Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
31
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 68 U 34/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 31 U 501/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig sind insbesondere die neurologisch-psychiatrischen Folgen eines Arbeitsunfalls vom 28. Juli 1997. Der Kläger begehrt die Gewährung einer Verletztenrente.
Der 1963 geborene Kläger, der aus dem ehemaligen J stammt (heute d Staatsangehöriger), dort in M ein Pädagogikstudium absolvierte, siedelte im Jahre 1990 nach Deutschland (B) über, um nach Weiterbildung auch hier als Lehrer tätig zu werden. Tatsächlich nahm er ab Ende des Jahres 1990 Hilfsarbeiten im Tiefbau bei verschiedenen Firmen auf, wo er am 28. Juli 1997 den hier streitigen Unfall erlitt. Nach Kündigung des Arbeitsverhältnisses folgte eine Zeit der Arbeitslosigkeit. Seit dem 01. April 2005 erhält er eine bis Ende 2008 befristete Erwerbsminderungsrente.
Am Unfalltag (28. Juli 1997) wollte der Kläger ein Seil mit einem Anker an einer Kabeltrommel von zwei Meter Durchmesser und 800 bis 1000 kg Gewicht befestigen, als diese sich löste. Er stürzte rücklings auf einen Stapel Rohre, die Kabeltrommel fiel auf seinen Oberkörper, so dass er zwischen Trommel und Rohren eingeklemmt wurde und einen Erstickungsanfall erlitt. Bei dem Unfall zog er sich eine Prellung der siebten bis neunten Rippe rechts, des rechten Rippenbogens und im LWS Bereich zu (Durchgangsarztbericht der Unfallbehandlungsstelle der C vom 31. Juli 1997). Ein Schädelhirntrauma, Bewusstlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen und retrograde oder anterograde Erinnerungslücken konnten nicht festgestellt werden. Nach zwei bis drei Stunden wurde er aus dem Krankenhaus entlassen. Unter dem 09. Oktober 1997 führten Dr. K und Frau S die die Behandlung übernommen hatten, aus, Arbeitsunfähigkeit wegen der Rippenprellung habe bis zum 26. September 1997 bestanden. Die Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen sei nicht nur durch den Arbeitsunfall begründet.
Nachdem der Chefarzt der Abteilung für Psychiatrie des U Krankenhauses die Begutachtung der Unfallfolgen mit Schreiben vom 15. Januar 1998 abgelehnt hatte, bat die Beklagte Dr. K, inzwischen psychotherapeutisch tätig, um einen ausführlichen Bericht über die durchgeführte Behandlung. Dem Kläger wurde weiter Arbeitsunfähigkeit attestiert.
Mit Bescheid vom 03. März 1998 stellte die Beklagte die Zahlung von Verletztengeld mit dem 26. September 1997 ein, da die weiter bestehende Arbeitsunfähigkeit nicht Folge des Unfalls sei. Mit ärztlichem Attest vom 10. März 1998 hatte die Fachärztin für Innere Medizin S mitgeteilt, die Arbeitsunfähigkeit wegen der Rippenprellung rechts und der LWS Prellung sei zum 26. September 1997 beendet gewesen. Weitere Arbeitsunfähigkeitszeiten resultierten aus einer Erkrankung, die nicht mehr mit dem Arbeitsunfall in Verbindung stehe.
Am 12. Juni 2003 stellte sich der Kläger bei dem Chirurgen Dr. M vor. Dieser führte aus, der Kläger habe berichtet, er leide seit dem Arbeitunfall unter Schmerzen und Depressionen, die ein Neurologe auf den Arbeitsunfall zurückgeführt habe. Unter dem 11. Juli 2003 teilte die Beklagte Dr. M mit, dass bereits abgeklärt sei, dass das depressive Syndrom nicht Unfallfolge sei (Bescheid vom 03. März 1998).
Unter dem 02. März 2004 machte der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigten geltend, die Beklagte habe aufgrund eines nicht zureichend aufgeklärten Sachverhalts entschieden, da das offenbar zunächst beabsichtigte psychiatrische Gutachten nicht eingeholt worden sei. Er legte ein Attest des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. L vom 26. Mai 2003 vor, aus dem sich ergab, dass er dort seit dem 06. Februar 1995 in Behandlung sei. Am 27. Oktober 1997 habe eine ratlose, passive, klagsame, depressive Grundstimmung vorgelegen. Weiter legte er ein Attest des Dr. K vom 18. Mai 2004 vor, der mitteilte, der Kläger habe sich von 1994 bis 31. Dezember 1997 in seiner hausärztlichen Behandlung befunden, anschließend sei vom 01. Januar 1998 bis zum 30. Juni 2002 psychotherapeutische Betreuung erfolgt. Nach dem Arbeitsunfall, der zur Entlassung aus dem Arbeitsverhältnis geführt habe, sei es zu Depressionen mit Angstzuständen, bedingt durch den Unfall und die Unfallfolgen, insbesondere die Arbeitslosigkeit, gekommen. Damit habe er psychisch schlecht umgehen können. Er habe in den Monaten und Jahren nach dem Arbeitsunfall vermehrt Alkohol getrunken und sei keinem geregelten Arbeitsverhältnis mehr nachgegangen.
Unter dem 15. Juni 2004 erstattete Dr. L einen ärztlichen Befundbericht für die Beklagte, in dem er ausführte, im Jahre 1995 hätten beim Kläger seelische Probleme im Zusammenhang mit seiner Situation als Flüchtling bestanden; er habe sich schlecht gefühlt, sei gestresst und ungeduldig gewesen und habe angegeben, des Öfteren Alkohol zu trinken. Der psychiatrische Befund habe eine depressive Grundstimmung mit reduziertem Antrieb ergeben. Derselbe Befund habe sich am 27. Oktober 1997 gezeigt. Bei weiteren Behandlungen im Jahre 2002 habe er von vermehrtem Alkoholkonsum berichtet. In den Jahren 2003 und 2004 sei er vom Kläger um die Erstellung eines Gutachtens gebeten worden, das die Depression in einen Kausalzusammenhang mit dem Arbeitsunfall stelle. Dies habe er, Dr. L, abgelehnt, u. a. weil dies für ihn nur schwer nachvollziehbar sei und nur ein unabhängiger Gutachter mit der Frage befasst werden sollte.
