Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 11 Ar 361/86
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 Ar 1419/88
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1) Weiterentwicklung des Urteils des BSG vom 29.11.1988 – 11 RAr 15/87 – mit dem wehrdienstrechtlichen Grundsatz, daß der Wehrpflichtige durch die Erfüllung des Grundwehrdienstes keinen Nachteil in seinem beruflichen Werdegang erleiden solle.
2) Die vor dem Grundwehrdienst bestandene Arbeitslosigkeit reicht zur Erfüllung der Voraussetzung des § 2 Abs. 1 Nr. 5 a VRG jedenfalls dann aus, wenn der Arbeitnehmer sich rechtzeitig vor Ende des Grundwehrdienstes arbeitssuchend gemeldet und auch die ernsthafte Bereitschaft gehabt hat, die Vermittlungsdienste der Beklagten in Anspruch zu nehmen.
2) Die vor dem Grundwehrdienst bestandene Arbeitslosigkeit reicht zur Erfüllung der Voraussetzung des § 2 Abs. 1 Nr. 5 a VRG jedenfalls dann aus, wenn der Arbeitnehmer sich rechtzeitig vor Ende des Grundwehrdienstes arbeitssuchend gemeldet und auch die ernsthafte Bereitschaft gehabt hat, die Vermittlungsdienste der Beklagten in Anspruch zu nehmen.
I. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 27. Oktober 1988 und die Bescheide der Beklagten vom 22. September 1986 und vom 21. November 1986 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin einen Zuschuß zu den Aufwendungen für Vorruhestandsleistungen an den früheren Arbeitnehmer ab 1. April 1986 zu gewähren.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Es geht in dem Rechtsstreit um einen Zuschuß zu Vorruhestandsleistungen ab 1. April 1986.
Am 16. April 1986 beantragte die Klägerin bei der Beklagten einen Zuschuß zu den Vorruhestandsleistungen des am 31. März 1986 ausgeschiedenen Maschinenführers (geb. 1927). Die Klägerin wies auf den Tarifvertrag zur Einführung einer VR für die Arbeitnehmer in der Deutschen Brauwirtschaft vom 12. Juni 1984 hin. Als Wiederbesetzer nannte sie den Brauer (geb. 1964), der zum 1. April 1986 eingestellt worden war. Herr hatte seine Ausbildung zum Brauer bei der Klägerin im Juni 1984 beendet und noch bis 30. September 1984 dort gearbeitet. Er war sodann vom 1. Oktober 1984 bis 1. Januar 1985 arbeitslos und leistete seinen Grundwehrdienst vom 2. Januar 1985 bis 31. März 1986.
Mit Bescheid vom 22. September 1986 wies die Beklagte den Antrag ab und begründete dies u.a. damit, der Arbeitnehmer sei nicht beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet gewesen.
Hiergegen richtete sich der Widerspruch vom 1. Oktober 1986. Die Klägerin hat vorgetragen, der Arbeitnehmer sei vor dem Grundwehrdienst arbeitslos gewesen und wäre zwangsläufig per 1. April 1986 erneut arbeitslos geworden, wenn er nicht von ihr eingestellt worden wäre.
Mit Widerspruchsbescheid vom 21. November 1986 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und begründete dies u.a. damit, für die nach § 2 Abs. 1 Nr. 5 Vorruhestandsgesetz (VRG) geforderte Arbeitslosmeldung beim Arbeitsamt seien die §§ 105 (persönliche Arbeitslosmeldung) und 129 (Wohnsitz-Arbeitsamt) Arbeitsförderungsgesetz (AFG) zu beachten. Der Arbeitnehmer habe sich vor der Einstellung bei der Klägerin nicht persönlich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet.
