S 12 KA 895/06

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 895/06
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Der Erteilung eines Versorgungsauftrags nach Anlage 9.1 zum BMV/EKV kommt für Nephrologen eine statusbegründende Bedeutung zu. Nach Auflösung einer Gemeinschaftspraxis kann der Versorgungsauftrag nicht ohne gesetzliche Grundlage einem der beiden früheren Partner vollständig entzogen werden (Anschluss an LSG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 10.05.2004 - L 4 B 8/04 KA ER – juris).
1. Unter Aufhebung des Bescheids vom 31.01.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.07.2006 wird festgestellt, dass der mit Bescheid vom 20.11.2002 der Klägerin erteilte Versorgungsauftrag zur Erbringung von Dialyseleistungen fortbesteht.

2. Die Beklagte hat die Verfahrenkosten zu tragen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Aufhebung eines Versorgungsauftrags zur Erbringung von Dialyse-Leistungen.

Die Klägerin, die zuvor als Oberärztin einer Universitäts-Klinik tätig war, und Herr Dr. med. C, der seit 1991 in eigener Praxis niedergelassen ist, schlossen zum 01.07.2000 einen Vertrag über die Errichtung einer Gemeinschaftspraxis in Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Die Klägerin und Herr Dr. med. C sind beides Fachärzte für Innere Medizin/Nephrologie. Mit Beschluss des Zulassungsausschusses für Ärzte bei der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen vom 30.05.2000 wurde die Gemeinschaftspraxis genehmigt.

Die Beklagte erteilte mit Bescheid vom 20.11.2002 der Klägerin die Genehmigung zur Übernahme eines Versorgungsauftrages im Rahmen der Übergangsregelung gemäß der Anlage 9.1 zum Bundesmantelvertrag - Versorgung chronisch nierensuffizienter Patienten -. Zur Begründung führte sie aus, die Fachkommission habe festgestellt, dass die Klägerin die in § 8 Abs. 1 der Anlage 9.1 der Bundesmantelverträge geforderten Bedingungen erfülle. Sie erteile ihr deshalb die "Genehmigung zur Übernahme eines Versorgungsauftrages gemäß § 3 Abs. 3 der Anlage 9.1 der Bundesmantelverträge zur gemeinsamen Berufsausübung mit Herrn Priv.-Doz. Dr. med. C für die Behandlung von bis zu 150 Dialyse-Patienten gemeinsam mit einer weiteren angestellten Ärztin, die insbesondere die fachlichen Voraussetzungen nach der Qualitätssicherungsvereinbarung erfüllt". Die Genehmigung wurde mit Wirkung ab 01.07.2002 erteilt und erstreckte sich auf die Dialyse-Praxis in A-Stadt sowie auf die ausgelagerten Betriebsstätten in SB. und NH ... Ferner konnte die Genehmigung widerrufen werden, falls die bei der Erteilung zugrunde liegenden Voraussetzungen tatsächlich nicht erfüllt gewesen seien oder nachträglich entfielen.

Die Zusammenarbeit der Parteien gestaltete sich - jedenfalls - ab dem Jahre 2002 problematisch. Da eine einvernehmliche Beendigung der Zusammenarbeit nicht zustande kam, kündigte Herr Dr. med. C den Gesellschaftsvertrag mit Schreiben vom 12.12.2003 ordentlich und erklärte zugleich unter Berufung auf § 14 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 des Gesellschaftsvertrages die Übernahme der Gemeinschaftspraxis. Seit dem 26.10.2005 betreibt die Klägerin in A-Stadt eine Einzelpraxis als Nephrologin ohne Sonderzulassung zur Dialyse. Über die Kündigung führten die Klägerin und Herr Dr. med. C einen Zivilrechtsstreit. LG Limburg, Urt. vom 06.12.2004 - 1 0 683103 - gab den Hauptanträgen der Klägerin im Wesentlichen statt und wies die Widerklage ab. OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 20.10.2005 - 16 U 3/05 - wies die Klage ab und gab der Widerklage statt. BGH, Urt. v. 07.05.2007 - 11 ZR 281/05 - GesR 2007, 365 = NJW-RR 2007, 1256 = ZMGR 2007,81 = MedR 2007,595 wies die Revision der Klägerin zurück.