Die Beklagte holte eine neurologisch-psychiatrische Stellungnahme nach Aktenlage vom 14. Juli 2004 des Dr. B ein. Er führte aus, dass bereits vor dem Unfall eine gravierende psychiatrische Erkrankung vorgelegen habe. Der Kläger befinde sich in einer schweren sozial belastenden Lebenssituation und spreche in diesem Zusammenhang in erheblichem Maße dem Alkohol zu. Es handele sich um eine unfallunabhängige Problematik.
Mit Bescheid vom 13. September 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09. Dezember 2004 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Verletztenrente aufgrund des Arbeitsunfalls vom 28. Juli 1997 ab. Die Prellungen seien folgenlos ausgeheilt. Eine gravierende Erkrankung des psychiatrischen Formenkreises habe schon vor dem Arbeitsunfall vorgelegen. Deshalb könne die Depression nicht als Unfallfolge anerkannt werden. Auch Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit seien aufgrund des Unfalls nicht annehmbar.
Hiergegen hat der Kläger sich mit der am 12. Januar 2005 zum Sozialgericht Berlin erhobenen Klage gewandt und geltend gemacht, der Arbeitsunfall habe zu schwerster körperlicher Beeinträchtigung geführt, die die nunmehr vorliegende Depression verursacht habe. Die Erkrankung im Jahre 1995 sei zum Zeitpunkt des Arbeitsunfalls im Jahre 1997 ausgeheilt gewesen. Das Sozialgericht hat einen Befundbericht des Dr. K vom 06. Juni 2005 eingeholt und Prof. Dr. G mit der Erstellung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens beauftragt. Dieser hat unter dem 22. Dezember 2005 ausgeführt, es sei nicht auszuschließen, dass bis zu drei Monate nach dem Unfallereignis eine posttraumatische Belastungsstörung bestanden habe. Es sei aber nicht begründbar, dass der Unfall über eine akute Belastungsreaktion hinaus Folgen hinterlassen habe. Bei Verdacht auf eine bipolare affektive Störung, welche seit 1995 immer wieder zu Behandlungen geführt habe, müsse angenommen werden, dass äußere Erlebnismomente in das Krankheitsbild aufgenommen würden, die lediglich äußere Anknüpfungspunkte für die sich darstellenden psychischen Veränderungen seien. Es bestehe neben der nach drei Monaten abgeklungenen posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) ein hyperthymes Zustandsbild bei Verdacht auf bipolare affektive Störung und periodischen Alkoholmissbrauch.
Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das Sozialgericht ein psychiatrisches Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dipl. Med. L eingeholt. Dieser hat unter dem 2. Oktober 2006 ausgeführt, dass als Folgen des Arbeitsunfalls eine schwere posttraumatische Belastungsstörung in reaktiver, chronifizierter Form mit schwerer neurotischer Entwicklung bestehe. Weiter sei die Verschlimmerung eines unfallabhängigen Leidens im affektiven Bereich festzustellen, die zu einer schweren chronifizierten, affektiven Störung geführt habe. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage zwischen 60 und 80 v. H. Bis zum Unfallereignis habe der Kläger normal und gesund gelebt, durch den Unfall sei sein Leben völlig verändert worden.
Nach Hinweis des Gerichts vom 13. Oktober 2006, dass dem Gutachten eine PTBS nach den Kriterien der aktuellen Literatur zu dieser Gesundheitsstörung nicht zu entnehmen sei, hat Dipl. Med. L in seiner Stellungnahme vom 24. Oktober 2006 ausgeführt, die PTBS sei aufgrund des ICD 10 diagnostiziert worden, auch wenn sich dies dem Gutachten nicht entnehmen lasse. Der Unfall müsse mit einer Belastung gleichgesetzt werden, wie sie z. B. Kriegsopfer erleiden. Der Erstickungsanfall habe die Grenze zum Tod symbolisiert und habe damit die schwerste psychische Belastung dargestellt. Die in der gerichtlichen Anfrage geschilderten Symptome wie Zwangserinnerungen, Albträume etc. seien beim Kläger vorhanden gewesen. Derzeit bestehe aber ein Zustand, der einer bipolaren Störung ähnlich sei, aber eben doch eine mögliche Folge der PTBS darstelle. Für die Bewertung der schweren Störung habe er die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) herangezogen.
