur dann möglich, wenn es durch jahrelange Fehlbelastung oder nachweisbare statische Verkippung zu entsprechenden Überlastungen sowohl der angrenzenden Gelenke (Hüftgelenke) als auch der Lendenwirbelsäule gekommen wäre. Eine derartige statische Veränderung sei jedoch nicht eingetreten. Zwar habe sich eine valgisierende Fehlposition ergeben, allerdings sei keine Auswirkung auf die angrenzenden Hüftgelenke oder die Lendenwirbelsäule erkennbar. Die Röntgenaufnahmen bestätigten eine normale Beckenstatik und altersgemäße Zustände beider Hüften.

Nach Einholung einer ärztlichen Stellungnahme des Dr. K hat die Beklagte sodann mit Bescheid vom 09. Februar 2006 ab dem 01. Dezember 2005 Rente nach einer MdE von 30 v. H. gewährt, da der posttraumatische Verschleiß im rechten Kniegelenk, die Bewegungseinschränkung im Kniegelenk und die Beeinträchtigung des Geh- und Stehvermögens zugenommen hätten.

Der Kläger hat unter Verweis auf eine Stellungnahme des Chirurgen und Orthopäden Dr. G vom 04. Februar 2006 seine Auffassung, dass auch die Fehlstellung des linken Knies auf den Unfall vom 12. Oktober 1959 zurückzuführen sei, aufrechterhalten.

Mit Urteil vom 06. Juli 2006 hat das SG die Klage abgewiesen und sich im Wesentlichen auf die gutachterlichen Ausführungen des Dr. W-R gestützt.

Gegen das am 04. August 2006 zugestellte Urteil richtet sich die am 29. August 2006 eingegangene Berufung des Klägers, mit der er weiterhin eine höhere MdE begehrt.

Der Senat hat auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) den Orthopäden Prof. Dr. S mit der Untersuchung und Begutachtung des Klägers beauftragt. In seinem Gutachten vom 24. Juli 2007 ist er zu dem Schluss gelangt, Unfallfolge sei eine geminderte Trag- und Bewegungsfunktion des rechten Kniegelenks aufgrund von ausgeprägten Verschleißerscheinungen mit Neigung zu entzündlichen Reizzuständen und Verschmächtigung der Oberschenkelmuskulatur. Nicht auf den Unfall zurückgeführt werden könnten die Gesundheitsstörungen am linken Kniegelenk sowie an der Lendenwirbelsäule. Anders als Dr. G in seinem Attest ausführe, träten bei einer notwendigen Entlastung einer Extremität keine Überlastungsschäden der paarigen Extremität auf. Darüber hinaus sei darauf hinzuweisen, dass bereits 1986 am linken Kniegelenk ein Innenmeniskusschaden durch Teilentfernung des Innenen-meniskus behandelt worden sei. Kniegelenke mit teilweise bzw. vollständig entfernten Meniski neigten in hohem Maße zu Verschleißprozessen im entsprechenden Gelenkabschnitt. Im Bereich der Lendenwirbelsäule bestünden in fast allen Bewegungsabschnitten Verschleißerscheinungen. Die unfallbedingte MdE betrage ab dem 01. September 2003 30 v. H ... Zwar sei die Bewegungssituation mit einem Bewegungsausmaß von 0-10-90 deutlich besser als das in den einschlägigen Literaturwerken vorgegebene Bewegungsausmaß von 0-30-90. Es sei jedoch zu berücksichtigen, dass aufgrund des ausgeprägten Verschleißprozesses und der Verschmächtigung der Oberschenkelmuskulatur eine Stabilitätsminderung sowie eine erhebliche Neigung zu entzündlichen Reizzuständen mit Schmerzhaftigkeit bestünden. Ein Unterschied zum Gutachten des Dr. W-R ergebe sich nicht.

Die Beklagte kann sich der gutachterlichen Bewertung hinsichtlich einer MdE von 30 v. H. für den Zeitraum vom 01. September 2003 bis zum 30. November 2005 nicht anschließen. Die anlässlich der Untersuchung durch Prof. Dr. H am 02. September 2003 festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen unterschieden sich deutlich von den durch Prof. Dr. S festgestellten Beeinträchtigungen.

