L 3 U 59/99

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 69 U 212/96
Datum
-
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 U 59/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren vor dem Landessozialgericht Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Rechtsanwaltes M-D zu gewähren, wird zurückgewiesen.

Gründe:

Der Antrag war zurückzuweisen, denn dem Kläger steht kein Anspruch auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten zu. Gemäß § 73 a Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) finden die Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) über die Prozesskostenhilfe entsprechende Anwendung. Nach § 114 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe zu gewähren, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Wegen der im sozialgerichtlichen Verfahren grundsätzlich bestehenden Gerichtskostenfreiheit (§ 183 SGG) kommt die Gewährung von Prozesskostenhilfe regelmäßig nur dann in Betracht, wenn zugleich ein Prozessbevollmächtigter beizuordnen ist. Gemäß § 121 Abs. 2 Satz 1 ZPO wird der Partei auf ihren Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl beigeordnet, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist.

Die vorgenannten Voraussetzungen sind im vorliegenden Falle nicht erfüllt. Hierbei lässt der Senat ausdrücklich offen, ob der Rechtsstreit im Berufungsverfahren hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Nach Aktenlage könnte vieles dafür sprechen, dass es bereits an einer solchen hinreichenden Erfolgsaussicht fehlt. Gegenstand des Rechtsstreites sind im Kern die Fragen, ob die vom Kläger geschilderten Schlafstörungen, Antriebsschwäche, Tagesmüdigkeit und weitere Beeinträchtigungen auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet Folgen eines Arbeitsunfalls sind. Dies ist nach den vorliegenden ärztlichen Meinungsäußerungen zu verneinen. Sowohl das medizinische Sachverständigengutachten des Prof. Dr. Sch vom 20. November 1998 als auch das vom Kläger selbst zu den Gerichtsakten gereichte Gutachten des Chefarztes Priv. Doz. Dr. M von der Hephata-Klinik vom 16. April 1999 haben einen Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den bei dem Kläger festzustellenden Beschwerden nicht bestätigen können. Das Attest des Praktischen Arztes M vom 18. Januar 2000, ebenfalls vom Kläger zu den Akten gereicht, spricht zwar von einer stark belastenden Symptomatik, die Folgeerscheinung des Verkehrsunfalls vom Oktober 1993 sei. Es beschreibt jedoch weder die belastende Symptomatik im Einzelnen, noch erläutert es, aus welchen Gründen der behandelnde Arzt entgegen den Äußerungen der Sachverständigen zu einer Annahme der Kausalität gelangt ist. Vor dem Hintergrund dieser ärztlichen Meinungsäußerungen könnte vieles dafür sprechen, den Sachverhalt bereits jetzt als geklärt zu betrachten. Dies würde zugleich den Rückschluss zulassen, dass eine hinreichende Erfolgsaussicht nicht besteht. Selbst wenn aber der Senat sich noch veranlasst sehen sollte, von Amts wegen weitere Ermittlungen in medizinischer Hinsicht anzustellen, würde dies nicht zwangsläufig eine hinreichende Erfolgsaussicht begründen können, denn es würde sich dabei allenfalls um eine entfernte und nicht um eine hinreichende Erfolgsaussicht handeln.

In jedem Falle aber fehlt es an den weiteren Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Denn die Beiordnung eines Rechtsanwaltes erscheint als nicht erforderlich im Sinne des § 121 Abs. 2 Satz 1 ZPO. Die Frage der Erforderlichkeit haben die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu prüfen (Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin - VerfGH -, Beschluss vom 20. August 1997, - VerfGH 9/97). Den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Gleichheit und Effektivität des Rechtsschutzes, bezogen auf finanziell bemittelte und nichtbemittelte Kläger, ist dadurch Rechnung zu tragen, dass sich das Gericht bei der Auslegung an der Frage orientiert, ob sich im konkreten Fall eine bemittelte Prozesspartei vernünftigerweise anwaltlicher Hilfe bedienen würde. Artikel 15 Abs. 1 der Verfassung von Berlin (VvB) gebietet die Prüfung, ob sich der Betroffene in der aktuellen Prozesssituation auch ohne anwaltliche Unterstützung Gehör verschaffen kann (VerfGH a. a. O.).