Zu dem weiter zu den Akten gereichten für die Rentenversicherung erstatteten Gutachten der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie W vom 18. Oktober 2006, die ein maniformes Syndrom bei Verdacht auf bipolare Störung, eine posttraumatische Belastungsstörung sowie einen Alkoholmissbrauch als Grundlage des aufgehobenen Leistungsvermögens feststellte, und der ergänzenden Stellungnahme des Dipl. Med. L hat das Sozialgericht ergänzende Stellungnahmen des Prof. Dr. G vom 23. November 2006 und 01. Dezember 2006 eingeholt. Dieser hat ausgeführt, dass die von Dipl. Med. L diagnostizierte schwere posttraumatische Belastungsstörung in reaktiver, chronifizierter Form mit schwerer neurotischer Entwicklung nur dann als unfallbedingt annehmbar wäre, wenn der Unfall von seiner Quantität und Qualität ein derartiges Extremausmaß angenommen hätte, welches eine solche Persönlichkeitsveränderung hätte verursachen können. Ein solches Trauma sei weder dem Gutachten des Dipl. Med. L zu entnehmen noch ergäbe es sich aus den Akten oder sei bei der Begutachtung durch ihn geschildert worden.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 21. März 2007 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die psychiatrischen Gesundheitsstörungen, deren Anerkennung der Kläger als unfallbedingt begehre, nicht im Sinne des Vollbeweises zur Gewissheit der Kammer vorlägen. Zwar hätten Dipl. Med. L und Frau W eine fortdauernde PTBS, deren Ursache sie im angeschuldigten Unfallereignis gesehen hätten, diagnostiziert, dies werde jedoch von den von ihnen getroffenen Feststellungen nicht getragen. Nach den Festlegungen der von der Weltgesundheitsorganisation WHO herausgegebenen "International Classification of Diseases" ICD 10 (WHO, Internationale Klassifikation psychiatrischer Störungen, ICD 10 Kapitel V (F), Klinisch-diagnostische Leitlinien, Dilling, Mombour und Schmidt [Hrsg.], 5. Aufl., Bern 2005, Kapitel V (F) F 43.1, S. 169) entstehe die PTBS als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmaßes, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Zwar habe auch Prof. Dr. G in dem Unfall mit der Kabeltrommel ein solches Ereignis gesehen, aber nur für die Dauer von etwa drei Monaten. In den viele Jahre nach dem Unfall fortbestehenden psychischen Störungen des Klägers sei jedoch keine Erkrankung im Sinne der PTBS zu sehen. Hiervon könne nur ausgegangen werden, wenn das Unfallereignis in seiner Schwere geeignet gewesen wäre, zu einer Persönlichkeitsänderung des Klägers zu führen. Dies sei bei Extrembelastungen möglich. Ein solches Belastungsausmaß sei jedoch bei dem Unfall mit der Kabeltrommel nicht erreicht worden. Dies entspreche auch den Festlegungen im Diagnosemanual ICD 10. Dass eine PTBS nicht über Jahre hinweg fortbestehe, sei der Regelfall (WHO, a. a. O., S. 170). Als Beispiele derartiger Extrembelastungen, die zu Persönlichkeitsveränderungen über Jahre führen könnten, kommen Extrembelastungen wie in einem Konzentrationslager, Folter, Katastrophen oder andauernde lebensbedrohliche Situationen, etwa als Geisel oder bei lang andauernder Gefangenschaft mit drohender Todesgefahr, in Betracht. Zu Recht habe Prof. Dr. G aber aus der Sicht der Kammer ausgeführt, dass mit solchen Erlebnissen der angeschuldigte Unfall des Klägers nicht zu vergleichen sei, auch wenn aufgrund eines Erstickungsanfalls kurzzeitig Todesangst bestanden haben sollte. Der Kläger selbst habe geschildert, dass durch sekundenschnelle Hilfe seiner Kollegen die Kabeltrommel angehoben worden sei, so dass auch der Erstickungsanfall sich gelegt habe. Auch wenn im wissenschaftlichen Schrifttum darauf aufmerksam gemacht werde, dass dem subjektiven Erleben eine größere Bedeutung beizumessen sei als der objektiven Erheblichkeit der Belastung, so beschreibe das Diagnosemanual ICD 10 für die PTBS jedoch eine Reaktion auf eine belastende Situation, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Durch die Wendung "bei fast jedem" werde ein überindividueller Maßstab vorgegeben, so dass das Ereignis, mit dem der Betreffende konfrontiert werde, auch objektiv erheblich bedrohlich und belastend gewesen sein müsse. Insbesondere fordere die Wissenschaft und die Rechtsprechung eine objektive Erheblichkeit der Gefährdungslage. So müsse die Schwere der Gefährdung mit dem vom Betroffenen empfundenen Ausmaß der Bedrohung übereinstimmen. Dies sei vorliegend nicht der Fall gewesen.
Gegen das am 02. April 2007 zugestellte Urteil wendet sich der Kläger mit der am 16. April 2007 zum Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegten Berufung. Das Sozialgericht habe in entscheidungserheblicher Weise sein subjektives Erleben und die daraus resultierenden Beeinträchtigungen außer Acht gelassen und seine Erkrankung lediglich anhand objektiver Umstände gewürdigt. Entscheidend sei, dass er den Unfall als lebensbedrohlich empfunden habe. Soweit der Senat ein nervenärztliches Gutachten des Dr. M vom 03. März 2008 eingeholt habe, welches keine Erkrankungen des psychiatrischen Formenkreises den Unfallfolgen zuordne, könne diesem nicht gefolgt werden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. März 2007 und den Bescheid der Beklagten vom 13. September 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09. Dezember 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 28. Juli 1997 eine Verletztenrente nach einer MdE von 80 v. H. ab 01. Januar 2000 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte bezieht sich auf den Inhalt ihrer Bescheide und das Ergebnis der gerichtlichen Beweisaufnahme.
Der Senat hat ein Gutachten des Dr. M vom 03. März 2008 eingeholt. Dieser hat ausgeführt, der Kläger leide unter einer bipolaren affektiven Störung bei gegenwärtig gemischter Episode, einem Alkoholmissbrauch und phobischen Ängsten. Nachdem der Kläger Alkoholmissbrauch bestritten hat, hat der Senat eine ergänzende Stellungnahme des Dr. M vom 25. Mai 2008 eingeholt; Dipl.-Med. L hat unter dem 18. August 2008 erneut Stellung genommen. Auf das Gutachten und die ergänzenden Stellungnahmen wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Sachdarstellung und der Rechtsausführungen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Diese haben im Termin vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet, da der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen des Unfalls vom 28. Juli 2007 hat. Das Sozialgericht hat die Klage gegen die angefochtenen Bescheide der Beklagten zu Recht abgewiesen.
Nach § 56 Abs. 1 Sozialgesetzbuch/Siebtes Buch (SGB VII) haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalles über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, Anspruch auf Rente. Gesundheitsstörungen infolge eines versicherten Ereignisses können nur dann anerkannt werden, wenn sie mit Wahrscheinlichkeit zumindest ihre wesentliche Teilursache in dem versicherten Unfallereignis haben. Eine solche hinreichende Wahrscheinlichkeit (BSGE 19, 52; 32, 203, 209; 45, 285, 287) liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände, die die für den wesentlichen Ursachenzusammenhang sprechen, so stark überwiegen, dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann und ernstliche Zweifel ausscheiden; die bloße Möglichkeit einer wesentlichen Verursachung genügt nicht (BSG SozR Nr. 41 zu § 128 SGG; BSG SozR Nr. 20 zu § 542 RVO a. F.; BSGE 19, 52, 56; BSG SozR 3 1300 § 48 Nr. 67). Diese Beweiserleichterung gilt allerdings nur für den Kausalzusammenhang zwischen versicherter Tätigkeit und der (Erst )Schädigung sowie für den Ursachenzusammenhang zwischen der (Erst )Schädigung und weiteren auf dieser Schädigung beruhenden Gesundheitsstörungen. Die versicherte Tätigkeit, das Unfallereignis und die Gesundheitsstörungen müssen im Rahmen des Vollbeweises mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen (BSG, a. a. O.). Als wesentliche Teilursache im Sinne der im Sozialrecht herrschenden Theorie von der wesentlichen Bedingung kann eine solche im Rahmen des Vollbeweises festzustellende Ursache aber nur dann in Betracht kommen, wenn diese nach der Auffassung des praktischen Lebens über die besonderen Beziehungen der Ursache zum Eintritt des Gesundheitsschadens als wesentlich angesehen werden muss (so schon BSGE 1, 72, 76; 1, 150; 13, 175).
