L 17 U 155/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 11 U 154/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 U 155/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 161/08 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Auf die Anschlussberufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 28.01.2004 und der Bescheid vom 12.02.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.05.2002 abgeändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab 26.07.1999 eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 80 vH zu gewähren.
II. Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
III. Die Beklagte hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, in welcher Höhe die Folgen eines Arbeitsunfalles zu entschädigen sind.

Der 1940 geborene Kläger war als selbstständiger Fliesenleger tätig. Er erlitt am 26.01.1998 einen Unfall. Beim Hantieren mit Kanthölzern wurde er von einem Kantholz am Kopf getroffen und erlitt Verletzungen im Kopf-/Gesichtsbereich.

Die Beklagte holte ein neurologisches Gutachten vom 22.04.1999 ein (Neurologe Dr.B. , Arzt M.K.). Aufgrund der Folgen einer eingetretenen kontusionellen Hirnbeteiligung mit hirnorganischen Psychosyndrom mäßigen Ausmaßes und reaktiver Depression im Rahmen einer posttraumatischen Belastungsreaktion sei auf neurologischem Fachgebiet die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) mit 40 vH anzusetzen. Die Dipl.-Psychologin F. stellte in dem neuropsychologischen Gutachten vom 25.02.1999 beim Kläger Einschränkungen der Hirnleistungsfähigkeit fest. Es ergebe sich weiter das Bild einer reaktiven Depression mit Antriebsminderung, Selbstwertproblematik, Dysphorie und Hoffnungslosigkeit. Prof. Dr.D. kam in dem Gutachten vom 29.12.1999 zum Schluss, dass auf HNO-ärztlichem Gebiet eine MdE von 15 vH gerechtfertigt sei. Der Mund-Kiefer- und Gesichtschirurg Dr.Dr.W. ging in dem Gutachten vom 20.06.2000 davon aus, dass auf seinem Fachgebiet eine MdE von mindestens 10 vH bestehe. Nach der beratungsärztlichen Stellungnahme des Chirurgen Dr.S. vom 04.08.2000 rechtfertigten es die beschriebenen Unfallfolgen, von einer unfallbedingten Gesamt-MdE von 50 vH auszugehen.

Mit Bescheid vom 12.02.2001 erkannte die Beklagte den Unfall vom 26.01.1998 als Arbeitsunfall an. Als Folgen des Unfalls werde anerkannt: kontusionelle Hirnschädigung mit Hirnleistungsstörung und leichter unregelmäßiger rechtsseitiger Teillähmung, herabgesetzte Merk- und Lernfähigkeit, verlangsamte Reaktion, Beeinträchtigung der Konzentrationsfähigkeit, reaktive Depression im Rahmen einer posttraumatischen Belastungsreaktion mit Antriebsminderung, anhaltender Spannungskopfschmerz und Sensibilitätsstörungen im Versorgungsgebiet des Trigeminusnerves rechts, Gesichtsschmerz und Gefühlsminderung im Bereich des Nervus infraorbitales, Schwindelbeschwerden mit Untererregbarkeit des Vestibularisorgans, Hörminderung des rechten Innenohres mit Ohrgeräusch. Nicht Folgen des Arbeitsunfalls seien: Beginnende Verkalkung der hirnversorgenden Arterien, schmerzhafte Bewegungseinschränkung im Schulter- und Handgrundgelenk rechts, Sehminderung beider Augen, Zustand nach Blinddarmentfernung, Zustand nach Entfernung der Gaumenmandeln, Zustand nach Meniskusoperation links und rechts. Die Beklagte gewährte dem Kläger eine Rente auf unbestimmte Zeit ab 26.07.1999 nach einer MdE von 50 vH.

