L 7 Ka 853/94

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 27 Ka 656/94
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 Ka 853/94
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 6. Juli 1994 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Es geht in dem Rechtsstreit um die Feststellung, welchen Punktwert die Beklagte für zahnärztliche Leistungen bei Zahnersatz und kieferorthopädischer Behandlung ab 1. Januar 1994 an die Klägerin zu vergüten hat.

Ausgangspunkt ist die Regelung durch das Gesundheitsstrukturgesetz vom 21. Dezember 1992 (BGBl I S. 2266). Der durch Artikel 1 Nr. 43 (mit Wirkung zum 1. Januar 1993) eingefügte Absatz 2b (§ 85 SGB V) lautet: "Die am 31. Dezember 1992 geltenden Punktwerte für zahnärztliche Leistungen bei Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und bei kieferorthopädischer Behandlung werden zum 1. Januar 1993 für die Dauer eines Kalenderjahres um 10 vom Hundert abgesenkt. Ab 1. Januar 1994 erfolgt die Anpassung auf der abgesenkten Basis, wobei sich die Vergütungsanpassung in den Jahren 1994 und 1995 höchstens um den Vomhundertsatz verändern darf, um den sich die nach den §§ 270 und 270a zu ermittelnden beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder der Krankenkassen je Mitglied verändern; die Vomhundertsätze sind für die alten und neuen Länder getrennt festzulegen. ”

Mit Nachtragsrechnung vom 2. Februar 1994 begehrte die Klägerin von der Beklagten Vergütung für den Monat Januar 1994 u.a. auch für zahnärztliche Leistungen bei Zahnersatz und kieferorthopädischer Behandlung unter Zugrundelegung eines Punktwertes von DM 1.541, der für das Jahr 1992 Gültigkeit hatte für die Angestellten Krankenkassen.

Mit Schreiben vom 14. Februar 1994 lehnte die Beklagte einen höheren Punktwert als DM 1,3869 bis zum Vertragsabschluß ab. Dies entsprach dem für 1993 gültigen Punktwert der Angestelltenkrankenkassen in Hessen (DM 1.541 abzüglich 10 %). Mit Vergütungsvereinbarung vom 5. April 1994 vereinbarten die Klägerin und die Beigeladenen für die Zeit vom 1. Januar bis 31. März 1994 einen Punktwert von DM 1,3869 (bzw. niedriger) und vom 1. April bis 31. Dezember 1994 von DM 1,4451 (bzw. niedriger). In einer Protokollnotiz vom selben Tage wurde vereinbart, daß für die Bereiche Zahnersatz und Kieferorthopädie die (vorläufigen) Punktwerte kein Präjudiz darstellten. Für den Fall, daß sich im Rechtswege eine anderslautende Interpretation von § 85 Abs. 2b SGB V durchsetze, wonach die konkrete Ausgangsbasis der jeweils am 31. Dezember 1992 geltende Punktwert sei, werde der Klägerin eine Nachberechnung zugestanden. Mit Schreiben vom 10. Juni 1994 erklärte das Hessische Ministerium für Frauen, Arbeit und Sozialordnung, daß diese Vergütungsvereinbarung nicht beanstandet werde.

Mit Klage vom 25. Februar 1994 hat die Klägerin Feststellung begehrt, daß die Beklagte verpflichtet sei, für in Rechnung gestellte Leistungen nach den Gebührentarifen C und D des Ersatzkassenvertrages ab 1. Januar 1994 einen Punktwert in Höhe von DM 1.541 zu vergüten. Die Klägerin hat vorgetragen, nach Ablauf des für 1993 geltenden Punktwertes (DM 1,3869) sei zum 1. Januar 1994 zunächst auf den Stand vom 31. Dezember 1992 zurückzukehren (DM 1.541) und lediglich der Wert der prozentualen Erhöhung aus dem abgesenkten Punktwert zu errechnen und zu dem früheren Punktwert von DM 1.541 zu addieren.

Mit Urteil vom 6. Juli 1994 hat das Sozialgericht Frankfurt am Main die Klage im wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, diese sei mangels Feststellungsinteresses unzulässig. Mit der im Termin zur mündlichen Verhandlung erst vorgelegten Vergütungsvereinbarung für 1994 vom 5. April 1994 seien die umstrittenen Punktwerte festgesetzt worden, damit sei einfach zu erkennen, welcher Punktwert nunmehr gelte. Ein Feststellungsinteresse ergebe sich auch nicht aus der Protokollnotiz, da diese nicht Bestandteil der Vergütungsvereinbarung geworden sei, da diese anderenfalls unter einer auflösenden Bedingung zustande gekommen wäre. Die Vertragsparteien hätten auch kein Verfügungsrecht darüber, wann ein Gericht zu entscheiden habe, denn damit werde letztlich ein gerichtliches Gutachten eingeholt, was jedoch nicht zulässig sei.