In Anwendung dieser Rechtsgrundsätze steht für den Senat als Ergebnis der Beweisaufnahme fest, dass der Kläger jedenfalls nicht an einer PTBS in rentenberechtigendem Ausmaß leidet bzw. gelitten hat. Wie das Sozialgericht in seiner umfassenden, an aktueller Literatur zur PTBS orientierten und überzeugenden Beweiswürdigung dargelegt hat, kann dem Gutachten des Dipl.-Med. L nicht gefolgt werden, da die Diagnose nicht anhand der heute einheitlichen Bewertungskriterien, auf die Dr. M in seinem Gutachten für den Senat im Berufungsverfahren noch einmal zu Recht hingewiesen hat, herausgearbeitet wurde. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf diese zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG).
Soweit Prof. Dr. G in einer dem Kläger wohlwollenden Weise eine akute PTBS geringen Ausmaßes angenommen hat, deren gesundheitliche Auswirkungen spätestens drei Monate nach dem Unfall abgeklungen waren, so führt diese Annahme nicht zu einem Verletztenrentenanspruch. Denn die Gesundheitsstörung hat nicht, wie für einen Verletztenrentenanspruch erforderlich, über die 26. Woche nach dem Unfall hinaus bestanden. Für den Senat überzeugend hat Prof. Dr. G ausgeführt, die von Dipl. Med. L als Unfallfolge angenommene schwere posttraumatische Belastungsstörung in reaktiver, chronifizierter Form mit schwerer neurotischer Entwicklung könne nur dann plausibel begründet werden, wenn der Unfall von seiner Quantität und Qualität ein derartiges Extremausmaß angenommen hätte, welches eine Persönlichkeitsveränderung bedingen könne. Zu Recht hat Prof. Dr. G auch aus der Sicht des Senats ausgeführt, dass ein solches Ereignis nicht annehmbar ist, auch wenn in Rechnung gestellt wird, dass das subjektive Erleben nicht zu vernachlässigen ist. Dennoch kann gerade bei einer PTBS, die wie hier über zehn Jahre nach dem Ereignis noch schwerwiegendste Gesundheitsstörungen verursachen soll, auf einen auch objektiv bestehenden Schweregrad des angeschuldigten Ereignisses nicht verzichtet werden. Insoweit hat Dr. M zu Recht darauf hingewiesen, dass der Kläger von der 800 bis 1000 kg wiegenden Kabeltrommel nicht schwer getroffen worden sein kann, weil sonst unmöglich "nur" Rippenprellungen die Folge gewesen wären. Damit soll ein erhebliches Schreckmoment beim Fallen der schweren Kabeltrommel zugunsten des Klägers nicht in Abrede gestellt werden. So kann eine als lebensbedrohlich empfundene Situation aber allenfalls für wenige Sekunden bestanden haben. Auch der Erstickungsanfall kann nur Bagatellcharakter gehabt haben, da bereits nach Sekunden Hilfe herbeigeeilt war und Bewusstlosigkeit und Übelkeit als Unfallfolgen nicht festgestellt werden konnten. Die Beschreibung eines solchen Sekunden dauernden Ereignisses, das objektiv nicht lebensbedrohlich war, als nahe Todeserfahrung durch Dipl.-Med. L stellt eine unzulässige Dramatisierung des Geschehens dar. Letztlich kommt es hierauf aber nicht an, da Dr. M zur Überzeugung des Senats zu Recht in strenger Anwendung der Kriterienprüfung "posttraumatische Belastungsstörung" (ICD 10, F 43.1) ausgeführt hat, dass zumindest ein Vermeidungsverhalten nach dem Kriterium C nicht vorliegt. Es fehlen trotz mehrfacher Nachfrage des Gutachters so genannte Trigger als spezifische Auslöser. Damit kann der Senat als Ergebnis des Berufungsverfahrens insoweit über Prof. Dr. G und das Sozialgericht hinaus¬ nur festhalten, dass überhaupt keine PTBS als Gesundheitsstörung nach den Regeln des Vollbeweises nachzuweisen ist. Eine Anerkennung und Entschädigung als Unfallfolge kommt daher nicht in Betracht.
Auch die sowohl von Prof. Dr. G als auch von Dr. M diagnostizierte manisch-depressive Erkrankung (bipolare affektive Störung), die auch Dipl. Med. L nicht vollkommen in Abrede gestellt hat, lässt keinen Unfallbezug erkennen. Dies gilt auch für die phobischen Ängste. Hier haben die Gutachter überzeugend herausgearbeitet, dass nahezu dasselbe Krankheitsbild auch bereits vor dem Unfall bestand. Dies ergibt sich aus dem überzeugenden Befundbericht des Dr. L vom 15. Juni 2004 für die Beklagte, in dem er ausführt, dass die im Oktober 1997 vom Kläger geklagten Symptome in gleicher Form bereits 1995 vorlagen, also in der Zeit vor dem Arbeitsunfall.
Auch der Alkoholmissbrauch kann nicht als Unfallfolge anerkannt werden. Soweit der Kläger selbst meint, es liege keine Form eines krankhaften Alkoholmissbrauchs vor, wofür immerhin die seit Jahren unauffälligen Gamma GT Werte sprechen, so ist schon nicht ersichtlich, was er eigentlich begehrt. Rentenzahlungen für einen freiwillig und gelegentlich betriebenen Alkoholabusus kennt das Recht der gesetzlichen Unfallversicherung nicht.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Tatbestand:
Streitig sind insbesondere die neurologisch-psychiatrischen Folgen eines Arbeitsunfalls vom 28. Juli 1997. Der Kläger begehrt die Gewährung einer Verletztenrente.
