S 11 AS 8/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 11 AS 8/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 29.12.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19.01.2005 verurteilt, dem Kläger Kosten der Unterkunft und Heizung unter Zugrundelegung einer angemessenen Wohnfläche von 25 qm für Januar 2005 und von 45 qm für den Zeitraum seither sowie eines Mietzinses von 4,55 Euro/qm nebst Nebenkosten nach Maßgabe von § 7 Abs. 2 der DVO zu § 82 SGB XII zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Der Beklagte hat die Kosten des Klägers zu 1/5 zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Höhe der Leistungen für Unterkunft und Heizung (iF: LdU).

Der am 00.00.0000 geborene Kläger hat mit Vertrag vom 12.11.2002 ein Hausgrundstück (nach eigenen Angaben: 205 qm Grundfläche, 116 qm Wohnfläche, 5 Zimmer, Küche, Bad) gekauft, das er bislang bewohnt. Bis einschließlich Januar 2005 wohnten dort auch seine damalige Lebensgefährtin Frau E. E. sowie der - unstreitig nicht bedürftige - Sohn der Lebensgefährtin, Herr M. E. Bis zur vollständigen Entrichtung des Kaufpreises iHv 213.000.- Euro verpflichtete sich der Kläger zu einer monatlichen Nutzungsentschädigung iHv 887,50 Euro, die auf Kaufpreis angerechnet werden sollte. Ein Eigentumsübergang ist nicht erfolgt. Die Verkäufer haben mit Schreiben vom 00.00.0000 den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt.

Auf seinen Antrag vom Juni 2004 hin bezog der Kläger Sozialhilfe, zunächst darlehensweise. Mit Schreiben vom 00.00.0000 und 00.00.0000 wies ihn die Gemeinde L. darauf hin, dass für 3 Personen die Kosten der Unterkunft nur iHv 390.- Euro angemessen seien. Mit Bescheid vom 00.00.0000 wurde die Sozialhilfe für Dezember 2004 als Beihilfe erbracht; hierbei berücksichtigte der Sozialhilfeträger LdU iHv 390.- Euro (abzüglich des Mietzuschuss und des auf Herrn M. E. entfallenden Anteils).

Am 00.00.0000 beantragte der Kläger Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Er gab hierbei monatliche Nebenkosten iHv 280.- Euro für "Versicherung, Schornsteinfeger, Grundbesitzabgabe, Wasser" sowie 120.- Euro für Strom an.

Mit Bescheid vom 00.00.0000 bewilligte der Beklagte der Bedarfsgemeinschaft (bestehend aus dem Kläger und Frau E.) Leistungen iHv monatlich 1177.- Euro und setzte die LdU mit 260.- Euro an (390.- Euro minus den Anteil für den nicht zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden Herrn M. E.).

Seinen am 00.00.0000 eingelegten Widerspruch begründete der Kläger damit, dass ihm ein Auszug aus dem Haus nicht möglich sei. Abhilfe könne nur ein Verkauf des Hauses schaffen, den er seit längerem erfolglos versuche.

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 00.00.0000 (Aufgabe zur Post am 00.00.0000) zurück. Er führte aus, der Kläger sei schon im Jahr 2004 schriftlich auf die Unangemessenheit seiner Unterkunft hingewiesen worden und habe mithin gewußt, dass die Nutzungsentschädigung sozialhilferechtlich nicht in voller Höhe übernommen werden könne. Schließlich habe bereits der Sozialhilfeträger ab Dezember nur mehr 390.- Euro als angemessene Unterkunftskosten zugrunde gelegt. Der Vortrag zum Verkauf des Hauses treffe schon deswegen nicht zu, weil der Kläger das Haus mangels Eigentümerstellung nicht verkaufen könne.

Hiergegen richtet sich die am 00.00.0000 erhobene Klage.