Hiernach kommt vorliegend die Beiordnung eines Rechtsanwaltes nicht in Betracht, denn eine vernünftig denkende, mit hinreichenden eigenen Geldmitteln ausgestattete Prozesspartei würde sich im vorliegenden Fall anwaltlicher Hilfe nicht bedienen. Der vorliegende Fall weist weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten auf, die es als erforderlich erscheinen ließen, die Unterstützung eines Rechtsanwaltes zu suchen. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass der Kläger als türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit die deutsche Sprache nicht als Muttersprache beherrscht. Denn allein die Behauptung, er verfüge nicht über eine ausreichende Gewandtheit in Wort und Schrift, reicht nicht aus, um die Zuordnung und die Beiordnung eines Rechtsanwaltes als notwendig erscheinen zu lassen. Primär ist es nicht Aufgabe eines Anwaltes, derartige mögliche Verständigungsschwierigkeiten zu überbrücken. Gegebenenfalls ist hier vielmehr zur mündlichen Verhandlung oder auch bei der Untersuchung durch einen Sachverständigen ein Dolmetscher einzuschalten. Darüber hinaus genügt der bloße Hinweis auf eine ausländische Staatsangehörigkeit nicht, um den Schluss auf die Erforderlichkeit einer anwaltlichen Vertretung zuzulassen (VerfGH, Beschluss vom 20. August 1997, AZ: 9/97). Es kann vielmehr verlangt werden, dass der die Prozesskostenhilfe begehrende Antragsteller nähere Angaben zu seinen persönlichen Verhältnissen wie etwa der Aufenthaltsdauer macht (VerfGH a. a. O.). Derartige Angaben hat der Kläger jedoch auch im Berufungsverfahren nicht gemacht, obwohl ihm durch Verfügung des Berichterstatters vom 26. Oktober 1999 nochmals ausdrücklich Gelegenheit eingeräumt worden war.

Auch in der Sache selbst weist der Fall keine besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Problemstellungen auf, die die Beiordnung eines Rechtsanwaltes als geboten erscheinen lassen könnten. Nach der gesetzgeberischen Entscheidung ist die Beiordnung eines Anwaltes auch im sozialgerichtlichen Berufungsverfahren nicht vorgeschrieben. Erforderlich ist sie nur dann, wenn die Sach- oder Rechtslage im Einzelfall schwierig oder schwer zu überschauen ist. Diese gesetzgeberische Entscheidung begegnet keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken (VerfGH, Beschluss vom 20. August 1997, Az: 9/97). Besondere rechtliche Problemstellungen weist der vorliegende Fall schon deswegen nicht auf, weil - wie bereits ausgeführt - vorliegend Fragen der medizinischen Kausalitätsbeurteilung im Vordergrund stehen, die rechtlich geklärt sind und einer Würdigung in tatsächlicher Hinsicht im Einzelfall bedürfen. Dass hierbei besondere Umstände zu berücksichtigen sind, ist nicht erkennbar. Dies gilt auch dann, wenn die Meinung des Sondervotums der Verfassungsrichter Dr. Storost, Arendt-Rojahn und Dr. Möcke zum Beschluss des VerfGH vom 20. August 1997, AZ: 9/97, zu Grunde gelegt wird. Nach diesem Sondervotum wird regelmäßig auch dann, wenn ausschließlich oder schwerpunktmäßig tatsächliche Fragen im Streit sind, die möglicherweise durch eine Beweisaufnahme geklärt werden müssen, ein bemittelter Rechtsschutzsuchender vernünftigerweise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragen, wenn im Kenntnisstand und in den Fähigkeiten der Prozesspartei ein deutliches Ungleichgewicht besteht. Dies gelte um so mehr, wenn der Rechtsstreit für die künftige soziale Stellung des Klägers, z. B. wegen des Begehrens erheblicher laufender Leistungen, von besonderer Bedeutung sei. Gerade in Rechtsstreitigkeiten mit medizinischen Problemen könne es in vielen Fällen erforderlich sein, einen Rechtsanwalt beizuordnen, weil das Erfassen der medizinischen Gesamtproblematik, insbesondere im Zusammenhang mit Kausalitätsfragen, möglicherweise erheblicher Anstrengungen bedürfe. Derartige Umstände des Einzelfalles sind aber vorliegend gerade nicht vorgetragen worden und auch nicht von Amts wegen ersichtlich. Allein die Tatsache, dass der Kläger eine regelmäßig wiederkehrende Dauerleistung in Gestalt einer Rente begehrt, kann den Fall nicht auf die Ebene einer besonderen Schwierigkeit in tatsächlicher Hinsicht heben. Sonstige Aspekte der Beweiswürdigung oder der Durchführung der Beweisaufnahme, die die Beiordnung eines Rechtsanwaltes als notwendig oder zumindest als sinnvoll erscheinen ließen, sind ebenfalls nicht erkennbar. Derartige Umstände könnten gegeben sein, wenn mehrere, einander in der Sache widerstreitende ärztliche Meinungsäußerungen vorlägen, die zu unterschiedlichen Ergebnissen führten und einer präzisen Würdigung bedürften. Dies könnte insbesondere dann der Fall sein, wenn Fragen zu klären wären, die in der medizinischen Praxis oder Wissenschaft nicht hinreichend geklärt oder Gegenstand von Auseinandersetzungen, insbesondere im Sinne medizinischer Richtungsstreitigkeiten, sein könnten. Wie bereits ausgeführt, gelangen die ärztlichen Meinungsäußerungen im vorliegenden Fall nahezu einhellig zu identischen Schlüssen. Einer komplizierten Beweiswürdigung oder der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen medizinischen Richtungen oder Grundansichten bedarf es nach gegenwärtigem Aktenstand, der für die Prognose allein ausschlaggebend ist, nicht.