Der 1963 geborene Kläger, der aus dem ehemaligen J stammt (heute d Staatsangehöriger), dort in M ein Pädagogikstudium absolvierte, siedelte im Jahre 1990 nach Deutschland (B) über, um nach Weiterbildung auch hier als Lehrer tätig zu werden. Tatsächlich nahm er ab Ende des Jahres 1990 Hilfsarbeiten im Tiefbau bei verschiedenen Firmen auf, wo er am 28. Juli 1997 den hier streitigen Unfall erlitt. Nach Kündigung des Arbeitsverhältnisses folgte eine Zeit der Arbeitslosigkeit. Seit dem 01. April 2005 erhält er eine bis Ende 2008 befristete Erwerbsminderungsrente.
Am Unfalltag (28. Juli 1997) wollte der Kläger ein Seil mit einem Anker an einer Kabeltrommel von zwei Meter Durchmesser und 800 bis 1000 kg Gewicht befestigen, als diese sich löste. Er stürzte rücklings auf einen Stapel Rohre, die Kabeltrommel fiel auf seinen Oberkörper, so dass er zwischen Trommel und Rohren eingeklemmt wurde und einen Erstickungsanfall erlitt. Bei dem Unfall zog er sich eine Prellung der siebten bis neunten Rippe rechts, des rechten Rippenbogens und im LWS Bereich zu (Durchgangsarztbericht der Unfallbehandlungsstelle der C vom 31. Juli 1997). Ein Schädelhirntrauma, Bewusstlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen und retrograde oder anterograde Erinnerungslücken konnten nicht festgestellt werden. Nach zwei bis drei Stunden wurde er aus dem Krankenhaus entlassen. Unter dem 09. Oktober 1997 führten Dr. K und Frau S die die Behandlung übernommen hatten, aus, Arbeitsunfähigkeit wegen der Rippenprellung habe bis zum 26. September 1997 bestanden. Die Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Störungen sei nicht nur durch den Arbeitsunfall begründet.
Nachdem der Chefarzt der Abteilung für Psychiatrie des U Krankenhauses die Begutachtung der Unfallfolgen mit Schreiben vom 15. Januar 1998 abgelehnt hatte, bat die Beklagte Dr. K, inzwischen psychotherapeutisch tätig, um einen ausführlichen Bericht über die durchgeführte Behandlung. Dem Kläger wurde weiter Arbeitsunfähigkeit attestiert.
Mit Bescheid vom 03. März 1998 stellte die Beklagte die Zahlung von Verletztengeld mit dem 26. September 1997 ein, da die weiter bestehende Arbeitsunfähigkeit nicht Folge des Unfalls sei. Mit ärztlichem Attest vom 10. März 1998 hatte die Fachärztin für Innere Medizin S mitgeteilt, die Arbeitsunfähigkeit wegen der Rippenprellung rechts und der LWS Prellung sei zum 26. September 1997 beendet gewesen. Weitere Arbeitsunfähigkeitszeiten resultierten aus einer Erkrankung, die nicht mehr mit dem Arbeitsunfall in Verbindung stehe.
Am 12. Juni 2003 stellte sich der Kläger bei dem Chirurgen Dr. M vor. Dieser führte aus, der Kläger habe berichtet, er leide seit dem Arbeitunfall unter Schmerzen und Depressionen, die ein Neurologe auf den Arbeitsunfall zurückgeführt habe. Unter dem 11. Juli 2003 teilte die Beklagte Dr. M mit, dass bereits abgeklärt sei, dass das depressive Syndrom nicht Unfallfolge sei (Bescheid vom 03. März 1998).
Unter dem 02. März 2004 machte der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigten geltend, die Beklagte habe aufgrund eines nicht zureichend aufgeklärten Sachverhalts entschieden, da das offenbar zunächst beabsichtigte psychiatrische Gutachten nicht eingeholt worden sei. Er legte ein Attest des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. L vom 26. Mai 2003 vor, aus dem sich ergab, dass er dort seit dem 06. Februar 1995 in Behandlung sei. Am 27. Oktober 1997 habe eine ratlose, passive, klagsame, depressive Grundstimmung vorgelegen. Weiter legte er ein Attest des Dr. K vom 18. Mai 2004 vor, der mitteilte, der Kläger habe sich von 1994 bis 31. Dezember 1997 in seiner hausärztlichen Behandlung befunden, anschließend sei vom 01. Januar 1998 bis zum 30. Juni 2002 psychotherapeutische Betreuung erfolgt. Nach dem Arbeitsunfall, der zur Entlassung aus dem Arbeitsverhältnis geführt habe, sei es zu Depressionen mit Angstzuständen, bedingt durch den Unfall und die Unfallfolgen, insbesondere die Arbeitslosigkeit, gekommen. Damit habe er psychisch schlecht umgehen können. Er habe in den Monaten und Jahren nach dem Arbeitsunfall vermehrt Alkohol getrunken und sei keinem geregelten Arbeitsverhältnis mehr nachgegangen.
Unter dem 15. Juni 2004 erstattete Dr. L einen ärztlichen Befundbericht für die Beklagte, in dem er ausführte, im Jahre 1995 hätten beim Kläger seelische Probleme im Zusammenhang mit seiner Situation als Flüchtling bestanden; er habe sich schlecht gefühlt, sei gestresst und ungeduldig gewesen und habe angegeben, des Öfteren Alkohol zu trinken. Der psychiatrische Befund habe eine depressive Grundstimmung mit reduziertem Antrieb ergeben. Derselbe Befund habe sich am 27. Oktober 1997 gezeigt. Bei weiteren Behandlungen im Jahre 2002 habe er von vermehrtem Alkoholkonsum berichtet. In den Jahren 2003 und 2004 sei er vom Kläger um die Erstellung eines Gutachtens gebeten worden, das die Depression in einen Kausalzusammenhang mit dem Arbeitsunfall stelle. Dies habe er, Dr. L, abgelehnt, u. a. weil dies für ihn nur schwer nachvollziehbar sei und nur ein unabhängiger Gutachter mit der Frage befasst werden sollte.