Im Widerspruchsverfahren ließ die Beklagte weitere Gutachten erstellen (HNO-ärztliches Gutachten des Dr.O. vom 18.10.2001: MdE von 10 vH, zahnärztlich-oralchirurgisches Gutachten des Dr.E. vom 04.12.2001: MdE von 10 vH). Der ebenfalls gehörte Neurologe Dr.S. führte in dem Gutachten vom 05.12.2001 aus, dass die MdE aufgrund der beim Kläger bestehenden mittelschweren depressiven Störung, der Sensibilitätsstörung der rechten Gesichtsseite und des chronischen Kopfschmerzes vom Spannungstyp auf neurologischem und psychiatrischem Fachgebiet mit 50 vH festzusetzen sei. Die Orthopäden Dres.B. und S. verwiesen unter dem 05.12.2001 darauf, dass auf orthopädisch-traumatologischem Fachgebiet eine MdE nicht verblieben sei. Die Einschätzung des Dr.S. auf nervenärztlichem Gebiet entspreche der Gesamt-MdE. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 02.05.2002). Es verbleibe bei einer MdE von insgesamt 50 vH.

Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben und vorgebracht, dass er aufgrund der schweren Kopfverletzungen nicht mehr in der Lage sei, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen.

Die Beklagte hat dem SG ein neuropsychologisches Gutachten der Dipl.-Psychologin W. vom 27.05.2003 und ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten des Prof. Dr.v.R. vom 14.05.2003 zugeleitet. Prof. Dr.v.R. hat als Unfallfolgen festgestellt, dass beim Kläger an funktionellen Einbußen aufgrund des Schädel-Hirn-Traumas ein psychoneurastenisches Syndrom mindestens mittleren Ausmaßes sowie eine hirnorganische Wesensänderung mit mindestens als mittelschwer zu bezeichnenden Veränderungen integrativer Persönlichkeitsanteile und als mittelschwer zu bezeichnende kognitive Defizite bestünden. Darüber hinaus sei von einer organischen depressiven Störung auszugehen, die ebenfalls als Unfallfolge anzuerkennen sei. Diese organische emotionale Störung werde überlappt von reaktiven Symptomen, die durch Anpassung der Lebensumstände und gelungenes Coping eine Besserung erfahren könnten und erfahren hätten. Auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet werde die MdE mit 50 vH ab Rentenbeginn eingeschätzt.

Das SG hat den HNO-Arzt Dr.N. zum ärztlichen Sachverständigen bestellt (Gutachten vom 25.09.2003). Dieser hat ausgeführt, dass die MdE von Seiten des HNO-Gebietes wegen der Schwerhörigkeit und Ohrgeräusche mit 10 vH zu veranschlagen sei. Bei Einbeziehung der Vestibularisstörung und der Sensibilitätsstörungen sei die MdE mit 15 vH angemessen bewertet. Der ebenfalls gehörte Neurologe und Psychiater Prof.Dr.Dr.N. hat im Gutachten vom 25.09.2003 festgestellt, dass die Unfallfolgen im Bescheid vom 12.02.2001 vollständig erfasst seien, jedoch die MdE für Unfallfolgen auf psychiatrischem Gebiet mit 60 vH höher zu bewerten sei. Dieser Grad der MdE sei der Schwere des als Dauerzustand einzuschätzenden unfallbedingten, vor allem emotionalen und kognitiven Defizits angemessen. Der ebenfalls mit Gutachten vom 25.09.2003 gehörte Chirurg Dr.H. kam zum Schluss, dass aus chirurgischer Sicht unter Berücksichtigung der mund- und gesichtschirurgischen Aspekte, aus nervenärztlicher Sicht sowie aus HNO-ärztlicher Sicht die Unfallfolgen von der Beklagten zwar richtig erfasst, jedoch nicht ausreichend bewertet worden seien. Unter Berücksichtigung einer MdE von 60 vH auf nervenärztlichem Gebiet, oral-gesichtschirurgisch von einer MdE von 10 vH und HNO-ärztlich ebenfalls von einer MdE von 10 vH werde vorgeschlagen, die Gesamt-MdE ab Rentenbeginn mit 70 vH zu bewerten. Dr.S. habe im August 2000 die gesichts-kieferchirurgische Einschätzung sowie die HNO-ärztliche Einschätzung als erhöhend gewertet und bei einer nervenärztlichen MdE von 40 vH eine Gesamt-MdE mit 50 vH festgesetzt. Anders dagegen seien Dres. B. und S. im Dezember 2001 bei einer nervenärztlichen MdE von 50 vH nicht von einer erhöhenden Wirkung der HNO-ärztlichen und der kiefer-gesichtschirurgischen MdE mit jeweils 10 vH ausgegangen. Die Erhöhung der nervenärztlichen MdE durch die HNO-ärztliche MdE und durch die oralchirurgische MdE mit insgesamt 10 vH sei jedoch vorliegend gerechtfertigt, da die Einschätzung der Unfallfolgen und der MdE jeweils unter Vermeidung von Überschneidungen erfolgt sei.