Am 24.10.2005 teilte Herr Dr. med. C dem Zulassungsausschuss mit, dass ab sofort die Gemeinschaftspraxis beendet sei. Am 26.10.2005 teilte die Klägerin mit, dass sie die Gemeinschaftspraxis ab dem heutigen Tage auflösen möchte. Der Zulassungsausschuss stellte mit Beschluss vom 29.11.2005 die Beendigung der Gemeinschaftspraxis zum 26.10.2005 fest. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Beschluss v. 03.05.2006 als unzulässig zurück. Die hiergegen am 04.08.2006 erhobene Klage vor der Kammer (Az.: S 12 KA 871/06) zog die Klägerin am 21.08.2007 zurück.

Am 13.12.2005 beantragte Herr Dr. med. AT. D, der mit Herrn Dr. med. C eine Gemeinschaftspraxis bilden wollte, eine Sonderbedarfszulassung nach § 24 e BedarfsplRL-Ä als Internist mit Schwerpunktbezeichnung Nephrologie. Dr. C und Dr. D beantragten ferner, ihm, Dr. D, eine Genehmigung zur Übernahme eines Versorgungsauftrags gern. § 3 Abs. 3 der Anlage 9.1 BMV-Ä zu erteilen. Der Zulassungsausschuss für Ärzte bei der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen beschloss am 31.01.2006 (Beschlussausfertigung am 09.03.2006), Dr. D nach Nr. 24 e) BedarfsplRL-Ä für den Vertragsarztsitz in A-Stadt zuzulassen. In der Begründung bezog er sich hierbei im Wesentlichen auf die Qualitätssicherungsvereinbarung zu den Blutreinigungsverfahren. Hiergegen legte die Klägerin am 28.02.2006 Widerspruch ein. Sie führte aus, es bestehe für die Zulassung kein Bedarf. Gegen den Widerruf ihres Versorgungsauftrags habe sie Widerspruch eingelegt. Dieser habe aufschiebende Wirkung. Herr Dr. med. AT. D teilte mit Schriftsatz vom 13.03.2006 mit, dass der Dialyseversorgungsauftrag in der Praxis C verblieben sei. Dieser könne innerhalb von sechs Monaten den ausgeschiedenen Arzt ersetzen. Der Nachfolger habe einen Anspruch auf den Versorgungsauftrag und die Sonderbedarfszulassung. Auf den bürgerrechtlichen Streit über das Ausscheiden der Klägerin komme es nicht an. Die Zulassungsgremien hätten keine Verwerfungskompetenz. Er habe auch einen Anspruch auf Anordnung der sofortigen Vollziehung. Mit Beschluss vom 03.05.2006, ausgefertigt am 04.07. und der Klägerin zugestellt am 05.07.2006, wies der Berufungsausschuss den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus, die Beigeladene zu 1) habe eindeutig festgestellt, dass die Sonderbedarfszulassung für Herrn Dr. D notwendig sei, um den Versorgungsauftrag der von Dr. C geführten Praxis aufrechtzuerhalten. Damit lägen die Voraussetzungen vor. Der Versorgungsauftrag der Klägerin sei erloschen. Auf zivilrechtliche Auseinandersetzungen komme es nicht an. Der Beklagte ordnete ferner die sofortige Vollziehung an. Hiergegen erhob die Klägerin am 04.08.2006 die Klage. Die Klägerin trug vor, sie habe auch nach der Kündigung zunächst weiter gearbeitet. Die Änderung des Bundesmantelvertrages (Anlage 9.1) sei erst im Deutschen Ärzteblatt vom 19.08.2005 veröffentlicht worden. Sie reagiere auf eine Rechtsprechung des LSG Sachsen-Anhalt, wonach man einen Versorgungsauftrag mitnehmen könne. Zu diesem Zeitpunkt sei die Kündigung bereits ausgesprochen worden. Die Wahrnehmung von Rechtsschutzmöglichkeiten könne ihr nicht zum Nachteil gereichen. Erst nach der Entscheidung des OLG habe ihr Herr Dr. C ein Hausverbot erteilt. Als Nephrologin sei sie auf den Versorgungsauftrag angewiesen. Sie könne einen solchen nur im Wege der Sonderbedarfszulassung oder Praxisnachfolge erreichen. Der Verlust des Versorgungsauftrags greife in ihr Eigentumsrecht und ihre Berufsausübungsfreiheit ein. Wenn die Entziehung des Versorgungsauftrags rechtswidrig sei, dann sei auch die Sonderbedarfszulassung des Dr. D rechtswidrig. Sie verfüge über die gleiche fachliche Qualifikation wie Dr. D und über eine Zulassung, weshalb sie klagebefugt sei. Das vertragliche Wettbewerbsverbot sei unzulässig. Der BGH habe auch nur eine zweijährige Laufzeit akzeptiert, die inzwischen abgelaufen sei. Die Kammer hat mit Urteil vom 12.12.2007, Az.: S 12 KA 874/06, diese Klage abgewiesen.