Der Kläger führt aus, ein Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende bestehe erst ab Anfang 2005, weswegen ein Unterkunftswechsel erst nach angemessener Zeit nach diesem Zeitpunkt verlangt werden könne. Im Übrigen sei ihm ein Umzug wegen der bestehenden Vertragsverhältnisse gegenüber dem Verkäufer des Hausgrundstücks nicht möglich, da dies zu doppelten Wohnkosten führen würde.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 29.12.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19.01.2005 zu verurteilen, Kosten für Unterkunft und Heizung ab dem 01.01.2005 in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen zu tragen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen, soweit sie über die bereits anerkannten Leistungen hinaus geht.

Er bleibt bei seiner bisherigen Auffassung und verweist auf diversen Schriftverkehr zwischen dem Kläger und den Verkäufern.

Das Gericht hat den Mietspiegel für nicht öffentlich geförderte Wohnungen im Gemeindegebiet L (Stand: 00.00.0000) beigezogen.

Hinsichtlich der wesentlichen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte nebst Sozialhilfeakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nur teilweise begründet. Die angefochtenen Entscheidungen der Beklagten sind nur insoweit rechtswidrig im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), als der Beklagte ihrer Berechnung der LdU nicht den aktuellen Mietspiegel sowie (für die Berechnung der Nebenkosten) die Durchführungsverordnung (DVO) zu § 82 Sozialgesetzbuch - Zwölftes Buch - Sozialhilfe (SGB XII) zugrunde gelegt hat.

Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) werden LdU in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit sie angemessen sind. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft den angemessenen Umfang übersteigen, sind sie so lange zu berücksichtigen, wie eine Senkung der Aufwendungen insbesondere durch Wohnungswechsel nicht möglich ist, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate, § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II.

Der Kläger hat keinen Anspruch in Höhe der tatsächlichen Kosten nach § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II, da ihm ein vorheriger Wohnungswechsel möglich und zumutbar war. Er wußte aufgrund mindestens zweier expliziter Hinweis des Sozialhilfeträgers, dass die Unterkunft unter Zugrundelegung sozialfürsorgerechtlicher Maßstäbe unangemessen kostenaufwändig war. Diese Hinweise waren inhaltlich hinreichend bestimmt, um den Kläger auf seine Obliegenheit zur Kostensenkung aufmerksam zu machen. Dass der Beklagte hierbei von unzutreffend berechneten Werten für die Angemessenheit der Unterkunft ausgegangen ist (hierzu sogleich), ändert hieran nichts, denn der Kläger hat durch sein gesamtes Verhalten erkennen lassen, dass er die Unterkunft jedenfalls bis zu einer Einigung mit dem Verkäufer über die Abwicklung des Kaufvertrages beibehalten werde. Ein früherer Wohnungswechsel war dem Kläger aber nicht wegen der schwebenden Verhandlungen über die Abwicklung des Kaufvertrages unzumutbar. Vielmehr musste er davon ausgehen, das Hausgrundstück in keinem Fall halten zu können. Sein Vortrag, er müsse das Hausgrundstück erst verkaufen, bevor er sich eine neue Unterkunft suchen könne, geht fehl, denn er als Nichteigentümer hätte die Verpflichtungen aus einem Kaufvertrag mit einem Dritten unter den gegebenen Umständen praktisch nicht erfüllen können. Sofern er sich darauf beruft, dass ein früherer Umzug nur zu höheren Kosten führen würde, ist dem entgegen zu halten, dass es nicht Aufgabe der Grundsicherung ist, für Schulden der Hilfebedürftigen aufzukommen. Die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende hätten sich also nicht auch auf die bei Abwicklung des Kaufvertrages entstehenden Kosten erstreckt. Schließlich vermag sich der Kläger auch nicht auf die "6-Monats-Regelung" in § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II aE berufen, denn sie gewährt keinen Anspruch darauf, jedenfalls 6 Monate lang unangemessen aufwändig zu wohnen. Dies ergibt sich bereits aus dem Gesetzeswortlaut, der davon spricht, die unangemessen hohen Aufwendungen sollten "in der Regel längstens" für 6 Monate berücksichtigt werden. Im Übrigen stünde ein genereller Anspruch auf Berücksichtigung unangemessener Wohnkosten unabhängig von den Umständen des Einzelfalls in eindeutigem Gegensatz zu den Grundsätzen nicht nur des SGB II, sondern jedweden sozialen Fürsorgerechts überhaupt.

