S 23 AS 2033/08 ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
23
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 23 AS 2033/08 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Arbeitslosengeld II, Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung,
Hyperurikämie, Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und
private Fürsorge
Bemerkung
Mehrbedarf für kostenaufwändige Enährung aus medizinischen Gründen bei
Hyperurikämie
I. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern für den Zeitraum vom 1.05.2008 bis 31.10.2008 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in Höhe von monatlich 354,93 EUR bis einschließlich Juni 2008 und ab Juli 2008 in Höhe von monatlich 365,93 EUR zu gewähren.
II. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
III. Der Antragsgegner trägt die Kosten der Antragsteller zu 4/10.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes um die Höhe der den Antragstellern zu gewährenden Leistungen nach dem SGB II.

Sei dem 01.01.2005 beziehen die ohne weitere Personen in Bedarfsgemeinschaft lebenden Antragsteller Leistungen nach dem SGB II. Die verheirateten Antragsteller zu 1. und 2. sind Eltern der am 0.0.1989 geborenen Antragstellerin zu 3. Der Antragsteller zu 1. bezieht eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente von 757,22 EUR, für die Tochter erhalten die Antragsteller 154,00 EUR monatlich Kindergeld. Mit Bescheid des Antragsgegners vom 19.10.2007 bewilligte dieser für den Zeitraum vom 01.11.2007 bis 30.4.2008 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von monatlich 316,65 EUR. Nach entsprechendem Antrag im Wege des einstweiligen Rechts-schutzes gewährte die Kammer den Antragstellern mit Beschluss vom 30.11.2007 Leistungen in Höhe von 354,93 EUR monatlich. Gegenstand war insbesondere die Gewährung eines Ernährungsmehrbedarfs. Mit Bescheid des Antragsgegners vom 17.04.2008 bewilligte dieser – nach Auslaufen der einstweiligen Anordnung - für den Zeitraum vom 01.05.2008 bis 31.10.2008 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von monatlich 321,89 EUR, wovon 258,61 EUR auf die Kosten der Unterkunft entfallen. Hinsichtlich der Zusammensetzung des Betrages wird auf die Anlage zum vorgenannten Bescheid Bezug genommen. Gleichzeitig hat der Antragsgegner Aufrechnungen mit aus diversen Darlehen stammenden Forderungen in Höhe von monatlich insgesamt 90,20 EUR vorgenommen, so dass lediglich monatlich 231,69 EUR zur Auszahlung gelangen sollten.

Hiergegen stellten die Antragsteller mit Schreiben vom 28.04.2008, bei Gericht eingegangen am 29.04.2008 (vorab per e-mail am 28.08.2008), Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz. Mit diesem machten sie Gewährung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Er-nährung, hinsichtlich der Kosten der Unterkunft die Berücksichtigung von Stromkosten sowie weitere Abzugsbeträge vom Einkommen der Antragsteller geltend und wenden sich gegen die vorgenommene Aufrechung. Der Antragsgegner wies mit Schreiben vom 05.05.2008 unter anderem darauf hin, dass der am 20.05.2008 gegen den Bescheid vom 17.04.2008 eingelegte Widerspruch der Antragsteller hinsichtlich der angekündigten Aufrechungen aufschiebende Wirkung entfalte, daher würden die Aufrechnungen bis zur Entscheidung über die Widersprüche nicht vollzogen werden. Im Übrigen wurde den Ausführungen der Antragsteller entgegengetreten.

Nach Hinweis des Gerichts wurde der Antrag mit Schreiben vom 19. und 30.05.2008 zunächst auf die Bewährung eines Ernährungsmehrbedarfs von 33,04 EUR beschränkt. Mit weiterem Schreiben der Antragsteller vom 20.06.2008 wurde auch eine Entscheidung über die Kosten der Monatskarte für die Schulbeförderung der Antragstellerin zu 3. (16,25 EUR) sowie die Erstattung der Tilgungsraten für das selbst genutzte Eigenheim (56,25 EUR) unter Hinweis auf Rechtsprechung begehrt. Dem trat der Antragsgegner mit Schreiben vom 30.06.2008 dezidiert entgegen.

Die Antragsteller beantragen nunmehr,

den Antragsgegner zu verpflichten, den Antragstellern zusätzliche Leistungen in Höhe von 105,54 EUR zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abzulehnen.

Im Hinblick auf die Nichtvollziehung der Aufrechungen fehle es schon an einem Anordnungsgrund, im Übrigen sei die Bescheidung zutreffend erfolgt.

Das Gericht hat die Verwaltungsakte des Antragsgegners beigezogen und zum Gegenstand des Verfahrens gemacht.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Sach- und Streitstandes wird auf das gegenseitige Vorbringen in der Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte Bezug genommen.

II.

Dem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist im tenorierten Umfang stattzugeben, da er insoweit zulässig und begründet ist.

Inhaltlich handelt es sich um einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG. Hiernach kann das Gericht auf Antrag zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Hierzu ist gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO sowohl der durch die Anordnung zu sichernde, im Hauptverfahren geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) als auch der Grund, weshalb die Anordnung ergehen und dieser Anspruch vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache gesichert werden soll (Anordnungsgrund), glaubhaft zu machen.

