L 15 VG 23/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 10 VG 1/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 VG 23/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers zu 2) werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 23.11.2006 und der Bescheid vom 10.08.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.01.2006 insoweit teilweise aufgehoben und abgeändert, als der Beklagte verurteilt wird, dem Kläger zu 2) Elternrente nach den Vorschriften des Opferentschädigungsgesetzes (OEG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) mit Wirkung ab 01.03.2005 zu gewähren.
II. Die Berufung der Klägerin zu 1) wird zurückgewiesen.
III. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 2) zu erstatten; die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 1) sind nicht zu erstatten.
IV. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die 1949 bzw. 1943 geborenen Kläger begehren Elternrente nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG), nachdem ihre gemeinsame Tochter M. B. am frühen Morgen des 28.10.2002 getötet worden ist.

Die 1972 geborene Tochter der Kläger zu 1) und 2) ist slowakische Staatsangehörige gewesen. Sie war seit dem 03.06.1996 mit einem deutschen Staatsangehörigen verheiratet. Nach der Trennung von ihrem Ehemann ist sie von M. in das Allgäu umgezogen und hat eine Beziehung zu V. B. , geboren 1969, aufgenommen. Nach späteren Trennungsversuchen hat sich im September 2002 die Absicht von M. B. verstärkt, die Beziehung mit V. B. endgültig zu beenden. Sie hat ihm in der Nacht vom 27.10.2002 auf den 28.10.2000 mitgeteilt, dass sie ihn verlassen werde. V. B. war nicht bereit, die endgültige Trennung zu akzeptieren und hat M. B. gegen 1.00 Uhr morgens erwürgt.

Der Antrag der Kläger auf Versorgung nach dem OEG vom 03.11.2002 ist von dem Beklagten mit Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung M. vom 29.01.2003 abgelehnt worden. Die Kläger, die als slowakische Staatsangehörige nicht in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) wohnten, seien nicht in den Schutzbereich des OEG einbezogen. Sie seien weder Bürger der Europäischen Gemeinschaft (EU) noch Bürger eines Staates, welcher durch Rechtsvorschriften der EU eine Gleichbehandlung mit deutschen Staatsangehörigen erforderlich mache. Zudem sei keine Gegenseitigkeit zwischen der BRD und der Slowakei gewährleistet.

Mit Wirkung vom 01.05.2004 ist die Slowakei Mitglied der EU geworden. Aus diesem Grund haben die Kläger nochmals am 03.03.2005 einen Antrag auf Versorgung nach dem OEG eingereicht. Die Klägerin zu 1) sei 1949 geboren und beziehe eine Altersrente nach slowakischem Recht. Der Kläger zu 2), der 1943 geboren sei, erhalte eine Invalidenrente bzw. nunmehr ebenfalls eine normale Altersrente. Sie seien somit auf Versorgungsleistungen angewiesen.

Der Beklagte hat den Antrag vom 03.03.2005, eingegangen am 07.03.2005, mit dem streitgegenständlichen Bescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales Region Oberbayern I vom 10.08.2005 abgelehnt. Die Kläger würden als slowakische Staatsangehörige zu den "sonstigen Ausländern" im Sinne des § 1 Abs.5 bis 7 OEG zählen. § 1 Abs.4 Nr.1 OEG sei nicht anwendbar, da die Slowakei zum maßgeblichen Zeitpunkt des Todes der Tochter M. B. am 28.10.2002 noch kein Mitgliedsstaat der EU gewesen sei. Ebenso hätten § 1 Abs.4 Nrn.2 und 3 OEG zum damaligen Zeitpunkt auf die Slowakei nicht zugetroffen. Die Bewilligung einer Abfindung komme nach § 1 Abs.7 Satz 5 OEG i.V.m. §§ 40, 46 BVG nur für Witwen und Waisen in Betracht. Außerdem setze § 1 Abs.7 Satz 5 OEG voraus, dass die Getötete den Hinterbliebenen Unterhalt leisten würde. Dies müsse hier aber verneint werden, da die Klägerin zu 2) im Rahmen ihrer Zeugenvernehmung bei der Kriminalinspektion K. am 30.10.2002 dies ausdrücklich verneint habe. Auf Grund dieser Tatsache könne auch eine besondere Härte im Sinne des § 10b OEG nicht bejaht werden.