Der Beklagte hat jedoch die gem. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu tragenden angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung unzutreffend berechnet.

Maßgebliche Kriterien für die Angemessenheit der Unterkunftskosten (ausführlich Putz info also 2004, 198 ff) ist die sog. abstrakte Angemessenheit (ausführlich Grube, in: Grube/Wahrendorff SGB XII, 2005, § 29 Rn 21 ff), für die es zunächst auf die Wohnfläche ankommt, wobei die Werte in den landesrechtlichen Verordnungen zu § 5 Abs 2 des Gesetzes zur Sicherung der Zweckbestimmungen von Sozialwohnungen (Wohnungsbindungsgesetz - WoBindG) analog anwendbar sind (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 01.08.2005, L 19 B 21/05 AS ER; BVerwG, NVwZ 1995, 1104). Weiter sind Wohnstandard (insbesondere Lage und Ausstattung) und örtliches Preisniveau von Bedeutung. Auf dieser Grundlage ist die tatsächliche Preisspanne des unteren Marktsegments am Wohnort des Hilfebedürftigen zu ermitteln (LSG Nordrhein-Westfalen, aaO).

Während sich der Beklagte bei der Bestimmung der Angemessenheit ersichtlich auf die Werte der Tabelle nach § 8 des Wohngeldgesetzes (WoGG) bezieht, erachtet die Kammer den örtlichen Mietspiegel (iSd § 558 d des Bürgerlichen Gesetzbuchs - BGB) als besser geeignet zur Ermittlung des örtlichen Preisniveaus. Nach § 558 c Abs. 1 Satz 1 BGB ist ein Mietspiegel eine Übersicht über die ortsüblichen Vergleichsmiete, soweit die Übersicht von der Gemeinde oder von Interessenvertretern der Vermieter und der Mieter gemeinsam erstellt oder anerkannt worden ist. Ein Mietspiegel wird dem Norminhalt von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II besser gerecht, da er - im Gegensatz zur Wohngeldtabelle, die pauschal für den gesamten Geltungsbereich des Gesetzes gilt - die örtlichen Gegebenheiten abbildet. Anders als insbesondere § 20 SGB II - Regelleistung - pauschaliert § 22 Abs. 1 SGB II die Kosten für Unterkunft und Heizung nicht, sondern verweist mit dem Tatbestandsmerkmal der Angemessenheit auf die Umstände des Einzelfalls und somit auch auf die örtlichen Gegebenheiten.

Angemessen iSd § 22 Abs. 1 SGB II ist eine Unterkunft nach alledem dann, wenn der Mietzins nicht höher ist als Produkt aus der im sozialen Wohnungsbau anerkannten qm-Größe und der (aus dem Mietspiegel entnommenen) Miethöhe pro qm für eine Wohnung der unteren Kategorie (zu letzterem Schmidt, in: Östreicher, SGB XII/SGB II, 2005, § 22 SGB II, Rn 33, 39).

Die im sozialen Wohnungsbau anerkannten qm-Größe beläuft sich für 3 Personen auf 75 qm, für 2 Personen auf 60 qm und für eine Person auf 45 qm (Übersicht bei Lang, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2005, § 22, Rn 43). Für den Monat Januar stand dem Kläger, der sich die Unterkunft damals mit zwei anderen Personen teilte, eine Wohnfläche von einem Dritteln von 75 qm und somit von 25 qm zu. Den LdU-Anteil von Frau E. kann der Kläger schon deswegen nicht geltend machen, da die Lebensgemeinschaft beider inzwischen nicht mehr besteht und die Vermutungswirkung aus § 37 SGB II daher nicht greift. Ab dem Zeitpunkt des Alleinlebens und somit ab Februar 2005 stand dem Kläger Wohnraum von 45 qm zu.