Unter Datum vom 04.03.2005 bat die Klägerin die Beklagte um Auskunft, weshalb eine Anfrage ihrerseits, ob der Versorgungsauftrag der Gemeinschaftspraxis geteilt werden könne, nunmehr abschlägig beschieden werden solle. Ihr sei die Möglichkeit einer Trennung der Versorgungsauftrag schriftlich mitgeteilt worden.

Die Beklagte antwortete hierauf unter Datum vom 27.04.2005, die Frage, ob bei einem Auseinanderbrechen einer nephrologischen Gemeinschaftspraxis der ausscheidende Gemeinschaftspraxis-Partner "seinen" Versorgungsauftrag "mitnehmen" könne, werde bundesweit ganz unterschiedlich beantwortet. Dies habe eine Umfrage bei allen Kassenärztlichen Vereinigungen ergeben. Der überwiegende Teil der Kassenärztlichen Vereinigungen neige zu der Auffassung, dass der Versorgungsauftrag ortsgebunden sei und damit nicht "mitgenommen" werden könne. Anders sehe dies das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, das mit Beschluss vom 10.05.2004 (L 4 B 8/04 KA ER) in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes entschieden habe, dass das Auseinanderbrechen einer Gemeinschaftspraxis nicht dazu führen dürfe, dass der ausscheidende Partner seine bisherige Genehmigung zur Übernahme eines Versorgungsauftrages verliere. Die Begründung des Landessozialgerichts sei nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen, auch wenn der Beschluss aus ihrer Sicht durchaus noch Fragen offen lasse. Im Ergebnis neige sie aber unverändert dazu, der Auffassung des LSG Sachsen-Anhalt zu folgen. Unabhängig hiervon werde auch zu berücksichtigen sein, dass in NH. bereits eine Außenstelle des Wetzlarer Dialyse-Zentrums bestehe.

Die Beklagte teilte unter Datum vom 30.11.2005 der seinerzeitigen Bevollmächtigten der Klägerin mit, hinsichtlich des Versorgungsauftrages zur Blutwäsche weise sie darauf hin, dass zum 01.07.2005 eine Änderung der Anlage 9.1 Bundesmantelvertrag wirksam geworden sei, die vorsehe, dass im Fall einer gemeinschaftlichen Berufsausübung (Gemeinschaftspraxis) der Versorgungsauftrag für denjenigen Vertragsarzt ende, der aus der Gemeinschaftspraxis ausscheide. Diese Änderung sei auch im Fall der Klägerin zu beachten. Eine endgültige Entscheidung über das Schicksal des der Klägerin genehmigten Versorgungsauftrages werde nach Vorliegen des schriftlichen Bescheides des Zulassungsausschusses, mit dem die Gemeinschaftspraxis aufgelöst worden sei, getroffen werden.

Die Klägerin beantragte unter Datum vom 02.12.2005, bei der Beklagten am 03.01.2006 eingegangen, die Wiederaufnahme ihres Versorgungsauftrages und führte hierzu aus, seit Juli 2000 verfüge sie über die Genehmigung zur Ausführung und Abrechnung von Leistungen der Dialyse. Diese Genehmigung sei in einen Versorgungsauftrag umgewandelt worden. Es handele sich also um eine bestandsgeschützte Genehmigung, die nicht dadurch in Wegfall geraten könne, dass Herr Dr. C das Ende der Gemeinschaftspraxis mitteile. Sie sei nie aus der Gemeinschaftspraxis ausgeschieden. Es bestehe lediglich Streit über das Fortbestehen der Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Sie sei weiterhin bereit und in der Lage, Dialyse-Patienten weiter zu behandeln. Eine Versorgungslücke, die die Zulassung eines weiteren Nephrologen und die Erteilung eines weiteren Versorgungsauftrages rechtfertige, bestehe nicht. Auch unter dem Aspekt der freien Arztwahl sei die Beendigung ihres Versorgungsauftrages nicht gerechtfertigt. Die Entscheidung des LSG Sachsen-Anhalt sei durch die Änderung nicht bedeutungslos geworden. Sie könne ihren Sitz wechseln, an ihrem neuen Praxisstandort könne ebenso eine wohnortnahe Dialyse durchgeführt werden. Bei einer Aufteilung der vormals 150 Dialysepatienten auf Versorgungsaufträge mit z. B. 50 und 100 Patienten werde weiterhin eine wirtschaftliche Versorgungsstruktur erhalten. Der Entzug des Versorgungsauftrages sei mit einem Berufsverbot gleich zu setzen.