Die Beklagte holte eine neurologisch-psychiatrische Stellungnahme nach Aktenlage vom 14. Juli 2004 des Dr. B ein. Er führte aus, dass bereits vor dem Unfall eine gravierende psychiatrische Erkrankung vorgelegen habe. Der Kläger befinde sich in einer schweren sozial belastenden Lebenssituation und spreche in diesem Zusammenhang in erheblichem Maße dem Alkohol zu. Es handele sich um eine unfallunabhängige Problematik.
Mit Bescheid vom 13. September 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09. Dezember 2004 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Verletztenrente aufgrund des Arbeitsunfalls vom 28. Juli 1997 ab. Die Prellungen seien folgenlos ausgeheilt. Eine gravierende Erkrankung des psychiatrischen Formenkreises habe schon vor dem Arbeitsunfall vorgelegen. Deshalb könne die Depression nicht als Unfallfolge anerkannt werden. Auch Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit seien aufgrund des Unfalls nicht annehmbar.
Hiergegen hat der Kläger sich mit der am 12. Januar 2005 zum Sozialgericht Berlin erhobenen Klage gewandt und geltend gemacht, der Arbeitsunfall habe zu schwerster körperlicher Beeinträchtigung geführt, die die nunmehr vorliegende Depression verursacht habe. Die Erkrankung im Jahre 1995 sei zum Zeitpunkt des Arbeitsunfalls im Jahre 1997 ausgeheilt gewesen. Das Sozialgericht hat einen Befundbericht des Dr. K vom 06. Juni 2005 eingeholt und Prof. Dr. G mit der Erstellung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens beauftragt. Dieser hat unter dem 22. Dezember 2005 ausgeführt, es sei nicht auszuschließen, dass bis zu drei Monate nach dem Unfallereignis eine posttraumatische Belastungsstörung bestanden habe. Es sei aber nicht begründbar, dass der Unfall über eine akute Belastungsreaktion hinaus Folgen hinterlassen habe. Bei Verdacht auf eine bipolare affektive Störung, welche seit 1995 immer wieder zu Behandlungen geführt habe, müsse angenommen werden, dass äußere Erlebnismomente in das Krankheitsbild aufgenommen würden, die lediglich äußere Anknüpfungspunkte für die sich darstellenden psychischen Veränderungen seien. Es bestehe neben der nach drei Monaten abgeklungenen posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) ein hyperthymes Zustandsbild bei Verdacht auf bipolare affektive Störung und periodischen Alkoholmissbrauch.
Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das Sozialgericht ein psychiatrisches Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dipl. Med. L eingeholt. Dieser hat unter dem 2. Oktober 2006 ausgeführt, dass als Folgen des Arbeitsunfalls eine schwere posttraumatische Belastungsstörung in reaktiver, chronifizierter Form mit schwerer neurotischer Entwicklung bestehe. Weiter sei die Verschlimmerung eines unfallabhängigen Leidens im affektiven Bereich festzustellen, die zu einer schweren chronifizierten, affektiven Störung geführt habe. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage zwischen 60 und 80 v. H. Bis zum Unfallereignis habe der Kläger normal und gesund gelebt, durch den Unfall sei sein Leben völlig verändert worden.
Nach Hinweis des Gerichts vom 13. Oktober 2006, dass dem Gutachten eine PTBS nach den Kriterien der aktuellen Literatur zu dieser Gesundheitsstörung nicht zu entnehmen sei, hat Dipl. Med. L in seiner Stellungnahme vom 24. Oktober 2006 ausgeführt, die PTBS sei aufgrund des ICD 10 diagnostiziert worden, auch wenn sich dies dem Gutachten nicht entnehmen lasse. Der Unfall müsse mit einer Belastung gleichgesetzt werden, wie sie z. B. Kriegsopfer erleiden. Der Erstickungsanfall habe die Grenze zum Tod symbolisiert und habe damit die schwerste psychische Belastung dargestellt. Die in der gerichtlichen Anfrage geschilderten Symptome wie Zwangserinnerungen, Albträume etc. seien beim Kläger vorhanden gewesen. Derzeit bestehe aber ein Zustand, der einer bipolaren Störung ähnlich sei, aber eben doch eine mögliche Folge der PTBS darstelle. Für die Bewertung der schweren Störung habe er die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) herangezogen.
