L 26 B 988/08 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
26
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 96 AS 11551/08 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 26 B 988/08 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Bemerkung
L 26 B 996/08 AS PKH
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 28. April 2008 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

Die nach § 172 Abs. 1 und § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 28. April 2008 ist unbegründet. Das Sozialgericht hat das einstweilige Rechtsschutzgesuch der Antragstellerin zu Recht abgelehnt.

Das einstweilige Rechtsschutzgesuch der Antragstellerin, mit dem sie begehrt, den Antragsgegner zu verpflichten, ihr Arbeitslosengeld II nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zu gewähren, richtet sich nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG. Hiernach sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig. Voraussetzung für den Erlass einer solchen Regelungsanordnung ist, dass nach materiellem Recht ein Anspruch auf die begehrte Leistung besteht (Anordnungsanspruch) und dass die Regelungsanordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig ist (Anordnungsgrund). Dabei sind der Anordnungsanspruch und der Anordnungsgrund jeweils glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]).

Im vorliegenden Fall fehlt es bereits an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs. Die 1983 geborene Antragstellerin, die als Kaufmännische Angestellte ihres Stiefvaters monatlich 500,00 Euro Netto erhält, hat nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand keinen Anspruch auf Gewährung von Arbeitslosengeld II.

Nach § 20 Abs. 2a SGB II erhalten Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und ohne Zusicherung des zuständigen kommunalen Trägers nach § 22 Abs. 2a SGB II umziehen, bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres eine reduzierte Regelleistung in Höhe von 80 v. H. der Regelleistung, also 278,00 Euro (347,00 Euro x 80 v. H.) monatlich. Nach dem Wortlaut dieser Norm bezieht sich diese Regelung ausschließlich auf den Personenkreis des § 22 Abs. 2a Satz 1 SGB II, also auf Personen, die im Zeitpunkt des Umzuges bereits Leistungen beantragt oder erhalten haben (Lang/Link in Eicher /Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 22 Rdnr. 80b). Denn nur diese müssen vor Abschluss eines Mietvertrages vorab eine Zusicherung des zuständigen kommunalen Trägers zu den Aufwendungen für die neue Unterkunft einholen, um zu gewährleisten, dass ihnen Leistungen für die neue Unterkunft und die Heizung erbracht werden. Zu diesem Personenkreis gehört die Antragstellerin aber nicht. Sie hat im Zeitpunkt ihres Auszuges aus der elterlichen Wohnung, zum 1. September 2007 (Umzug in eine Wohnung in B-M und im Anschluss, am 16. November 2007, in eine Wohnung in B-N), weder einen Antrag auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gestellt, nach Aktenlage wurden diese Leistungen am 27. September 2007 beantragt, noch Leistungen nach dem SGB II bezogen.

Dabei kann offen bleiben, ob die Antragstellerin, wie sie selbst vorträgt, aber auch der Antragsgegner in seinem Widerspruchsbescheid vom 19. März 2008 angegeben hat, tatsächlich bis "April 2007 Leistungen nach dem SGB II" erhalten hat. Nach Aktenlage hat die Antragstellerin zunächst bis zum 30. November 2006 Arbeitslosengeld II bezogen. Ihren Fortzahlungsantrag vom 9. November 2006 hat der Antragsgegner mit Bescheid vom 17. November 2006 abgelehnt und zur Begründung auf § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II in der ab 1. Juli 2006 geltenden Fassung (Gesetz zur Änderung des SGB II und anderer Gesetze vom 24. März 2006 [BGBl I S. 558]) hingewiesen. Danach gehören von diesem Zeitpunkt an, anders als nach dem bis dahin geltenden Recht, unverheiratete Kinder, die im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils leben, bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres zur Bedarfsgemeinschaft der Eltern oder eines Elternteils, mit der Folge, dass auf den Bedarf des unter 25-jährigen mögliches Einkommen der Eltern bedarfsmindernd anrechnen ist. Ob, wie in dem Bescheid vom 17. November 2006 angegeben, "der bisherige Bevollmächtigte der Bedarfsgemeinschaft (der Eltern) einen gesonderten Bescheid" auch hinsichtlich der Leistungsansprüche der Antragstellerin für die Zeit vom 1. Dezember 2006 bis zum 30. April 2007 an erhalten hat, ist aus der vorliegenden, die Antragstellerin betreffende Verwaltungsakte des Antragsgegners nicht ersichtlich. Jedenfalls aber hat die Antragstellerin im Zeitpunkt ihres Auszuges aus der elterlichen Wohnung keine Grundsicherungsleistungen bezogen.