Die Beklagte widerrief mit Bescheid vom 31.01.2006 die Genehmigung zur Übernahme eines Versorgungsauftrags vom 20.11.2002. Zur Begründung führte sie aus, der Versorgungsauftrag sei ihr ausdrücklich zur gemeinsamen Berufsausübung mit Herrn Priv.-Doz. Dr. med. P. C erteilt worden. Die Genehmigung könne nach dem Bescheid u. a. dann widerrufen werden, wenn die bei der Erteilung zugrunde liegenden Voraussetzungen nachträglich entfallen seien. Zum 31.10.2005 habe die Gemeinschaftspraxis und damit die gemeinsame Berufsausübung der Klägerin mit Herrn Dr. C geendet, sodass die Genehmigung zu widerrufen gewesen sei. Die Entscheidung beruhe ferner auf § 4 Abs. 1 a der Anlage 9.1 BMV-Ä/EKV, wonach bei gemeinsamer Berufsausübung (Gemeinschaftspraxis) der Versorgungsauftrag für denjenigen Arzt ende, der aus der Gemeinschaftspraxis ausscheide.

Hiergegen legte die Klägerin mit Datum vom 23.02.2006, bei der Beklagten am 28.02. eingegangen, Widerspruch ein. Sie trug erneut vor, sie sei nicht aus der Gemeinschaftspraxis ausgeschieden. Bei Auflösung einer Gemeinschaftspraxis entfalle nicht ihr Versorgungsauftrag. Der Entzug des Versorgungsauftrages komme einem Berufsverbot gleich. Mit dem von Dr. C ausgesprochenen Hausverbot sei sie zunächst von der akuten Versorgung ihrer Patienten abgeschnitten worden. Sie hätten zum Ausdruck gebracht, dass sie eine weitere Betreuung durch sie haben wollten. Für die chronisch Nierenkranken und die ca. 120 Transplantierten habe sie die Versorgung durch Gründung ihrer Einzelpraxis sicherstellen können. Die Dialyse-Patienten hätten aber keinen Anspruch auf freie Arztwahl aufgrund der Entscheidung der Beklagten. Die wirtschaftliche Versorgungsstruktur könne erhalten bleiben. Eine nephrologische Einzelpraxis ohne Dialyse-Leistung sei nicht wirtschaftlich zu führen. Sie habe wegen der Versorgung von ca. 100 Transplantierten und 70 chronisch Nierenkranken einen hohen Versorgungs- und Personalaufwand.

Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 19.07.2006, der Klägerin am 25.07. zugestellt, den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Klägerin sei seit 01.11.2005 in der A-Straße in A-Stadt niedergelassen, Herr Dr. C sei weiterhin unter der bisherigen Anschrift der damaligen Gemeinschaftspraxis tätig. Damit liege ein Ausscheiden aus der Gemeinschaftspraxis vor. § 4 Abs. 1 a der Anlage 9.1 BMV-Ä/EKV stelle allein auf die Tatsache des Ausscheidens ab, die Umstände des Ausscheidens seien unbeachtlich. Die Entscheidung des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt sei vor Änderung der Bundesmantelverträge ergangen. Im Hinblick auf den Einwand der Klägerin, sie könne ihre Einzelpraxis nicht wirtschaftlich betreiben, sei eine Sonderregelung in Bezug auf die fallzahlabhängige Quotierung und das Regelleistungsvolumen ergangen.