Zu dem weiter zu den Akten gereichten für die Rentenversicherung erstatteten Gutachten der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie W vom 18. Oktober 2006, die ein maniformes Syndrom bei Verdacht auf bipolare Störung, eine posttraumatische Belastungsstörung sowie einen Alkoholmissbrauch als Grundlage des aufgehobenen Leistungsvermögens feststellte, und der ergänzenden Stellungnahme des Dipl. Med. L hat das Sozialgericht ergänzende Stellungnahmen des Prof. Dr. G vom 23. November 2006 und 01. Dezember 2006 eingeholt. Dieser hat ausgeführt, dass die von Dipl. Med. L diagnostizierte schwere posttraumatische Belastungsstörung in reaktiver, chronifizierter Form mit schwerer neurotischer Entwicklung nur dann als unfallbedingt annehmbar wäre, wenn der Unfall von seiner Quantität und Qualität ein derartiges Extremausmaß angenommen hätte, welches eine solche Persönlichkeitsveränderung hätte verursachen können. Ein solches Trauma sei weder dem Gutachten des Dipl. Med. L zu entnehmen noch ergäbe es sich aus den Akten oder sei bei der Begutachtung durch ihn geschildert worden.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 21. März 2007 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die psychiatrischen Gesundheitsstörungen, deren Anerkennung der Kläger als unfallbedingt begehre, nicht im Sinne des Vollbeweises zur Gewissheit der Kammer vorlägen. Zwar hätten Dipl. Med. L und Frau W eine fortdauernde PTBS, deren Ursache sie im angeschuldigten Unfallereignis gesehen hätten, diagnostiziert, dies werde jedoch von den von ihnen getroffenen Feststellungen nicht getragen. Nach den Festlegungen der von der Weltgesundheitsorganisation WHO herausgegebenen "International Classification of Diseases" ICD 10 (WHO, Internationale Klassifikation psychiatrischer Störungen, ICD 10 Kapitel V (F), Klinisch-diagnostische Leitlinien, Dilling, Mombour und Schmidt [Hrsg.], 5. Aufl., Bern 2005, Kapitel V (F) F 43.1, S. 169) entstehe die PTBS als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmaßes, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Zwar habe auch Prof. Dr. G in dem Unfall mit der Kabeltrommel ein solches Ereignis gesehen, aber nur für die Dauer von etwa drei Monaten. In den viele Jahre nach dem Unfall fortbestehenden psychischen Störungen des Klägers sei jedoch keine Erkrankung im Sinne der PTBS zu sehen. Hiervon könne nur ausgegangen werden, wenn das Unfallereignis in seiner Schwere geeignet gewesen wäre, zu einer Persönlichkeitsänderung des Klägers zu führen. Dies sei bei Extrembelastungen möglich. Ein solches Belastungsausmaß sei jedoch bei dem Unfall mit der Kabeltrommel nicht erreicht worden. Dies entspreche auch den Festlegungen im Diagnosemanual ICD 10. Dass eine PTBS nicht über Jahre hinweg fortbestehe, sei der Regelfall (WHO, a. a. O., S. 170). Als Beispiele derartiger Extrembelastungen, die zu Persönlichkeitsveränderungen über Jahre führen könnten, kommen Extrembelastungen wie in einem Konzentrationslager, Folter, Katastrophen oder andauernde lebensbedrohliche Situationen, etwa als Geisel oder bei lang andauernder Gefangenschaft mit drohender Todesgefahr, in Betracht. Zu Recht habe Prof. Dr. G aber aus der Sicht der Kammer ausgeführt, dass mit solchen Erlebnissen der angeschuldigte Unfall des Klägers nicht zu vergleichen sei, auch wenn aufgrund eines Erstickungsanfalls kurzzeitig Todesangst bestanden haben sollte. Der Kläger selbst habe geschildert, dass durch sekundenschnelle Hilfe seiner Kollegen die Kabeltrommel angehoben worden sei, so dass auch der Erstickungsanfall sich gelegt habe. Auch wenn im wissenschaftlichen Schrifttum darauf aufmerksam gemacht werde, dass dem subjektiven Erleben eine größere Bedeutung beizumessen sei als der objektiven Erheblichkeit der Belastung, so beschreibe das Diagnosemanual ICD 10 für die PTBS jedoch eine Reaktion auf eine belastende Situation, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Durch die Wendung "bei fast jedem" werde ein überindividueller Maßstab vorgegeben, so dass das Ereignis, mit dem der Betreffende konfrontiert werde, auch objektiv erheblich bedrohlich und belastend gewesen sein müsse. Insbesondere fordere die Wissenschaft und die Rechtsprechung eine objektive Erheblichkeit der Gefährdungslage. So müsse die Schwere der Gefährdung mit dem vom Betroffenen empfundenen Ausmaß der Bedrohung übereinstimmen. Dies sei vorliegend nicht der Fall gewesen.
Gegen das am 02. April 2007 zugestellte Urteil wendet sich der Kläger mit der am 16. April 2007 zum Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegten Berufung. Das Sozialgericht habe in entscheidungserheblicher Weise sein subjektives Erleben und die daraus resultierenden Beeinträchtigungen außer Acht gelassen und seine Erkrankung lediglich anhand objektiver Umstände gewürdigt. Entscheidend sei, dass er den Unfall als lebensbedrohlich empfunden habe. Soweit der Senat ein nervenärztliches Gutachten des Dr. M vom 03. März 2008 eingeholt habe, welches keine Erkrankungen des psychiatrischen Formenkreises den Unfallfolgen zuordne, könne diesem nicht gefolgt werden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. März 2007 und den Bescheid der Beklagten vom 13. September 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09. Dezember 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 28. Juli 1997 eine Verletztenrente nach einer MdE von 80 v. H. ab 01. Januar 2000 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte bezieht sich auf den Inhalt ihrer Bescheide und das Ergebnis der gerichtlichen Beweisaufnahme.
Der Senat hat ein Gutachten des Dr. M vom 03. März 2008 eingeholt. Dieser hat ausgeführt, der Kläger leide unter einer bipolaren affektiven Störung bei gegenwärtig gemischter Episode, einem Alkoholmissbrauch und phobischen Ängsten. Nachdem der Kläger Alkoholmissbrauch bestritten hat, hat der Senat eine ergänzende Stellungnahme des Dr. M vom 25. Mai 2008 eingeholt; Dipl.-Med. L hat unter dem 18. August 2008 erneut Stellung genommen. Auf das Gutachten und die ergänzenden Stellungnahmen wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Sachdarstellung und der Rechtsausführungen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Diese haben im Termin vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet, da der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen des Unfalls vom 28. Juli 2007 hat. Das Sozialgericht hat die Klage gegen die angefochtenen Bescheide der Beklagten zu Recht abgewiesen.
Nach § 56 Abs. 1 Sozialgesetzbuch/Siebtes Buch (SGB VII) haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalles über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, Anspruch auf Rente. Gesundheitsstörungen infolge eines versicherten Ereignisses können nur dann anerkannt werden, wenn sie mit Wahrscheinlichkeit zumindest ihre wesentliche Teilursache in dem versicherten Unfallereignis haben. Eine solche hinreichende Wahrscheinlichkeit (BSGE 19, 52; 32, 203, 209; 45, 285, 287) liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände, die die für den wesentlichen Ursachenzusammenhang sprechen, so stark überwiegen, dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann und ernstliche Zweifel ausscheiden; die bloße Möglichkeit einer wesentlichen Verursachung genügt nicht (BSG SozR Nr. 41 zu § 128 SGG; BSG SozR Nr. 20 zu § 542 RVO a. F.; BSGE 19, 52, 56; BSG SozR 3 1300 § 48 Nr. 67). Diese Beweiserleichterung gilt allerdings nur für den Kausalzusammenhang zwischen versicherter Tätigkeit und der (Erst )Schädigung sowie für den Ursachenzusammenhang zwischen der (Erst )Schädigung und weiteren auf dieser Schädigung beruhenden Gesundheitsstörungen. Die versicherte Tätigkeit, das Unfallereignis und die Gesundheitsstörungen müssen im Rahmen des Vollbeweises mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen (BSG, a. a. O.). Als wesentliche Teilursache im Sinne der im Sozialrecht herrschenden Theorie von der wesentlichen Bedingung kann eine solche im Rahmen des Vollbeweises festzustellende Ursache aber nur dann in Betracht kommen, wenn diese nach der Auffassung des praktischen Lebens über die besonderen Beziehungen der Ursache zum Eintritt des Gesundheitsschadens als wesentlich angesehen werden muss (so schon BSGE 1, 72, 76; 1, 150; 13, 175).