Gleichwohl findet § 20 Abs. 2 a SGB II im vorliegenden Fall, also auf Hilfebedürftige, die wie die Antragstellerin, vor dem Auszug aus der elterlichen Wohnung keine Regelleistung bezogen haben, mit der Modifizierung des § 22 Abs. 2a Satz 4 SGB II Anwendung (vgl. Krauß in Hauck/Noftz, SGB II [Stand: 16. Erg-Lfg. III/08], § 20 RdNr. 78; nach Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 20 Rdnr. 18 ist die reduzierte Regelleistung zu zahlen, wenn der kommunale Träger einen Sachverhalt nach § 22 Abs. 2 a SGB II festgestellt hat). Danach wird die Leistung in der abgesenkten Höhe erbracht, wenn der Umzug in der Absicht erfolgt ist, die Voraussetzung für eine Leistungsgewährung herbeizuführen.

Ein solcher Fall liegt hier nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand vor. § 22 Abs. 2 a SGB II knüpft an eine innere Tatsache an: Leistungen für die Unterkunft und Heizung werden nicht und die Regelleistung nach § 20 Abs. 2 a SGB II lediglich in abgesenkter Höhe erbracht, wenn der Umzug in der Absicht erfolgt, die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung herbeizuführen. Bei der Norm handelt es sich mithin um einen Missbrauchstatbestand (Kalhorn in Hauck/Noftz, a. a. O., § 22 RdNr. 56 und Lang/Link, a. a. O., § 22 RdNr. 80y). Es ist ein Indiz für eine entsprechende subjektive Zielrichtung, wenn der Betroffene unmittelbar nach dem Umzug Grundsicherungsleistungen beantragt (Kalhorn, a. a. O.). Im vorliegenden Fall hat sich die Antragstellerin so verhalten. Nachdem sie jedenfalls vom 1. Mai 2007 an keine Leistungen mehr erhalten hat, hat sie kurz nach dem Auszug aus der elterlichen Wohnung zum 1. September 2007, am 27. September 2007, einen Antrag auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II gestellt. Das für die Antragstellerin zuständige JobCenter Berlin-Mitte hat ihr daraufhin für die Zeit vom 27. September 2007 bis zum 30. November 2007, also bis Ende des Monats, in dem sie wieder in den Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners verzogen ist, entsprechende Leistungen gewährt (Bewilligungsbescheid vom 26. Oktober 2007 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 21. November 2007 und Aufhebungsbescheid vom 21. November 2007 wegen Zuständigkeitswechsel). Bei der Berechnung dieser Leistungen hat dieses Jobcenter allerdings die vorgenannten Regelungen angewandt und der Antragstellerin keine Leistungen für die Unterkunft und Heizung gewährt, sondern lediglich den abgesenkten Regelsatz in Höhe von 278,00 Euro und hierauf ihr Einkommen bedarfsmindernd angerechnet.

Der Senat sieht Anlass zu dem Hinweis, dass zweifelhaft sein dürfte, ob die Antragstellerin tatsächlich missbräuchlich im vorgenannten Sinne gehandelt hat, wenn sie im Vorgriff auf die von ihr vorgetragene "Kündigung der (elterlichen Wohnung) zum 30. November 2007" und der vor diesem Hintergrund möglicherweise anstehenden Auflösung der Bedarfsgemeinschaft im September 2007 aus der elterlichen Wohnung ausgezogen ist (vgl. hierzu Krauß, a. a. O., § 20 RdNr. 76 m. w. Nachw.). Die Klärung dieses Sachverhaltes muss allerdings einem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

Der Senat hat insoweit davon abgesehen, eine vorläufige Regelung zu treffen, weil nach dem derzeitigen Sachstand nicht glaubhaft gemacht ist, dass der Antragstellerin erhebliche Nachteile drohen. Es ist insbesondere nicht erkennbar, dass eine Schuldenlage eingetreten ist, die den Vermieter der Antragstellerin zur Kündigung ihrer Wohnung nach § 543 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe a) oder b) in Verbindung mit § 569 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) berechtigen würde oder die die Antragstellerin zu ansonsten nicht hinnehmbaren Einschränkungen in ihrer Lebensführung zwingen würde. Der Senat brauchte nach alledem die von den Senaten des Landessozialgerichts (LSG) Berlin-Brandenburg uneinheitlich beurteilte Frage nicht zu entscheiden, ob schon das Vorliegen einer Kündigungslage nach § 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB, erst der Ausspruch einer solchen Kündigung, die Rechtshängigkeit einer Räumungsklage (mit der letzten Möglichkeit der Abwendung der Kündigung in der Frist des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB) oder gar erst das Vorliegen eines Räumungstitels einen Anordnungsgrund im Hinblick auf Mietschulden darstellen kann. Allein die Verfahrensdauer des Hauptsacheverfahrens vermag einen Anordnungsgrund nicht zu begründen Beschluss des 28. Senats des LSG Berlin-Brandenburg vom 28. März 2007 – L 28 B 419/07 AS ER -).

Vor diesem Hintergrund kann sowohl die Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren als auch der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für dieses Beschwerdeverfahren wegen fehlender Erfolgsaussicht keinen Erfolg haben (§ 73 a SGG in Verbindung mit § 114 ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog und § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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