Hiergegen hat die Klägerin am 17.08.2006 die Klage erhoben. Zur Begründung ihrer Klage verweist sie auf den Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten im Parallelverfahren mit Aktenzeichen S 12 KA 874/06. Ergänzend trägt sie vor, da die Gemeinschaftspraxis zum 30.06.2005 geendet habe, müsse das alte Recht Anwendung finden. Entsprechend dem Beschluss des LSG Sachsen-Anhalt erhalte der Vertragsarzt den Versorgungsauftrag im Bereich der Dialyse, sofern er aus der bisherigen Dialysepraxis ausscheide. Dadurch würden nicht Kapazitäten erweitert, sondern lediglich verlegt werden. Die Anwendung des neuen Rechts stelle eine unzulässige Rückwirkungsmaßnahme dar. Sie sei nicht aus der Gemeinschaftspraxis ausgeschieden, sondern "herausgekündigt" worden. Die Bundesmantelvertragspartner seien nicht befugt, den ersatzlosen Entzug eines Versorgungsauftrags zu regeln. Wegen des Hausverbots habe sie ihren Sitz verlegen und aus der Gemeinschaftspraxis ausscheiden müssen. Die Kündigung datiere tatsächlich zu einem früheren Zeitpunkt, zu dem die Neufassung noch nicht in Kraft getreten sei.

Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 31.01.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.07.2006 aufzuheben und festzustellen, dass der ihr erteilte Versorgungsauftrag zur Erbringung von Dialyse-Leistungen fortbesteht.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, das Ende der Gemeinschaftspraxis sei bestandskräftig zum 26.10.2006 festgestellt worden. Das Ende der Gemeinschaftspraxis sei damit nicht unklar. § 4 Abs. 1a der Anlage 9.1 zum Bundesmantelvertrag sei zu diesem Zeitpunkt bereits in Kraft gewesen. Die Vorschrift stelle auch nicht auf die Gründe des Ausscheidens ab.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigebogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer hat in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).

Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid vom 31.01.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.07.2006 ist rechtswidrig und war daher aufzuheben. Es wird festgestellt, dass der mit Bescheid vom 20.11.2002 der Klägerin erteilte Versorgungsauftrag zur Erbringung von Dialyseleistungen fortbesteht.

Ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt darf, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft nur widerrufen werden, soweit u. a. der Widerruf durch Rechtsvorschrift zugelassen oder im Verwaltungsakt vorbehalten ist (§ 47 Abs. 1 Nr. 1 SGB X). Im Genehmigungsbescheid vom 20.11.2002 konnte die Genehmigung widerrufen werden, falls die bei der Erteilung zugrunde liegenden Voraussetzungen tatsächlich nicht erfüllt waren oder nachträglich entfielen. Die Genehmigung war ferner an die gemeinsame Berufsausübung mit Dr. C geknüpft. Diese entfiel mit Beschluss des Zulassungsausschuss vom 29.11.2005, der die Beendigung der Gemeinschaftspraxis zum 26.10.2005 feststellte. Insofern konnte die Beklagte den konkreten Versorgungsauftrag für die Versorgung von bis zu 150 Dialysepatienten entziehen. Damit entfiel aber nicht der Versorgungsantrag an sich. Die Beklagte verkennt insoweit, dass die Klägerin bereits unter Datum vom 02.12.2005 die Wiederaufnahme ihres Versorgungsauftrages beantragt hatte. Sachlich handelte es sich um einen Antrag auf Mitnahme ihres Versorgungsauftrags nach Beendigung der Gemeinschaftspraxis und Verlegung ihres Vertragsarztsitzes und damit um die Mitnahme ihrer Berechtigung in eine neue Praxis.

Die Kammer folgt insofern der Auffassung des LSG Sachsen-Anhalt, nach der das Auseinanderbrechen der Gemeinschaftspraxis nicht dazu führen darf, dass der eine Vertragsarzt seine bisherige Genehmigung zur Übernahme eines Versorgungsauftrages für das Blutreinigungsverfahren verliert. Der die Praxis verlegende Arzt will die Genehmigung, die er bereits besitzt, lediglich in einer Einzelpraxis und nicht mehr in der Gemeinschaftspraxis nutzen. Mit der Beendigung der Gemeinschaftspraxis endet die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung nicht. Für die Genehmigung zur Beteiligung an der Dialyseversorgung kann nichts anderes gelten. Dem steht die Anlage 9.1 zum BMV/EKV nicht entgegen. Sie regelt den Fall, dass ein Vertragsarzt mit der Genehmigung zur Übernahme eines Versorgungsauftrags zur Durchführung und Abrechnung von Blutreinigungsverfahren seine Praxis im Planungsbereich verlegen will, nicht. Geregelt ist lediglich die Neuzulassung weiterer Praxen, die bisher noch keine Genehmigung haben (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 10.05.2004 - L 4 B 8/04 KA ER – juris Rdnr. 43).

Der Erteilung eines Versorgungsauftrags nach Anlage 9.1 zum BMV/EKV kommt für Nephrologen eine statusbegründende Bedeutung zu. Sie kann nicht ohne gesetzliche Grundlage einem Vertragsarzt in der Weise zugebilligt werden, dass bei Beendigung einer Gemeinschaftspraxis der gesamte Versorgungsauftrag einem der beiden früheren Gemeinschaftspartner zufällt. Vertragsarztrechtlich sind beide Ärzte gleich zu behandeln. Es kann hier dahinstehen, inwieweit zivilvertragliche Vereinbarungen zulässig sind, die einem sog. Seniorpartner die alleinige Fortführung eines Versorgungsauftrags im Zusammenwirken mit einem neuen Juniorpartner ermöglich. Solche Vereinbarungen wären ggf. zivilrechtlich durchzusetzen. Vertragsarztrechtlich ist es unerheblich, aus welchen Gründen die Gemeinschaftspraxis beendet wird und einer der Vertragsärzte seinen Sitz verlegt.

Entgegen der in der mündlichen Verhandlung von der Beklagtenvertreterin vorgebrachten Auffassung gehört die Dialysebehandlung zum Kernbereich der nephrologischen Tätigkeit. Nach der Musterweiterbildungsordnung der Bundesärztekammer - Stand April 2007 - gehört zum Weiterbildungsinhalt der Nephrologie der Erwerb von Kenntnissen, Erfahrungen und Fertigkeiten in
- den gemeinsamen Inhalten für die im Gebiet enthaltenen Facharzt- und Schwerpunktkompetenzen
- der Erkennung und konservativen Behandlung der akuten und chronischen Nieren- und renalen Hochdruckerkrankungen sowie deren Folgeerkrankungen
- der Betreuung von Patienten mit Nierenersatztherapie
- den Dialyseverfahren und analogen Verfahren bei akutem Nierenversagen und chronischer Niereninsuffizienz sowie bei gestörter Plasmaproteinzusammensetzung und Vergiftungen einschließlich extrakorporale Eliminationsverfahren und Peritonealdialyse

- der Indikationsstellung und Mitwirkung bei Nierenbiopsien sowie Einordnung des Befundes in das Krankheitsbild
- der Indikationsstellung zu interventionellen Eingriffen bei Nierenarterienstenose und Störungen des Harnabflusses einschließlich Nierensteinen
- der interdisziplinären Indikationsstellung nuklearmedizinischer Untersuchungen sowie chirurgischer und strahlentherapeutischer Behandlungsverfahren einschließlich Nierentransplantation
- der Betreuung von Patienten vor und nach Nierentransplantation
- der Ernährungsberatung und Diätetik bei Nierenerkrankungen
- der intensivmedizinischen Basisversorgung.

Definierte Untersuchungs- und Behandlungsverfahren sind:
- Hämodialysen oder analoge Verfahren
- Doppler- / Duplex-Untersuchungen der Nierengefäße einschließlich bei Transplantatnieren
- Mikroskopien des Urins einschließlich Quantifizierung und Differenzierung der Zellen.

Diese – unverbindlichen – Empfehlungen sind in die Weiterbildungsordnung für Ärztinnen und Hessen nach den Beschlüssen der Delegiertenversammlung vom 02.07.2005, Hessisches Ärzteblatt 10/2005, Sonderheft Weiterbildungsordnung der Landesärztekammer Hessen, aufgenommen worden. Zum Kernbereich nephrologischer Tätigkeit gehört damit auch die Versorgung von Dialysepatienten und die Anwendung von Dialyseverfahren. Der Entzug der Dialysegenehmigung greift daher in den vertragsarztrechtlichen Zulassungsstatus ein. Soweit es wie hier um die Privilegierung vermeintlich etablierter Praxen geht, kann dies nicht aus Gründen der Wirtschaftlichkeit oder Qualitätssicherung gerechtfertigt werden. Qualitative Standards müssen von allen Dialyseärzten zu jeder Zeit eingehalten werden, unabhängig davon, in welcher Gesellschaftsform sie ihren Beruf ausüben. Gründe der Wirtschaftlichkeit berücksichtigt die Dialysevereinbarung durch die zusätzlich zum Zulassungsrecht geltende besondere Bedarfsprüfung. Bei einer Aufteilung des Versorgungsauftrags werden zusätzliche Kapazitäten nicht geschaffen. Inwieweit dann noch vorhandene sachliche Versorgungseinrichtungen genutzt werden, liegt im Risikobereich der Dialyseärzte. Denkbar ist z. B. sogar die Fortführung zweier Einzelpraxen in den Räumen der früheren Gemeinschaftspraxis. Jedenfalls folgt weder aus Gründen der Wirtschaftlichkeit noch der Qualitätssicherung die Notwendigkeit, den Versorgungsauftrag nur einem der Ärzte aus einer vormals bestehenden Gemeinschaftspraxis zuzuweisen.