In seiner ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 03. Dezember 2007 ist Prof. Dr. S bei seiner MdE-Bewertung verblieben. Der Befund zum Zeitpunkt seiner eigenen Begutachtung unterscheide sich nicht wesentlich von den Feststellungen des Prof. Dr. H. Die Beugefähigkeit habe lediglich einen Verlust von 5 Grad erlitten, ein Streckdefizit von 10 Grad sei hinzugekommen. Eine rein funktionelle Betrachtungsweise sei nicht ausreichend.

Dr. W-R hat in einer vom Senat eingeholten ergänzenden Stellungnahme vom 05. Februar 2008 ausgeführt, zwischen den Gutachtern bestehe kein Dissens hinsichtlich der Unfallfolgen, sondern lediglich hinsichtlich Höhe der MdE. Er habe bei seiner Begutachtung des Klägers Verschlechterungstendenzen im Sinne von rezidivierenden Gelenkentzündungen sowie eines Streckdefizits festgestellt. Diese Tendenz habe Prof. Dr. S bestätigt. Es sei retrospektiv nicht möglich, bei einem sich über Jahre entwickelnden Prozess der Gelenkdegeneration den genauen Tag oder die Woche festzulegen, ab wann eine hinzugekommene entzündliche Komponente das Ausmaß erreiche, eine messbare Verschlechterung zu verursachen. Insofern würden im Allgemeinen die jeweiligen Begutachtungstermine als Korrekturzeitpunkte für die Bewertung der MdE anerkannt. Für den Zeitraum September 2003 bis zum November 2005 sei der Krankheitsprozess insbesondere in seiner entzündlichen Komponente nicht lückenlos dargestellt. Lege man die Untersuchungsergebnisse vom September 2003 zugrunde, so sei unter funktionellen Gesichtspunkten keine höhere Bewertung rückblickend möglich, da insbesondere der entzündliche Anteil nicht nachgewiesen sei.

Der Kläger schließt sich der Auffassung des Gutachters Prof. Dr. S an und verweist im Übrigen darauf, dass Prof. Dr. F in einem Gutachten vom 30. März 1983 bereits eine Beeinträchtigung der Gebrauchsfähigkeit des rechten Beins auf Dauer zu 3/10 festge-stellt habe.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 06. Juli 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 10. Juni 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. September 2004 in der Fassung des Bescheides vom 09. Februar 2006 zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 12. Oktober 1959 eine Verletztenrente ab dem 01. September 2003 nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 v. H. zu gewähren. Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die gutachterliche Bewertung des Prof. Dr. S nicht für überzeugend und die Berufung für unbegründet.

Mit gerichtlichen Schreiben vom 29. Februar 2008 und 31. März 2008 hat der Senat die Beteiligten zu der beabsichtigten Entscheidung durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 SGG angehört.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

II.

Der Senat konnte gemäß § 153 Abs. 4 SGG nach Anhörung der Beteiligten die form- und fristgerecht eingelegte Berufung durch Beschluss zurückweisen, denn er hält die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich.

Der Kläger hat, wie das Sozialgericht zutreffend entschieden hat, keinen Anspruch auf Gewährung einer - höheren - Verletztenrente wegen der Folgen des am 12. Oktober 1959 erlittenen Arbeitsunfalls ab dem 01. September 2003.

Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigsten 20 v. H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Dabei richtet sich die MdE nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 S. 1 SGB VII).

Die MdE-Sätze sind nach 5er- oder 10er-Graden abgestuft. In der Praxis gelten seit langem für bestimmte Folgen bestimmte MdE-Sätze, sogenannte Regel- oder Normalsätze, die von der Rechtsprechung aufgrund ständiger Übung zu beachten sind (vgl. BSG SozR 2200 § 581 Nrn. 15, 22, 23) und die in der unfallmedizinischen Literatur veröffentlicht sind (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, "Arbeitsunfall und Berufs-krankheit", 7. Auflage 2003, Kap. 2.6). Dabei enthalten diese Regelsätze lediglich An-haltspunkte für den Normalfall und sind nicht schematisch anzuwenden. Es sind jeweils die individuellen Umstände des Einzelfalles zu beachten, insbesondere auch das Zusammenwirken von Unfallfolgen mit Vorschäden (vgl. Kasseler Kommentar - Ricke § 56 SGB VII Randnr. 20). Die Bewertung der MdE ist - als Rechtsfrage - im Wege der Schätzung durch das Gericht durchzuführen, wobei das Gericht sich der Mitwirkung eines fachkundigen Arztes versichern darf (vgl. BSG SozR 2200 § 581 Nr. 5 m. w. N.).

