L 8 R 876/08

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 19 R 5812/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 8 R 876/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Berufungsfrist versäumt - "Verschulden" bei Wiedereinsetzung, wenn Prozessvollmacht für Rechtsanwälte erteilt
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 7. Februar 2008 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger streitet mit der Beklagten in der Sache um höhere Rente. Er macht geltend, dass für den Zeitraum 1. Oktober 1967 bis 31. Juli 1968 eine weitere Beitragszeit in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung berücksichtigt werden müsse. Der Kläger ist 1940 geboren worden und wohnt in Belgien, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Im Juni 2004 übersandte der belgische Träger der Rentenversicherung der Beklagten einen Antrag des Klägers auf Altersrente zur Bearbeitung, soweit eine Rente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung in Betracht kam. Im Rahmen des Verwaltungsverfahrens ging bei der Beklagten ein Versicherungsverlauf des französischen Trägers der Rentenversicherung ein. Aus ihm ergab sich unter anderem, dass für das Jahr 1968 vier "Trimester" (Quartale) an Versicherungsperioden in der französischen Sozialversicherung vermerkt waren. Durch Bescheid vom 3. Februar 2005 bewilligte die Beklagte dem Kläger Regelaltersrente ab dem 1. Juni 2005. Aus den von ihr berücksichtigten deutschen Versicherungszeiten errechnete die Beklagte 5,7099 Entgeltpunkte, die zu einem anfänglichen Zahlbetrag von 149,20 EUR führten. Der Versicherungsverlauf enthielt für die Zeit vom 1. Oktober bis zum 31. Dezember 1967 eine Lücke. Für die Zeit ab 1. Januar 1968 bis zum 30. November 1972 waren anrechenbare Pflichtbeitragszeiten in Frankreich vermerkt. Gegen den Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein. Er machte geltend, dass auch die Zeit vom 1. Oktober 1967 bis zum 31. Juli 1968 als (deutsche) Renten-Beitragszeit berücksichtigt werden müsse. In dieser Zeit sei er bei der Firma C D GmbH in F beschäftigt gewesen. Er habe ein Gehalt von 2.000 DM brutto bezogen. Davon seien ungefähr 500 DM einbehalten worden, denn ihm sei eine Nettoauszahlung von ungefähr 1.500 DM im Gedächtnis eingeprägt. Zu einer Befreiung von der Versicherungspflicht sei es nicht gekommen. Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 2. September 2005 zurück. Für den vom Kläger geltend gemachten Zeitraum sei die Entrichtung von Beiträgen zur deutschen gesetzlichen Rentenversicherung nicht nachgewiesen. Die Klage vor dem Sozialgericht Berlin ist von der Rechtsanwaltskanzlei M erhoben worden, die ausweislich ihrer Schriftsätze Büros in Brüssel, Köln und Leipzig unterhalten hat. Die an das Sozialgericht gerichteten Schriftsätze wurden mit dem Briefkopf des Kölner Büros versandt und von einem Rechtsanwalt unterzeichnet, der das Kölner Büro der Rechtsanwälte repräsentiert. Die von den Rechtsanwälten vorgelegte, vom Kläger unterzeichnete Vollmacht