Gegen das ihr am 30. August 1994 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 15. September 1994 Berufung eingelegt. Die Klägerin trägt vor, aus der Gesetzesformulierung zögen die Beklagte und der Beigeladene zu 1) den unzutreffenden Schluß, daß es sich bei der angeordneten Punktwertabsenkung um eine dauerhafte handele. Dies sei bereits mit dem Wortlaut der Vorschrift nicht vereinbar. Da in der Vergütungsvereinbarung die Entscheidung dieser Frage offen gelassen worden sei, sei diese Rechtsfrage nicht erledigt und es bestehe weiterhin ein Feststellungsinteresse, schon wegen der noch möglichen Nachberechnung aufgrund der Protokollnotiz, die Bestandteil der Vereinbarung geworden und auch dem Hessischen Ministerium für Frauen, Arbeit und Sozialordnung vorgelegen habe und genehmigt worden sei. Inhaltlich sei die Regelung dahin zu verstehen, daß die für 1994 zulässige Veränderungsrate "auf der abgesenkten Basis” zu erfolgen habe, während hierdurch nicht der nur für 1993 abgesenkte Punktwert fortgeschrieben werde. Der subjektive Wille des Gesetzgebers müsse gegenüber dem vorrangig zu ermittelnden objektiven Willen des Gesetzgebers zurücktreten. Bestätigt werde diese Auffassung durch Heinemann/Liebold (Kassenarztrecht, Stand Januar 1995 zu C 88-13 bis 15). Die Klägerin hat die Vergütungsvereinbarung, Protokollnotiz, Anschreiben vom 12. April 1994, Schreiben des Ministeriums für Frauen, Arbeit und Sozialordnung vom 10. Juni 1994 sowie Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 31. August 1994 (S-1/Ka-876/94) vorgelegt.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 6. Juli 1994 aufzuheben und festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, die ihr in Rechnung gestellten Leistungen nach den Gebührentarifen C und D ab 1. Januar 1994 mit einem Punktwert von DM 1.585 und ab 1. Januar 1995 zuzüglich einer Anpassung unter Beachtung der tatsächlichen Grundlohnsummensteigerung zu vergüten.

Die Beklagte und die Beigeladenen beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte trägt u.a. vor, der abgesenkte Punktwert gelte nicht maximal für ein Jahr, sondern mindestens für ein Kalenderjahr bis zur gesetzgemäßen vertraglichen Anhebung auf der abgesenkten Basis. Dies ergebe sich auch aus der Gesetzesbegründung. Selbst, wenn der Gesetzestext die von der Klägerin vertretene Ansicht nicht eindeutig widerlegen sollte, ergebe sich aus dem Willen des Gesetzgebers und der amtlichen Gesetzesbegründung sowie aus dem Zusammenhang mit anderen Vorschriften – die sämtlich eine auf Dauer ausgerichtete Kosteneinsparung verfolgten –, daß eine Anhebung der Punktwerte auf der abgesenkten Basis zu erfolgen habe und, daß die abgesenkten Punktwerte bis zu dieser Anhebung weiter gelten sollten. Demgegenüber sei die überreichte Kommentarstelle nicht nachvollziehbar.

Die Beklagte bezieht sich auf ein Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 22. Juni 1995 (L-5/Ka-36/94) und hat dieses zu den Akten überreicht.

Der Beigeladene zu 1) trägt vor, aus der Gesetzesbegründung, allgemeiner Teil, II, 2c sowie im besonderen Teil § 85 Abs. 2b ergebe sich der Wille des Gesetzgebers, der auch im Wortlaut des Gesetzes eindeutig zu erkennen sei.

Der Beigeladene zu 1) bezieht sich ferner auf den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 17. August 1994 (L-6 Sb/Ka-55/94) sowie Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 18. Oktober 1995 (L 5 Ka 619/95), die beide zu den Akten gegeben wurden.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Klägerin sowie der Gerichtsakten ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt, § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Der erkennende Senat konnte auch unter Beteiligung des ehrenamtlichen Richters Bösken entscheiden, da dessen Amtszeit zwar am 26. Juni 1996 abgelaufen war, er aber nach § 13 Abs. 2 Satz 1 SGG im Amt bleibt bis sein Nachfolger berufen ist. Nach Auskunft des Hessischen Ministeriums für Frauen, Arbeit und Soziales vom 15. Juli 1996 ist eine Wiederbesetzung der Stelle vorgesehen und wird das Verfahren zur Berufung des Nachfolgers zur Zeit dergestalt betrieben, daß auf das Schreiben des Präsidenten des Hessischen Landessozialgerichts vom 26. Februar 1996 die Verteilung der Stellen der ehrenamtlichen Richter auf die vorschlagsberechtigten Stellen kurz vor dem Abschluß steht.

Die Berufung ist auch zulässig. Die Berufung ist jedoch unbegründet.

Das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 6. Juli 1994 ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat zu Recht die Vergütung eines höheren Punktwertes für zahnärztliche Leistungen bei Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und bei kieferorthopädischen Leistungen für die Zeit ab 1. Januar 1994 abgelehnt.