Hiergegen hat die Klägerin am 23. Dezember 1986 Klage erhoben. Sie hat zur Begründung vorgetragen, Herr sei zuletzt während seines Grundwehrdienstes in stationiert gewesen. Dort habe er sich im Januar/Februar 1986 mit dem Arbeitsamt in Verbindung gesetzt, sich arbeitsuchend gemeldet und auch seine rote Stammkarte eingereicht. Dies habe er auch bei seiner Vorstellung bei der Klägerin so angegeben. Es sei möglich, daß das Arbeitsamt die Meldung nicht an das Arbeitsamt weitergegeben habe. Die Vorschrift des § 2 Abs. 1 Nr. 5 b VRG müsse auch auf den vorliegenden Fall angewendet werden, weil es anderenfalls zu einer ungerechtfertigten Benachteiligung der Wehr- und Ersatzdienstleistenden käme. Die Vorschrift müsse verfassungskonform im Sinne des Art. 3 Grundgesetz (GG) ausgelegt werden.
Die Beklagte hat vorgetragen, der Arbeitnehmer habe sich bei dem Arbeitsamt in am 17. Februar 1986 lediglich arbeitssuchend gemeldet. Arbeitslos habe er sich dort nicht melden können, da der Wehrdienst noch nicht beendet gewesen sei. Bei dem zuständigen Wohnsitz-Arbeitsamt habe er sich aber nicht arbeitslos gemeldet. Der Gesetzgeber habe im VRG jedoch ausdrücklich die Einstellung eines Arbeitslosen und nicht die eines Arbeitssuchenden verlangt.
Mit Urteil vom 27. Oktober 1988 hat das Sozialgericht Kassel die Klage im wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, daß der Arbeitnehmer sich bei dem Arbeitsamt arbeitssuchend gemeldet habe, erfülle nicht die Voraussetzung der Arbeitslosmeldung. Bei nahtlosem Übergang von einem Beschäftigungsverhältnis – oder auch des Wehrdienstes – in ein anderes liege keine Arbeitslosigkeit vor. Insofern liege auch keine unterschiedliche Behandlung vor zwischen Arbeitnehmern, die aus einem Arbeitsverhältnis oder aus dem Grundwehr- oder Zivildienst kämen.
Gegen das am 21. November 1988 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 16. Dezember 1988 Berufung eingelegt. Die Klägerin trägt vor, unstreitig sei Herr bis zum Beginn des Grundwehrdienstes arbeitslos gewesen, der Grundwehrdienst habe die Arbeitslosigkeit nicht beendet, sondern lediglich die Zahlung von Arbeitslosengeld suspendiert. Es sei ihm auch für die Zeit nach Beendigung des Grundwehrdienstes kein Arbeitsplatz vermittelt worden, obwohl er Anfang 1986 bei dem Arbeitsamt arbeitssuchend gemeldet gewesen sei. Bei der Klägerin habe er erstmals aus der Arbeitslosigkeit heraus einen Arbeitsplatz gefunden. Ohne dies wäre er weiter arbeitslos geblieben. Sollte es aber so sein, daß ein Tag der Arbeitslosmeldung für Herrn ausgereicht hätte, die. Voraussetzung für die Zuschußgewährung zu schaffen, dann sei es zumindest rechtsmißbräuchlich, wenn die Beklagte im vorliegenden Fall die Zuschußgewährung mit der Begründung verneine, der Arbeitgeber hätte die Anspruchsvoraussetzung schaffen können. Im Sinne des Urteils des BSG vom 25. Oktober 1988 habe Herr die Arbeitsvermittlungsdienste der Beklagten bis 1. Januar 1985 in Anspruch genommen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 27. Oktober 1988 sowie den Bescheid der Beklagten vom 22. September 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. November 1986 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr einen Zuschuß zu den Vorruhestandsleistungen für Herrn ab 1. April 1986 zu zahlen,
hilfsweise
die Zulassung der Revision.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise
die Zulassung der Revision.