Die Bevollmächtigten der Kläger haben mit Widerspruch vom 06.10.2005 hervorgehoben, nach ihrer Auffassung sei für die Beuteilung der Anwendbarkeit des OEG nicht auf den Zeitpunkt der Tat abzustellen, sondern auf den Zeitpunkt der Entscheidung. Darüber hinaus würden die Folgen der Tat bei den Klägern noch weiter wirken. Des Weiteren habe die Getötete ausweislich der Unterlagen der Finanzbehörden ihren Eltern tatsächlich Unterhalt geleistet.

Der Beklagte hat den Widerspruch vom 06.10.2005 gegen den Bescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales Region Oberbayern I vom 10.08.2005 mit Widerspruchsbescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales vom 13.01.2006 zurückgewiesen und an seiner Rechtsauffassung festgehalten, dass die Kläger zu 1) und 2) nicht in den Schutzbereich des OEG fielen. Bei Taten vor dem 01.05.2004 seien die Staatsangehörigen der zehn neu beigetretenen Staaten noch keine EU-Bürger gewesen, sodass für diese die Freizügigkeit nach Art.95 Abs.2 EG-Vertrag und die daraus abzuleitenden Rechtsfolgen noch keine Geltung haben könnten. Würden an diesen Personenkreis ab dem Beitrittsdatum auch für vorher begangene Taten volle Leistungen gewährt - also für einen Zeitraum, in dem eben noch nicht alle Leistungsvoraussetzungen erfüllt waren -, würde dies eine ungerechtfertigte Besserstellung gegenüber deutschen Staatsangehörigen darstellen, denen für vor dem Inkrafttreten des OEG begangene Taten ebenfalls keine vollen OEG-Leistungen, sondern nur Härteleistungen nach § 10a OEG gewährt würden. Darüber hinaus habe die Klägerin zu 1) anlässlich der Zeugenvernehmung bei der Kriminalpolizeiinspektion K. am 30.10.2002 ausdrücklich verneint, dass ihre Tochter Unterhalt an sie gezahlt habe.

Die Bevollmächtigten der Kläger haben mit Schriftsatz vom 10.02.2006 Klage zum Sozialgericht Bayreuth erhoben. Da die Slowakei mittlerweile der EU beigetreten sei, hätten sie Anspruch auf Versorgung nach dem OEG. Ansonsten seien sie gegenüber Ausländern schlechter gestellt, welche sich nur vorübergehend in der BRD aufhalten würden. Da die Tochter M. , sofern sie die Gewalttat überlebt hätte, bereits ab dem Zeitpunkt der Tat Anspruch auf Versorgung gehabt hätte, müssten auch den Klägern als deren Eltern Versorgungsleistungen zustehen, dies umso mehr, da die Kläger seit der Nachricht vom Tod ihrer Tochter an Depressionen leiden würden. Außerdem habe die Verstorbene den Klägern Unterhalt in Höhe von 9.000,00 DM jährlich geleistet. Dies ergäbe sich aus dem Beschied des Finanzamtes M. für 2000 über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag vom 29.05.2001.

Das Sozialgericht Bayreuth hat die Klage gegen den Bescheid vom 10.08.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.01.2006 mit Gerichtsbescheid vom 23.11.2006 abgewiesen und ist hierbei in allen Punkten der Rechtsauffassung des Beklagten gefolgt. Soweit im Klageverfahren auch angesprochen worden sei, dass die Kläger als Folge des erlittenen Schocks auch weiterhin gesundheitlich beeinträchtigt seien, sei dies zum einen nicht mehr dezidiert aufrechterhalten worden. Zum anderen habe der Beklagte hierüber keinerlei Regelung getroffen, sodass die Kläger insoweit nicht beschwert seien.

Die hiergegen gerichtete Berufung vom 20.12.2006 ging am 21.12.2006 beim Bayerischen Landessozialgericht (BayLSG) ein. Zur Begründung verwiesen die Bevollmächtigten auf den Sachvortrag in erster Instanz und hoben des Weiteren hervor, dass die Tochter der Kläger - das Mordopfer - sich zu Recht in Deutschland aufgehalten habe, da sie mit einem deutschen Staatsangehörigen verheiratet gewesen sei. Weiterhin sei zu berücksichtigen, dass die Kläger auch wirtschaftlich von der Tochter, die in Deutschland als Kellnerin gearbeitet habe, unterstützt worden seien. Auf den bereits erstinstanzlich vorgelegten Steuerbescheid werde Bezug genommen, aus dem sich die Höhe der Aufwendungen ergebe.