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben ist der Senat davon überzeugt, dass die bei dem Kläger verbliebenen Folgen des Arbeitsunfalls vom 12. Oktober 1959 keine MdE von 30 v. H. bereits ab dem 01. September 2003 bedingen. Dies ergibt sich aus dem überzeugenden Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Dr. W-R vom 24. November 2005 nebst ergänzender Stellungnahme vom 05. Februar 2008. Das Gutachten des Prof. Dr. S vom 24. Juli 2007 sowie seine ergänzende Stellungnahme vom 03. Dezember 2007 rechtfertigen ebenso wenig eine andere Beurteilung wie das Gutachten des Prof. Dr. F vom 30. März 1983.

Anlässlich der Untersuchung durch Prof. Dr. F am 08. März 1983 wegen der Folgen eines Privatunfalls vom 07. Dezember 1981 berichtete der Kläger von annähernder Beschwerdefreiheit beim Gehen, Schmerzen und zeitweiligen Schwellungen. Rechts war eine leichte X-Bein-Stellung festzustellen. Am rechten Oberschenkel bestand eine Muskelminderung um 3 cm. Es bestand kein Kniegelenkserguss, keine Weichteilschwellung, keine Rötung. Die Bänder waren stabil, die Beweglichkeit betrug 0-5-130. Der Gang auf ebenem Boden war flott und sicher.

Bei Prof. Dr. H beklagte der Kläger am 02. September 2003 Schmerzen beim Gehen in der Ebene nach circa 30 Metern, beim Treppensteigen sowie beim Schlafen. Das Gangbild war leicht hinkend, eine Unterarmgehstütze kam zum Einsatz. Das Kniegelenk zeigte eine arthrotische Deformierung, aber keinen Erguss. Die Achse war leicht varisch (O-Bein-Stellung). Die Bänder waren fest, am rechten Oberschenkel war eine leichte Muskelminderung von 1 bis 1,5 cm feststellbar. Das Bewegungsausmaß betrug 0-0-95.

Dr. K stellte am 15. September 2003 eine Verschmächtigung der rechten Oberschenkelmuskulatur um 1 bis 3 cm sowie eine Verplumpung des rechten Kniegelenks fest. Ein Erguss lag nicht vor, das Bewegungsausmaß betrug 0-0-100. Die Bandführung war stabil. Es fand sich ein diskreter Erguss.

Am 19. Dezember 2003 benutzte der Kläger zur Untersuchung durch Dr. Z eine französische Unterarmgehstütze. Es zeigte sich ein mäßig rechts-hinkendes Gangbild, noch ausreichend raumgreifend. Der Kläger klagte über eine deutliche Einschränkung der Gehstrecke. Die rechte Kniekontur war mäßig verstrichen, die Oberschenkelmuskulatur um 1 cm vermindert. Das Bewegungsausmaß betrug 0-0-95.

Am 19. Februar 2004 erfolgte die Entfernung des Osteosynthesematerials rechts im M-L-Krankenhaus. Danach betrug das Bewegungsausmaß zunächst 0-0-115.

Am 10. Dezember 2004 wurde im T-W-Werk ein ausgeprägter Gelenkerguss am rechten Kniegelenk befundet (vgl. Gutachten des Dr. W-R).

Am 22. November 2005 beklagte der Kläger bei Dr. W-R einen leichten Ruheschmerz im rechten Kniegelenk, das Treppensteigen sei besonders eingeschränkt. Er trage ständig eine Bandage und nehme beständig Schmerztabletten. Laufen sei für maximal 15 Minuten möglich. Der Kläger benutzte eine Unterarmgehstütze. Der Muskelumfang am Oberschenkel war um 1,5 bis 2 cm gemindert, das Bewegungsausmaß betrug 0-10-90. Die rechten Kniegelenkskonturen zeigten eine arthrotische Umfangsverplum-pung. Es war eine leichte Überkorrektur der rechten Beinachse im Sinne eines Varus zu vermuten. Die Kniescheibe war hochgradig fixiert, der Bandapparat stabil. Das Gangbild wies ein leichtes Entlastungshinken zu Ungunsten der rechten Seite auf, das Hocken rechtsseitig war nicht durchführbar. Es fand sich ein leichtgradiger Gelenker-guss.