Die Beklagte trägt vor, nach dem Urteil des BSG vom 25. Oktober 1988 (7/11 b RAr 12/87) müsse Arbeitslosigkeit tatsächlich eingetreten sein. Im Falle des Herrn sei jedoch, da er den Grundwehrdienst abgeleistet habe, keine Arbeitslosigkeit eingetreten.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Gerichtsakten ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung, § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG), ist zulässig, § 143 SGG. Berufungsausschließungsgründe nach §§ 144 ff SGG liegen nicht vor.
Die Berufung ist auch in vollem Umfang begründet.
Das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 27. Oktober 1988 ist rechtsfehlerhaft und war deshalb aufzuheben.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 22. September 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. November 1986 ist rechtswidrig. Die Bescheide waren daher aufzuheben.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf einen Zuschuß zu den Aufwendungen für Vorruhestandsleistungen an den ehemaligen Arbeitnehmer ab 1. April 1986 nach §§ 1, 2 VRG.
Dabei besteht zwischen den Beteiligten lediglich Streit hinsichtlich der Voraussetzung des § 2 Abs. 1 Nr. 5 a VRG, ob es sich bei dem aus Anlaß der Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Arbeitnehmers auf dem freigemachten oder auf dem infolge des Ausscheidens durch Umsetzung freigewordenen Arbeitsplatz beschäftigten Herrn um einen bei dem Arbeitsamt arbeitslos gemeldeten Arbeitnehmer gehandelt hat.
Die übrigen Voraussetzungen sind zwischen den Beteiligten nicht streitig. Auch der erkennende Senat geht davon aus, daß mit dem zugrunde liegenden Tarifvertrag § 2 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 VRG erfüllt sind, der ausgeschiedene Arbeitnehmer innerhalb der letzten 5 Jahre die Wartezeit von 1080 Kalendertagen beitragspflichtige Beschäftigungszeit (bzw. gleichgestellte Zeiten) erfüllt und das Arbeitsverhältnis aufgrund einer Vereinbarung beendet wurde.
Der erkennende Senat geht davon aus, daß die Tatsache, daß der Arbeitnehmer den Grundwehrdienst abgeleistet hat, eine andere rechtliche Betrachtungsweise verlangt, als wenn er von einem Beschäftigungsverhältnis nahtlos zur Klägerin gewechselt wäre. Hätte in der Zeit vom 2. Januar 1985 bis 31. März 1986 ein Beschäftigungsverhältnis vorgelegen, hätte die Meldung als arbeitssuchend im Februar 1986 nicht ausgereicht, um die Voraussetzung der Arbeitslosmeldung im Sinne § 2 Abs. 1 Nr. 5 a VRG zu erfüllen. Dafür ist nach der Rechtsprechung des BSG, der sich der erkennende Senat anschließt, erforderlich, daß neben der Arbeitslosmeldung die ernsthafte Bereitschaft des arbeitslos gemeldeten Arbeitnehmers bestanden haben muß, die Vermittlungsdienste der Beklagten in Anspruch zu nehmen (vgl. Urteil des BSG vom 25. Oktober 1988 – 7/11 b RAr 12/87).