Allerdings geht der erkennende Senat in Abweichung von der erstinstanzlichen Entscheidung davon aus, daß die Klägerin ein berechtigtes Interesse an der alsbaldigen Feststellung der ab 1. Januar 1994 zu zahlenden Vergütung für Zahnersatz und kieferorthopädische Leistungen hat (Feststellungsinteresse). Es muß den Vertragspartnern unbenommen bleiben, bei unterschiedlicher Auslegung einer gesetzlichen Regelung, wie hier des § 85 Abs. 2b SGB V, die insoweit die Möglichkeiten der Vertragsgestaltung einengt, eine Vergütungsvereinbarung auf einer gemeinsamen niedrigen Basis (sog. gemeinsamer kleinster Nenner) zu vereinbaren und hinsichtlich der begehrten höheren Vergütung, die streitig geblieben ist, die Gerichte zu bemühen. Es handelt sich dann dabei um die Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses, § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG.

Angesichts der Abweisungsreife der Klage aus materiellen Gründen läßt es der Senat dahingestellt, ob die Klage bereits deshalb abzuweisen wäre, weil die Beteiligten das Schiedsamt nach § 89 SGB V nicht eingeschaltet haben.

Im Ergebnis richtig hat das Sozialgericht hinsichtlich der von der Klägerin begehrten höheren Vergütung festgestellt, daß kein Anspruch besteht. Nach Auffassung des erkennenden Senats befindet sich der mit der Vergütungsvereinbarung vom 5. April 1994 festgelegte Punktwert in Übereinstimmung mit § 85 Abs. 2b SGB V. Auszugehen ist dabei von dem am 31. Dezember 1992 geltenden Punktwert (DM 1.541 für die Angestellten-Krankenkassen), der für 1993 um 10 % auf DM 1,3869 abgesenkt wurde. Dieser ist für 1994 um den zwischen den Beteiligten unstreitigen Steigerungssatz von 3,2 % zu erhöhen, so daß sich ein Punktwert von DM 1,4313 ergibt.

Für die Interpretation der Klägerin, die sich auf die nicht nachvollziehbare Auffassung bei Heinemann/Liebold (Kassenarztrecht, Stand Januar 1995, § 88 SGB V, Rdnr. 13 bis 15) stützt, läßt sich weder der Wortlaut der Vorschrift, noch der sich aus der Vorschrift erkennbare Wille des Gesetzgebers, noch die Gesetzesbegründung heranziehen.

Bei wörtlicher Auslegung ergibt sich folgendes: Ausgangspunkt ist der am 31. Dezember 1992 geltende Punktwert, der für die Dauer eines Kalenderjahres um 10 v.H. abgesenkt wird. Ab 1. Januar 1994 erfolgt die Anpassung auf der abgesenkten Basis. Der Begriff "abgesenkte Basis” von Satz 2 muß sich auf Satz 1 beziehen. Dort ist lediglich eine Absenkung um 10 % geregelt, folglich kann auch nur der sich daraus ergebende Wert als abgesenkte Basis dienen. Eine andere Bezugsmöglichkeit bietet Satz 1 bei wörtlicher Auslegung nicht an. Insbesondere gibt die Begrenzung der Absenkung um 10 Prozent auf die Dauer eines Jahres nichts her, was die Position der Klägerin stützen könnte. Denn nach der ersten Anpassung (gleichgültig in welcher Höhe) liegt keine Absenkung um 10 % des Punktwertes 1992 mehr vor. Diese wörtliche Auslegung entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers, wie sich aus der Begründung des Gesetzentwurfs ergibt. Danach sollten Zahnerhaltung und Prävention Vorrang vor Zahnersatzleistungen haben. Vor dem Hintergrund dieser Zielsetzung seien Zahnersatzleistungen überbewertet. Daher werde der Punktwert für Zahnersatzleistungen und für kieferorthopädische Behandlungen auf der Basis 1992 um 10 % abgesenkt. Ab 1994 erfolge die Anpassung auf der abgesenkten Basis. Mögliche Vergütungsanpassungen im Jahr 1994 hätten von dem am Jahresende 1993 geltenden abgesenkten Punktwert auszugehen (BT-Drucksache 12/3608 zu Nr. 41 Abs. 2b). Hieraus läßt sich eindeutig der Wille des Gesetzgebers entnehmen, als abgesenkte Basis den Punktwert am 31. Dezember 1993 heranzuziehen (vgl. Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 18. Oktober 1995 – L-5/Ka-619/95, LSG Rheinland-Pfalz vom 22. Juni 1995 – L-5/Ka-36/94, Beschluss des LSG Niedersachsen vom 29. September 1994 – L-5/Ka-72/94eA).

Nach anderen Auslegungsregeln läßt sich die Auffassung der Klägerin ebenfalls nicht begründen. Weder aus dem Zusammenhang der Vorschrift des § 85 Abs. 2b SGB V mit anderen Vorschriften, noch nach Sinn und Zweck des Gesetzes. Damit ist die von der Klägerin gewünschte Auslegung mit der Rechtsfolge eines höheren Punktwertes ab 1. Januar 1994 nicht möglich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist vom Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen worden, § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved