S 26 R 130/07

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
26
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 26 R 130/07
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 4 R 57/08
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung einer Altersrente unter Berücksichtigung des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG).

Die am 00.00.1929 in C in Polen geborene Klägerin ist Jüdin und Verfolgte des Nazi-Regimes und lebt seit Mai 1947 in Palästina bzw. jetzt Israel mit der dortigen Staatsangehörigkeit.

Sie beantragte am 29.10.2002 die Gewährung einer Regelaltersrente aus der deutschen Rentenversicherung, unter Berücksichtigung von Zeiten nach dem ZRBG. Sie gab dabei an, sie habe von 1940 bis 1943 während ihres Aufenthaltes in den Ghettos von Bendzin und Kamjonka Tätigkeiten als Arbeiterin in einer Kofferwerkstatt und auch Reinigungsarbeiten verrichtet. Sie habe ganztags gearbeitet. Die Arbeit sei durch eigene Bemühungen vermittelt und freiwillig ausgeübt worden. Bekommen habe sie dafür Essen und Lebensmittel für zuhause, aber keinen Barlohn. Ihre Zeugen seien leider nicht mehr am Leben (Bl. 56, 58 der Verwaltungsakte).

Die Beklagte zog die Entschädigungsvorgänge nach dem BEG von der OFD München bei. Dort hatte die Klägerin 1958 angegeben: "Während meiner Internierung im Ghetto Bendzin, sowie in den nachfolgenden Lagern war ich ständig Hunger, Kälte, Angst und Misshandlungen ausgesetzt. Außerdem mußte ich, trotz meines jugendlichen Alters, schwerste Zwangsarbeit verrichten ..." (Bl. 12 Rückseite der Verwaltungsakte). 1943 sei sie ins Konzentrationslager Auschwitz gekommen.

Mit Bescheid vom 14.07.2006 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente ab. Zur Begründung führte sie aus, vom für eine Rente notwendigen Vorliegen einer entgeltlichen, aus eigenem Willensentschluss zustande gekommenen freiwilligen Beschäftigung habe sich die Beklagte nicht überzeugen können. Eine solche Beschäftigung sei nicht glaubhaft gemacht. Im einzelnen heißt es dort, allein Sachbezüge wie Essen und Lebensmittel für zu Hause entsprächen nicht dem Entgeltbegriff im Sinne des ZRBG. Außerdem seien die Beschäftigungsverhältnisse an sich schon nicht richtig glaubhaft gemacht. Ein Aufenthalt im Ghetto Kamjonka sei früher zu keinem Zeitpunkt angegeben worden.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Widerspruch ein und trug zur Begründung im wesentlichen vor, dass sie im Ghetto Bendzin in der Kofferfabrik als Reinigungsarbeiterin gearbeitet habe. An genaue Daten könne sie sich nur nicht mehr erinnern. Sie wisse nicht mehr, in welchen Zeiträumen sie in den betreffenden Ghettos tätig gewesen sei. Bis zur Deportierung 1943 in das KZ Auschwitz habe sie aber in den Ghettos gearbeitet.

Mit Widerspruchsbescheid vom 24.04.2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Ergänzend führte sie zusätzlich zur bisherigen Begründung noch aus, es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Gegenwert der Leistungen für Tätigkeiten im Ghetto mehr als freien Unterhalt überschritten habe. Allenfalls habe die Klägerin Sachbezüge zur Unterhaltssicherung erhalten, nicht aber Zahlung eines Entgeltes im eigentlichen Sinne.

Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 02.05.2007 Klage zum Sozialgericht Düsseldorf erhoben.

Zur Begründung nimmt die Klägerin sinngemäß Bezug auf ihr bisheriges Vorbringen und vertieft dieses. Ergänzend macht sie geltend, für ihre Tätigkeit im Ghetto Bendzin - die von Juli 1941 bis Juli 1942 gedauert habe - habe sie den gleichen Lohn wie alle jüdischen Arbeiter erhalten. Frühere Angaben, es habe sich um Zwangsarbeit gehandelt, seien unschädlich für die Voraussetzungen des ZRBG. Die Tätigkeit in einer Kofferfabrik habe sie schon in dem früheren Entschädigungsverfahren erwähnt; die Höhe der Entlohnung für jüdische Arbeiter sei gesetzlich festgelegt worden. Durch diverse zweitinstanzliche Urteile fühle sie sich bestätigt.

Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 14.07.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.04.2007 zu verurteilen, ihr unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach dem ZRBG - für die von ihr anlässlich des Aufenthalts im Ghetto von Bendzin von Juli 1941 bis Juni 1942 zurückgelegten Zeiten einer Beschäftigung - und unter Berücksichtigung von wegen Verfolgung anzuerkennenden Ersatzzeiten nach Entrichtung gegebenenfalls noch erforderlicher freiwilliger Beiträge eine Regelaltersrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte nimmt Bezug auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden. Ergänzend macht sie geltend, allein allgemeinhistorische Gutachten stützten nicht ausreichend den geltend gemachten individuellen Anspruch. Unter Berücksichtigung des Urteils des 13. Senats des BSG vom 07.10.2004, dem sie weiterhin folge, sei bei der Klägerin von schon nicht ausreichendem - versicherungspflichtigem - Entgelt im Sinne des ZRBG auszugehen, bzw. sei ein solches Entgelt auch nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Zwar wirke sich nach Auffassung der Beklagten enthaltene Entschädigung von der Zwangsarbeiterstiftung nicht unmittelbar auf einen ZRBG-Anspruch aus; doch werde nach dem Stiftungsgesetz eine Entschädigung ausdrücklich für Zwangsarbeit geleistet. Deshalb könne im Grundsatz nicht die gleiche Arbeitsleistung einen Anspruch auf Entschädigung nach dem Stiftungsgesetz und eine Anrechnung als fiktive Beitragszeit nach dem ZRBG auslösen.

Das Gericht hat eine Auskunft und Unterlagen der Claims Conference beigezogen. Diese hat mitgeteilt: " ...teilen wir ihnen mit, dass Frau G von uns eine Entschädigung aufgrund ihres Verfolgungsschicksals im Ghetto Bendzin in den Jahren 1940 bis 1943 und in den Konzentrationslagern Auschwitz, Ravensbrück und Buchenwald in den Jahren 1943 bis 1945 erhalten hat ...".

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte in Abwesenheit des Bevollmächtigten der Klägerin in der mündlichen Verhandlung entscheiden, weil dieser in der ordnungsgemäß zugestellten Terminsmitteilung auf diese Verfahrensmöglichkeit hingewiesen worden ist, die sich aus § 124 Abs. 1, 126 und 127 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ergibt.

Die Klage ist zwar zulässig. Sie wurde insbesondere form- und fristgerecht erhoben.

Die Klage ist jedoch unbegründet. Denn die angefochtenen Verwaltungsakte der Beklagten, nämlich der Bescheid vom 14.07.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.04.2007, sind jedenfalls im Ergebnis nicht rechtswidrig und beschweren die Klägerin nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 SGG, weil die Beklagte mit diesen Bescheiden zu Recht die Gewährung einer Rente aus der deutschen Rentenversicherung abgelehnt hat. Der dahingehenden begehrten Verpflichtung der Beklagten (§ 54 Abs. 4 SGG) war damit nicht zu entsprechen.