Im vorliegenden Fall ist jedoch zu berücksichtigen, daß der Arbeitnehmer vor dem Beginn des Grundwehrdienstes bei dem Arbeitsamt arbeitslos gemeldet war, und zwar vom 1. Oktober 1984 bis 1. Januar 1985. Hätte die Klägerin Herrn in dieser Zeit der Arbeitslosigkeit als Ersatz für einen "Vorruheständler” eingestellt, hätte ihr der Zuschuß zu den Vorruhestandsleistungen zugestanden (von dem Ausnahmefall abgesehen, daß sie den Kläger im Anschluß an das Ende des Arbeitsverhältnisses zum 30. September 1984 gleich wieder eingestellt hätte), und zwar auch während der Zeit des Grundwehrdienstes (vgl. Urteil des BSG vom 29. November 1988 – 11 RAr 15/87). Damit sieht es der erkennende Senat jedoch auch als geboten an, an die vor dem Grundwehrdienst bestandene Arbeitslosigkeit eines Arbeitnehmers anzuknüpfen und nach Ende des Grundwehrdienstes keine weitere Unterbrechung durch Arbeitslosigkeit jedenfalls dann zu verlangen, wenn der Arbeitnehmer sich rechtzeitig vor Ende des Grundwehrdienstes arbeitsuchend gemeldet und auch die ernsthafte Bereitschaft gehabt hat, die Vermittlungsdienste der Beklagten in Anspruch zu nehmen. Würde man dem nicht folgen, so würde dies dem wehrdienstrechtlichen Grundsatz widersprechen, daß die Wehrpflichtigen durch die Erfüllung der Wehrdienstpflicht in ihrem beruflichen Werdegang keine Nachteile erleiden sollen (vgl. Urteil des BSG vom 29. November 1988 s.o. unter Hinweis auf §§ 1, 2, 6 Abs. 1 Arbeitsplatzschutzgesetz – ArbPlSchG –). Der Status eines Arbeitslosen, der diesem nach dem Willen des Gesetzgebers durch das VRG eine zusätzliche Chance des Erhalts eines Arbeitsplatzes einräumt (durch die Zahlung eines Zuschusses an den Arbeitgeber, den dieser bei Einstellung eines nicht arbeitslosen Arbeitnehmers nicht erhalten würde), würde durch die Ableistung des Grundwehrdienstes entfallen. Damit wirkte sich die Ableistung des Grundwehrdienstes negativ auf den beruflichen Werdegang aus, da zum Erhalt der gleichen Einstellungschancen wie vor Ableistung des Grundwehrdienstes erst der Eintritt erneuter Arbeitslosigkeit erforderlich wäre. So hat der Gesetzgeber dem Status des Arbeitslosen vor Beginn des Grundwehrdienstes etwa auch Bedeutung bei Erfüllung der Anwartschaftszeit (§ 104 AFG) beigemessen nach §§ 107 Abs. 1, 168 Abs. 2 Nr. 3 AFG bzw. bei der Frage, ob während des Grundwehrdienstes Beitragspflicht zur Beklagten besteht.
Im vorliegenden Fall ist nach der dargelegten Auffassung der Arbeitnehmer 1. April 1986 (dem Tag des Beginns der Beschäftigung bei der Klägerin) als arbeitslos anzusehen, da er vor Beginn des Grundwehrdienstes bei der Beklagten arbeitslos gemeldet und tatsächlich arbeitslos war (01.10.1984–01.01.1985) und er sich bereits am 17. Februar 1986 bei der Beklagten als arbeitssuchend gemeldet und die Vermittlungsdienste der Beklagten ernsthaft in Anspruch genommen hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist vom Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen worden, § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Es geht in dem Rechtsstreit um einen Zuschuß zu Vorruhestandsleistungen ab 1. April 1986.
Am 16. April 1986 beantragte die Klägerin bei der Beklagten einen Zuschuß zu den Vorruhestandsleistungen des am 31. März 1986 ausgeschiedenen Maschinenführers (geb. 1927). Die Klägerin wies auf den Tarifvertrag zur Einführung einer VR für die Arbeitnehmer in der Deutschen Brauwirtschaft vom 12. Juni 1984 hin. Als Wiederbesetzer nannte sie den Brauer (geb. 1964), der zum 1. April 1986 eingestellt worden war. Herr hatte seine Ausbildung zum Brauer bei der Klägerin im Juni 1984 beendet und noch bis 30. September 1984 dort gearbeitet. Er war sodann vom 1. Oktober 1984 bis 1. Januar 1985 arbeitslos und leistete seinen Grundwehrdienst vom 2. Januar 1985 bis 31. März 1986.
Mit Bescheid vom 22. September 1986 wies die Beklagte den Antrag ab und begründete dies u.a. damit, der Arbeitnehmer sei nicht beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet gewesen.