Die Beklagte hat sich zu den Gutachten geäußert. Unter Hinweis auf die Gutachten des Dr.S. vom 05.12.2001 und des Prof. Dr.v.R. vom 14.05.2003 halte sie daran fest, dass auf neurologischem Fachgebiet die MdE mit 50 vH ausreichend bewertet sei. Im Termin vor dem SG am 28.01.2004 hat die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen, soweit sie auf eine MdE von mehr als 60 vH gerichtet sei.

Mit Urteil vom 28.01.2004 hat das SG die Beklagte verpflichtet, ab 26.07.1999 Rente nach einer MdE von 70 vH zu gewähren. Es hat sich auf die Ausführungen der gerichtlich gehörten Sachverständigen gestützt. Insbesondere habe Prof. Dr.Dr.N. zu Recht eine Einzel-MdE von 60 vH auf nervenärztlichem Gebiet angenommen, da nach einschlägiger unfallmedizinischer Literatur die psychischen Störungen iS einer Hirnleistungsschwäche mit organischer Wesensänderung und Schwindelbeschwerden sowie Koordinationsstörungen als schwer anzusehen seien.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung des Klägers.

Die Beklagte trägt vor, dass die Einzel-MdE Einschätzung auf neurologischem Fachgebiet mit 60 vH überhöht sei. Sie hat dem Senat ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten des Prof. Dr.v.R. vom 11.01.2006 übersandt. Dieser halte an der MdE-Einschätzung vom 14.05.2003 fest. Als Gesundheitsstörungen, die wesentlich die Erwerbsfähigkeit des Klägers einschränkten, seien ein pseudoneurasthenisches Syndrom mittleren Grades und eine hirnorganische Wesensänderung mittlerer Ausprägung anzusehen. Nach Ludolph-Lehmann-Schürmann, Kursbuch der ärztlichen Begutachtung, sei die Gesamt-MdE bei mittelschweren Hirnschädigungen durch mehrere Dauerfunktionsstörungen, wie sie beim Kläger bestünden, auf 30 bis 50 vH einzuschätzen.

Der Senat hat die Akten des Amtes für Versorgung und Familienförderung W. und die Akten der Landesversicherungsanstalt Hessen, die dem Kläger seit 26.07.1999 aufgrund der unfallbedingten Beeinträchtigung des Leistungsvermögens Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gewährt (Bescheid vom 30.07.1999) sowie die Krankenakte des Klinikums F. beigezogen. Von der A. Versicherungs-Aktiengesellschaft hat der Senat medizinische Unterlagen eingeholt, insbesondere ein psychologisches Gutachten des Dipl.-Psychologen M. vom 01./03.08.2000, der aufgrund der unfallbedingten hirnorganischen Störungen von einer Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit von 60 vH ausging, und ein neurologisches Gutachten des Prof. Dr. L. vom 28.06.2000. Dieser führte aus, dass die organisch bedingte dauerhafte Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit auf neurologisch/psychiatrischem Fachgebiet 60 vH betrage. Diese Einschätzung sei ohne Berücksichtigung der psychoreaktiven Unfallfolgen in Form einer länger dauernden depressiven Reaktion/Anpassungsstörung erfolgt.