Von Seiten des BayLSG wurden die Versorgungs-Akten und die erstinstanzlichen Unterlagen beigezogen. Nach Überprüfung machte das BayLSG die Bevollmächtigten der Kläger mit Nachricht vom 18.05.2007 darauf aufmerksam, dass streitgegenständlich nur Hinterbliebenen-Leistungen nach dem OEG seien, nicht jedoch etwaige Ansprüche auf Grund eigener Schädigung im Sinne einer posttraumatischen Belastungsstörung nach Tötung der Tochter M. am 28.10.2002. Im Übrigen werde um geeignete Nachweise für entsprechende Unterstützungsleistungen in den Jahren 2000 bis 2002 gebeten, zum Beispiel Vorlage von Original-Bankbelegen. Die Bevollmächtigten der Kläger verwiesen mit Telefax vom 28.06.2007 nochmals auf den Bescheid des Finanzamtes M. für 2000 über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag vom 29.05.2001. Dort seien als außergewöhnliche Belastungen nach § 33a und b des Einkommenssteuergesetzes (EStG) 1.520,00 DM aufgeführt.

In der mündlichen Verhandlung vom 11.03.2008 erklärte der Bevollmächtigte der Kläger auf Nachfrage, dass ihm keinerlei Erkenntnisse dahin vorliegen, dass die Kläger erwerbsgemindert oder erwerbsunfähig im Sinne des SGB VI seien oder aus anderen zwingenden Gründen eine zumutbare Erwerbstätigkeit nicht ausüben könnten.

Der Bevollmächtigte der Kläger stellt den Antrag, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 23.11.2006 und den Bescheid vom 10.08.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.01.2006 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den Klägern ab 01.03.2005 Elternrente nach den Vorschriften des Opferentschädigungsgesetzes in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz zu gewähren.

Der Bevollmächtigte des Beklagten stellt den Antrag, die Berufungen gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 23.11.2006 zurückzuweisen.

Dabei verweist der Bevollmächtigte des Beklagten auf das Rundschreiben des Bundesministeriums für Gesundheit und soziale Sicherung (BMGS) vom 29.11.2004, Nr.432-62034-EU hin, wonach Bürger der Staaten, welche am 01.05.2004 der EU beigetreten sind, Anspruch auf das volle Leistungsspektrum nur dann haben sollen, wenn die Gewalttaten nach dem 30.04.2004 begangen worden seien.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird gemäß § 202 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 540 der Zivilprozessordnung (ZPO) sowie entsprechend § 136 Abs.2 SGG auf die Unterlagen des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegten Berufungen der Kläger sind gemäß §§ 143, 144 und 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig.

Die Berufung der Klägerin zu 1) erweist sich gemäß § 1 Abs.1 Satz 1 OEG i.V.m. § 50 BVG als unbegründet, weil sie das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Die Klägerin zu 1) ist 1949 geboren. Unabhängig von der bereits erfolgten Renteneinweisung in der Slowakei hat der Bevollmächtigte der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 11.03.2008 erklärt, dass ihm keinerlei Erkenntnisse dahin vorliegen, dass die Kläger erwerbsgemindert oder erwerbsunfähig im Sinne des SGB VI seien oder aus anderen zwingenden Gründen eine zumutbare Erwerbstätigkeit nicht ausüben könnten. Dementsprechend hat die Klägerin zu 1) noch keinen Anspruch auf Elternrente.

Auf die Berufung des Klägers zu 2) sind der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 23.11.2006 und der Bescheid vom 10.08.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.01.2006 jedoch insoweit teilweise aufzuheben und abzuändern, als der Beklagte zu verurteilen war, dem Kläger zu 2) Elternrente nach den Vorschriften des OEG in Verbindung mit dem BVG mit Wirkung ab 01.03.2005 zu gewähren.