In Anwendung dieser Rechtsgrundsätze steht für den Senat als Ergebnis der Beweisaufnahme fest, dass der Kläger jedenfalls nicht an einer PTBS in rentenberechtigendem Ausmaß leidet bzw. gelitten hat. Wie das Sozialgericht in seiner umfassenden, an aktueller Literatur zur PTBS orientierten und überzeugenden Beweiswürdigung dargelegt hat, kann dem Gutachten des Dipl.-Med. L nicht gefolgt werden, da die Diagnose nicht anhand der heute einheitlichen Bewertungskriterien, auf die Dr. M in seinem Gutachten für den Senat im Berufungsverfahren noch einmal zu Recht hingewiesen hat, herausgearbeitet wurde. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf diese zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG).
Soweit Prof. Dr. G in einer dem Kläger wohlwollenden Weise eine akute PTBS geringen Ausmaßes angenommen hat, deren gesundheitliche Auswirkungen spätestens drei Monate nach dem Unfall abgeklungen waren, so führt diese Annahme nicht zu einem Verletztenrentenanspruch. Denn die Gesundheitsstörung hat nicht, wie für einen Verletztenrentenanspruch erforderlich, über die 26. Woche nach dem Unfall hinaus bestanden. Für den Senat überzeugend hat Prof. Dr. G ausgeführt, die von Dipl. Med. L als Unfallfolge angenommene schwere posttraumatische Belastungsstörung in reaktiver, chronifizierter Form mit schwerer neurotischer Entwicklung könne nur dann plausibel begründet werden, wenn der Unfall von seiner Quantität und Qualität ein derartiges Extremausmaß angenommen hätte, welches eine Persönlichkeitsveränderung bedingen könne. Zu Recht hat Prof. Dr. G auch aus der Sicht des Senats ausgeführt, dass ein solches Ereignis nicht annehmbar ist, auch wenn in Rechnung gestellt wird, dass das subjektive Erleben nicht zu vernachlässigen ist. Dennoch kann gerade bei einer PTBS, die wie hier über zehn Jahre nach dem Ereignis noch schwerwiegendste Gesundheitsstörungen verursachen soll, auf einen auch objektiv bestehenden Schweregrad des angeschuldigten Ereignisses nicht verzichtet werden. Insoweit hat Dr. M zu Recht darauf hingewiesen, dass der Kläger von der 800 bis 1000 kg wiegenden Kabeltrommel nicht schwer getroffen worden sein kann, weil sonst unmöglich "nur" Rippenprellungen die Folge gewesen wären. Damit soll ein erhebliches Schreckmoment beim Fallen der schweren Kabeltrommel zugunsten des Klägers nicht in Abrede gestellt werden. So kann eine als lebensbedrohlich empfundene Situation aber allenfalls für wenige Sekunden bestanden haben. Auch der Erstickungsanfall kann nur Bagatellcharakter gehabt haben, da bereits nach Sekunden Hilfe herbeigeeilt war und Bewusstlosigkeit und Übelkeit als Unfallfolgen nicht festgestellt werden konnten. Die Beschreibung eines solchen Sekunden dauernden Ereignisses, das objektiv nicht lebensbedrohlich war, als nahe Todeserfahrung durch Dipl.-Med. L stellt eine unzulässige Dramatisierung des Geschehens dar. Letztlich kommt es hierauf aber nicht an, da Dr. M zur Überzeugung des Senats zu Recht in strenger Anwendung der Kriterienprüfung "posttraumatische Belastungsstörung" (ICD 10, F 43.1) ausgeführt hat, dass zumindest ein Vermeidungsverhalten nach dem Kriterium C nicht vorliegt. Es fehlen trotz mehrfacher Nachfrage des Gutachters so genannte Trigger als spezifische Auslöser. Damit kann der Senat als Ergebnis des Berufungsverfahrens insoweit über Prof. Dr. G und das Sozialgericht hinaus¬ nur festhalten, dass überhaupt keine PTBS als Gesundheitsstörung nach den Regeln des Vollbeweises nachzuweisen ist. Eine Anerkennung und Entschädigung als Unfallfolge kommt daher nicht in Betracht.
Auch die sowohl von Prof. Dr. G als auch von Dr. M diagnostizierte manisch-depressive Erkrankung (bipolare affektive Störung), die auch Dipl. Med. L nicht vollkommen in Abrede gestellt hat, lässt keinen Unfallbezug erkennen. Dies gilt auch für die phobischen Ängste. Hier haben die Gutachter überzeugend herausgearbeitet, dass nahezu dasselbe Krankheitsbild auch bereits vor dem Unfall bestand. Dies ergibt sich aus dem überzeugenden Befundbericht des Dr. L vom 15. Juni 2004 für die Beklagte, in dem er ausführt, dass die im Oktober 1997 vom Kläger geklagten Symptome in gleicher Form bereits 1995 vorlagen, also in der Zeit vor dem Arbeitsunfall.
Auch der Alkoholmissbrauch kann nicht als Unfallfolge anerkannt werden. Soweit der Kläger selbst meint, es liege keine Form eines krankhaften Alkoholmissbrauchs vor, wofür immerhin die seit Jahren unauffälligen Gamma GT Werte sprechen, so ist schon nicht ersichtlich, was er eigentlich begehrt. Rentenzahlungen für einen freiwillig und gelegentlich betriebenen Alkoholabusus kennt das Recht der gesetzlichen Unfallversicherung nicht.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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