Der Anspruch eines Arztes auf Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung ist grundrechtlich durch Art 12 Abs. 1 GG geschützt. Eingriffe in die Berufsfreiheit dürfen nur auf der Grundlage einer gesetzlichen Regelung, die Umfang und Grenzen des Eingriffs deutlich erkennen lässt (vgl. BSG, Urt. v. 05.11.1997 - 6 RKa 52/97 - BSGE 81, 143 = SozR 3-2500 § 95 Nr. 16, juris Rn. 16 m.w.N.; s. a. BVerfG v. 20.03.2001 - 1 BvR 491/96BVerfGE 103, 172 = SozR 3-5520 § 25 Nr. 4; umfassend Clemens, Anhang zu Artikel 12. Berufsregelungen im medizinischen Bereich, insbesondere für die Tätigkeit als Kassen- bzw. Vertragsarzt, in: Umbach/ders., Grundgesetz. Band I, 2002). An einer solchen gesetzlichen Grundlage fehlt es aber für den Entzug eines Dialyseauftrags.

Die Beklagte hat daher, wie der Kammer aus dem Verfahren zum Az.: S 12 KA 874/06 bekannt ist, folgerichtig auch Herrn Dr. C den Versorgungsauftrag nicht entzogen. Konsequenterweise hätte sie dies tun müssen, da er den gleichen Versorgungsauftrag wie die Klägerin erhalten hatte. Nachvollziehbare Gründe hierfür hat die Beklagte auch in der mündlichen Verhandlung nicht darlegen können, so dass sie den Eindruck eines aus Sicht der insoweit fachkundig besetzten Kammer willkürlichen Verhaltens nicht ausräumen konnte.

An einer fehlenden gesetzlichen – und auch selbst vertraglichen - Rechtsgrundlage hat auch die Einfügung des Abs. 1a in § 4 der Anlage 9.1 BMV-Ä/EKV nichts geändert. § 4 Abs. 1a der Anlage 9.1 BMV-Ä/EKV wurde mit Wirkung zum 01.07.2005 eingefügt (vgl. DÄBl. 2005, A-2267). Er gilt daher sowohl für den Antrag der Klägerin als auch für den angefochtenen Widerrufsbescheid, da beide zeitlich nach Inkrafttreten der Ergänzung liegen.

Nach Abs. 1a endet bei gemeinschaftlicher Berufsausübung (Gemeinschaftspraxis) der Versorgungsauftrag für denjenigen Vertragsarzt, der aus der Gemeinschaftspraxis ausscheidet. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die Klägerin ist nicht aus einer Gemeinschaftspraxis ausgeschieden. Vielmehr wurde die aus ihr und Dr. C bestehende Gemeinschaftspraxis nach entsprechender Anzeige an den Zulassungsausschuss beendet. Entsprechend stellte der Zulassungsausschuss mit Beschluss vom 29.11.2005 die Beendigung der Gemeinschaftspraxis zum 26.10.2005 fest. Von daher brauchte die Kammer auch nicht zu entscheiden, ob die Bundesmantelvertragsparteien überhaupt im Hinblick auf die Eingriffsintensität und berufsrechtliche Grundrechtsrelevanz befugt sind, das Ende des Versorgungsauftrags bei Ausscheiden aus einer Gemeinschaftspraxis zu regeln.

Nach allem war der Klage daher stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung in § 155 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Der unterliegende Teil hat die Verfahrenskosten zu tragen.
Rechtskraft
Aus
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