Hiergegen richtete sich der Widerspruch vom 1. Oktober 1986. Die Klägerin hat vorgetragen, der Arbeitnehmer sei vor dem Grundwehrdienst arbeitslos gewesen und wäre zwangsläufig per 1. April 1986 erneut arbeitslos geworden, wenn er nicht von ihr eingestellt worden wäre.
Mit Widerspruchsbescheid vom 21. November 1986 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und begründete dies u.a. damit, für die nach § 2 Abs. 1 Nr. 5 Vorruhestandsgesetz (VRG) geforderte Arbeitslosmeldung beim Arbeitsamt seien die §§ 105 (persönliche Arbeitslosmeldung) und 129 (Wohnsitz-Arbeitsamt) Arbeitsförderungsgesetz (AFG) zu beachten. Der Arbeitnehmer habe sich vor der Einstellung bei der Klägerin nicht persönlich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet.
Hiergegen hat die Klägerin am 23. Dezember 1986 Klage erhoben. Sie hat zur Begründung vorgetragen, Herr sei zuletzt während seines Grundwehrdienstes in stationiert gewesen. Dort habe er sich im Januar/Februar 1986 mit dem Arbeitsamt in Verbindung gesetzt, sich arbeitsuchend gemeldet und auch seine rote Stammkarte eingereicht. Dies habe er auch bei seiner Vorstellung bei der Klägerin so angegeben. Es sei möglich, daß das Arbeitsamt die Meldung nicht an das Arbeitsamt weitergegeben habe. Die Vorschrift des § 2 Abs. 1 Nr. 5 b VRG müsse auch auf den vorliegenden Fall angewendet werden, weil es anderenfalls zu einer ungerechtfertigten Benachteiligung der Wehr- und Ersatzdienstleistenden käme. Die Vorschrift müsse verfassungskonform im Sinne des Art. 3 Grundgesetz (GG) ausgelegt werden.
Die Beklagte hat vorgetragen, der Arbeitnehmer habe sich bei dem Arbeitsamt in am 17. Februar 1986 lediglich arbeitssuchend gemeldet. Arbeitslos habe er sich dort nicht melden können, da der Wehrdienst noch nicht beendet gewesen sei. Bei dem zuständigen Wohnsitz-Arbeitsamt habe er sich aber nicht arbeitslos gemeldet. Der Gesetzgeber habe im VRG jedoch ausdrücklich die Einstellung eines Arbeitslosen und nicht die eines Arbeitssuchenden verlangt.
Mit Urteil vom 27. Oktober 1988 hat das Sozialgericht Kassel die Klage im wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, daß der Arbeitnehmer sich bei dem Arbeitsamt arbeitssuchend gemeldet habe, erfülle nicht die Voraussetzung der Arbeitslosmeldung. Bei nahtlosem Übergang von einem Beschäftigungsverhältnis – oder auch des Wehrdienstes – in ein anderes liege keine Arbeitslosigkeit vor. Insofern liege auch keine unterschiedliche Behandlung vor zwischen Arbeitnehmern, die aus einem Arbeitsverhältnis oder aus dem Grundwehr- oder Zivildienst kämen.