Aus dem Mietspiegel in der Gemeinde L. ergibt sich für Wohnungen um 60 qm Größe im unteren Bereich eine Mietpreisspanne zwischen 3,90 Euro/qm und 5,20 Euro/qm und somit ein Mittelwert von 4,55 Euro/qm. Derselbe Mittelwert gilt auch für Wohnungen um 40 qm Größe (Spanne 4.- Euro/qm bis 5,10 Euro/qm). Eine weitere Differenzierung danach, in welchem Jahr das Gebäude bezugsfertig geworden ist, ist nach Auffassung der Kammer nicht vorzunehmen. Vielmehr muss ein das gesamte Marktspektrum erfassender Mittelwert errechnet werden, denn es kommt darauf an, was unter örtlichen Verhältnissen durchschnittlich als angemessen erachtet werden kann. Für eine Verweisung des Hilfebedürftigen nur auf Wohnungen in Gebäuden bestimmten Alters bietet das Gesetz keine Anhaltspunkte.

Der Beklagte hat weiterhin die angemessenen Nebenkosten nicht zutreffend ermittelt. Für die Ermittlung der Nebenkosten einer im Eigentum des Hilfebedürftigen stehenden Unterkunft bietet sich eine analoge Anwendung von § 82 Abs 2 Nr 4 SGB XII sowie § 7 Abs 2 der DVO zu § 82 SGB XII an (SG Dresden, Beschluss vom 01.06.2005, S 23 AS 212/05 ER). Dasselbe muss gelten, wenn ein Hilfebedürftiger - wie hier - sich in einer insoweit eigentümerähnlichen Position (hier: Besitz am Hausgrundstück) befindet, als die Nebenkosten nicht (wie beim Mietverhältnis) von dritter Seite abgerechnet und dargelegt werden.

Unangemessen sind hierbei jedenfalls diejenigen Nebenkosten, die auf die qm-Zahl entfallen, um welche die Wohnungsgröße die Richtwerte von 25 qm (Januar 2005) und 75 qm (seither) überschreitet. Die Anwendung der sog. Produkttheorie (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, aaO mwN; zum Streitstand auch Berlit, in: LPK-SGB II, 2005, § 22 Rn 32 f) soll den Hilfebedürftigen in die Lage versetzen, sich beispielsweise eine größere Unterkunft zu "erwirtschaften", indem er eine schlechtere Wohnlage oder Ausstattung in Kauf nimmt. Sie zwingt den Träger der Grundsicherung indes nicht dazu, auch alle Folgelasten zu übernehmen, die durch diese Wahl des Hilfebedürftigen entstehen. Diese Betrachtungsweise, dh die Unterscheidung zwischen der Angemessenheit des Mietzinses und der Angemessenheit der Nebenkosten, ist die notwendige Konsequenz aus der Heranziehung des Mietspiegels, der keine Nebenkosten berücksichtigt. Konkret bedeutet dies, dass Nebenkosten, die auf eine unangemessene Wohnungsgröße zurückzuführen sind, auch keine angemessenen Nebenkosten der Unterkunft sind.

Der Beklagte hat auf der Basis dieser Darlegungen den LdU-Anspruch des Klägers neu zu berechnen. Er hat hierbei die Zeiträume zu ermitteln, in denen der Kläger zwischenzeitlich nicht bedürftig gewesen ist, sowie diejenigen Leistungen abzuziehen, die - wie eine Heizkostenbeihilfe - noch im hier streitigen Zeitraum fortwirken.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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