vom 24. November 2005 trägt im Kopf ebenfalls die Adresse und Telefonnummern des Kölner Büros der Rechtsanwaltskanzlei und ist für den Rechtsanwalt ausgestellt, der das Kölner Büro repräsentiert hat. Durch Gerichtsbescheid vom 7. Februar 2008, der mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen war, hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Er ist am 27. Februar 2008 an das Kölner Büro der Rechtsanwälte zugestellt worden. Am 7. Mai 2008 ist beim Landessozialgericht die vom Kläger persönlich gefertigte Berufung gegen den Gerichtsbescheid eingegangen. Darin teilt der Kläger mit, dass er seine Prozessbevollmächtigten mit sofortiger Wirkung entlassen habe. In der Sache verfolgt er sein Begehren weiter. Nachdem er vom Senat darauf hingewiesen worden war, dass er die Berufung verspätet eingelegt habe, hat der Kläger vorgetragen: Er habe den innerdeutschen Termin von "30 Tagen" für die Berufung nicht einhalten können. Die Ausfertigung des erstinstanzlichen Urteils habe ihn über seine damaligen Bevollmächtigten nicht erreicht. Er habe sich zu der Zeit in seiner Zweitwohnung in Spanien befunden und sein Notebook sei reparaturbedürftig gewesen. Deshalb habe er keine elektronische Post mehr empfangen und somit auch nicht erfahren können, dass der Termin nur 30 Tage betragen habe. Er habe nie erfahren, dass sein entlassener Bevollmächtigter den Rechtsstreit von seinem Kölner Büro aus betreibe. Anfang April 2008 sei er zurück in Belgien gewesen und habe den Gerichtsbescheid einsehen können. Er habe dann beim Landessozialgericht angerufen um ausfindig zu machen, ob er in seiner Sache persönlich plädieren dürfe und ob der Berufungstermin in seinem Falle, weil er im Ausland wohnhaft sei, drei Monate betrage. Beides sei ihm von einer Beamtin, deren Namen er nicht notiert habe, bestätigt worden. Der Kläger beantragt der Sache nach, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 7. Februar 2008 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 3. Februar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. September 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den monatlichen Höchstwert des Rechts auf Altersrente ab dem 1. Juni 2005 unter Berücksichtigung eines Rangstellenwertes für eine Beitragszeit vom 1. Oktober 1967 bis zum 31. Juli 1968 bei einem beitragspflichtigen Bruttogehalt von monatlich 2.000,- DM höher festzusetzen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten lagen dem Senat bei seiner Entscheidung vor. Wegen Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt dieser Aktenstücke Bezug genommen.

II.

Die Berufung war durch Beschluss zu verwerfen, weil sie unzulässig ist (§ 158 Sätze 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Die Frist für die Berufung beträgt gemäß § 151 Abs. 1 SGG einen Monat (nicht – wie der Kläger schreibt –: "30 Tage") nach Zustellung des Urteils. Drei Monate beträgt die Berufungsfrist ausnahmsweise dann, wenn das Urteil außerhalb des Geltungsbereichs des SGG zuzustellen oder bekannt zu geben ist (§ 153 Abs. 1 in Verbindung mit § 87 Abs. 1 Satz 2 SGG; ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts [BSG], siehe stellvertretend BSG in Entscheidungssammlung Sozialrecht [SozR] 1500 § 61 Nr. 1). Im vorliegenden Fall war die Berufungsfrist von einem Monat maßgeblich. Denn der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts war im Geltungsbereich des SGG, also in der Bundesrepublik Deutschland, zuzustellen. Da für den Kläger Bevollmächtigte tätig wurden, führt das zunächst dazu, dass der Gerichtsbescheid nur ihnen gegenüber wirksam zugestellt werden konnte, § 63 Abs. 2 SGG in Verbindung mit § 172 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung. Dass die Zustellung an das Kölner Büro der Rechtsanwaltskanzlei und damit im Geltungsbereich des SGG zuzustellen war, ergibt sich daraus, dass die beim Sozialgericht eingereichte Vollmacht des Klägers vom 24. November 2005 für das Kölner Büro ausgestellt war: Die Adresse dieses Büros war im Kopf der Vollmacht angegeben und die Vollmacht war für den Rechtsanwalt M-T ausgestellt worden, der das Kölner Büro der Rechtsanwaltskanzlei repräsentiert. Der gesamte Schriftverkehr der Bevollmächtigten mit dem Sozialgericht wurde – folgerichtig – ebenfalls über das Kölner Büro abgewickelt. Dass der Kläger meinte, er habe nur das Brüsseler Büro der Rechtsanwaltskanzlei beauftragt und habe nicht gewusst, dass der Prozess von Köln aus geführt werde, ist nicht glaubhaft. Denn er hat selbst die Vollmacht vom 24. November 2005 unterschrieben.