Der Senat hat die Neurologin und Psychiaterin Dr.P. mit Gutachten vom 15.09.2006/05.05.2007 gehört. Dr.P. hat festgestellt, dass es im Rahmen einer traumatisch verursachten Hirnschädigung zu deutlichen krankheitswertigen Einschränkungen im Sinne eines hirnorganischen Psychosyndroms gekommen sei. Daneben bestehe unfallbedingt eine depressive Anpassungsstörung. Nach Suchenwirth, Lehrbuch der neurologischen Beurteilung, erfolge für einen Hirnschaden mit mittelgradigen psychischen Störungen, d.h. bei deutlichen Auswirkungen im Alltag, die Einschätzung der MdE mit 50 bis 60 vH. Beim Kläger bestehe ein Hirnschaden an der Grenze von der mittelschweren zur schweren Leistungsbeeinträchtigung und auch mit deutlichen Auswirkungen im Alltag, sodass die MdE mit 60 vH festzulegen sei. Zur Bewertung der Auswirkungen im Alltag könnten behelfsweise Ausführungen des Sachverständigenbeirats in Ziff. 1.2 der Niederschrift über die Tagung der Sektion "Versorgungsmedizin" vom 18./19.03.1998 herangezogen werden. Bei Einschätzung des Hirndauerschadens an der unteren Grenze der mittelgradigen Störungen mit eine MdE von 50 vH müsse die depressive Anpassungsstörung gesondert bewertet werden. Diese sei an der Obergrenze der leichteren psychischen Störungen zu den stärker behindernden neurotischen Störungen mit einer MdE von 20 bis 30 anzusetzen. Für das psychiatrische Störungsbild ergebe sich zumindest eine MdE von 60 vH. Die von Dr.N. nicht in die Bewertung mit 10 vH für den HNO-Bereich einbezogene Vestibularisstörung sei Teil der aufgrund der Hirnschädigung bestehenden Einschränkungen. Die ebenfalls nicht einbezogenen Sensibilitätsstörungen im Trigeminusversorgungsgebiet würden bei einer MdE von 60 vH für den nervenärztlichen Symptomenkomplex, einer MdE von 10 vH für den HNO-Symptomenkomplex und einer MdE von 10 vH im chirurgischen Symptomenkomplex nur annähernd berücksichtigt. Eine Gesamt-MdE von 70 vH sei angemessen.

Die Beklagte hat zu den Ausführungen der Dr.P. eine gutachterliche Stellungnahme des Prof. Dr.v.R. vom 03.01.2007 vorgelegt. Die hirnorganisch-psychischen Störungen seien nicht schwerer als mittelgradig einzuschätzen (Einzel-MdE von 40 bis 50 vH nach "Kursbuch"). Die zentral-vegetativen Störungen, wie Kopfschmerz und Schwindel, seien als mittelgradig zu beschreiben (Einzel-MdE von 20 bis 30 nach "Kursbuch"). Auf neurologischem Fachgebiet ergebe sich eine Gesamt-MdE von 50 vH, da der gesamte Symptomenkomplex nicht höher als mittelgradig einzuschätzen sei. Daneben bestünden beim Kläger Hinweise auf eine Anpassungsstörung depressiven Gepräges. Diese Störung sei über die kognitiv-emotionale Kernsymptomatik nicht hinausgehend funktionsbeeinträchtigend. Auch wenn die depressive Symptomatik anlässlich des Unfalls aufgetreten sei, sei der depressive Anteil an der Beeinträchtigung als unfallunabhängig zu betrachten. Denn im Verlauf der Entwicklung habe sich der depressive Anteil nicht als dauerhaft herausgestellt, sodass er auf persönlichkeitsverankerte Anpassungsfähigkeiten des Klägers zurückzuführen sei.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 28.01.2004 aufzuheben und die Klage insoweit abzuweisen, als die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 12.02.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.05.2002 zu einer Gewährung von Rente ab 26.07.1999 nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von höher als 60 vH verurteilt wurde, und die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 28.01.2004 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 12.02.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.05.2002 zu einer Gewährung von Rente ab 26.07.1999 nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von höher als 70 vH zu verurteilen, und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Er bezieht sich auf die Ausführungen des SG und der Sachverständigen Dr.P ... Insgesamt sei eine MdE von 80 vH angemessen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Verwal-tungsakte der Beklagten und auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufungen der Beklagten und des Klägers sind zulässig. In der Sache hat die Berufung des Klägers Erfolg, sodass auf des-sen Anschlussberufung hin und unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten das Urteil des SG aufzuheben und die angefochtenen Bescheide der Beklagten abzuändern sind. Der Bescheid der Beklagten vom 12.02.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.05.2002 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, da der Kläger die Gewährung der Rente für die Zeit ab 26.07.1999 nach einer MdE von 80 vH beanspruchen kann.