Das Bundessozialgericht (BSG) hat mit grundlegendem Urteil vom 08.11.2007 - B 9/9a VG 3/05 R - (JURIS, RegNr.28100 BSG-Intern) ausgeführt, dass ein Ausländer, der die Voraussetzungen des § 1 Abs.1 OEG erfülle, bei entsprechender Minderung der Erwerbsfähigkeit (§ 31 BVG) Anspruch auf Beschädigten-Grundrente habe, sobald eine der besonderen Leistungsvoraussetzungen nach § 1 Abs.4 bis 6 OEG gegeben sei. Gemäß § 40 Abs.1 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil (SGB I) - entstehen Ansprüche auf Sozialleistungen, sobald ihre im Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen. Zu diesen Ansprüchen gehören auch Ansprüche auf Versorgungsleistungen nach dem OEG als Teil der sozialen Entschädigung bei Gesundheitsschäden (oder wie hier der Fall einer Elternrente im Sinne von § 50 BVG zu Gunsten des Klägers zu 2), der bei erneuter Antragstellung im März 2005 bereits das 60. Lebensjahr vollendet hatte). Aus diesem Grund kann auch die Frage einer vollen Erwerbsminderung oder einer Erwerbsunfähigkeit im Sinne des SGB VI hinsichtlich des Klägers zu 2) dahingestellt bleiben.

Ein Anspruch eines Ausländers wie hier des Klägers zu 2) auf Zahlung einer Elternrente nach dem OEG in Verbindung mit dem BVG ist dem Grunde nach entstanden, wenn - die allgemeinen Voraussetzungen für eine Entschädigung nach § 1 Abs.1 Satz 1 OEG vorliegen, - die weiteren besonderen Leistungsvoraussetzungen für einen Ausländer gemäß § 1 Abs.4 bis 6 OEG erfüllt sind und - als weitere materiell-rechtliche Voraussetzung ein wirksamer Antrag gemäß § 1 Abs.1 Satz 1 OEG gestellt worden ist.

Aus der Wortwahl "sobald" in § 40 Abs.1 SGB I ergibt sich, dass die einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen nicht vom selben Zeitpunkt an vorliegen müssen, sondern auch nacheinander erfüllt werden können. Ein Anspruch auf eine Sozialleistung (hier: Elternrente für den Kläger zu 2)) steht dem Berechtigten allerdings erst dann zu, wenn - auch in zeitlicher Hinsicht - sämtliche im Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelten materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen vorliegen (BSG mit Urteil vom 08.11.2007 a.a.O.), hier also mit Eingang des Antrags vom 07.03.2005.

Das Vorliegen eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs im Sinne von § 1 Abs.1 Satz 1 OEG gegen die Tochter des Klägers zu 2) ist unstreitig. M. B. ist am 28.10.2002 in S. bei I. ermordet worden.

Durch die Wortwahl "wer" wird hinsichtlich des persönlichen Anwendungsbereichs des OEG nicht zwischen In- und Ausländern unterschieden. Die besonderen Bestimmungen für Ausländer in § 1 Abs.4 bis 7 OEG regeln keine Einschränkungen des persönlichen Anwendungsbereichs, sondern enthalten unter anderem ergänzend weitere besondere Leistungsvoraussetzungen für diesen Personenkreis, die zusätzlich zu erfüllen sind. Dies ergibt schon der Wortlaut dieser Vorschriften. Nach § 1 Abs.4 OEG haben "Ausländer einen Anspruch auf Versorgung, ... wenn ..."; nach § 1 Abs.5 OEG erhalten "sonstige Ausländer Versorgung nach folgenden Maßgaben ...". Auch der von § 1 Abs.6 OEG erfasste Personenkreis bestimmter Ausländer erhält "Versorgung ..., ... wenn ..." Der Zweck dieser Regelungen, Ausländern nur unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf Versorgung einzuräumen, gebietet ebenfalls keine Auslegung, welche die Entstehung eines (Stamm-)Rechts auf Entschädigung schlechthin ausschließt, wenn diese Voraussetzungen bei Eintritt der Schädigung nicht vorliegen. Die besonderen Leistungsvoraussetzungen für Ausländer stehen nur als vorläufiges rechtshemmendes Hindernis der Durchsetzung dieses Rechts entgegen (BSG mit Urteil vom 08.11.2007 a.a.O.).