Gegen das am 21. November 1988 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 16. Dezember 1988 Berufung eingelegt. Die Klägerin trägt vor, unstreitig sei Herr bis zum Beginn des Grundwehrdienstes arbeitslos gewesen, der Grundwehrdienst habe die Arbeitslosigkeit nicht beendet, sondern lediglich die Zahlung von Arbeitslosengeld suspendiert. Es sei ihm auch für die Zeit nach Beendigung des Grundwehrdienstes kein Arbeitsplatz vermittelt worden, obwohl er Anfang 1986 bei dem Arbeitsamt arbeitssuchend gemeldet gewesen sei. Bei der Klägerin habe er erstmals aus der Arbeitslosigkeit heraus einen Arbeitsplatz gefunden. Ohne dies wäre er weiter arbeitslos geblieben. Sollte es aber so sein, daß ein Tag der Arbeitslosmeldung für Herrn ausgereicht hätte, die. Voraussetzung für die Zuschußgewährung zu schaffen, dann sei es zumindest rechtsmißbräuchlich, wenn die Beklagte im vorliegenden Fall die Zuschußgewährung mit der Begründung verneine, der Arbeitgeber hätte die Anspruchsvoraussetzung schaffen können. Im Sinne des Urteils des BSG vom 25. Oktober 1988 habe Herr die Arbeitsvermittlungsdienste der Beklagten bis 1. Januar 1985 in Anspruch genommen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 27. Oktober 1988 sowie den Bescheid der Beklagten vom 22. September 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. November 1986 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr einen Zuschuß zu den Vorruhestandsleistungen für Herrn ab 1. April 1986 zu zahlen,
hilfsweise
die Zulassung der Revision.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise
die Zulassung der Revision.
Die Beklagte trägt vor, nach dem Urteil des BSG vom 25. Oktober 1988 (7/11 b RAr 12/87) müsse Arbeitslosigkeit tatsächlich eingetreten sein. Im Falle des Herrn sei jedoch, da er den Grundwehrdienst abgeleistet habe, keine Arbeitslosigkeit eingetreten.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Gerichtsakten ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung, § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG), ist zulässig, § 143 SGG. Berufungsausschließungsgründe nach §§ 144 ff SGG liegen nicht vor.
Die Berufung ist auch in vollem Umfang begründet.
Das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 27. Oktober 1988 ist rechtsfehlerhaft und war deshalb aufzuheben.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 22. September 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. November 1986 ist rechtswidrig. Die Bescheide waren daher aufzuheben.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf einen Zuschuß zu den Aufwendungen für Vorruhestandsleistungen an den ehemaligen Arbeitnehmer ab 1. April 1986 nach §§ 1, 2 VRG.
Dabei besteht zwischen den Beteiligten lediglich Streit hinsichtlich der Voraussetzung des § 2 Abs. 1 Nr. 5 a VRG, ob es sich bei dem aus Anlaß der Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Arbeitnehmers auf dem freigemachten oder auf dem infolge des Ausscheidens durch Umsetzung freigewordenen Arbeitsplatz beschäftigten Herrn um einen bei dem Arbeitsamt arbeitslos gemeldeten Arbeitnehmer gehandelt hat.
Die übrigen Voraussetzungen sind zwischen den Beteiligten nicht streitig. Auch der erkennende Senat geht davon aus, daß mit dem zugrunde liegenden Tarifvertrag § 2 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 VRG erfüllt sind, der ausgeschiedene Arbeitnehmer innerhalb der letzten 5 Jahre die Wartezeit von 1080 Kalendertagen beitragspflichtige Beschäftigungszeit (bzw. gleichgestellte Zeiten) erfüllt und das Arbeitsverhältnis aufgrund einer Vereinbarung beendet wurde.
Der erkennende Senat geht davon aus, daß die Tatsache, daß der Arbeitnehmer den Grundwehrdienst abgeleistet hat, eine andere rechtliche Betrachtungsweise verlangt, als wenn er von einem Beschäftigungsverhältnis nahtlos zur Klägerin gewechselt wäre. Hätte in der Zeit vom 2. Januar 1985 bis 31. März 1986 ein Beschäftigungsverhältnis vorgelegen, hätte die Meldung als arbeitssuchend im Februar 1986 nicht ausgereicht, um die Voraussetzung der Arbeitslosmeldung im Sinne § 2 Abs. 1 Nr. 5 a VRG zu erfüllen. Dafür ist nach der Rechtsprechung des BSG, der sich der erkennende Senat anschließt, erforderlich, daß neben der Arbeitslosmeldung die ernsthafte Bereitschaft des arbeitslos gemeldeten Arbeitnehmers bestanden haben muß, die Vermittlungsdienste der Beklagten in Anspruch zu nehmen (vgl. Urteil des BSG vom 25. Oktober 1988 – 7/11 b RAr 12/87).