Die Voraussetzungen für die Zahlung der Rente gemäß §§ 7 Abs 1, 56 Abs 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) liegen vor, insbesondere für eine Gewährung nach einer MdE von 80 vH. Der Kläger hat die von der Beklagten mit Bescheid vom 12.02.2001 als Folgen des Unfalls vom 26.01.1998 anerkannten Gesundheitsstörungen erlitten. Für die Bemessung der MdE für die auf HNO-ärztlichem Gebiet und chirurgisch/oralkieferchirurgischem Gebiet bestehenden Unfallfolgen ist nach den vom SG eingeholten Gutachten jeweils von einer MdE von 10 vH auszugehen. Streitig ist nur die Bemessung der neurologisch-psychiatrischen Unfallfolgen. Entgegen der Auffassung der Beklagten hält der Senat die Einschätzung der Gesamt-MdE in Höhe von 80 vH für gerechtfertigt.

Die Entscheidung der Frage, in welchem Umfang die Erwerbsfähig-keit eines Verletzten gemindert ist, ist eine tatsächliche Feststellung, die das Gericht gemäß § 128 Abs 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft (BSGE 4, 147, 149; BSGE 6, 267, 268; BSG Urteil vom 23.04.1987 - 2 RU 42/86). Die Bemessung des Grades der unfallbedingten MdE richtet sich nach dem Umfang der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens des Verletzten durch die Unfallfolgen und nach dem Umfang der dem Verletzten dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind, betrifft in erster Linie das ärztlich-wissenschaftliche Gebiet. Doch ist die Frage, welche MdE vorliegt, eine Rechtsfrage. Sie ist ohne Bindung an ärztliche Gutachten unter Berücksichtigung der Einzelumstände nach der Lebenserfahrung zu entscheiden. Ärztliche Meinungsäußerungen hinsichtlich der Bewertung der MdE sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Einschätzung des Grades der MdE, vor allem, soweit sich diese darauf bezieht, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind (BSG SozR 2200 § 581 Nrn 23, 27).

Hierbei sind in der gesetzlichen Unfallversicherung die so ge-nannten MdE-Erfahrungswerte zu berücksichtigen, die allgemeine Erfahrungssätze darstellen und in der Regel die Basis für einen Vorschlag bilden, den der medizinische Sachverständige zur Höhe der MdE unterbreitet, wobei ihnen nicht der Rechtscharakter ei-ner gesetzlichen Norm zukommt (BSG SozR 3-2200 § 581 Nr 8).