a) Ein Anordnungsanspruch ist glaubhaft gemacht, wenn das Gericht aufgrund einer vorläufigen summarischen Prüfung zu der Überzeugung gelangt, dass eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass dem Antragsteller ein Rechtsanspruch auf die begehrte Leistung zusteht und deshalb der Antragsteller in einem Hauptsacheverfahren mit dem gleichen Begehren voraussichtlich Erfolg haben würde. Dabei wird der Sachverhalt gemäß § 103 SGG von Amts wegen unter Heranziehung der Beteiligten ermittelt, soweit dies unter Berücksichtigung der Eilbedürftigkeit des Rechtsschutzbegehrens geboten ist. Dies zugrunde gelegt spricht derzeit deutlich mehr dafür als dagegen, dass den Antragstellern ein wesentlich höherer Anspruch auf Arbeitslosengeld II zusteht, als er bereits bewilligt wurde. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin steht dem Antragsteller zu 1. ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung gemäß § 21 Abs. 5 SGB II zu. Ausweislich der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren eingereichten ärztlichen Bescheinigung vom 14.11.2007 leidet der Antragsteller zu 1. an Hyperurikämie. Gleichzeitig hat der behandelnde Arzt festgestellt, dass die derzeit verordnete Therapie eine Kostform erfordert, die gegenüber der Normalernährung Mehrkosten bedingt. Diese ärztliche Einschätzung entspricht auch den durch den Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge entwickelten "Empfehlungen für die Gewährung von Krankenkostenzulagen in der Sozialhilfe", denen sowohl bei der Ermittlung eines Mehrbedarfs dem Grunde als auch der Höhe nach als antizipiertes Sachverständigengutachten gefolgt werden kann (vgl. Sächs. LSG, Urt. v. 7.9.2006 - L 3 AS 11/06 -, LSG Bad.-Württ., Urt. v. 27.6.2007 - L 2 AS 731/07- ). Entgegen der Auffassung des Antragsgegners ist diesen Empfehlungen weiterhin zu folgen. Dies erfolgt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die vorgenannten Empfehlungen durch die Bezugnahme des Gesetzgebers darauf einen besonderen Stellenwert erfahren (vgl. Münder, SGB II, 2. Aufl., § 21 RdNr. 28; Eicher/Spellbrink, SGB II, 2.Aufl., § 21 Rn.52). Im Übrigen ist unter anderem der Rechtsprechung des OVG NdS (Beschl. v. 12.10.2003 - 12 LA 385/03 - ) dahin gehend zu folgen, dass dem Begutachtungsleitfaden des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe schon deswegen nicht zu folgen ist, da er hinsichtlich der Kosten der Ernährungsformen nur auf Schätzungen beruht. Hinsichtlich der Höhe des berücksichtigungsfähigen Mehrbedarfs war den Empfehlungen des Deutschen Vereins folgend ausgehend vom Mehrbedarf bei Hyperurikämie von 30,68 EUR unter Berücksichtigung einer aktuellen Erhöhung entsprechend der Entwicklung der Regelsätze von 7,68 % ein Ernährungsmehrbedarf von 33,04 EUR zu gewähren.

Unter Berücksichtigung der unstreitigen Regelleistungen, wobei die Erhöhung ab 01.07.2008 zu berücksichtigen ist (Partner 316 EUR, Kinder 281 EUR), ergibt sich ein Gesamtbedarf von 1.193,65 EUR bzw. ab 01.07.2008 von 1.204,65 EUR, dem ein anrechenbares Einkom-men von 838,72 EUR gegenüber steht, woraus sich ein ungedeckter Bedarf und damit ein Leistungsanspruch der Bedarfsgemeinschaft in Höhe von 354,93 EUR bzw. ab 01.07.2008 von 365,93 EUR ergibt.

b) Aus der Differenz zwischen der zu bewilligenden Leistung und der ausweislich des angegriffenen Bescheides nach erfolgter Aufrechnung zu überweisenden Leistung von 231,69 EUR ergibt sich, dass ein Anordnungsrund im Sinne einer besonderen Dringlichkeit vorliegt. Die Differenz ist nicht nur unerheblich und kann den auf existenzsichernde Grundsicherungsleistungen angewiesenen Antragstellern nicht über einen längeren Zeitraum bis zur Klärung in der Hauptssache zugemutet werden.

c) Zur Gewährung der errechneten Leistungen war der Antragsgegner auch zu verpflichten. Die gerichtliche Anordnung ist vorläufig und abhängig unter anderem von eintretenden Veränderungen (wie etwa der Aufnahme einer Ausbildung durch die Antragstellerin zu 3.), die die Antragsteller weiterhin mitzuteilen verpflichtet sind. Die Vorläufigkeit wird durch die tenorierte zeitliche Begrenzung auf den vom Antragsgegner beschiedenen Bewilligungszeitraum unterstrichen.

d) Soweit die Antragsteller weitergehende Leistungen begehren, konnte dies nicht angeordnet werden. Insofern ist keine Anspruchsnorm ersichtlich, die den Antragsgegner zur Leistung verpflichtet. Hierzu sei zunächst auf die zutreffenden Ausführungen im Schreiben des Antragsgegners vom 30.06.2008 verwiesen, denen sich die Kammer nach eigener Prüfung vollumfänglich anschließt. Lediglich ergänzend sei hinsichtlich der geltend gemachten Schülerbeförderungskosten auf den Beschluss des Sächsischen LSG vom 06.02.2008, Az. L 2 B 601/07 AS-ER, verwiesen, der klarstellt, dass das SGB II keine Regelung über die Gewährung von Zuschüssen aus Anlass des Schulbesuchs schulpflichtiger Kinder beinhaltet. Vielmehr würden diese Kosten von der Regelleistung abgegolten. Insoweit erfolgte die tenorierte Abweisung.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG und berücksichtigt, dass die Antragsteller nicht in vollem Umfang mit ihrem Begehren erfolgreich waren.

Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde gemäß § 172 Abs.3 Nr.1 i.V.m. § 144 Abs.1 Satz 1 Nr.1 SGG ausgeschlossen, da die Beschwerdesumme 750 EUR nicht übersteigt.
Rechtskraft
Aus
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