Hieran ändert sich auch nichts durch das Vorbringen des Klägers, er bedürfe der anwaltlichen Hilfe für die Auswahl und den Vorschlag eines Sachverständigen gemäß § 109 SGG. Denn dies verkennt die Bedeutung, die diese Vorschrift für das sozialgerichtliche Verfahren besitzt. Das sozialgerichtliche Verfahren ist vorrangig durch eine weitreichende Ausgestaltung des Amtsermittlungsgrundsatzes (§§ 103, 106 SGG) gekennzeichnet. Das Gericht hat von Amts wegen den Sachverhalt umfassend zu erforschen und aufzuklären. Hierzu gehört gegebenenfalls auch die Einholung medizinischer Sachverständigengutachten, wenn dies als geboten erscheint. Eines Beweisantrages oder einer Beweisanregung bedürfte es hierzu nicht. Die Funktion eines Beweisantrages gemäß § 109 SGG besteht allein darin, dass ein Rechtsschutzsuchender die Möglichkeit eingeräumt erhält, einen Arzt, dem er besonders vertraut oder dem er besondere Sachkunde beimisst, durch das Gericht hören zu lassen. Dies ist typischerweise dann der Fall, wenn ein Rechtsschutzsuchender - nach durchgeführter Beweisaufnahme von Amts wegen - dem durch das Gericht gewonnen Beweisergebnis nicht oder nicht hinreichend vertraut und er deshalb die Anhörung eines Arztes verlangt, der das besondere Vertrauen des Rechtsschutzsuchenden besitzt. Diese gesetzgeberische Ausgestaltung der Funktion des § 109 SGG macht zugleich deutlich, dass für eine anwaltliche Tätigkeit in diesem Zusammenhang in aller Regel kein Raum ist. Der Anwalt kann weder das besondere Vertrauen, das der Rechtsschutzsuchende zu einem Arzt seiner Wahl hat, begründen, noch kann er es durch Auswahl eines solchen Arztes überhaupt erst schaffen. Darüber hinaus würde die Auswahl eines Arztes nach § 109 SGG allein durch einen Anwalt ohne maßgebliche Einbeziehung des Rechtsschutzsuchenden selbst dem Zweck des § 109 SGG in aller Regel zuwiderlaufen und ihn nicht fördern. Vor diesem Hintergrund würde kein vernünftig denkender, aus eigenen finanziellen Mitteln handelnder Rechtsschutzsuchender einen Rechtsanwalt einschalten, um einen Arzt nach § 109 SGG auszusuchen oder vorzuschlagen.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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