Die Klägerin hat hier gegen die Beklagte nämlich schon allein deshalb keinen Anspruch auf eine Rente nach den Vorschriften des SGB VI in Verbindung mit eventuellen Beitragszeiten in Bendzin nach den Vorschriften des ZRBG oder den Vorschriften des FRG, weil der Geltendmachung einer Rentenleistung aus der gesetzlichen deutschen Rentenversicherung entgegensteht, dass die Klägerin für die Zeit im Ghetto Bendzin bereits entschädigt wurde, und zwar nach dem Gesetz zur Entrichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (EVZStiftG). §16 dieses Gesetzes besagt in Absatz 1 Satz 1 und 2: "Leistungen aus Mitteln der öffentlichen Hand einschließlich der Sozialversicherung sowie deutscher Unternehmen für erlittenes nationalsozialistisches Unrecht im Sinne von § 11 können nur nach diesem Gesetz beantragt werden. Etwaige weitergehende Ansprüche im Zusammenhang mit nationalsozialistischem Unrecht sind ausgeschlossen". Diese Vorschriften schließen also hier, da die Klägerin bereits Leistungen nach dem EVZStiftG erhalten hat für Zeiten im Ghetto Bendzin, weitere Ansprüche aus Tatbeständen im Zusammenhang mit der Verfolgung im Ghetto Bendzin aus. Die 26. Kammer des Sozialgerichts Düsseldorf schließt sich damit der Auffassung des LSG NRW im Urteil vom 07.06.2005 (L 4 R 3/05) an, wonach der Ausschluss von Ansprüchen nach § 16 Abs. 1 Satz 2 EVZStiftG auch Forderungen gegenüber der Sozialversicherung enthält bzw. ausschließt. Dieser Leistungsausschluss hätte nämlich praktisch keinen Anwendungsbereich und würde ausgehebelt, wenn nach § 16 Abs. 3 EVZStiftG auf diesem Umweg doch wieder Ansprüche nach anderen Rechtsvorschriften möglich sein sollten. Dies kommt indirekt zum Ausdruck auch in der Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage der Fraktion "Die Linke" (BT-Drucksache 16/1955 Seite 5). Dort hat die Bundesregierung klargestellt, es sei zu unterscheiden zwischen rentenrechtlichen Beschäftigungen und Entschädigungsleistungen für Zwangsarbeit, die eben nach anderen Gesetzen erbracht würden. Indirekt kommt dies ferner auch zum Ausdruck im "Handbuch der Claims Conference" zur "Zahlbarmachung von Renten durch die deutsche Bundesregierung aus Beschäftigungen in einem Ghetto". In diesem Handbuch von Juni 2003 heißt es auf Seite 6: " ...wenn Sie jedoch für ihre Arbeit im Ghetto eine Vergütung (gemein ist: Entschädigung) als Zwangsarbeiter erhalten haben, kann Ihnen die Ghettorente nicht für den selben Zeitraum und die selbe Arbeit gezahlt werden ...". Ist die Klägerin somit wie hier gerade auf ihres Antrages von 2003 für ihr Verfolgungsschicksal bzw. für damit gegebenenfalls verbundene Tätigkeiten im Ghetto Bendzin auch wegen etwaiger Arbeiten entschädigt worden, die als Zwangsarbeit nach dem EVZStiftG qualifiziert wurden (gleich ob dies richtig war oder nicht ), so hat dies den Ausschluss von Abgeltungen nach anderen Gesetzen wie hier nach dem ZRBG bzw. SGB VI bzw. FRG zur Folge. Die Claims Conference hat in ihren Ausführungen vom 05.11.2007 ausdrücklich bestätigt, dass die Klägerin eine Entschädigung auch aufgrund ihres Verfolgungsschicksals im Ghetto Bendzin erhalten hat, bezüglich der Jahre 1940 bis 1943.

Damit kann letztlich dahinstehen, ob die Klägerin überhaupt im Ghetto Bendzin Tätigkeiten verrichtete, die materiell-rechtlich auch als entgeltliche Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss zu werten gewesen wären; gleich ob man zur Anspruchsprüfung Entscheidungen des 4. oder aber des 13. Senats des Bundessozialgerichts heranzieht. Mit dem etwaigen Ausschluss von Rentenleistungen aus der deutschen Rentenversicherung durch § 16 EVZStiftG haben sich bisher weder der 4. noch der 13. Senat des Bundessozialgerichts abschließend auseinandergesetzt.

Die Kammer verkennt nicht das Verfolgungsschicksal der Klägerin, sieht aber nach Lage von § 16 EVZStiftG keine Möglichkeit, dem geltend gemachten Anspruch der Klägerin zu entsprechen. Das ZRBG bzw. das SGB VI wie auch das FRG und das EVZStiftG geben hier weitergehende Ansprüche für die Klägerin nicht her.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1, 4 SGG.-
Rechtskraft
Aus
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