Über das zulässige Rechtsmittel gegen den Gerichtsbescheid und die einzuhaltenden Fristen ist in der Rechtsmittelbelehrung, die dem Gerichtsbescheid angefügt war, eine ordnungsgemäße Belehrung enthalten. Die Berufungsfrist wurde deshalb durch die Zustellung an das Kölner Büro der Bevollmächtigten in Gang gesetzt, § 66 Abs. 1 SGG. Die Berufungsfrist endete mit Ablauf des Tages, der seiner Zahl nach dem Tag der Zustellung entsprach, § 64 Abs. 2 SGG. Der Gerichtsbescheid war am 27. Februar 2008 zugestellt worden, die Berufungsfrist endete somit am 27. März 2008 – einem Donnerstag – um 24 Uhr. Eine Berufung des Klägers ist erst am 7. Mai 2008 beim Landessozialgericht eingegangen. Sie ist somit verspätet. Ein Fristversäumnis kann nur durch die sogenannte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand geheilt werden. Die Wiedereinsetzung ist gemäß § 67 Abs. 1 SGG zu gewähren, wenn jemand ohne sein Verschulden daran gehindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Der Kläger hat die Versäumung der Berufungsfrist selbst zu vertreten. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger das Mandat mit seinen ehemaligen Bevollmächtigten bereits vor Ablauf der Berufungsfrist beendet hätte. Jedenfalls war die Vollmacht noch nicht gegenüber dem Gericht widerrufen worden und damit nach außen hin weiterhin wirksam. Diese Vollmacht ermächtigte die Bevollmächtigten auch dazu, Berufung gegen den Gerichtsbescheid einzulegen. Das ergibt sich aus § 73 Abs. 4 SGG in Verbindung mit § 81 ZPO. Aus welchem Grund die Bevollmächtigten keine Berufung eingelegt haben – im besonderen, weil es eventuell auch ihnen nicht möglich war, den Kläger innerhalb der Berufungsfrist zu erreichen und das weitere Vorgehen mit ihm abzusprechen –, hat rechtlich keine Bedeutung: Diese Gründe können nur aus dem "Innenverhältnis" zwischen dem Kläger und seinen Bevollmächtigten stammen. Nach außen muss der Kläger die Prozessführung seiner Bevollmächtigten gegen sich gelten lassen, § 73 Abs. 3 Satz 2 SGG. Ein Wiedereinsetzungsgrund ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger nach seinen Angaben bei einem Anruf beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg die Auskunft erhalten hatte, die Berufungsfrist betrage drei Monate. Selbst wenn unterstellt würde, dass sie ihm so gegeben worden war, wäre sie nicht ursächlich für die Versäumung der Berufungsfrist. Die Ursache lag allein darin, dass die Bevollmächtigten des Klägers – aus welchem Grund auch immer – trotz der bestehenden Vollmacht keine Berufung innerhalb der Monatsfrist eingelegt haben und dass der Kläger sich deren prozessuales Vorgehen zurechnen lassen muss. Angesichts dessen ist es dem Senat nicht möglich, eine Entscheidung über das Anliegen des Klägers in der Sache zu treffen.

Dem Kläger steht es frei, gemäß § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch bei der Beklagten (und nur dort) die Überprüfung des Rentenbescheides vom 3. Februar 2005 zu beantragen. Bevor er einen solchen Antrag stellt, könnte es für ihn zweckmäßig sein, Kontakt mit Personen aufzunehmen, die im streitigen Zeitraum das "C D Institut" in F geleitet haben. Möglicherweise können diese weiterführende Angaben machen oder Hinweise geben, wo sich eventuell noch Unterlagen aus der damaligen Zeit befinden. Der Kläger sei aber auch darauf hingewiesen, dass das gesamte Kalenderjahr 1968 als Versicherungsperiode beim französischen Träger der Sozialversicherung verzeichnet ist. Das könnte für diesen Zeitraum einen Rentenanspruch aus der französischen Pensionsversicherung auslösen und im übrigen dafür sprechen, dass der Arbeitgeber den Kläger für das Jahr 1968 nur beim französischen Träger der Sozialversicherung angemeldet hat. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG. Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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