Bei Prof. Dr. S beklagte der Kläger ständige Schmerzen und Bewegungseinschränkungen im rechten Kniegelenk. Das Gelenk sei ständig überwärmt und schwelle selbst bei kurzzeitiger Belastung an. Es könnten nur noch kurze Wege mit Hilfe einer Gehhilfe zurückgelegt werden, sonst müsse er eine Unterarmgehstütze benutzen. Das Gangbild barfuß war rechts leicht hinkend. Rechts fand sich eine leichte O-Bein-Stellung, die Oberschenkelmuskulatur war gegenüber links um 4 bis 5 cm vermindert, während sich eine deutliche Schwellung im Bereich des rechten Kniegelenks fand. Die Kniegelenkskonturen waren verstrichen, das Gelenk überwärmt und geschwollen. Der Bandapparat war stabil. Das Bewegungsausmaß betrug 0-10-90

Nach Schönberger/Mehrtens/Valentin (Anmerkung 8.10.11) bedingt eine Bewegungseinschränkung des Kniegelenks auf 0-0-90 eine MdE von 20 v. H. und eine Beschränkung auf 0-30-90 eine MdE von 30 v. H ... Ein so genanntes Reizknie bedingt eine MdE von 20 bis 40 v. H ... Die Höhe der MdE wird hauptsächlich bestimmt durch die Verminderung der Beweglichkeit, die mögliche unphysiologische Zunahme der Beweglichkeit und die Schmerzhaftigkeit (gemessen auf objektiver Grundlage). Eine Streckbehinderung von 5 bis 10 Grad ist für die meisten Betroffenen einschneidender als eine Beugebehinderung von 30 bis 40 Grad (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin a. a. O.). Eine Muskelschwäche von mehr als 2,5 cm am Oberschenkel über zwei Jahre nach dem Unfall deutet auf eine Funktionsschwäche hin (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin a. a. O.).

Aus den aufgeführten Befunden wird eine zunehmende Verschlechterung der Situation am rechten Kniegelenk deutlich. So war die Befundlage bei Prof. Dr. H entgegen der Auffassung des Prof. Dr. S noch deutlich besser als bei Dr. W-R oder bei Prof. Dr. S. Insbesondere hat sich das Bewegungsausmaß insofern gravierend verändert, als dass sich nach mehreren Operationen ein dauerhaftes Streckdefizit von 10 Grad ma-nifestiert hat. Darüber hinaus hat sich die Oberschenkelmuskulatur als Zeichen des zunehmenden Funktionsdefizits weiter verringert, die Umfangsdifferenz ist von circa 1,5 (Prof. Dr. H) über 2 (Dr. W-R) auf bis zu 5 cm (Prof. Dr. Scholz) angestiegen. Die geschilderten Beschwerden haben im Verlauf ebenso zugenommen wie der Schmerzmittelkonsum und die Neigung zu Gelenkergüssen (Reizknie). Schließlich haben auch – wie Dr. W-R aufgezeigt hat - die Verschleißerscheinungen weiter zugenommen.

Hieraus rechtfertigt sich eine MdE von 30 v. H., so wie von Dr. W-R vorgeschlagen und von der Beklagten mit Bescheid vom 09. Februar 2006 umgesetzt, ab dem 01. Dezember 2005, dem Monat nach der Begutachtung durch Dr. W-R. Für den Zeitraum davor kann nach den in der unfallmedizinischen Literatur genannten Regelsätzen eine MdE von 30 v. H. nicht begründet werden, da vorher weder ein Streckdefizit noch ein Reizknie vorlagen. Die ergänzende Stellungnahme des Prof. Dr. S kann hingegen nicht überzeugen. Darin behauptet dieser, eine wesentliche Änderung sei nicht eingetreten. Gerade diese Einschätzung – ohne weitere Begründung – ist jedoch nicht nachvollziehbar. Die vom Kläger angeführte Bewertung durch Prof. Dr. F im Jahre 1983 mit einer Einschränkung auf 3/10 Beinwert bezieht sich ausschließlich auf die in der privaten Unfallversicherung anzuwendenden Maßstäbe. Auf dem Gebiet der ge-setzlichen Unfallversicherung wird jedoch – wie schon ausgeführt – die MdE nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens bestimmt.

Weitere Unfallfolgen, die in die MdE-Bewertung mit einzustellen wären, liegen nicht vor. Insofern besteht Übereinstimmung zwischen den verschiedenen Gutachtern. Der Kläger macht nach dem Gutachten des Prof. Dr. S auch keine weiteren Unfallfolgen (insbesondere Funktionsbeeinträchtigungen des linken Kniegelenks sowie der Len-denwirbelsäule) mehr geltend.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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