Im vorliegenden Fall ist jedoch zu berücksichtigen, daß der Arbeitnehmer vor dem Beginn des Grundwehrdienstes bei dem Arbeitsamt arbeitslos gemeldet war, und zwar vom 1. Oktober 1984 bis 1. Januar 1985. Hätte die Klägerin Herrn in dieser Zeit der Arbeitslosigkeit als Ersatz für einen "Vorruheständler” eingestellt, hätte ihr der Zuschuß zu den Vorruhestandsleistungen zugestanden (von dem Ausnahmefall abgesehen, daß sie den Kläger im Anschluß an das Ende des Arbeitsverhältnisses zum 30. September 1984 gleich wieder eingestellt hätte), und zwar auch während der Zeit des Grundwehrdienstes (vgl. Urteil des BSG vom 29. November 1988 – 11 RAr 15/87). Damit sieht es der erkennende Senat jedoch auch als geboten an, an die vor dem Grundwehrdienst bestandene Arbeitslosigkeit eines Arbeitnehmers anzuknüpfen und nach Ende des Grundwehrdienstes keine weitere Unterbrechung durch Arbeitslosigkeit jedenfalls dann zu verlangen, wenn der Arbeitnehmer sich rechtzeitig vor Ende des Grundwehrdienstes arbeitsuchend gemeldet und auch die ernsthafte Bereitschaft gehabt hat, die Vermittlungsdienste der Beklagten in Anspruch zu nehmen. Würde man dem nicht folgen, so würde dies dem wehrdienstrechtlichen Grundsatz widersprechen, daß die Wehrpflichtigen durch die Erfüllung der Wehrdienstpflicht in ihrem beruflichen Werdegang keine Nachteile erleiden sollen (vgl. Urteil des BSG vom 29. November 1988 s.o. unter Hinweis auf §§ 1, 2, 6 Abs. 1 Arbeitsplatzschutzgesetz – ArbPlSchG –). Der Status eines Arbeitslosen, der diesem nach dem Willen des Gesetzgebers durch das VRG eine zusätzliche Chance des Erhalts eines Arbeitsplatzes einräumt (durch die Zahlung eines Zuschusses an den Arbeitgeber, den dieser bei Einstellung eines nicht arbeitslosen Arbeitnehmers nicht erhalten würde), würde durch die Ableistung des Grundwehrdienstes entfallen. Damit wirkte sich die Ableistung des Grundwehrdienstes negativ auf den beruflichen Werdegang aus, da zum Erhalt der gleichen Einstellungschancen wie vor Ableistung des Grundwehrdienstes erst der Eintritt erneuter Arbeitslosigkeit erforderlich wäre. So hat der Gesetzgeber dem Status des Arbeitslosen vor Beginn des Grundwehrdienstes etwa auch Bedeutung bei Erfüllung der Anwartschaftszeit (§ 104 AFG) beigemessen nach §§ 107 Abs. 1, 168 Abs. 2 Nr. 3 AFG bzw. bei der Frage, ob während des Grundwehrdienstes Beitragspflicht zur Beklagten besteht.
Im vorliegenden Fall ist nach der dargelegten Auffassung der Arbeitnehmer 1. April 1986 (dem Tag des Beginns der Beschäftigung bei der Klägerin) als arbeitslos anzusehen, da er vor Beginn des Grundwehrdienstes bei der Beklagten arbeitslos gemeldet und tatsächlich arbeitslos war (01.10.1984–01.01.1985) und er sich bereits am 17. Februar 1986 bei der Beklagten als arbeitssuchend gemeldet und die Vermittlungsdienste der Beklagten ernsthaft in Anspruch genommen hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist vom Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen worden, § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
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