In zeitlicher Hinsicht verlangt das OEG demzufolge nicht, dass bereits zum Zeitpunkt der Gewalttat sämtliche Leistungsvoraussetzungen für die Gewährung von Versorgung in entsprechender Anwendung des BVG, also auch die besonderen Leistungsvoraussetzungen des § 1 Abs.4 OEG, gegeben sein müssen. Vor allem sieht auch die Übergangsvorschrift des § 10 OEG keine dahingehenden Einschränkungen des Anspruchs des Klägers zu 2) vor. Es genügt vielmehr, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen wie bei dem Kläger zu 2) zum Zeitpunkt der Antragstellung 07.03.2005 gegeben sind. Dieser Auslegung steht die Rechtsprechung des EuGH in seinem Urteil in der Rechtsache Nr.186/87 Ian Cowan gegen Trésor Public nicht entgegen. Der Beklagte verkennt hierbei, dass der EuGH aus dem Diskriminierungsverbot des Art.12 des Vertrages über die Europäische Union (EU-V) - vormals Art.7 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG-V) - bzw. dem Recht auf Freizügigkeit (Art.39 EU-V) lediglich folgerte, dass ein Mitgliedsstaat die Gewährung einer staatlichen Entschädigung zur Wiedergutmachung des Schadens, der in diesem Staat dem Opfer einer zu einer Körperverletzung führenden Gewalttat zugefügt wurde, bei Personen, denen das Gemeinschaftsrecht die Freiheit garantiert, in diesen Mitgliedsstaat einzureisen, nicht davon abhängig machen darf, ob sie Angehörige eines Staates sind, der ein Gegenseitigkeitsabkommen mit diesem Mitgliedsstaat geschlossen hat. Der EuGH hat aber keinen Rechtsatz dahingehend aufgestellt, dass eine Entschädigung an Hinterbliebene nur dann in Betracht komme, wenn diese bereits zum Zeitpunkt der Gewalttat - und nicht erst später durch Beitritt ihres Heimatlandes zu EU - Angehörige eines Mitgliedsstaats der EU geworden sind. Auch hat er die staatliche Entschädigung an EU-Bürger nicht davon abhängig gemacht, ob diese von dem durch Gemeinschaftsrecht garantierten Recht auf Freizügigkeit und Niederlassungsfreiheit tatsächlich Gebrauch machen. Daher ist § 1 Abs.4, Abs.8 Satz 1 und 2 OEG dahingehend auszulegen, dass Hinterbliebenenversorgung auch an EU-Bürger zu gewähren ist, die ihren Wohnsitz oder Aufenthalt außerhalb der BRD (hier: Slowakei) haben.

Durch die Einbeziehung in den Schutzbereich des OEG wird der Kläger zu 2) gegenüber deutschen Staatsangehörigen entgegen der Auffassung des Beklagten auch nicht besser gestellt. Eine "Inländerdiskriminierung" ist hier nicht zu erkennen. Vielmehr erhält der Kläger die selben Rechte wie ein deutscher Staatsangehöriger. Denn auch ein deutscher Staatsangehöriger, der die deutsche Staatsangehörigkeit erst nach einer Gewalttat erworben hat, kann uneingeschränkte Versorgung nach dem OEG ab dem Zeitpunkt der Einbürgerung erhalten (vgl. Urteil des BSG vom 11.03.1998 - B 9 VG 2/96 R - SozR 3-3800 § 1 Nr.13; Kunz/ Zellner, Opferentschädigungsgesetz, 4. Auflage, Rz.95 zu § 1 OEG; Behn in ZfS 1993, 294). Um den Kläger zu 2) als EU-Bürger der neuen Beitrittsländer nicht zu benachteiligen, ist es geboten, das ruhende (Stamm-)Recht frühestens im Zeitpunkt des Beitritts der Slowakei in die EU aufleben zu lassen.

Leistungen stehen dem Kläger zu 2) daher mit Wirkung ab 01.03.2005 zu. Denn nach §§ 60 Abs.1 Satz 1, 61 BVG beginnt die Hinterbliebenenversorgung hier mit dem Antragsmonat.

Die gegenteilige Auffassung des Beklagten, der sich an das Rundschreiben des BMGS vom 29.11.2004 - Nr.432-62034-EU gebunden sieht, überzeugt in Hinblick auf die spätere höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundessozialgerichts mit Urteil vom 08.11.2007 a.a.O. nicht mehr. Aus den nämlichen Gründen ist auch eine Aussetzung des Verfahrens gemäß § 114 Abs.2 SGG und eine Vorlage an den EuGH nicht (mehr) veranlasst gewesen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 183, 193 SGG und berücksichtigt das Obsiegen bzw. Unterliegen der jeweiligen Beteiligten.

Die Revision ist gemäß § 160 Abs.2 Nr.1 SGG zuzulassen gewesen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.
Rechtskraft
Aus
Saved