Beim Kläger ist es unfallbedingt zu einer Hirnschädigung gekom-men mit Einschränkungen der Leistungsfähigkeit im Sinne eines hirnorganischen Psychosyndroms. Nach den MdE-Erfahrungswerten wird für die Bemessung der MdE bei Hirnschäden allgemein und bei (isoliertem) Vorkommen von organisch-psychischen Störungen mit mittelgradiger Leistungsbeeinträchtig eine MdE von 40 bis 50 vH und bei schwerer Leistungsbeeinträchtigung eine MdE von 60 bis 100 vH angenommen (zB Mehrhoff/Meindl/Muhr, Unfallbegutachtung, 11. Aufl., Teil 2 Ziff.2.3). Dr.P. hat insofern auf eine erhebliche Verlangsamung des Klägers, deutliche Kurzzeitgedächnisstörungen, Beeinträchtigung der Aufmerksamkeit und der Reaktionsgeschwindigkeit, Einschränkungen der Mnestik für visuell räumliches und verbales Material sowie Einschränkungen des Antriebs hingewiesen. Dass hieraus entgegen der Auffassung des Prof. Dr. v.R. eine schwere Leistungsbeeinträchtigung mit einer MdE von 70 vH folgt, ergibt sich nicht nur allein aus diesen festgestellten Einschränkungen, sondern auch aus den Auswirkungen auf das Erwerbsfähigkeit des Klägers. Da der Kläger aufgrund der Folgen des Arbeitsunfalls auf Dauer seinen Beruf nicht mehr ausüben konnte und seit 26.07.1999 aufgrund der unfallbedingten Beeinträchtigung des Leistungsvermögens Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bezieht, ist von schweren funktionellen Auswirkungen im Alltag und im Erwerbsleben des Klägers auszugehen. Die zentral-vegetativen Störungen sind als mittelgradig und mit einem Einzel-MdE von 20 bis 30 vH zu bewerten (s. z.B. (Mehrhoff/Meindl/Muhr aaO), ohne dass sich auf neurologischem Fachgebiet eine weitere Erhöhung der MdE ergibt.

Zusätzlich wird die Einschätzung der MdE von 70 vH dadurch gestützt, dass die nicht in die MdE-Bewertung auf HNO-ärztlichem Gebiet einbezogenen Sensibilitätsstörungen im Trigeminusversorgungsgebiet mit einer Einzel-MdE von 10 vH zu berücksichtigen sind.

Ergänzend für die Einschätzung der Folgen der Hirnschädigung mit einer MdE von 70 vH spricht, dass es beim Kläger unfallbedingt dauerhaft zu einer depressiven Störung gekommen ist. Hierauf haben die im Verwaltungsverfahren und gerichtlich zum neurologisch-psychischem Bereich gehörten Gutachter hingewiesen. Auch Prof Dr.v.R. ist (noch) im Gutachten vom 14.05.2003 von einer depressiven Störung ausgegangen, die als Unfallfolge anzuerkennen sei. Entgegen Prof. Dr.v.R. ist diese psychische Störung nicht persönlichkeitsbedingt (vgl. Gutachten des Prof. Dr.Dr.N. vom 25.09.2003). Zu bewerten ist diese Störung mit einer MdE von 20 - 30 vH. Aufgrund der Überschneidungen im psychiatrischen Störungsbild ergibt sich aufgrund der psychischen Störung keine höhere MdE als 70 vH.

Dies zu Grunde gelegt, ergibt sich unter Gesamtwürdigung der beim Kläger bestehenden Beeinträchtigungen mit einer MdE von 70 vH für den nervenärztlichen Symptomenkomplex, einer MdE von 10 vH für den HNO-ärztlichen Symptomenkomplex sowie einer MdE von 10 vH im chirurgischen Symptomenkomplex ein Gesamt-MdE von 80 vH.

Dem Antrag der Beklagten, die Sachverständige Dr.P. zu der von ihr getroffenen MdE-Einschätzung zu hören, ist der Senat nicht gefolgt. Abgesehen davon, dass die ärztlicherseits getroffene MdE-Bewertung für den Senat nicht bindend ist, hat Dr.P. die von ihr vorgenommene MdE-Bewertung auf die Erfahrungswerte der gesetzlichen Unfallversicherung gestützt (Gutachten vom 15.09.2006) und lediglich in der ergänzenden Stellungnahme vom 05.05.2007 die sog. Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit erläuternd zum Vergleich herangezogen.

Nach allem hat die Berufung des Klägers Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Sozialgerichtsge-setz (SGG).

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved